Wo geht´s hier zu guten Mitarbeitern?

Verändern sich die Märkte, reagieren Unternehmen durch Veränderung ihrer Strukturen, Prozesse und Leistungen, woraus sich „Anpassungserfordernisse“ für die Mitarbeiter ergeben. Heißt es. Was aber, wenn der Markt, der sich verändert, der Arbeitsmarkt ist? Wie flexibel und „anpassungsbereit“ sind die heutigen Organisationen, um für die dringend benötigten, guten Mitarbeiter noch ausreichend attraktiv zu sein?

Jedem Menschen tut es gut, begehrt zu sein. Als „heiß begehrter Mitarbeiter“ gleich von mehreren Firmen umworben zu werden, war bisher wohl einer kleinen Minderheit von Personen vorbehalten. Nun aber wird diese Minderheit immer größer und größer, das Angebot am Arbeitsmarkt längerfristig immer knapper und die demographische Entwicklung verheißt für die nächsten Jahre und Jahrzehnte alles andere als Entspannung. Parallel dazu wird der Mensch als solcher für Unternehmen ein immer entscheidenderer Wettbewerbsfaktor – Stichwort Wissensarbeiter. Beide Entwicklungen zusammengenommen bereiten Unternehmen zunehmend Kopfzerbrechen.

Firmen suchen Mitarbeiter und finden Menschen

Denn der vom lange dominierenden Anbietermarkt zum Nachfragermarkt kippende Arbeitsmarkt stärkt natürlich die Verhandlungsposition der allerorten dringend gesuchten „guten Mitarbeiter“. Und mit dieser besseren Verhandlungsposition steigt auch der Mut des Einzelnen, von der Organisation auferlegte Beschränkungen nicht mehr widerspruchslos zu akzeptieren. Ganz im Sinn von „Wenn das hier nicht geht, dann gehe ich eben woanders hin“. Oder aber die Person kommt gleich gar nicht erst und zeigt dem interessierten Unternehmen die kalte Schulter. Vordergründig mag es bei einer stärkeren Verhandlungsposition von Mitarbeitern um die Attraktivität des einzelnen Unternehmens gehen, im Hintergrund geht es aber um etwas viel Grundlegenderes. Es geht um die Neugestaltung des Verhältnisses von Individuum und Organisation.

Ich bin besonders, wir alle sind gleich

Die momentane Kräfteverschiebung am Arbeitsmarkt passiert vor dem Hintergrund einer auf gesellschaftlicher Ebene seit Jahrzehnten fortschreitenden Individualisierung der Menschen, die sich ausdrückt in dem Wunsch, irgendwie besonders zu sein, unverwechselbar, unterscheidbar, eben Gestalter des eigenen, individuellen Lebensentwurfes. Durchaus das, was auch von den Organisationen selbst (zumindest verbal) seit Jahren gefordert und eingefordert wird: Übernahme von Verantwortung, selbständiges Agieren, ganz im Sinn der dynamischen, kreativen, unternehmerisch denkenden Mitarbeiter.

Die Krux an der Sache: Die Unternehmen bekommen nun ihre Wünsche erfüllt, allein es will sie nicht so recht freuen. Denn damit verbunden sind unerwünschte Nebenwirkungen. Wirklich unternehmerisch handelt der Mitarbeiter ja genau dann, wenn er die Grenzen des Üblichen sprengt. Und echte Kreativität erkennt man daran, dass sie unwillkommen ist, da sie querliegt zu bisher Gedachtem. Oder wie der deutsche Bestsellerautor Reinhard Sprenger gewohnt pointiert formuliert: „Die Aufwertung des Individuellen prallt gegen Management- und Organisationsformen, die vor rund 120 Jahren eingeführt wurden und deren Stoßgebete nur einen Refrain haben: Ordnung, Ordnung über alles!“

Individuell heißt unberechenbar

Man kann es drehen und wenden wie man will, wirkliche Individualität stört in Organisationen. Ist es doch fast schon einer ihrer Wesenselemente, Menschen zu entindividualisieren, um sie so weit als möglich berechenbar, planbar, steuerbar zu machen. Die Alltagssprache verrät es: man spricht von Leistungs-, Rollen- oder Funktionsträger, vom Personal (der Personaleingang ist hinten, da wo die Mülltonnen stehen) oder von Human Resources (die verbraucht und ersetzt werden). Mögen Strukturen und Prozesse in den letzten Jahren im Dienste der Kundenanforderungen noch so flexibilisiert worden sein, damit verbunden war und ist immer auch die Aufforderung an die Mitarbeiter: Ändert euch! Man braucht „Funktionsträger“, findet Individuen, vergleicht Rollenanforderung und Personen, ortet jeweils ein paar „Defizite“ und beginnt folgerichtig, an ihnen unter der Überschrift „Weiterbildung, Personalentwicklung“ herumzuschrauben, bis sie ins Konzept passen. Die Grundfigur – die Menschen haben sich an die Organisation anzupassen – ist erstaunlich veränderungsresistent.

Was im Dienste des Kunden zu gelingen scheint – ein kritisches Hinterfragen der bisherigen Organisationslogik – löst, auf die „internen Kunden“ Mitarbeiter umgelegt, Unverständnis oder Chaosphantasien aus: Wenn man jeden anders behandelt, dann bricht die Organisation zusammen!

Kontakt oder Führungsinstrument?

Viele Manager sind sich dieses Dilemmas nur allzu bewußt. Wissen doch auch sie, dass Henry Fords berühmter Stoßseufzer „Ich brauche nur ein Paar Hände und bekomme doch stets einen ganzen Menschen dazu“ in dynamischen, sich rasch verändernden Märkten ausgedient hat und stattdessen „der ganze Mensch“ benötigt wird. Genauso wissen sie aber, dass Menschen, wenn man sich wirklich mit ihnen als Person auseinandersetzt, fatalerweise dazu neigen, in ihren Eigenarten, ihren Unterschieden und ihrer Ungleichheit ernstgenommen und respektiert werden zu wollen. Was Führungsbeziehungen nicht gerade leichter macht. Darum, so die böse Unterstellung von Dr. Sprenger, lieben Manager auch so sehr „Instrumente“ aller Art, denn Instrumente wirken normend, normierend und normalisierend. Sie bewirken wieder ein Stück Gleichheit und halten einem die Zumutungen des Individuellen ein wenig vom Leib. Was aber bedeuten diese Veränderungen an der Nahtstelle von Individuum und Organisation nun konkret für die Führungsarbeit, was für die Organisation im Gesamten?

Individuelle Führung?

Die zugrundeliegende Haltung könnte man nach den amerikanischen Autoren Buckingham und Coffman, die untersucht haben, wie Manager es anstellen, talentierte Mitarbeiter zu finden und mit ihnen außergewöhnliche Leistungen zu erbringen, zusammengefaßt folgendermaßen charakterisieren: Jeder Mensch ist einzigartig, d.h. jeder ist anders. Das mag mir gefallen oder auch nicht, aber es ist so. Jeder hat ganz bestimmte Talente im Sinn von tiefverwurzelten Denk- und Handlungsmustern, die sich produktiv einsetzen lassen. Nützlich ist die Unterscheidung von Talent, Fähigkeiten und Wissen. Fähigkeiten und wissen lassen sich lernen, Talent nicht. Und jede, wirklich jede Aufgabe, so sie besonders gut ausgeführt werden soll, braucht ein bestimmtes Talent. Diese Talente gilt es zu entdecken und mit der passenden Aufgabe zusammenzubringen. Dann gilt es, alles zu tun, damit sich dieses Talent bestmöglich entfalten kann.

Individualisierende Organisationen?

Spätestens dann, wenn ein Manager bei dieser zentralen Führungsaufgabe erfolgreich ist, kommt er in Konflikt mit der Organisation. So müßte eine Organisation dem gesunden Menschenverstand nach eigentlich dann am besten funktionieren, wenn möglichst auf jeder Position der bestmögliche Mitarbeiter sitzt. Müßte, denn de facto passiert häufig folgendes: Um die Vergleichbarkeit, Gerechtigkeit etc. sicherzustellen, sind Stellen in Unternehmen nach bestimmten Kriterien bewertet. Will eine Führungskraft nun einen Mitarbeiter mit außergewöhnlichen Ergebnissen auch entsprechend bezahlen, stößt er schnell einmal an einen Plafond. „Bei unserem Gehaltsschema ist auf dieser Stelle nicht mehr drinnen.“ Der Mitarbeiter kann es nun schlucken und weitermachen wie bisher, er kann die Leistung wieder hinunter fahren, sich einen neuen Job suchen oder aber er macht „Karriere“ und steigt auf.

Eine bereits existierende Alternative sind überlappende Bandbreitengehälter: So können etwa Finanzberater bei Merrill Lynch zwischen vielleicht 50.000 Dollar als Untergrenze und 500.000 Dollar als Obergrenze im Jahr verdienen. Eine sehr weite Spanne, an deren oberen Ende auch nur die Top-Leister anlangen. Will aber nun einer dieser Top-Finanz-Berater in die nächste Ebene aufsteigen, dann beginnt er dort mit der Untergrenze von 150.000 Dollar. Und das meint im schlechtesten Fall einen Einkommensverlust von 70%. Zwar kann er, wenn er in der neuen Position reüssiert, nun bis zu sagen wir 700.000 Dollar verdienen, aber eben nur, wenn er seine Talente dort genauso entfalten kann. Damit sinkt der Druck, die Leiter hochzuklettern, enorm. Voraussetzung ist eine große Bandbreite an der Basis. Einen ähnlichen Zugang wählte auch Walt Disney, wo man als exzellenter Kellner in einem der Nobelrestaurants bis zu 60.000 Dollar verdienen kann, bei der nächsten Managementstufe aber wieder mit 25.000 Dollar beginnt.

Keine Ausnahme bitte!

Bereits diese Flexibilität ist in vielen heimischen Unternehmen nur schwer vorstellbar. Ganz zu schweigen von Regelungen, die in einer Abteilung nützlich und sinnvoll sind, in einer anderen aber nicht. Oder gar, bei einer Person, bei anderen aber nicht. Man denke nur an das Thema Flexible Arbeitszeiten.

Noch kommt die spannende Frage „Wie gehen Organisationen mit Unterschiedlichkeit um, wieviel Gestaltungsspielräume lassen sie ihren Führungskräften, mit ihren jeweiligen Mitarbeitern individuelle Regeln zu finden?“ in vielen Firmen erst zögerlich aufs Tablett. Doch die zunehmende Schwierigkeit, gute Mitarbeiter zu bekommen und vor allem sie im Unternehmen auch zu halten, macht neue Antworten unumgänglich.

Autor: Peter Wagner, 11.2000

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