"Ein Projektleiter muss auch Courage haben"

Mario Poller und Silvester Scholz von Baxter BioScience über die Wichtigkeit klarer organisatorischer Rahmenbedingungen und eindeutiger, verbindlicher Standards für ein professionelles Projektmanagement.

Wie ist die Abteilung Projektmanagement aufgestellt?

P: Die Abteilung Projektmanagement and Engineering umfasst drei Gruppen: Silvester Scholz betreut das Team für die sogenannten „übergeordneten Projekte“. Das Team Facility Engineering ist für Projekte, die mit Bau und Haustechnik zu tun haben, zuständig und wird von mir geleitet. Und nachdem wir ein Hersteller von pharmazeutischen Produkten sind, gibt es noch ein Team für Prozeßtechnik, das von Gerhard Fischer abgedeckt wird. Peter Neuper ist der Leiter für den gesamten Bereich Projektmanagement & Engineering.

Sch: Das Projektmanagement für übergeordnete Projekte bezeichnet jene Projekte, die speziell neue Produkte oder neue Technologien etablieren. Übergeordnet bedeutet zum einen, dass hier die Verantwortung des Projektleiters so lange dauert und bestimmt ist, bis ein neues Produkt mindestens im ersten Land auf den Markt kommt. Und zum Anderen, weil es das Kerngeschäft ist, neue Produkte und Technologien zu implementieren und diesem Ziel alle anderen Subprojekte zuarbeiten bzw. untergeordnet sind. D.h. hier arbeiten wir mit zahlreichen Schnittstellen wie Marketing, Regulatory, Klinik, Entwicklung, Produktion, Qualität, usw., die der Projektleiter zu managen hat.

Kann man in der Praxis Linien- und Projektaufgaben immer klar trennen, oder sind nicht viele Linienleute auch als Projektleiter tätig?

P: Bei uns gibt es eine klare Trennung. Wir sind in drei Gruppen mit insgesamt 25 Projektmanagern aufgeteilt, die alle Experten mit Projektmanagement-Skills sind und die Projekte leiten. Bei uns gibt es drei Gruppenleiter in der Linie; alle anderen Mitarbeiter in unseren Teams sind Projektleiter bzw. Experten und für ihre temporären Projektorganisation verantwortlich.

Sind für diese Projekte die Projektmitarbeiter dann von der Linie voll abgestellt oder arbeiten sie nur einen gewissen Prozentsatz ihrer Zeit in den Projekten?

Sch: Vorrangig ist hier die Priorisierung der Projekte: Wie viele Personen, wie viele Ressourcen haben wir für Projekte insgesamt zur Verfügung und welche Projekte können wir mit den vorhandenen Ressourcen überhaupt einmal abdecken?

P: Da gibt es eine Priorisierung mit einem eigenen Tool. Es gibt ein vierteljährliches Update, wo wir gemeinsam mit dem Management die Wichtigkeit der einzelnen Projekte festlegen, wobei sich die Reihenfolge von einem Update zu anderen manchmal auch verschieben kann. Der Konflikt zwischen Projektleitern und Linie passiert dann, wenn das Projektmanagement nicht in der Firma etabliert ist. Wenn die Rollen, die Aufgaben, die Verantwortlichkeiten in Projekten klar definiert sind, dann werden diese weitestgehend eingehalten. Das war auch bei uns ein Prozess der letzten Jahre, der aber mittlerweile in der Firma aufgegriffen und unterstützt wird. Neu ist in der Form die klare Definition von Verantwortung und Aufgaben und das Herausarbeiten der jeweiligen Rollen. Davor wurden bei uns beispielsweise zu viele Projektsponsoren eingesetzt, die nicht wussten, welche Pflichten und Aufgaben und Rolle der Sponsor eigentlich hat. Heute ist das anders.

Welche Aufgaben und Rolle haben die Sponsoren jetzt?

P: Inzwischen haben wir eine Projekt-Guideline über die Abwicklung von Projekten, die Projektdefinition, die Einstufung von Projekten (was ist ein kleines, mittleres oder großes Projekt) und die Mindestprojektdokumentation (bezogen auf die Projektgrösse) ausgearbeitet. So sind die wesentlichen Basis Informationen fixiert. Diese Guideline ist jetzt in einer Revision, und mit Abschluss dieses Jahres wird die neue Version umfassend in der Firma etabliert und auch geschult sein. Das beinhaltet nicht nur Informationen über den Prozess, wie ein Projekt abläuft, sondern auch über die Aufgaben und die Rollenverteilung.

Wie läuft es nun konkret ab Es gibt eine Projektidee und z.B. die Regelung, Projekte ab einer Größenordnung von X müssen vom Management bewilligt werden. Also erstellt man einen Projektvorschlag, präsentiert das und dann gibt es eine Entscheidung, Go oder No-Go? Oder wie läuft das?

Sch: Zuerst werden einmal in einem Meeting Projektleiter und Sponsor nominiert. Der Projektmanagementprozess besteht bei uns aus vier bzw. aus fünf Phasen. Denn es gibt auch eine Vorprojektphase, das project screening.  D.h. alle Projektvorlagen werden gescreent. Z.B. in Hinblick darauf, ob das Projekt von einer anderen Hierarchie über uns schon einmal abgelehnt oder befürwortet worden ist. Nach dem Screening beginnt die Initiierungsphase, in der das Projekt anhand eines formalen Projektantrages einmal aufbereitet wird. Es werden Rollen definiert wie Sponsor und Nutzer, Beteiligte wie Plant Management oder Facility Management. Wenn dieser Projektantrag genehmigt wird, folgt die Projektplanung und die Genehmigung des notwendigen Budgets. Dann folgt die Realisierungsphase und nach dieser Realisierung gibt es noch einen Abschluss, bei dem überprüft wird, inwiefern das Projektziel tatsächlich erreicht wurde. D.h. es gibt vier Phasen, die jeweils getrennt sind durch eine Phase-Gate-Review, wo jeweils klare Go - No Go Entscheidungen stattfinden und ich sehr rasch feststellen kann, ob die Deliverables, die wir für diesen Punkt vereinbart haben, auch eingehalten wurden oder nicht.

Die Leute ihrer Abteilung fungieren dann als Projektleiter fungieren und die Mitarbeiter holen sie sich temporär aus der Linie?

Sch: Richtig, sie werden entweder voll abgestellt oder zu einem bestimmten Prozentsatz. In der Phase der Ressourcenplanung werden für jedes Projekt die 4-5 Phasen dargestellt, und dementsprechend wird geprüft: Welche Funktionen brauche ich grundsätzlich in dem Projekt? Brauche ich bestimmte Experten? In welcher Phase brauche ich wen und wie lange? Das soll uns dann helfen, die Ressourcen mit den Linienvorgesetzten abzustimmen und sie darüber frühzeitig zu informieren. Z.B.: "Im September brauchen wir aus deinem Bereich drei Mitarbeiter, ist dir das bewusst? Oder müssen wir da irgend etwas verändern und die Projekt-Timeline anpassen?" Das dient uns also als Kommunikations- und Planungsinstrument und zum Visualisieren des Ressourcenthemas.

Wie geht es Ihnen im Unternehmen mit der Ressourcenproblematik? Welcher Linienmanager gibt schon gern Mitarbeiter her, wenn er selbst Ziele zu erreichen hat? Zudem dienen Projekte mitunter als Möglichkeit, ungeliebte Mitarbeiter zu entsorgen. Man bekommt als Projektleiter also nicht immer die Leute, die man haben will und braucht.

Sch: Zur Zeit arbeiten wir hauptsächlich an Priorität 1 Projekten. Dadurch taucht dieses Thema kaum mehr auf. Denn wenn wir ein Priorität 1 Projekt betreiben, dann betreiben wir das nur, wenn dafür auch die nötigen Ressourcen sicher gestellt sind. Das ist genau der Wechsel, den wir in den letzten 2,5 Jahren vollzogen haben. Heute ist dieses Bewusstsein da. Priorität 1 Projekte wurden ja vom Managementteam selbst als Priorität 1 eingestuft, daher gibt es hier auch ein Interesse, die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Der Projektleiter selbst kann nur Ressourcen einfordern. Die Sicherstellung muss durch den Auftraggeber bzw. dem Sponsor passieren. Und da sich die Sponsoren mittlerweile in hohem Ausmaß mit ihren Projekten identifizieren, sorgen sie auch für die Sicherstellung der Ressourcen oder aber es wird gemeinsam eine Veränderung von timelines bzw. ein Verschieben von Prioritäten vereinbart.
Ein Abschieben von Mitarbeitern in Projekte kommt bei uns jedenfalls nicht mehr vor. Man kennt die Leute, man weiß, welche Expertise die Leute haben und ob sie geeignet sind im Projekt mitzuarbeiten oder nicht. Ein Projektleiter muss zudem auch die Courage haben, zu sagen, daß jemand nicht die richtige Qualifikation für ein Projekt hat.

Wenn ich als Führungskraft zwei Leute abstellen soll und dazu auch grundsätzlich bereit bin, aber gleichzeitig sehe, dass ich dann die eigenen Ziele nicht erreiche, habe ich aber ein Problem. Wie löse ich das nun?

P: Klar, wenn er seine Ziel nicht erfüllen kann, muss er das rechtfertigen. Wobei es in der Praxis ja so ist, dass es verschiedene Managementmeetings gibt, in denen mögliche Ressourcenprobleme ja angesprochen und diskutiert werden. Außerdem sind viele Priorität 1 Projekte ja auch gleichzeitig sogenannte Top-30 Projekte, die bei uns einem monatlichen Reporting unterliegen. Top 30 sind die 30 wichtigsten Projekte im Bereich Wien, die monatlich vor dem obersten Management reportet werden. Wenn man hier sieht, dass ein Ressourcenproblem oder eine Überlastung von Personen vorliegt, weil es z.B. nur einen Experten gibt und der in fünf anderen Projekten auch engagiert ist, dann werden hier Maßnahmen getroffen.

Gibt es so etwas wie eine eigene Projektmanagementkarriere?

Sch: Eine eigene Projektmanagementkarriere ist bei uns nicht etabliert. Wir werden als Experten für Projektmanagement gesehen, so wie es Experten in vielen anderen Bereichen gibt. Zur Zeit findet gerade eine Angleichung der Expertenlaufbahn zur Linie statt, um die Expertise im Unternehmen zu halten und diese Experten zu motivieren, weitere Experten auszubilden.

Was war der Auslöser, um das Projektmanagement vor einigen Jahren auf neue Beine zu stellen? Was hat früher nicht so gut funktioniert?

Sch: Wir waren früher in der Organisation verteilt, es gab mehrere Projektgruppen. Seit zwei Jahren sind wir als zentrale Projektmanagementgruppe für Vienna Operations tätig. Dadurch sind die Informations- und Kommunikationswege kürzer geworden und wir hatten es dadurch wesentlich leichter, Standards aufzustellen und verbindliche Vorgaben zu entwickeln, um Projekte abzuwickeln. Durch das Zusammenziehen der Gruppen wurde es leichter, die Prozesse und Methoden zu vereinheitlichen. Das war genau der Ruck, den wir gebraucht haben. In diesen zwei Jahren haben wir u.a. den Projektantrag standardisiert, die Ausbildungsschritte standardisiert, eigene Assessments etabliert und wir haben die Top-30 Reports ebenso wie die Priorisierung des Projektportfolios eingeführt. All diese Dinge wurden erst durch die Zentralisierung ermöglicht.

Wie unterscheiden Sie zwischen Projekt und Nicht-Projekt?

P: Wir haben eine Einstufungsmatrix kreiert. Früher war das alleinige Kriterium die Höhe des Investments. Ab einer gewissen Größe war es ein Großprojekt und bis dahin war es ein Kleinprojekt. Im Zuge der Guideline-Einführung haben wir eine Einstufungsmatrix ausgearbeitet, mittels der wir Projekte nach mehreren Gesichtspunkten einstufen können. Einerseits das Investment, andererseits die Anzahl der involvierten Abteilungen, dann die Notwendigkeit diverser Einreichungen bei Behörden, die Komplexität des Projekts und die Dauer.

In Summe führt das letztlich zu einer Einstufung, die zwischen einer Aufgabe, einem kleinen, mittleren oder großen Projekt unterscheidet. Und dementsprechend ist auch die Genehmigung eines Projektes strukturiert. Ein kleines Projekt und eine Aufgabe kann der Abteilungsleiter selbst genehmigen, aber es sollte jemand abwickeln, der auch ausreichend PM-Skills hat. Beim mittleren Projekten entscheidet ein Gremium. Wir haben im Unternehmen eine TOP-Struktur etabliert. TOP steht für Teams-Optimieren-Prozesse. Diese Teams für verschiedenste Bereiche, genehmigen mittlere Projekte, während die großen Projekte bei uns über das Top-Management genehmigt werden. Durch diese Einstufung ist auch die Genehmigungshierarchie abgedeckt.

Sch: Die Priorisierung selbst ist davon losgelöst, denn nicht jedes große Projekt ist automatisch sehr wichtig und nicht jedes kleine Projekt unwichtig. Es gibt daher eine Benefit-Effort-Matrix: Was bringt das Projekt und was ist damit für ein Aufwand verbunden? Das hilft, das Projekt einmal von der Rentabilität her darzustellen. Priorität 1 heißt dann beispielsweise: Das Projekt sichert unsere Qualität, die Sicherheit unserer Mitarbeit oder es ist von Corporate vorgegeben. So kann jedes Projekt sehr schnell priorisiert werden.

Wenn Sie gute Projektmanager suchen, woran machen Sie das fest? Was unterschiedet die Top-Leute von guten?

Sch: Wirklich feststellen kann man das nur über eine Feedbackrunde aus der Umgebung des Projektleiters: Wie fühlen sich die Personen, die eng mit ihm zusammen arbeiten? Ich glaube, dass gerade die Stimmung in einem Projektteam eine der wichtigsten Erfolgsfaktoren ist. Ein guter Projektleiter, der zwar alle Tools beherrscht z.B. wann er welche Risikoanalyse durchführt, der aber nicht weiß, wie er mit den Leuten umgehen soll, wird das Projekt genauso erfolglos durchführen wie jemand, der zwar gut mit den Leuten auskommt, aber die Tools nicht beherrscht. Wobei derjenige, der sich auf seine Umgebung flexibel umstellen kann und bei dem die Kommunikation funktioniert, wahrscheinlich noch eher Erfolg haben wird. Man muss also regelmäßig Gespräche führen und Feedback einholen. Speziell auch mit dem Sponsor und dem Auftraggeber: Wie erleben die anderen den Projektleiter? Da bekommt man dann schon ein ganz gutes Bild, wie er eigentlich ist. Je nach Projekt braucht man auch unterschiedliche Persönlichkeitstypen: Es gibt auch Projekte, wo man einen Troubleshooter braucht, jemanden, der die Leute nicht streichelt, sondern der sich sehr wohl durchzusetzen kann. Oder es gibt ein Projekt, wo es von den involvierten Persönlichkeiten her problematisch werden könnte. Dann werde ich natürlich eher versuchen jemanden zu finden, der mit unterschiedlichen Persönlichkeiten gut umgehen kann. Das Staffing ist immer eine sehr diffizile Sache.

In Projekten muss ich in sehr kurzer Zeit eine Gruppe arbeitsfähig machen, das ist doch eine besondere Herausforderung, oder?

P: Ja, das ist richtig. Nicht nur das. Es kommen auch gänzlich verschiedene Leute zusammen. Typische Forscher leben in ihrer eigenen Welt und haben völlig andere Ansichten als ein Mitarbeiter aus dem Marketing oder dem Vertrieb und können mit einer Projektaufgabe und Arbeitspaketen wenig anfangen. Da braucht es viel Unterstützung und Fingerspitzengefühl.

Wie bringt man das Linienmanagement dazu, Projektmanagement zu unterstützen?

Sch: Unsere Projekte sind mit den Firmenzielen abgestimmt. Jedes Projekt muss zumindest ein Ziel in der BSC unterstützen. Damit kann es eigentlich nur mehr sehr selten eine Diskussion darüber geben, ob das Projektziel ein anderes Ziel sticht. Zudem helfen viele Projekte den Linienvorgesetzten ja auch bei ihrer Zielerreichung. Und wenn ein Projekt als Priorität 1 tituliert ist, stellt sich auch kein Linienverantwortlicher mehr dagegen, denn wenn Priorität 1 Projekte ihre Ziele nicht erreichen, werden auch gewisse Unternehmensziele nicht erreicht und damit hängen seine Leistungsziele auch mit dran. Dieser Abgleich funktioniert bei uns sehr gut.

Ist das nicht ein bestimmter Menschenschlag, der im Projektbereich arbeitet? Leute, die gern Abwechslung haben, immer wieder gern neues machen, mit unterschiedlichen Leuten arbeiten wollen, Dinge auch gern wieder abschließen und sich in Neues stürzen? Wird denen nicht langweilig in einer Linienfunktion?

Es ist die Kunst des Projektleiters, das zu erkennen. Habe ich da jemand, der ständig Abwechslung braucht oder jemand, der eher Konstanz schätzt, jemand der eher oberflächlich bleibt oder jemand, der gern in die Tiefe geht? Dementsprechend sind die Leute auch für die Linie geeignet oder auch nicht. Es kommt auch auf die jeweilige Linienfunktion an, aber es gibt sicher Leute, wo ich sagen würde, nicht jede Linienfunktion wäre für diese Person geeignet. Dafür gibt es aber ein eigenes System. Wir haben Talent-Reviews im Unternehmen, wo Ausschau gehalten wird nach künftigen Führungskräften und da werden auch wir als Projektmanager betrachtet.

PDF: Die Projekteinstufungsmatrix bei Baxter

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