"Reines Weitergeben untergräbt die Autorität"

Der Abteilungsleiter eines mittelständischen Technologieunternehmens über die Mühen einer Fusion, den Umgang mit ständigem Kostendruck und die Notwendigkeit gekonnten Argumentierens.

Hat man als Mittelmanager überhaupt Zeit für Führung?

Ein klares Ja, einfach deshalb, weil genau das mein Job ist. Warum sollte ich dafür keine Zeit haben, schließlich habe ich keine fachliche Aufgabe. Ich führe drei Teamleiter und ich verlange von ihnen Fachverständnis, Technikerverständnis. Dafür nehme ich mir als Abteilungsleiter heraus, in dieser Funktion fachlich nicht mehr am letzten Stand zu sein, aber die richtigen Fragen stellen zu können. Natürlich sollte ich von der Materie grundsätzlich Ahnung haben, aber ich werde nicht dafür bezahlt, der beste Fachmann zu sein.

Wie ist Ihre Firma aufgebaut?

Das Unternehmen hat über 500 Mitarbeiter. Es gibt 2 Geschäftsführer, einige Bereichsleiter und darunter Abteilungen und Teams.

Zuerst waren Sie Teamleiter, dann Abteilungsleiter?

Da muss man in die Geschichte zurück gehen. Vor einigen Jahren wurden mehrere Firmen wurden zum heutigen Unternehmen fusioniert. In dem Unternehmen, in dem ich damals tätig war, war ich Teamleiter, mit dem Unterschied, dass dort ein Team viel größer war und mehr Aufgaben hatte als jetzt.

Wie empfanden Sie den Umstieg vom Spezialisten zur Führungskraft?

Ähnlich wie viele andere. Man wird deswegen Führungskraft, weil man ein sehr guter Fachmann war, zumindest behaupte ich das einmal. Am Anfang hatte ich das Gefühl, eine erste Hürde überwunden zu haben - eine Art Belohnung und Form der Anerkennung für die bisher geleistete Arbeit. Ich hatte das Glück, als Teamleiter räumlich weiterhin in der Gruppe integriert zu bleiben, da wir damals in einem Großraumbüro saßen. Da die Teamleiter keine eigenen Bürozellen hatten, blieb der Kontakt zu den Mitarbeitern unverändert bestehen und die Beziehung wurde nicht abrupt verändert wie das der Normalfall ist, wenn man plötzlich aus dem Team herausgerissen wird und in ein eigenes Büro übersiedelt. Rückblickend gesehen war das sicher ein Vorteil.

Wie haben sich die Aufgaben verändert?

Ich war als Teamleiter keineswegs plötzlich von allen technischen Aufgaben befreit, sondern habe als Leiter weiterhin sehr viel technisch mitbestimmt. Es gab damals Gott sei Dank keine Diskussionen, dass es ein anderer hätte werden sollen. Die Leute wussten von mir als Kollegen, dass man mit mir reden kann, dass ich andere mitreden lasse und dass ich Entscheidungen treffen kann. Mein Gehabe hat sich auch nicht geändert.

Hatten Sie in der Funktion als Teamleiter bereits Personalverantwortung?

Im Vorgängerunternehmen hatte ich das Glück, dass ich selbst die Personalentscheidungen treffen konnte. Mein Chef hat mir zugebilligt, das ich für meine Gruppe selbst die Mitarbeiter aussuche. Ich halte generell Vertrauen für eines der wichtigsten Führungsthemen. Im Zuge der Fusion und meinem Wechsel vom Teamleiter zum Abteilungsleiter bekam ich dann einen neuen Chef und teilweise neue Teamleiter und Mitarbeiter.

Was unterscheidet Teamleiter von Abteilungsleiter?

Das hängt immer von der Organisation und dem Aufgabengebiet ab. Ein Teamleiter im früheren Unternehmen war von der Aufgabenstellung und dem Kompetenzbereich etwa gleich oder sogar ein bisschen mehr als ein Abteilungsleiter hier. Denn dort hatte ich mehrere Fachgebiete in meinem Team, jetzt steuere ich als Abteilungsleiter nur mehr einen Teil davon, der allerdings wesentlich größer ist. Im Team habe ich 20 Leute unmittelbar geführt, heute führe ich eine Abteilung mit 50 Mitarbeitern und 3 Teamleitern. Das ist eine Größe, wo man gerade noch mit allen Mitarbeitern persönlich in Kontakt bleiben und ab und zu mal plaudern kann, um zu schauen, wie es ihnen geht. Dazu kommt, dass ich auch mit den Mitarbeitern, die mir nicht direkt unterstellt sind, einmal pro Jahr ein intensives, persönliches Gespräch führe. Die Leute sind in diesen Gesprächen sehr offen, weil ich nicht der unmittelbare Vorgesetzte bin und ich aus diesen Gesprächen die eine oder andere Anregung für die Abteilung mitnehme. Meine Lieblingsfrage lautet: "Du bist nun für einige Minuten der Abteilungsleiter. Welche Veränderungen würdest du sofort vornehmen?".

Bei einer Fusion von mehreren Firmen wird man ja nicht automatisch zum Team. Wie lief das damals ab?

Die Unterschiede beginnt bereits im technischen Bereich. Die eine Firma setzt mehr auf das Produkt der Firma X, die andere Firma schwört auf das Produkt der Firma Y, Das wirft sofort die Frage auf, wie es weiter geht und damit beginnen die ersten Diskussionen und Kämpfe. Wer hat recht, was ist das bessere Produkt? Da die passende Entscheidung zu treffen, war eine spannende Zeit.

Egal, für welches Produkt man sich entscheidet, irgend eine Gruppe verliert und muss umlernen..

Genau, wobei es im Grunde genommen eher ein psychologisches Problem ist. "Aha, die kommen daher und wollen das System durchsetzen, dabei ist unseres viel besser." Das artet leicht zu einem Glaubenskrieg aus. Im Endeffekt können beide Produkte beinahe das gleiche, aber es gibt immer einige Mitarbeiter, die die notwendige Diskussion nicht führen wollen. Irgendwann muss man dann sagen: Change it, leave it or love it. Ich habe natürlich die Erwartungshaltung meiner Leute gespürt, das Produkt, das sie bisher verwendet haben, beibehalten zu können. Die anderen haben wiederum gemeint, wir sind die größeren, wir müssen unser Produkt einsetzen, denn da ist die Umstellung viel einfacher. Letztendlich haben wir auf das hier schon vorhandene Produkt geeinigt. Glücklicherweise hat das andere Produkt, das wir früher eingesetzt haben, dann nicht so gut performt, d.h. die Produktentwicklung dieser Firma hat zu der Zeit nicht so gut funktioniert. Dadurch habe ich mir leichter getan. Aber das waren schon heftige Kämpfe, da ging es richtig zur Sache.

Wie geht man als Abteilungsleiter mit diesen Kulturunterschieden und Spannungen um? Übernehmer, Übernommener, größeres Team, kleineres Team, unterschiedliche Systeme und unterschiedliche Systeme im Kopf. Wie bringt man die Mitarbeiter in eine Richtung?

In den ersten beiden Jahren hat uns das sehr intensiv beschäftigt, die unterschiedlichen Welten und damit die unterschiedlichen Meinungen unter einen Hut zu bekommen. Aber durch den Kostendruck, unter dem wir von Beginn weg standen, konnte ich den Leuten zeigen, dass wir ein gemeinsames Ziel haben. Als ich gekommen bin, waren die Kosten enorm unter Druck, weil die Erlöse, die wir bekommen haben, geringer waren als unsere Kosten. D.h. unsere Abteilung war defizitär. Damit hatten wir ein Thema, an dem wir alle gemeinsam arbeiten mussten, weil es uns alle gleichermaßen betraf. Das war eine Möglichkeit, Einverständnis zu erzielen und die Notwendigkeit begreiflich zu machen, dass alle in dieselbe Richtung ziehen. Jene, die bis zuletzt systemfixiert waren, sind abgesprungen und jene, die die Notwendigkeit des Gemeinsamen akzeptiert haben, haben sich von den Extrempositionen verabschiedet.

Man ist in einer Doppelrolle, Vertreter der Organisation und Vertreter der Mitarbeiter. Wie bekommt man das gebacken?

Das ist Teil der Rolle. Wobei ich der Überzeugung bin, dass es die eigene Autorität untergrabt, Entscheidungen von oben ohne Kommentar weiterzugeben. Es ist klar, dass ab und zu Entscheidungen von oben kommen, die ich so nicht getroffen hätte, wir es aber trotzdem umsetzen müssen. Ich weiß nicht, ob es mir immer gelingt, es dann so zu vermitteln, dass die damit Mitarbeiter zufrieden sind. Ich merke nur, wenn ich viel darüber erzähle, warum das so ist und dass auch die Sicht des Geschäftsführers, oder des Eigentümers eine mögliche Sicht sein kann, dann tue ich mir leichter, diese Dinge umzusetzen. Die Mitarbeiter wollen im Grunde genommen so weiterarbeiten wie sie es gewohnt sind. Sie wollen neue Technologien einsetzen - das ist etwas wunderschönes für Techniker - und dann kommt die Vorgabe von oben, Kosten zu sparen, um die Abschreibungskosten in den Griff zu bekommen. D.h. weniger neue Technologie einzusetzen und ein geringeres Budget als früher. Gerade in unserer Branche ist das Budget in den vergangenen Jahren teilweise enorm gesunken. Genau das zu erklären und die dahinter liegenden Entwicklungen sichtbar zu machen, ist mein Job. Wenn man aber die Ziele erreicht und es dann heißt, die Kostenentwicklung ist vorbildhaft, dann muss man das den Leuten auch mitteilen und dazu sagen, "Das haben wir deshalb erreicht, weil wir damals in diesem Bereich nicht investiert und in dem Bereich jenen Weg beschritten haben." Wenn die Mitarbeiter diesen Zusammenhang zwischen den damaligen Entscheidungen und den heutigen Wirkungen sehen, dann versöhnt das erstens mit den Mühen, die man dafür auch sich genommen hat und es schafft Vertrauen auch in künftige Entscheidungen.

Und wenn eine Vorgabe kommt, die Sie für kompletten Unsinn halten?

Wir haben vor geraumer Zeit ein neues Laufbahnsystem einzuführen. Verkauft wurde es intern als ein System im Interesse der Mitarbeiter in Hinblick auf ihre weitere Entwicklung. Ein ging um ein neues Stellenbewertungsmodell, das die einzelnen Stellen bewertet, mit einem Marktwert belegt und diesen mit unseren Ist-Werten verglichen hat. Von der Idee her durchaus vernünftig, aber ich habe damals befürchtet, dass das auch anders ausgelegt werden kann. Nämlich primär unter Kostengesichtspunkten: "Aha, unsere Leute sind zu teuer". Das System wurde also eingeführt und viele unserer Ideen und Veränderungsvorschläge ignoriert. Jetzt kann man den Mitarbeitern sagen, das System taugt nichts, aber wir müssen es verwenden. Dann werden die Mitarbeiter ständig jammern und auf das System schimpfen. Wenn ich andererseits sage, dass System super ist, ich das aber selbst nicht glaube, werde ich selbst unglaubwürdig. Also habe ich einerseits nach oben klar gesagt, das System kann ich so nicht verkaufen, ich kann nur versuchen, Teile davon als positiv herauszunehmen und darauf aufzusetzen. Und das ist dann auch gelungen.

Worauf schauen die Mitarbeiter, wenn sie Ihre Führungsleistung beurteilen?

Ein zentrales Thema ist, wie viel Zeit ich mir für die Mitarbeiter nehme. Außerdem ist es wichtig, dass man als Führungskraft auch das Vertrauen hat, dass sie die Anforderungen erfüllen werden. Einerseits wollen sie Vertrauen spüren, andererseits durchaus auch gefordert werden. Das bedeutet beispielsweise, wenn ein Mitarbeiter einen Fehler gemacht hat, ihn nicht niederzumachen, sondern klar zu sagen: „Das darf nicht mehr passieren, also zeig, dass du es besser kannst“. Toll ist es, wenn der Mitarbeiter geknickt hereinkommt und erhobenen Kopfes hinausgeht, mit dem Bewusstsein und Willen: "Ich kann es wirklich besser und das werde ich den anderen jetzt beweisen."

Ist Führung ein Thema im Unternehmen?

Nur dann wenn es Probleme gibt. Wenn alles paletti ist, braucht man nichts tun. Bei Problemen gibt es gleich Seminare. Alle Führungskräfte machen jetzt – Zeitmanagement, oder einen Workshop mit  einem bestimmten Thema – für alle gleich, viel Geld, viel Zeit, das Gieskannenprinzip.  Es gibt keinen individuellen Entwicklungsplan für die Führungskraft. Persönliche Initiativen (Besuch von Weiterbildungen etc.) der Führungskräfte werden aber kaum behindert.

Woran werden Sie gemessen?

Eine gute Frage! Nachdem Führen eine sehr individuelle und persönliche Leistung ist, gibt es bei uns keine objektiven Messkriterien. Wahrscheinlich werde ich in „Gefühlseinheiten“ gemessen. Im Grunde genommen daran, dass alles ruhig ist, dass alles funktioniert, dass es keine Wellen gibt, dass sich keiner der Kunden beschwert und dass die Kosten gedeckt sind. Meine Führungskraft ist dankbar, wenn alles ruhig ist. Im Gegenzug lässt sie mir alle Freiheiten, die Abteilung so weiter entwickeln wie ich es für richtig halte. Damit können wir beide sehr gut leben.

Autor: Leaders Circle, Peter Wagner, 09.2005

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