Jammern oder aktiv werden

Der Personalchef eines mittelständischen IT-Unternehmens über die Problematik nicht wahrgenommener Führung im Mittelmanagement.

Wie geht es den Mittelmanagern in Ihrem Unternehmen?

Sie bekommen die Prügel sowohl von oben als auch von unten. Einerseits bekommen sie von oben ihr Soll, ihre Ziele, die es zu erfüllen gilt, wobei unter Umständen gar nicht die Voraussetzungen erfüllt sind, um diese Ziele auch erreichen zu können. Andererseits sind sie mit Erwartungen der Mitarbeiter konfrontiert, die sich mit dem, was von oben kommt, oft genug spießen.

Wie ist das Unternehmen von der Führungsstruktur her aufgebaut?

Es gibt einen Geschäftsführer, drei Bereichsleiter und mehrere Abteilungsleiter. Die wirklichen Entscheidungen trifft entweder der Geschäftsführer oder in kleinerem Rahmen die beiden Bereichsleiter. Die Abteilungsleiter haben zwar in ihrem Fachbereich das Personal zu führen und sollten dort auch die Personalentscheidungen treffen, aber de facto machen sie letztendlich nur Vorschläge und der Geschäftsführer entscheidet.
Die Mitarbeiter merken das natürlich. Sie fordern von ihren Abteilungsleitern vor allem Information und Kommunikation, die aber kaum passieren, da die Abteilungsleiter selbst unsicher sind und daher dazu neigen, sich kryptisch auszudrücken. Sie wollen aus Angst vor einem "Machtverlust" nicht zugeben, dass sie nicht wirklich selbst entscheiden, daher warten sie in vielen Fällen einfach, bis sich die Dinge von selbst erledigen oder eben eskalieren. In diesem Fall geht das Ganze dann wieder nach oben zur Geschäftsführung.

Warum ist das so? Nimmt das Mittelmanagement seine Verantwortung einfach nicht wahr oder wird das von oben nicht zugelassen?

Es trifft sicher beides zu. Auf der einen Seite nehmen die Führungskräfte die Verantwortung nicht wahr, wobei ich die Problematik sehe, dass die meisten sehr gute Fachkräfte sind, aber von Personalführung nicht viel verstehen. Woher auch, einerseits gibt es ganz junge neue Führungskräfte, die sich zumindest ihrer Schwächen bewusst sind, aber keine wirkliche Unterstützung bekommen - wir reden mittlerweile seit über einem Jahr von Entwicklungsmaßnahmen, aber auch hier gibt es keine Entscheidungen. Zudem kann die Geschäftsführung bislang nicht definieren, was sie sich von den Führungskräften eigentlich erwartet. Dafür wird umso heftiger über die Kosten diskutiert, nach dem Motto "in fünf Tagen zur Führungskraft" muss ausreichen. Alles, was wirklich zielführend wäre, kostet natürlich mehr und hat deshalb wieder wenig Chancen auf Genehmigung. Eine andere Gruppe von Führungskräften ist wiederum sehr lange dabei und überzeugt, bereits deswegen gut führen zu können. Aber auch sie haben das nie wirklich gelernt. Die Kehrseite der Medaille ist: Der Geschäftsführer beschwert sich zwar immer wieder, dass die Mittelmanager ihre Führungsaufgaben nicht wahrnehmen, lässt dem aber keine Konsequenzen folgen. Sein Vorteil ist wohl, dass er so trotz allen Ärgers und der vielen Zusatzarbeit alle Zügel in der Hand behalten kann.

Sehen die Mittelmanager selbst ihr Manko oder ist es vor allem Ihr Eindruck, dass es hier Mängel gibt?

Das ist mein Eindruck, wobei ich es täglich bei meiner Arbeit merke. Alle unangenehmen, schwierigen Themen landen auf meinem Tisch. Zum einen kommen die Mitarbeiter selbst, weil ihre Führungskraft nichts unternimmt und Probleme zur Erledigung anstehen, die keiner löst, Stichwort Arbeitszeit, was bei uns ein großes Thema ist, Stichwort Gehalt, Stichwort Informationsweitergabe. Zum anderen kommen auch die Abteilungsleiter, weil sie nicht wissen, wie sie diese Dinge handhaben sollen. Oder aber ich bekomme die Themen von ganz oben auf den Tisch, wenn die Dinge bereits eskaliert sind und Handlungsbedarf angesagt ist.

Allerdings gibt es aufgrund der Entscheidungsschwächen auch im fachlichen Bereich die gleichen Probleme. Hier geht es dann um Projekte, die nicht umgesetzt werden können, weil die Abteilungsleiter sie nicht mit entsprechendem Nachdruck nach oben bringen, und selbst wenn sie es tun, dann keine Entscheidungen einfordern. Dazu kommen Unarten wie das regelmäßige Nichteinhalten von Terminen, das aber keine Konsequenzen nach sich zieht und wenn, dann höchstens die Indianer trifft, nicht aber die Häuptlinge. Da ist das Motto wohl: Die meisten Häuptlinge sind einfach zu lange dabei und daher wäre es zu teuer, Konsequenzen zu ziehen.

Ist das Thema Verantwortungsübernahme und Entscheiden bei  allen Mittelmanagern ein Thema?

Überwiegend, wobei eines interessant ist: Es gab eine junge Führungskraft, die aus meiner Sicht wirklich gute Voraussetzungen hatte - sehr gutes Fachwissen und echtes Führungspotenzial. Genau dieser Person hat man dann die Führungsaufgabe nach kurzer Zeit wieder weggenommen, mit der Begründung, sie hätte Führungsschwächen, ohne das aber zu präzisieren. Das Signal war: Denjenigen, die initiativ werden und etwas weiterbringen wollen, steigt man einmal gleich auf die Zehen.

Woran hat sich das Potenzial dieser Person festgemacht?

An grundlegenden Dingen. Diese Führungskraft hat sich wirklich um die Mitarbeiter gekümmert und Zeit dafür genommen. Es war die einzige Führungskraft, die zu mir gekommen ist und gesagt hat, dass sie strukturierte Mitarbeitergespräche führen will. Sie hat sich aktiv der Probleme angenommen, die schon lange in der Abteilung existiert haben und die bisher keiner gelöst hat. Sie hat selbst Entscheidungen getroffen, relativ rasch und meiner Ansicht nach relativ gut. Sie hat einfach ihre Führungsaufgaben wahrgenommen.

Bei uns wird zwar seit Ewigkeiten darüber geredet, was wir alles verändern wollen, aber wenn man unter die Oberfläche schaut, merkt man, dass die Leute gar nichts ändern wollen. Die älteren Führungskräfte wollen sich nicht ändern, und sagen das sogar vor ihren Mitarbeitern.

Das klingt nicht sehr lustig..

Es ist das altbekannte Phänomen: Solange es dem Unternehmen gut geht, gibt es keinen wirklichen Druck, etwas zu verändern. Frustrierend finde ich eher den Gedanken: Wie gut könnten wir erst sein, wenn Führung tatsächlich passieren würde! Im Moment haben wir eine Informations- und Kommunikationsstruktur, aufgrund derer man ständig im Kreis geschickt wird. Da braucht es Leute, die irgend wann genug davon haben und selbst aktiv werden. Das geht durchaus, man muss sich nur trauen.

Ein typisches Beispiel aus meinem eigenen Bereich ist das Thema Mitarbeiterschulungen. Das Thema ist bei uns kreuz und quer gelaufen, bis man endlich einmal jemanden gefunden hat, der eine Schulungsmaßnahme genehmigt hat. Also bin ich am Anfang ständig durchs Unternehmen gerannt und habe versucht herauszufinden, wer mir was abzeichnen muss. Einmal wollte der mitreden, dann wieder ein anderer. Schließlich wurde es mir zu dumm. Ich habe ein einfaches Formular entworfen, auf dem ich nun alle Ebenen, die für einen Mitarbeiter zuständig sind, unterschreiben lasse, wenn ich eine Schulung haben will. Seitdem funktioniert das tadellos. Wenn der Geschäftsführer unterschrieben hat, bekomme ich das Formular zurück und erst dann buche ich die Schulung. Man muss sich zu helfen wissen und die Initiative ergreifen.

D.h. es gibt unklare Zuständigkeiten?

Ja und widersprüchliche Ziele, die von den Abteilungsleitern vielfach einfach übernommen und nach unten weitergegeben werden. Z.B. bekommen die Abteilungen auf der einen Seite die Aufgabe, mehr Projekte abzuwickeln, sie bekommen aber nicht mehr Ressourcen, weil wir in letzter Zeit nur nachbesetzen, aber nicht zusätzlich aufgenommen haben. Natürlich kann man auch ohne zusätzliche oder sogar mit weniger Ressourcen arbeiten, aber was dann logischerweise passiert, ist, dass die Leute ihre Urlaube nicht ab-, sondern Überstunden aufbauen. Nun gibt es aber gleichzeitig von oben die Order an die Abteilungsleiter, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter Überstunden und Urlaube abbauen. Auf der einen Seite geben sie also die neuen Projekte an ihre Mitarbeiter weiter, auf der anderen Seite halten sie die selben Mitarbeiter dazu an, Überstunden abzubauen. Die Mitarbeiter sind natürlich irritiert und verärgert. Sollen sie jetzt die Projekte bearbeiten oder in Urlaub gehen?

Was würde hier Führung heißen?

Als Führungskraft muss ich mich zunächst hinsetzen und eine sachliche Argumentation aufbauen: "Wenn ich die und die Projekte machen soll, benötige ich folgende Ressourcen... Wenn ich nur so und so viel Ressourcen zur Verfügung habe, muss ich entweder dieses oder jenes Projekt streichen, oder die Leute müssen mehr arbeiten, sprich Überstunden aufbauen oder aber die Qualität der Projekte wird darunter zwangsläufig leiden. Wofür sollen wir uns entscheiden?" Diese Klärung findet bei uns nicht statt. Die Abteilungsleiter machen den Mund nicht auf, sondern sitzen stumm in Meetings, rollen die Augen und sagen keinen Pips. Sie warten, bis die Situation eskaliert und hoffen, dass der Geschäftsführer dann doch bereit ist, die Mehrstunden auszubezahlen. Nur lösen sie damit das Problem nicht, denn selbst wenn er es tun würde, ist zwei Monate später das gleiche Problem wieder am Tisch.

Die Mitarbeiter andererseits sind irritiert und fühlen sich nicht gut vertreten. Ich merke bereits, wie sie beginnen, die Abteilungsleiter zu umgehen, indem sie zu mir kommen oder direkt zum Geschäftsführer gehen. Der delegiert das dann wieder nach unten und der Kreislauf beginnt von Neuem. Und die Abteilungsleiter bekommen dann von oben eine auf den Kopf, weil der Geschäftsführer berechtigterweise sagt, "Das sind deine Leute, warum kümmerst du dich nicht um sie?" Gleichzeitig belässt er es bei einer gelegentlichen Kopfwäsche, wodurch auch keiner die Notwendigkeit einer wirklichen Verhaltensänderung sieht.

D.h. das Mittelmanagement stellt auf "Durchzug", gibt Ziele einfach nach unten weiter und Probleme nach oben

Ja. Natürlich redet man sich leicht, wenn man sagt, es ist schlecht, wie sie es jetzt machen. Nur gäbe es eben vielfältige Ansatzpunkte, die nicht genützt werden, vor allem im Bereich der Kommunikation: Nichts zu sagen oder sich kryptisch auszudrücken, macht die Führungskräfte bei den Mitarbeitern nicht unbedingt vertrauenswürdiger.

Man könnte als Führungskraft ja auch die Dinge offen auf den Tisch legen: Liebe Leute, es gibt zwei widersprüchliche Ziele: Einerseits haben wir diese und jene Projekte, aber nicht mehr Ressourcen, andererseits müssen wir schauen, dass wir die Überstunden und Urlaube abbauen. Lasst und überlegen, wie wir das bewerkstelligen könnten?

Ja durchaus. Wissen Sie, wie dankbar die Leute sind, wenn man mit ihnen offen spricht? Beispiel Gehaltserhöhungen: Letztendlich trifft diese Entscheidung der Geschäftsführer. Die Abteilungsleiter können es ins Budget hineinnehmen, aber entscheiden tut der Geschäftsführer. Und was passiert? Die letzten Gehaltsveränderungen wurden von der Geschäftsführung bereits genehmigt, die Abteilungsleiter darüber bereits informiert, ab wann wer wie viel mehr bekommt und die Führungskräfte informieren die Mitarbeiter einfach nicht. Ich verstehe das ehrlich gesagt nicht, denn nachdem eh jeder weiß, dass die Letztentscheidung der Geschäftsführer trifft, kann ich doch so offen sein und dem Mitarbeiter sagen: "Pass auf, ich habe für dich ins Budget etwas hinein genommen, ab dann soviel.“ Das kann ich ja sagen, das ist keine Unwahrheit. „Du weißt, wer bei uns die Letztentscheidung trifft, ich werde mich für dich verwenden und wenn die Entscheidung da ist, informiere ich dich." Das zu sagen würde schon reichen. Aber sie sagen gar nichts oder drücken sich schwammig aus, so nach dem Motto: Die Leute werden es schon irgendwann merken.

Fehlt es an Können oder an Mut?

Man fordert von ihnen, aber sie selbst fordern nichts ein. Weder von den Mitarbeitern, was auch schlimm ist, noch von oben. Sie bekommen z.B. ein Ziel, mit dem sie nichts anfangen können, weil sie dazu noch mehr Informationen brauchen, fordern die aber nicht ein, oder fordern sie einmal ein, dann kommt nichts, sie haken nicht nach und irgendwann steht dann die Geschäftsführung da und will Ergebnisse sehen. Dann kommt ein schüchternes "Ich hab nicht gewusst wie." Die meisten Führungskräfte sagen auch nichts, wenn sie Aufgaben bekommen, die in einem bestimmten Zeitrahmen gar nicht erledigbar sind. Es ist dann halt einfach nicht fertig. Manche Themen werden monatelang nicht erledigt oder nur verschoben. Das scheint keinem aufzufallen. Oder: Es werden unrealistische Termine akzeptiert, an die von Beginn an keiner glaubt. Also halten sich auch alle anderen nicht an Termine. Was wieder einen Rattenschwanz an Problemen hinter sich herzieht.

Ich habe den Eindruck, dass sich die Führungskräfte oft nicht trauen zu entscheiden, weil sie nicht sicher sind, ob sie es dürfen. Wenn aber eine Entscheidung ansteht und man niemandes habhaft wird, um die Kompetenzen zu klären, was spricht dagegen, selbst zu entscheiden und alle, die es betreffen könnte, davon zu informieren? Führen hat auch etwas damit zu tun, Initiative zu ergreifen.

Wie steht es mit anderen Führungsaufgaben wie Leistungsbeurteilung?

Eine der Aufgaben im Mittelmanagement ist die Resourcenplanung bei den Projekten. Die Tendenz ist, dass die guten Mitarbeiter immer mehr Aufgaben bekommen und sich die nicht so Guten zurück lehnen. Das schafft natürlich böses Blut. Da müsste Leistung konsequent eingefordert werden, aber man schaut sich das viel zu lange an. Auch hier geht es um das Thema Fordern.
In Mittelbetrieben hat man häufig das Problem, dass nur einzelne Leute ein bestimmtes Wissen haben. Fallen die dann wegen Urlaub oder Krankheit aus, kann es passieren, dass man den Mitarbeiter im Urlaub im Ausland anrufen muss, weil sonst das ganze Projekt steht. Klarerweise wäre es sinnvoll, jemand anderen als Ersatz aufzubauen, das hieße aber, die nötigen Kompetenzen klar zu definieren, eine Ist/Soll Analyse zu machen und in die Mitarbeiter zu investieren. Das passiert nicht. Damit steigt die Gefahr, dass bestimmte Projekte platzen oder sich enorm verzögern, wenn Schlüsselspieler ausfallen.

Ein weiterer Punkt sind klar definierte Prozesse und Prozessverantwortlichkeiten. Wenn alles, was bei Kundenproblemen nicht am 1st Level Support gelöst werden kann, automatisch an den 2nd Level Support weiter gereicht wird, werden diese - meist Programmierer - dadurch natürlich von der Programmierarbeit abgehalten. Also wäre es hilfreich, klar zu regeln, welche Anfragen am 1st Level Support erledigt werden müssen und welche Qualifikationen die Leute dort daher haben müssen. Die Gefahr ist immer, einzelne Schuldige zu suchen, statt zu sehen, dass die nötigen Strukturen und Qualifikationen fehlen, die den Leuten das nötige Werkzeug in die Hand geben würden.

Aber die Führungskräfte müssten doch einen ständigen Leidensdruck haben.

Ja, aber sie stehen auf dem Standpunkt, dass sich eh nichts verändert. Dass sie das selber antreiben müssten - auf die Idee kommt keiner. Es erwarten sich alle, dass irgend jemand anderer einmal damit anfangt. Ein Bespiel dafür sind unsere Meetings, die sehr ineffizient laufen: keine Agenda, unpünktliche und falsche Teilnehmer, Handys läuten, es fallen keine Entscheidungen etc. Es herrscht allgemein die Meinung, dass die Geschäftführung vorgeben müsste, wie Meetings ablaufen sollen. Aber was hindert mich daran, eine Agenda einzufordern, Handys in meinen Meetings zu verbieten, etc.? Dazu brauche ich doch keine Entscheidung der Geschäftsführung. Es macht aber keiner, weil die Meinung vorherrscht, es wird nicht vorgelebt und es muss dazu erst eine Entscheidung fallen.

Autor: Leaders Circle, Peter Wagner, 09.2005

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