Redesign statt rationalisieren

Über 70 Prozent aller Reengineering-Projekte scheitern oder bleiben weit unter den Erwartungen. Eines der wenigen gelungenen Vorhaben wurde von der Miba Gleitlager AG verwirklicht.

„Wieviel Veränderung wollen bzw. benötigen Sie? Reichen Ihnen 10% oder 20% Veränderung oder hilft nur eine radikale Transformation?“ Diese Fragen standen am Beginn eines folgenschweren Gesprächs zwischen Dr. Peter Mitterbauer, dem Vorstand der Miba Gruppe, den beiden Vorständen der Miba Gleitlager AG, eines der drei Unternehmen der Gruppe, dem Betriebsrat und dem Managementberater Prof. Helmut F. Karner.

Alle paar Jahre wieder?

Der Hintergrund dieses Gesprächs: Während die Miba Gruppe in Summe gesehen in den 90er Jahren durch stetige Umsatzausweitung und gesunde Ertragslage glänzte, stellte sich die Entwicklung der Holdingtochter Miba Gleitlager in Laakirchen mit ca. 500 Mitarbeitern weit weniger glänzend dar. Anfang der 90er-Jahre war sie kräftig in die Verlustzone gerutscht. In den Jahren 92/93 wurde dann ein erstes Rationalisierungsprojekt mit Personalabbau durchgeführt, um die Kosten in den Griff zu bekommen. Tatsächlich gelang es, die Verluste einzudämmen und die Betriebsergebnisse in Richtung „Null“ zu verbessern. Doch eine wirklich befriedigende Ergebnissituation war mit dem Projekt nicht erreicht worden. Die Firma blieb ertragsmäßig das Schlußlicht der Gruppe und angesichts der ständigen Konjunkturschwankungen in der Großmotorenindustrie, dem Hauptabnehmer von Gleitlagern, war daher klar, daß weitere Verbesserungsschritte folgen mußten.

1995/96 kam es dann zu einem Wechsel im Vorstand der Gleitlager AG. 1995 kam Bernd Werkhausen als neuer Vorstand für Marketing und Vertrieb und im Jahr 1996 übernahm Dr. Norbert Schrüfer die Bereiche Technik, Produktion und Entwicklung. Da die bisherigen Maßnahmen nicht ausgereicht hatten, das langfristige Überleben des Unternehmens abzusichern, untersuchte der Vorstand diverse Ansätze, um die Ergebnisse nachhaltig zu verbessern. Ende 96 lag dann das Konzept eines bekannten Produktivitätsberaters am Tisch, welches weitere Rationalisierungsschritte vorsah. Doch angesichts der negativen Auswirkungen des ersten Rationalisierungsprojektes, das durch drastischen Personalabbau zwar die wirtschaftliche Situation verbessert, aber auch zu innerer Emigration  und Demotivation vieler Mitarbeiter geführt hatte, erschien ein neuerliches cost-cutting-Programm keine erfolgsversprechende Lösung zu sein. So kam es zu besagtem Gespräch und nach eingehender Abwägung der diversen Ansätze zu dem Entschluß, radikal neue Wege zu gehen.

Wer macht das Redesign?

Warum scheitern eigentlich so viele Reegineering-Projekte? Der eine Grund liegt nach Ansicht von Prof. Karner in einer Vorgangsweise, bei der die Neugestaltung in die Hand externer Berater gelegt wird. So logisch und schlüssig deren Konzept auch sein mag, so sicher trifft es auf erbitterten Widerstand einer Belegschaft, deren bisherige Identität durch so eine radikale Neuorientierung zutiefst erschüttert wird (was heißt das für meine Rolle, meine Position, meine Funktion, meinen Arbeitsbereich, meine Fähigkeiten, mein Selbstverständnis).

Den zweiten Grund ortet Karner bei Managern, die aufgrund der vielen in so einem Prozeß auftretenden Schwierigkeiten früher oder später vor dem eigenen Mut zurückschrecken und auf halbem Weg die „Notbremse“ ziehen. Nicht zuletzt aufgrund von Rahmenbedingungen, die es bestimmten Unternehmen, z.B. Tochtergesellschaften internationaler Konzerne, kaum mehr erlauben, längerfristige Projekte durchzuführen, schon gar nicht dann, wenn eine Durststrecke mit schlechten oder gar sinkenden Erträgen durchzutauchen ist. Spätestens wenn die Ergebnisse zwei, drei Quartale unter Plan liegen, kommt die Order aus der Zentrale, „alle Experimente sofort einzustellen und sich wieder mit vollem Elan um Umsatz- und Ertragsvorgaben zu kümmern“.

Entschluß zur Vorwärtsstrategie

Im Jänner 1997 fiel dann der Vorstandsbeschluß, ein BPR-Projekt mit Prof. Karner unter dem „Dach“ der GfP (Ges. für Personalentwicklung) durchzuführen. Wesentliche Eckpfeiler waren:

     

  • ein diskontinuierlicher Ansatz mit radikalem Redesign der Prozesse
  • „Wir erarbeiten uns die Zukunft des Unternehmens selber – anstatt uns eine fertige Lösung von außen vorformulieren zulassen“
  • eine Balance zwischen „hard“ und „soft“ facts
  • Das Top-Management steht hundertprozentig hinter dieser Entscheidung und ist von Anfang bis Ende bis über beide Ohren in den Prozeß involviert.
  • geplante Projektdauer 10-12 Monate (tatsächliche Dauer bis zum 1. Arbeitstag mit den neuen Prozessen: 18 Monate)

Zwei Jahre im Zeitraffer

Im Februar 1997 kommt es zur Bildung eines Kernteams, das mit der Organisation und Koordination des Projektes betraut ist. Im März stellt Prof. Karner bei einer Klausur im Beisein von rund 90 Mitarbeitern die Grundgedanken von BPR vor. Hinsichtlich der künftigen Unternehmensausrichtung kommt es zu kontroversellen Diskussionen, an deren Ende die Vision der Miba Gleitlager AG steht. In vielen Einzelveranstaltungen stellen dann die Vorstände diese Vision vor und vermitteln der Mannschaft den „sense of urgency“, diejenigen Gründe, warum solche eine Veränderung für das Unternehmen überhaupt notwendig ist. In einem Preisausschreiben wird ein neuer Name für das Projekt gefunden: FOCUS.

Kurz darauf später werden 88 „Führungskoalitionäre“ ernannt, die die Aufgabe haben, mit je 4-5 Kollegen aus unterschiedlichen Abteilungen ein Team zu bilden und so den ständigen Informationsfluß über Fortschritte, aber auch Probleme des Projektes im gesamten Unternehmen sicherzustellen. Nach einer Definition der Kernprozesse und der sich daraus ergebenden künftigen Unternehmensstruktur durch Vorstand, Kernteam und Berater werden im Juli sechs Prozeßteams gebildet. Sie haben die Aufgabe, die Art und Weise der bisherigen Erfüllung dieser Prozesse radikal in Frage zu stellen und sie neu zu entwerfen. Im November werden die tatsächlich revolutionären Ergebnisse auf einer „Informationsmesse“ präsentiert. Im Dezember werden die Anforderungsprofile an die Leiter der 12 neugeschaffenen Business Units veröffentlicht. 48 Personen bewerben sich. Im Jänner 98 stehen die neuen Leiter fest und beginnen, an der konkreten Umsetzung von FOCUS zu arbeiten. Im März steht das Unternehmen vor der Frage, ob sich FOCUS in der vorliegenden Form rechnet. Das Konzept wird überarbeitet. Im April 98 fällt die definitive Entscheidung zur Durchführung. Es starten Qualifizierungsmaßnahmen, bauliche Veränderungen, die ersten Mitarbeiter ziehen um. Während des Betriebsurlaubes im Juli/August werden 90 Prozent (!) aller Maschinen umgestellt. Am Morgen nach Urlaubsende werden zum Start der jeweiligen Schicht alle Mitarbeiter von Vorständen und BU-Leitern begrüßt und an ihre neuen Arbeitsplätze geführt. Ein neues Zeitalter beginnt.

Erst Krisen, dann Durchbrüche

Von Beginn weg war zumindest in Umrissen klar, daß solch ein Prozeß mühsam und kostspielig sein und einen enormen Arbeitsaufwand erfordern würde und Rückschläge, Hindernisse und Krisen Teil des Spiels sind. Dem kognitiv zuzustimmen ging relativ rasch, es emotional auszuhalten erwies sich als beträchtlich schwieriger. Einige der typischen Krisen in solch radikalen Projekten sind:

Identitätskrisen:

Wenn nach so einer Umgestaltung plötzlich keine Abteilungen mehr existieren, klassische Meisterrollen wegfallen, Arbeitsvorbereitung und Qualitätskontrolle in die Linie hinein verlegt werden und sich diese Mitarbeiter vom Spezialisten zum Allrounder wandeln müssen, dann bringt das massive Identitätsfragen mit sich: Was ist meine neue Rolle, meine Funktion, bin ich noch wichtig, kann ich das überhaupt, will ich das überhaupt? Prof. Karner: „Ich muß mir dessen einfach bewußt sein und daher schon möglichst früh präventiv so planen, daß man das abfängt. D.h. ich muß einen Raum schaffen, damit das bearbeitet werden kann.“

Überforderung:

Wenn sich ein Unternehmen auf einen 1-2 Jahre dauernden Weg begibt, dann kommt es schon allein aufgrund der zeitlichen Mehrbelastung zu Problemen, ähnlich einem Marathon, wo z.B. nach 30 Kilometern ein typischer Einbruch kommt, den es zu überwinden gilt. Da solch ein Unternehmensneubau ja bei laufendem Betrieb stattfindet, heißt das ein oft enorm hohes Maß an Mehrarbeit für viele der Beteiligten. Das gilt es zu sehen und zu würdigen ebenso wie die Erkenntnis, daß es oft erst eines „Durchhängers“ bedarf, um mit neuer Kraft wieder durchstarten zu können.

Krisen durch Externe:

Designs, die noch nicht wild genug, nicht mutig und diskontinuierlich genug sind, erfordern mitunter vom Berater, „allzu schnelle“ Lösungen abzuwehren und weitere Entwürfe einzufordern. Das frustriert zuerst, hilft aber auch, „die eigenen Bremsen im Kopf zu lösen“ und gibt dadurch im Nachhinein betrachtet oft erst den entscheidenden Anstoß zur tatsächlich radikal neuen Idee.

Einige Ergebnisse:

     

  • eine enorme Verkürzung der Wege, die das Material in der Produktion zurücklegt. Damit verbunden war eine spürbare Reduzierung der Bestände an unfertigen Erzeugnissen und der Durchlaufzeit, eine deutliche Vereinfachung der Logistik.
  • eine deutliche Reduzierung der internen Ausschußkosten (-33% trotz höherem Volumen), der notwendigen Nachbearbeitungen und damit eine deutliche Qualitätsverbesserung.
  • die Beseitigung von Fehlerursachen passiert wesentlich rascher und unbürokratischer als früher
  • durch die Zerschlagung in autarke Units haben sich Probleme in der Produktionsplanung und -steuerung „nicht geviertelt, sondern gezehntelt“
  • durch die enorme Beschleunigung der Entwicklungszeiten konnte sich die Miba Gleitlager noch stärker als früher als hochwertiger Entwicklungspartner bei seinen Kunden profilieren und damit in einem heiß umkämpften Markt wesentlich stärker wachsen als die Konkurrenz.
  • Der Gewinn bewegt sich mittlerweile wieder im zweistelligen Millionenbereich, das ertragsmäßige Schlußlicht der Miba-Gruppe heißt nicht mehr Miba Gleitlager AG.

 

Die wichtigsten Lernerfahrungen hießen: Finger weg von BPR, wenn:

     

  • man nicht den Willen zur Diskontinuität hat, sondern Verbesserungen von 10-15 Prozent ausreichend erscheinen
  • die Spitzenleute nicht vollherzig dabei und auch willig sind, den Zeitaufwand zu investieren, der in bestimmten Phasen bis zu 60% ihrer Zeit ausmachen kann
  • Spitzenleute nicht bereit sind auch zu akzeptieren, was unter Mitarbeit der Beteiligten am Ende herauskommt
  • es bei Eigentümern nur unter enormen Druck über 12 bis 24 Monate durchzustehen ist (wenn etwa Zeiten, in denen es schlechter wird, Zeiten, in denen es noch nichts zu sehen gibt, Zeiten, wo wichtige Mitarbeiter hier einen Großteil der Zeit investieren, statt „operativ tätig zu sein“, zum Anlaß genommen würden, das Projekt zu stoppen)
  • keine intensive Begleitung vorgesehen ist für die vielen Krisen, die bei solch einem Projekt zwangsläufig auftreten.

01.2000

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