"Nicht alle Probleme sind fusionsbedingt"

Ursula Kuntner-Schweickhardt, Leiterin der Personalentwicklung in der Erste-Bank, über die Erfahrungen bei der Fusion von Erste und GiroCredit.

Egal, welche Fusionen man sich anschaut, im Grunde genommen kämpfen alle mit den gleichen, massiven Schwierigkeiten. Dabei gibt es mittlerweile doch genügend Erfahrungswerte. Dennoch, von wirklicher Integrationsarbeit ist wenig zu sehen, warum?

Die Hypothesen sind, dass im Vorfeld kaum untersucht wird, wie das Unternehmen intern gestaltet ist, weder in Struktur- noch in Kulturfragen. Das mag damit zusammenhängen, dass Fusionen zum Teil relativ schnell entschieden werden. Auch damit, dass solche Prüfungen zum Teil aus der Ferne passieren. Dann zählen primär Daten und Zahlen, Ausrichtung, Kernkompetenzen, „inwieweit das zu uns passt“. Das sind im Normalfall die Entscheidungsgrundlagen.

Man muss aber auch sagen, dass sich Unternehmen, in der Zeit, in der geprüft wird, ja nicht wirklich hineinschauen lassen. D.h. die Bereitschaft von Unternehmen, die übernommen werden sollen, viel über Mitarbeiter, über Leistungsträger bekannt zu geben, ist sehr beschränkt. Denn was ist, wenn die Fusion nicht zustande kommt?

Wenn die Entscheidung gefallen ist, man geht zusammen, was ist dann?

Ich kann es nur aus der Perspektive sagen, wie ist es hier bei der Fusion von Erste und Giro gegangen ist. Es war einer der ersten Schritte, die Besetzungen des Managements vorzunehmen. Das ist auf einer sehr breiten Basis passiert und ich denke, das hat viel zur Akzeptanz der Fusion beigetragen. Das bestehende Management beider Unternehmen musste durch ein Management Appraisal durchgehen. Ebenso wie potentielle Kandidaten. Es gab Interviews mit den Managern, mit ausgewählten Mitarbeitern, Kunden und Kooperationspartnern, eine Art 360° Befragung, ein transparentes Verfahren, das signalisiert hat „Wir schauen, wer die besten sind. Es werden nicht automatisch die Manager des Übernehmers.“ Das hatte etwas mit der Akzeptanz des übernommenen Unternehmens zu tun und es war auch ein Zeichen an die eigenen Leute, da soll etwas neues, gemeinsames entstehen.

Jetzt gab es bei der Ersten und der Giro eine Schulungsabteilung.

Ja, die Leitungsfunktion wurde ausgeschrieben und es gab ein Hearingverfahren, wo man sich bewerben konnte. Das übernommene Unternehmen hat sich wahnsinnig gefreut, dass es auch Giro-Managern gelungen ist, die Fusion zu überleben. In der Ersten wurde es natürlich etwas anders gesehen. Da war auch der Blickwinkel, wir übernehmen ein Unternehmen, warum müssen wir uns so einem Appraisal stellen? Dort war eher die Erwartungshaltung, das kann doch nicht sein, dass wir da eine Auswahl machen, denn im Grunde genommen ist klar, unsere Manager bleiben und die anderen haben keinen Job mehr.

Ich glaube aber, dass es im Gesamten doch einer der Meilensteine war, um klarzumachen, dass aus den beiden vorhandenen Teilen etwas neues gemeinsames machen wollen, um unsere Schlagkraft zu erhöhen. Ob so eine Fusion gelingt, hat viel damit zu tun, ob man es auch klar deklariert. Unternehmen werden von anderen übernommen. Es wäre vermessen, zu sagen, wir übernehmen ein Unternehmen, aber wir verändern nichts. Das stimmt schlicht und einfach nicht. Keiner wird so weitermachen wie bisher, sonst hätte man keine Fusion gebraucht.

Jetzt waren Sie die neue Leiterin, wie haben die Leute reagiert?

Wir haben in unserem Bereich eine gemeinsame Neuausrichtung erarbeitet, eine Strategie, die für beide Seiten neu war und aus der heraus haben dann eine neue Struktur gefunden. Mit all den üblichen Schwierigkeiten, die aus auch hier gegeben hat. Mit der Unsicherheit: Was werden meine Aufgaben sein? Was bedeutet die neue Führung,

Was hat Ihnen am Anfang schlaflose Nächste bereitet?

Keine Antworten auf die vielen Fragen zu wissen. Es auszuhalten, einige Zeit lang keine Entscheidungen zu treffen, sondern sich zuerst einmal die Zeit zu nehmen, bewußt hinzuschauen, was gibt es hier, warum laufen Dinge so wie sie laufen. Wie funktioniert dieses Unternehmen? Da habe ich mir Zeit ausgebeten und dar auch von Anfang an definiert. „Sie werden keine Entscheidungen bekommen, bevor ich eine Ausrichtung für mich definiert habe.“ Das war für mich das schwierigste, diesem auch eigenen Zeitdruck nicht nachzugeben, sondern auch zu sagen: „Ich weiss es nicht, ich habe dafür noch keine Antwort, dafür fehlen mir noch zu viele Informationen. Da muss ich mir erst einen Überblick verschafffen.“ Die Forderung der Mitarbeiter war eine ganz klare: „Jetzt wird es einfach schon zu lange, und wir wollen jetzt einfach Klarheit haben“ und diesem Druck nicht nachzugeben, das ist mir sicher am schwersten gefallen.

Gab es eine Art Gesamtintegrationsplan?

Es gab einen Zusammenschluss mehrerer Abteilungen, die an dem Projekt „unternehmenskulturelle Integration“ gearbeitet haben, und da war auch die PE involviert. Wir haben damals Fragebögen erarbeitet und mit denen wir zu diesen neuen Managern gegangen sind um zu erheben: womit sind sie konfrontiert, was ist die Situation in dieser neuen Abteilungen, etc. Aus dem heraus haben wir dann angeboten, Workshops mit diesen neu gestalteten Einheiten zu begleiten. Das wurde auch rege nachgefragt.

Wir haben dann auch einen Vorschlag an den Vorstand ausgearbeitet zu der Frage: wie sollte es weitergehen im Sinn der unternehmenskulturellen Integration. Davon wurde einiges aufgegriffen, einiges aber auch nicht. Zum Beispiel haben wir die bestehenden Führungsinstrumente neu zusammengeführt.

Interessant war: Bei den Einheiten, die das Glück hatten, relativ rasch zusammenzusiedeln, ist ist auch das Zusammenwachsen relativ rasch passiert. Es gab aber auch viele Einheiten, wo das Raumübersiedlungsprogramm einfach seine Zeit brauchte und Führungskräfte bis zu einem Jahr hin und her gependelt sind, da war das deutlich schwieriger. Ein weiterer Knackpunkt waren die unterschiedlichen EDV-Systeme, die gibt es zum Teil heute noch. Das hieß, dass Arbeitsabläufe nicht wirklich zusammengeführt werden konnten.

Was waren für die Manager die Schwierigkeiten?

Die hätten gesagt: „Wir sind gefordert, innerhalb kürzester Zeit eine Neuausrichtung zu definieren, eine neue Strategie zu entwickeln. Gleichzeitig haben wir eine riesen Verunsicherung bei unseren Mitarbeitern. Ich muß schauen, dass ich da etwas verbessere, aber dazu habe ich eigentlich gar keine Zeit, denn ich muß als Manager möglichst schnell irgendwelche Verbesserungen und gute Zahlen vorweisen. Gleichzeitig warten alle Mitarbeiter auf eine Entscheidung, Personalabbau oder nicht? Solange das nicht entschieden hat, rührt keiner einen Finger, denn keiner will sich exponieren aus Angst einen Fehler zu machen, der dann bei der Entscheidung den Kopf kosten könnte.

Was war mit den Leuten, die zuviel waren? Wie wurde das gehandhabt?

Es gab bei der Fusion einen Personalbeirat, hat sich zusammengesetzt aus Personalvorstand und Betriebsrat, da wurden alle personellen Maßnahmen besprochen: wer muß gehen, was passiert mit diesen Personen, wer kümmert sich um diese Personen, warum müssen sie gehen?

Es gab allerdings während der ganzen Fusionszeit keine Kündigungswelle. Auch während der letzten Jahre nicht, obwohl bei uns immer wieder Personal reduziert wurde. Ich glaube, dass das Unternehmen sehr klug mit Personalreduktionen umgeht. Das hat auch damit zu tun, außer Entlassungen oder Pensionierungen auch andere Möglichkeiten auszuschöpfen: Karenzzeiten zu verlängern, Bildungskarenz zu nehmen, auf Teilzeit umzusteigen, in Gleitpension zu gehen. Dieser Personalbeirat hat sich bewährt und es gab ihn auch, wie es um neuerliche Restrukturierungen ging. Da war jeder Manager angehalten, darzulegen: Was ist meine Ausrichtung, welche Menschen brauche ich, wen nicht mehr, warum nicht. Und das wurde auch genau geprüft.

Ein häufiger Knackpunkt ist auch, verschiedene Systeme zusammenzubringen

Es gab die Zusammenführung beider Gehaltssysteme mit Einschleifregelungen und vielen Übergangszeiten. Mein Eindruck ist auch, dass die Gehälter nicht so divergierend waren. Das war bei der Fusion ÖCI und Girozentrale im Jahr 1992 noch wesentlich divergierender. Das interessante war, dass viele Mitarbeiter aus dem ehemaligen ÖCI bei der Fusion mit der Erste gesagt haben, jetzt fühlen wir uns erstmals als Giro-Credit-Mitarbeiter. Von einem Dritten übernommen zu werden, hat dann zusammengeschweisst.

Was haben die Manager überhaupt für eine Chance, sich darum zu kümmern, angesichts von geforderten Quartalsergebnissen?

Die Manager stehen unter einem enormen Druck und in der ersten Phase geht es vorrangig darum, Ausrichtung, Struktur zu schaffen. Das erwarten auch die Mitarbeiter selbst, weil sie Klarheit haben wollen, um auch für sich entscheiden zu können wie kann ich mich hier einordnen. Ich glaube auch, dass dieses Zusammenwachsen unterschiedlicher Kulturen oft dann am besten geschieht, wenn es eine gemeinsame Aufgaben gibt. Das bestätigen auch die Leute: „Ab dem Moment, wo wir zusammen waren und gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten mußten, war auch das Thema, aus welchem Unternehmen kommst du, nicht mehr so wichtig.“

Ein zentraler Knackpunkt sind andere Abläufe.

Ja, und auffällig wird das für Menschen immer dann, wenn sie persönlich Verschlechterungen erleben. Das sind aus Unternehmenssicht oft peanuts: Bisher mußte ich für das Mittagessen 15 öS zahlen, jetzt 30, eine Frechheit! Dass 30 Schilling immer noch ein Scherz sind, wird nicht gesehen, nur die Verschlechterung. Es sind die Kleinigkeiten des Liebgewonnenen, des Selbstverständlichen, an denen man merkt, da gibt es Veränderung,. Da entstehen dann Rechte, die nie Rechte waren.

Viele Manager handeln da mit „gutem Gewissen“, dann spielen sich da Dramen ab und erlebt wird dann „Undankbarkeit“. Und die Führungskräfte denken dann (und da ist ja was drann) je mehr ich mich damit auseinandersetze, desto mehr Probleme kriege ich. Soll ich mir diese zusätzliche Aufgabe auch noch aufhalsen, obwohl ich eh schon keine Zeit habe? Das ist schon eine hohe Anforderung an die Leute, denn das normales Geschäft muß ja auch weitergehen.

Man darf nicht vergessen: Es gibt auch viele Themen, die aufgrund einer Fusion aufbrechen, aber an sich mit der Fusion nichts zu tun haben. Da wird viel der Fusion zugeschoben, was schon vorher nicht funktioniert und Unzufriedenheit ausgelöst hat. Nur gibt es nach der Fusion plötzlich eine andere offizielle Diktion. Dann heisst es „fusionsbedingt“. Eine tolle Ausrede für alles.

03.2001

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Ursula Kuntner-Schweickhardt, Leiterin PE, ERSTE-Bank