Potenzialerkennung - Definition und Zugänge

Potenzialerfassung, Potenzialerkennung, Potenzialauswahl, Potenzialentwicklung, Potenzialträger, Mitarbeiterpotenzial, all das sind gern verwendete Begriffe im Rahmen des Veränderungsmanagements. Aber was genau meint eigentlich Potenzial? Wie erkennt bzw. entdeckt man es? Wie misst man es? Und vor allem: Wie machen es Unternehmen nutzbar? Eine Spurensuche.

Tests, Fragebögen, computergestützte Analysen, Tiefeninterviews, eigenschafts- oder handlungsorientierte Assessmentcenter, Einzel-ACs, Hearings, und, und, und. Die Fülle an unterschiedlichen eignungsdiagnostischen Verfahren zur Erkennung von Mitarbeiterpotenzial ist enorm.

Prof. Heinrich Wottawa von der Ruhr-Universität Bochum konstatiert denn auch: "Manches Mal gewinnt man den Eindruck, dass die richtige Einschätzung von Personen (Bewerberauswahl, Potenzialanalyse für interne Mitarbeiter) weniger eine sachliche Frage sei, sondern eine Ideologie oder Weltanschauung. Testautoren behaupten, die "Ideallösung" für alle Fragen der Eignungsdiagnostik gefunden zu haben, "erfahrene Interviewer" bieten als Personalberater ihren durchdringenden Blick an, der alle Geheimnisse des Bewerbers durchschaut und die Verfechter von Assessmentcentern versichern, dass nur durch konkrete Verhaltensübungen in der speziell von ihnen vorgeschlagenen Weise eine vernünftige Eigungsdiagnostik überhaupt möglich sei." Kein Wunder, dass viele Firmen angesichts dieses Überangebots an "Patentlösungen" dem Thema skeptisch gegenüber stehen.

We agree to differ

Zwar sind sich noch alle einig, dass für jedes Unternehmen zwei Dinge existenziell wichtig sind. Zum einen verfolgen alle das Ziel, jede Unternehmensfunktion mit dem dafür jeweils bestgeeigneten Mitarbeiter zu besetzen - auch wenn das in der Praxis aus den verschiedensten Gründen nicht immer ganz so klappt. Zum anderen haben alle Unternehmen großes Interesse daran, das Potenzial der Leute so gut zu kennen, dass man bei Neu- oder Nachbesetzungen gezielt auf jene Mitarbeiter zugreifen kann, die die gesuchten und als erfolgsentscheidend angesehenen Fähigkeiten mitbringen.

Ab diesem Punkt beginnen sich die Geister aber zu scheiden. Das beginnt bei der Frage, was überhaupt unter dem Begriff Potenzial zu verstehen ist. Erst recht kontrovers wird es bei der Diskussion darüber, welche Methoden wofür tauglich bzw. untauglich sind. Für die Praxis mindestens ebenso relevant ist die Frage, wie die einzelnen Methoden eingesetzt werden müssen, um wirklich den erhofften Nutzen zu erzielen, statt - wie es speziell bei Management-Audits immer wieder vorkommt - jede Menge verstörter und aufgebrachter Mitarbeiter zu produzieren. Hier stellen sich typische Fragen wie: Messe ich mit diesem Verfahren tatsächlich das, was ich messen will? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Prognose? Und: Wird das Verfahren von den Teilnehmern als transparent, fair und "objektiv" erlebt oder fühlen sie sich über den Tisch gezogen und manipuliert?

Was meint "Potenzial"?

Der Duden bezeichnet Potenzial kurz und knapp als "Leistungsfähigkeit". Der Begriff zielt auf ein "noch nicht realisiertes Vermögen", auf etwas, was in einem steckt, bereits angelegt ist, sich aber noch nicht entfaltet hat. Sei es aus Mangel an Gelegenheiten, Mangel an Wissen oder an Fertigkeiten. Daraus folgt aber: Eine Potenzialanalyse macht nur dann Sinn, wenn die jeweilige Person diese "Anlagen" in den Tests bzw. Übungen auch dann einbringen kann, wenn sie eben nicht über einschlägige Erfahrungen und spezielles Know-how verfügt. Das macht die Sache nicht gerade leichter.

Misst man Eigenschaften.......

Es gibt zwei unterschiedliche Vorgangsweisen, um diesem Potenzial auf die Spur zu kommen. Die eine Richtung ist der sogenannte eigenschaftsdiagnostische Zugang. Bei diesem Ansatz geht man, grob vereinfacht, davon aus, dass jeder Mensch über stabile Eigenschaften, Merkmale, Stile verfügt. Es werden daher die Eigenschaften ausgewählt, die für die jeweilige Aufgabe als erfolgsrelevant angesehen werden, z.B. "durchsetzungsstark", und diese dann operrationalisiert. D.h. man sucht nach Verhaltensweisen, die diese Eigenschaften anzeigen sollen. Für durchsetzungsstark könnte das z.B. sein: "den eigenen Standpunkt ohne Aufforderung vertreten; flexibel argumentieren; Forderungen stellen." Daraus werden Test-Items entwickelt, zu denen der Befragte eindeutig Stellung nehmen muss. Etwa, "Bei Diskussionen sage ich meine Meinung, auch wenn ich weiß, dass ich damit anecke." "Wenn ich in einem Lokal nicht so bedient werde, wie ich es mir vorstelle, verlange ich den Geschäftsführer zu sprechen."  Meist werden dann differenzierte Antwortmöglichkeiten geboten: Stimmt, stimmt teilweise, stimmt gar nicht. Oder: nie, selten, manchmal, oft, immer. Oder aber man gibt bestimmte Situationen vor und lässt die Testperson aus verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten auswählen. Bei der Auswertung wird dann von den Antworten wieder auf die ursprünglich definierten Eigenschaften zurückgeschlossen und diese als charakteristisch für die Person angesehen. Die Auswertung ergibt ein Profil, das die Ausprägung bestimmter Eigenschaften, u.U. aggregiert zu bestimmten "Typen", zeigt.

........oder Verhaltensmuster?

Ein gänzlich anderer Zugang ist die Handlungsdiagnostik, die nicht Eigenschaften, sondern Handlungsmuster in den Vordergrund stellt. Während Eigenschaften bei der Eigenschaftsdiagnostik die zentralen Kategorien der Analyse bilden, kommt ihnen in der Handlungsdiagnostik lediglich die Rolle zu, die Ergebnisse griffiger zu formulieren. Die eigentliche Aussagekraft geht von der Beschreibung und Interpretation der Handlungsmuster aus. Ausgangspunkt sind beobachtbare Handlungsabläufe. Dementsprechend werden im Vorfeld die "critical incidents" definiert, jene Situationen und Ereignisse, bei denen sich gute von durchschnittlichen Mitarbeitern am deutlichsten unterscheiden. Diese Situationen werden dann simuliert, wodurch individuelle Strategien und charakteristische Verhaltensweisen erkennbar werden. In anschließenden Gesprächen werden die Grundelemente Motivsituation, Ziele und Strategien/Wege ergründet. Abschließend prüft man, inwieweit die  charakteristischen Muster einer Person geeignet sind für die Aufgabenstellungen, deren Lösung man von ihnen erwartet.

Begriffslexikon

Reliabilität:

Gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit welcher der Test bei einer Wiederholung mit derselben Person ein annähernd gleiches Ergebnis ergibt.

Validität (allgemein):

Gibt die Wahrscheinlichkeit an dafür, dass der Test das misst, was er messen soll. Z.B. eine vorher definierte Eigenschaft oder den Berufserfolg in einer bestimmten Position.

Konstruktvalidität:

Gibt die Wahrscheinlichkeit dafür an, dass das Testverfahren genau das Konstrukt misst, welches es zu messen angibt und nicht irgendwelche anderen Konstrukte oder Faktoren.

Kriteriumsvalidität:

Gibt die Wahrscheinlichkeit dafür an, dass das Testverfahren relevante Aussagen über ein bestimmtes Kriterium macht wie z.B. die Eignung für einen bestimmten Beruf oder den zukünftigen Erfolg in einer bestimmten Position.

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