Jeder sitzt irgendwo dazwischen

Andreas Gabriel, Referatsleiter in der Post AG, über gute und schlechte Chefs, die Herausforderung, Ziele in die Sprache der Mitarbeiter zu übersetzen und den eigenen Informationsbedarf, um den Hintergrund dieser Ziele verstehen und erklären zu können.

Herr Gabriel, wo genau sind Sie in der Post AG angesiedelt?

Früher war die Philatelie, das Briefmarkengeschäft,  als siebter Zwerg von links im Geschäftsfeld Brief angesiedelt. Inzwischen sind wir vom Geschäftsfeld Brief in das Geschäftsfeld Filialnetz übersiedelt und hier hierarchisch nicht unterhalb, sondern neben dem Filialnetz angesiedelt. Mein Chef, der auch Leiter des „Zentralen Einkaufs“ ist und die Philatelie dazu bekommen hat, reportet direkt an den zuständigen Vorstand und stimmt sich mit der Geschäftsfeldleitung Filialnetz ab. Interessanter Weise war die Philatelie ein exotischer Bereich, der nirgendwo richtig hinpasste, obwohl die Briefmarke eigentlich das ureigenste Produkt der Post ist.

Derzeit ist der Bereich Philatelie ein sehr umkämpfter Bereich. Viele Jahre galten wir als eher verstaubter Bereich, um den sich keiner gekümmert hat. Das hat sich aber in den vergangenen Jahren deutlich geändert, nachdem mit unserem neuen Chef ein frischer Wind herein kam und die Umsätze deutlich gestiegen sind.

Was genau macht der Bereich Philatelie?

Der Bereich Philatelie umfasst das Briefmarkengeschäft der Post. Die Philatelie beschäftigt sich mit der Erstellung, Produktion bis hin zum Verkauf der Briefmarken. In der gesamten Philatelie sind es etwas über 90 Mitarbeiter, hier in meinem Bereich, dem Sammler-Service, sind es über 70 Mitarbeiter. Das Sammler-Service ist das direkte Verbindungsglied zwischen dem Unternehmen Post und den Kunden. Wir verschicken die Briefmarken in die ganze Welt. Damit verbunden ist ein hoher Manipulationsaufwand. Man muss die Marken händisch reißen und dabei Sonderwünsche berücksichtigen: Der eine Kunde will eine Marke mit einem Rand links oben, der andere einen Rand unten. Das erfordert eine sehr präzise Arbeitsweise.

Wir haben rund 70.000 Abonnenten weltweit, die von uns automatisch und regelmäßig die Briefmarken zugeschickt bekommen. Das ist – wirtschaftlich gesehen - das Nette an der Philatelie, die Briefmarkenkäufer stecken die Marken ins Album und verlangen dafür keine Post-Beförderungsleistung.

Und Ihre Funktion ist...?

In der Philatelie gibt es drei Säulen. Eine Säule nennt sich zentrale Koordination, hier geht es darum, die neuen Marken zu generieren und den gesamten Produktionsvorgang zu überwachen. Eine zweite Säule sind die Verkaufsstellen, jene Bereiche, wo direkter Kundenkontakt entsteht, die sogenannten „Sonderpostämter“. Die dritte Säule ist das Sammler-Service, das ist mein Bereich. Wir sind für den Versand zuständig. Im Prinzip ist das Ganze ein großes Versandhandelsgeschäft, beschränkt auf Briefmarken. Zusätzlich betreuen wir die personalisierte Briefmarke.

Unsere Kunden, die Philatelisten haben eine Eigenschaft, die nicht jeder sein eigen nennt: Sie sind extrem genaue Menschen, die auch aufgrund der Philatelie ein umfassendes und umfangreiches Wissen haben. Jede Marke hat einen Bezug zu irgendeinem Ereignis und ein echter Philatelist beschäftigt sich nicht nur mit der Briefmarke, sondern auch mit dem Hintergrund. Warum diese Marke? Was ist damals passiert? Und genaue Kunden wollen natürlich eine ordentliche Sammlung haben. Das heißt beispielsweise, dass die Zacken richtig auf der Marke drauf sind, dass nicht irgendwo eine Ecke fehlt, dass kein Zacken kürzer oder länger als die anderen ist, dass nicht ein Fingerabdruck auf der Gummierung ist, etc. Das mag pedantisch klingen, aber das sind wichtige Qualitätskriterien, und um die zu erfüllen, braucht man sehr präzise arbeitende Mitarbeiter.

Wie kamen Sie in die Post und in diese Funktion?

Ich bin heuer seit 20 Jahren bei der Post. Nach der Matura und dem Zivildienst bin ich in den Postdienst eingetreten, ich bin Beamter und gehöre quasi schon zum alten Eisen. Begonnen habe ich als Sachbearbeiter im Wertzeichenlager, das sich als interner Dienstleister mit dem Versand der Briefmarken an die Postämter beschäftigt. Dann bin ich über einen EDV-Arbeitsplatz, die Materialdokumentation, in den zentralen Einkauf gekommen. Irgendwann hat es sich ergeben, dass in der Briefmarkenversandstelle die Position des stellvertretenden Leiters frei wurde. Ein Jahr später ging der Leiter dann in Pension und ich übernahm das Sammler-Service, das sich zu der Zeit noch ausschließlich mit dem Versand an ausländische Abonnenten beschäftigt hat. Das war Anfang 1994.

In gewisser Weise ist unsere Tätigkeit das Briefmarkenreißen im Zeitalter von Labels, Barfreimachung oder elektronischen Nachrichten anachronistisch. Die vorherrschende Meinung dazu ist, dass das ja wohl nicht so schwierig sein kann. Die Genauigkeit der Sammler und der damit verbundene Zeitaufwand ist daher nur schwer transparent zu machen. Auf der anderen Seite haben wir in den letzten Jahren viele, teils unglaubliche Entwicklungs- und Changeschritte gemacht.

Wie gestaltete sich der Wechsel vom Sachbearbeiter zur Führungskraft?

Aus mehreren Gründen nicht einfach. Erstens hatte ich nicht das erforderliche Handwerkszeug. Zudem war das Unternehmen damals noch die Post- und Telegraphenverwaltung, eine klassische Behörde mit Akten und Berichten, die von meinem Chef wie in der Schule auf Rechtsschreibfehler durchgeschaut wurden. Da hat sich inzwischen Dramatisches getan. Damals gab es auch keine Ausbildung für Führungskräfte. Außerdem war ich sehr jung im Vergleich zu den Mitarbeiter/innen die ich hier zu führen hatte. Alles zusammen ein Mix, der nicht ganz einfach war.

Wie überlebt man diese Anfangszeit, in der man von Mitarbeitern abgetestet wird, die fachlich beschlagen sind, während man selbst noch keine Ahnung hat, wie das Geschäft läuft?

Ich habe versucht, die Gruppenleiter ins Boot zu holen, indem ich sie gebeten habe, mir zu sagen, was Sache ist und klar gemacht habe, dass sie die Fachleute in ihrem Bereich sind. Außerdem fand ich es immer sehr wichtig, den Mitarbeitern zumindest die Möglichkeit zu geben, ihre Sichtweise darzustellen und dann die geäußerten Für und Wider abzuwägen. Das ist etwas, was ich selbst im Laufe der Zeit – ich habe mehrere Chefs gehabt – bei einem dieser Chefs extrem vermisst habe. Der wusste alles und ich wusste scheinbar nichts – bei meinem jetzigen Vorgesetzten ist es wieder genau umgekehrt. Jetzt werde ich gefragt und gehört. Es passiert nicht immer das, was ich mir vorstelle, das ist klar, aber es ist ein ständiges Geben und Nehmen und ich habe zumindest die Möglichkeit, meine Meinung kund zu tun, Bedenken zu äußern und Alternativen vorzuschlagen. Nur ablehnen gilt nicht, wenn, dann sollte man zumindest einen Gegenvorschlag machen. Das verlange ich auch von meinen Mitarbeitern.

Wie wichtig ist der eigene Chef?

Sehr wichtig. Gibt es ein Vertrauensverhältnis, dann bewirkt das ein Aufputschen der Motivation. Wenn ich etwas sage, das gehört, ernstgenommen und abgeklopft wird und es dann Gründe gibt, die meine Argumente stechen, ist es ok. Ich hatte allerdings auch einmal einen Chef, dem meine Meinung total egal war. Das fand ich extrem frustrierend.

Was hat sich seit  der Übernahme der Position in Ihrem Bereich geändert?

Vieles. Begonnen haben die Veränderungen mit der Ausgliederung aus dem Bundesbereich, dem Wechsel von der Verwaltung zur Post und Telekom Austria, wobei sich zu Beginn fast nur Äußerlichkeiten wie die Logos geändert haben und sonst kaum etwas bis zur Peripherie durchgeschlagen hat. Wirklich massiv begannen die Veränderungen, als die Telekom von der Post getrennt wurde. Am Beginn stand ein Projekt, in dem darüber nachgedacht wurde, wie man die Philatelie gescheit nutzen könnte. Das gipfelte in der Entscheidung, die Philatelie zu zentrieren und die bislang im Unternehmen verstreuten Bereiche an einem einzigen Punkt zusammen zu ziehen. Vor allem bekamen wir auch die Verantwortung für die inländische Abonnementbetreuung. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die inländischen Kunden in den einzelnen Filialen betreut, während man in der Zentrale diese Kunden gar nicht kannte. Man hatte kein genaues Zahlenmaterial, kannte weder Namen noch Adressen und konnte sie daher ohne den Zwischenschritt über die Filialen nicht einmal gezielt ansprechen.

Das hat man damals zentralisiert, nur hat man dabei ausgeblendet, dass das für uns eine unheimliche Mehrbelastung bedeutet. Wir hatten zu dem Zeitpunkt im Sammler-Service 30.000 ausländische Abonnenten und von einem Tag auf den anderen haben wir 70.000 inländische Abonnenten dazu bekommen. D.h. wir hatten plötzlich die dreifache Kundenanzahl. Dazu kam: Die inländischen Kunden waren gewohnt, ihre Briefmarken immer zum ehest möglichen Erscheinungstermin zu bekommen, während unsere Auslandsabonnenten mit gebündelten Sammlungen zufrieden waren. D.h. unser Volumen erhöhte sich schlagartig von 30.000 Kunden und 120.000 Sendungen im Jahr auf 100.000 Kunden und kalkulierte 700.000 Sendungen im Jahr. Und dafür bekamen wir einen einzigen Mitarbeiter dazu.

Das sieht doch ein Blinder, dass diese Explosion des Arbeitsaufwandes nicht mit derselben Mannschaft leistbar ist.

Irgendwann haben dann die Kunden angefangen zu rebellieren, wobei mehrere Faktoren zusammen kamen. Es war die Zeit der Euro-Umstellung, wo viele Sammler gesagt haben, Österreich in Schilling habe ich gesammelt, mit dem Euro fange ich gar nicht mehr an, jetzt höre ich auf. Das war die eine Variante. Die zweite war, „am Postamt bekomme ich die Marken nicht mehr, zugeschickt will ich sie nicht, ich höre auf“. Da wir aufgrund der Masse mit unseren Lieferungen schnell 2-3 Monate im Rückstand waren und das viele Sammler verärgert hat, haben wir hier weitere Kunden verloren. Die Konsequenz dieser Entwicklungen war, dass wir innerhalb eines Jahres nach Umstellung fast ein Drittel unserer Kunden verloren haben.

Was haben Sie getan?

Natürlich hatten wir schon im Vorfeld eine Reihe organisatorischer Maßnahmen getroffen, damit wir automatisiert versenden und fertige Produkte mit einer Kuvertieranlage einkuvertieren können. Zudem hatten wir die EDV bereits auf das große Wachstum getrimmt, aber die zu geringe Mitarbeiterzahl ließ sich damit nicht kompensieren. Irgendwann kamen dann ein paar Leasing-Mitarbeiter als Unterstützung, vor allem Studenten, was zuerst noch mehr Arbeit bedeutete, weil die erst eingeschult werden mussten.

Als die Probleme dann aufgefallen sind und der Vorstand die Notbremse gezogen hat, kam Dr. Haas als neuer Chef und hat als erste Maßnahme 15 Mitarbeiter aus gefährdeten Bereichen zu uns geholt. Trotz aller Bemühungen hat uns fast ein ¾ Jahr gekostet, bis wir uns wieder stabilisiert hatten. Aber seit Dr. Haas da ist, haben wir jeden Tag neue Ideen und neue Dinge, die wir umsetzen und die Arbeit macht wieder richtig Spaß. Man sieht den Erfolg, die Ergebnisse.

Was sind aus Ihrer Erfahrung – abgesehen von menschlichen Problemen mit der eigenen Führungskraft - die typischen Probleme eines Mittelmanagers: unklare oder nicht erfüllbare Aufträge von oben, Probleme mit den Mitarbeitern, oder mit Kollegen auf der gleichen Ebene? Wo hatten Sie da die meisten Schwierigkeiten?

Es variiert, ich habe das Gefühl, das verläuft irgendwie wellenförmig. Es gibt Zeiten, da gibt es nur Personalprobleme: persönliche Schwierigkeiten von Mitarbeitern, Ermahnungen, die notwendig, sind, Leistungsprobleme. Dann gibt es wieder Zeiten, da funktioniert der Personalbereich sehr gut. Ich tue mir schwer mit Direktiven von oben, wenn sie für mich zu wenig verständlich und damit nur schwer begründbar sind. Ich möchte es gerne verstehen. Wenn es heißt, "wir machen das und das, um die und die Wirkung zu erzielen", dann kann ich das viel besser nach unten vertreten als wenn es heißt, "macht das einfach!"

Was würde in so einem Fall geschehen?

Ich kann es schlechter nach unten kommunizieren. Wenn ich das große Ganze erkennen kann, das generelle Ziel oder den Grund, warum das jetzt so sein soll, dann kann ich sagen: OK, ich kann mit oder auch nicht, es gefällt mir oder auch nicht, das ist mein persönlicher Teil. Aber ich kann meinen Leuten zumindest den Zusammenhang mit dem großen Bild erläutern.

Das Bild ist ein anderes, je nachdem auf welcher Ebene man sich befindet. Deswegen finde ich es so wichtig, den größeren Blick von meinem Chef oder vom Vorstand zu kennen, da mein Blick für meinen Bereich ja nur einen Bruchteil davon ausmacht. Wenn ich das große Bild kenne, kann ich das auch vertreten - selbst wenn ich vielleicht in meinem Bereich etwas dagegen habe - weil die Relation klar ist.

Wenn der Wandel zum Alltag wird, wie verändert das Ihre Arbeit?

Es ist schwierig in der Eigenmotivation und in der Motivation der Mitarbeiter. Da hilft mir wieder der große Blickwinkel. Wenn ich den Grund sehe, warum das jetzt so ist, dann ist es halt so. Wenn es nur heißt, es ist so, weil es so ist, dann kann ich das den anderen nur schwer erklären.

Was halten Sie für erfolgsentscheidend im Umgang mit Ihren eigenen Mitarbeitern?

Man muss "nur" normal bleiben. Ich habe inzwischen schon einige Leute erlebt, die im Team beliebt und anerkannt waren und kaum waren sie in einer Führungsposition, mutierten sie zum "Chef". Das passiert teilweise bereits, wenn Leute nur für eine Woche den Teamleiter vertreten. Das habe ich immer versucht zu vermeiden und mir ganz bewusst immer wieder die Frage gestellt: Habe ich mich verändert? Wenn ja, wo und wie? Nur weil ich plötzlich die Macht habe, brauche ich deswegen noch lange nicht aufhören, bitte und danken zu sagen und nur mehr anschaffen, statt mit den Leuten die anstehenden Aufgaben zu besprechen. Darauf reagieren Mitarbeiter sehr sensibel. Speziell wenn jemand aus den eigenen Reihen kurzfristig eine Vertretung übernimmt und den Bogen überspannt.

Wovon haben Sie bei Seminaren bisher am meisten profitiert?

Es war für mich schwer zu akzeptieren, dass ich nicht mit allen Mitarbeitern direkt in einer Führungsbeziehung stehe. Das erfordert immer noch Konzentration, damit ich die Hierarchie einhalte und den Teamleitern nicht hineinregiere. Beim Mitarbeitergespräch tut mir das am meisten leid. Ich würde viel lieber direkt mit allen Mitarbeitern über die Visionen und Ziele reden, aber damit würde ich den jeweiligen Vorgesetzten ausbremsen. Es war eines der Aha-Erlebnisse aus diesen Seminaren, zu erkennen, dass ich da anfällig bin.

Ist die Arbeit als Mittelmanager eine an sich undankbare Aufgabe?

Positiv ist meiner Meinung nach, dass es niemandem anders geht. Es gibt nicht den typischen Sandwich-Manager, denn in Wahrheit ist das jeder. Mein Vorgesetzter hat darüber den Vorstand, der Vorstand hat darüber den Aufsichtsrat usw.. Überall gibt es wieder bestimmte Zwänge. In Wahrheit sitzt jeder irgendwo dazwischen. Der Regent on the top ist eine Illusion.

Autor: Leaders Circle, Peter Wagner, 09.2005

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