Wie funktionieren Netzwerke?

An der Spitze eine Konzernholding, darunter mehrere Geschäftsbereiche mit Leitgesellschaften, die global agieren und in Summe an die zweihundert Tochtergesellschaften vereinen. Um diese enorme Komplexität noch steuern und  koordinieren zu können, bedient sich ein großer Engineering-Konzern seit einigen Jahren zwölf konzernweit tätiger Netzwerke. Ein Erfahrungsbericht über ihre Vorteile und praktischen Schwierigkeiten.

Die Unternehmensstruktur entspricht dem Geist moderner Managementkonzepte: Ganz oben eine Konzernholding, die vor allem strategische Aufgaben wahrnimmt und darunter mehrere Leitgesellschaften, die das operative Geschäft managen, ausgeprägte eigene Identitäten besitzen und dem Prinzip dezentraler Strukturen und Verantwortlichkeiten zugetan sind, um schnelles, flexibles, eigenverantwortliches Handeln zu forcieren.
Hinter so einer dezentralen Struktur können aber ganz unterschiedliche Konzernstrategien stehen: die Bandbreite reicht von der Überzeugung, „Wir glauben nicht an Synergieeffekte und führen unsere einzelnen Bereiche daher so, dass sie individuell optimiert werden“ bis hin zu „Wir glauben an Synergieeffekte zwischen den Bereichen und wollen diese bestmöglich ausnützen.“ Spielt dieser Synergiegedanke wie im vorliegenden Fall eine wichtige Rolle, fangen die Schwierigkeiten erst an.

Dezentral versus einheitlich

Praktisch bedeutet diese Richtungsentscheidung „Synergien nutzen“ vor allem eines: Man braucht in diesem Fall ein adäquates Steuerungs-, Kommunikations- und Koordinierungsinstrument, um eine gesunde Balance zu finden zwischen den Individualinteressen der einzelnen Teilbereiche und dem Bedürfnis des Gesamtkonzerns nach einem Mindestmaß an Einheitlichkeit. Und spätestens hier stößt man - schneller als den meisten Konzernlenkern lieb ist - auf ein handfestes Problem: Einheitlichkeit erreicht man - wie schon viele Vorstandsvorsitzende schmerzhaft erfahren mussten-  in einer dezentralen Struktur eben nicht durch Top-down Entscheidungen.

Netzwerke als ein Koordinations- und Kommunikationsinstrument in dezentralen Strukturen bieten sich da geradezu an und wurden daher im hier beschriebenen Konzern schon vor einigen Jahren etabliert. Bestehend aus durchschnittlich 10 bis 15 Personen, Managern und Experten aus verschiedensten Konzernbereichen, befassen sich die insgesamt zwölf Netzwerke mit Themen wie Strategie, Kommunikation nach innen und außen, Finanzmanagement, Controlling und Steuern, Innovation, Personalentwicklung, IT oder Beschaffung und helfen so mit, wichtige Konzernprozesse quer über die einzelnen Bereiche und Unternehmen zu optimieren. Über jedem dieser Netzwerke, die sich im Durchschnitt viermal im Jahr treffen, steht ein Vorstand der Konzernholding oder einer der Leitgesellschaften als sogenannter „Pate“ und fungiert als Auftraggeber und Vertreter der Konzernleitung.

Netzwerke funktionieren nicht automatisch

Mit dem Etablieren eines Netzwerks allein ist es aber nicht getan. Zu fragil ist diese Pflanze, als dass sie nicht einerseits bestimmte Rahmenbedingungen und andererseits reger Unterstützung auf Netzwerkebene selbst bräuchte. Das zeigte sich auch in diesem Fall. Nach etwa fünf Jahren Erfahrung zeigt sich derzeit folgendes Bild. Die bestehenden Netzwerke werden in ihrer Koordinations- und Austauschfunktion vom überwiegenden Teil des Managements geschätzt und als notwendig empfunden. Die geleistete Arbeit wird als wichtig und anders kaum zu leisten anerkannt, leidet aber nach wie vor unter einer Reihe von Hemmnissen:

Kein Kulturwandel

Zum einen erfolgte die Etablierung der Netzwerke in einer hierarchisch geprägten Kultur ohne einen begleitenden Entwicklungsprozess und wirkte daher für viele Mitarbeiter als übergestülpt. Die Folge: Die mit der ungewohnten, nicht-hierarchischen Arbeitsweise einher gehenden Widersprüche blieben die längste Zeit über bestehen, ohne benannt oder gar hinterfragt zu werden. Manche Mitarbeiter machten also begeistert mit, manche waren höchst irritiert und blieben auf Distanz. Erkennbar für alle, gab es diese Bruchlinie auch an der Spitze, im Konzernvorstand.

Keine Einigkeit an der Spitze

Es ist eine Sache, den Synergiegedanken zu propagieren, es ist eine andere, tatsächlich Übereinstimmung in der Konzernleitung darüber zu erzielen, welches Ausmaß von Synergie nun wirklich erwünscht, erwartet und angestrebt wird und wie das im Detail organisiert werden soll. Vor dem Hintergrund von Auffassungsunterschieden im Konzernvorstand bedeutet das dann praktisch: Was dem einen Vorstandsmitglied schon viel zu weit geht, genügt dem anderen nicht einmal als Minimalvariante, obwohl beide dem Synergiegedanken als solchen sofort ihre Zustimmung erteilen. Wenn dann höchst erfolgreiche, in ihrem Bereich als Weltmarktführer agierende Teilkonzerne diese Konflikte mitbekommen und mit dem Selbstbewusstsein agieren, „alles was vom Konzern in Richtung Synergie kommt, nutzt vielleicht anderen, aber wir selber brauchen das nicht“, dann schlagen sich solche Auffassungs- und Kulturdifferenzen an der Spitze früher oder später in einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit der Netzwerke nieder. Ohne klare Konzernspielregeln ist daher alles, was nur in irgendeiner Form in bestehende Machtbereiche eingreifen würde, Auslöser offener oder verdeckter Machtkämpfe.

Keine klaren Spielregeln

„Netzwerk-Teilnehmer  vereinbaren mit dem Comittment aller Beteiligten ein gemeinsames Ziel mit einem Nutzen für alle“, so lautet das Prinzip. Die Realität ist aber etwas schwieriger, denn jeder Teilnehmer  ist auch Teil seiner Linienorganisation, und ihr gehört seine überwiegende Loyalität; das bedeutet, jede/r Teilnehmer/in hat einen gewissen Konflikt in den Rollenerwartungen zwischen dem, was das Netzwerk wollen sollte und dem, was die eigene Linienorganisation erwartet. Wenn sich dazu noch unklare Vorstellungen von Synergie von oben gesellen, ist garantiert, daß, wie auch immer die Lösung ausschaut, einer der Top-Entscheider damit unzufrieden ist. „Caught between a rock and a hard place“, nennen das die Angelsachsen.

Netzwerke liefern konkrete Ergebnisse

Allen Schwierigkeiten zum Trotz, die Ergebnisse der Netzwerker in diesem Konzern sind beachtlich:

     

  • Das Netzwerk Beschaffung erreichte u.a. durch die Neuordnung der Beschaffung sogenannter B- und C-Teile ( Zukäufe, die im Einzelfall keinen besonders hohen Wert haben, aber in Summe in die zig Millionen Euro gehen) jährliche Einsparungen von über 7 Mio. Euro.
  • Das selbe Netzwerk machte es sich zur Aufgabe, in dem stark von globalen Großprojekten geprägten Konzern die Kontakte zu den Lieferanten vor Ort zu verstetigen und damit deren Qualität und Verläßlichkeit zu steigern.
  • Ein anderes Netzwerk entwickelte eine neue, weltweit kommunizierte Dachmarke, Corporate Identity und koordinierte die Werbelinien der verschiedenen Konzerngesellschaften. Wenn man bedenkt, wie groß das Beharrungsvermögen gerade in solchen identitätsbildenden „soft issues“ ist, so ist dies keine geringe Leistung.
  • Ein weiteres Netzwerk entwickelte ein System zum „Ideenmanagement“, welches die Kreativitätspotentiale der Mitarbeiter besser ausschöpfen soll und in dem u.a. jährlich Preise für die besten Ideen von der Konzernspitze verliehen werden.

Eine Strategie der nahen Zukunft könnte übrigens aus der Antwort auf die Frage entstehen: Wollen wir ein einheitlicheres Konzernverständnis, wo die Konzernidentität mehr Energie gewinnt und Synergie einen noch höheren Stellenwert hat? Wenn ja, und so scheint es derzeit, dann braucht es eine Konzernkultur, die stärker entwickelt muss als der status quo. Die Netzwerker würde das sicher freuen.

Autor: Peter Wagner, 09.1999

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