Unternehmen versenken, Teil 1

Natürlich bleiben viele als "zukunftsweisend" angekündigte Veränderungsprozesse hinter den Erwartungen zurück. Und selbstverständlich sind viele IT-Umstellungen ein Horror. Doch selten sind die durch "konsequenten Wandel" verursachten Probleme und Folgekosten so hoch wie im folgenden Beispiel.

Die Szenen, die sich angesichts eines ”großangelegten Organisationsumbaus” in einer Versicherung abspielten, erinnern mitunter frappant an die Dilbert-Bücher, die den alltäglichen Wahnsinn im Büro aufs Korn nehmen. Nur war in diesem Fall keinem der Beteiligten zum Lachen zumute.

Da saßen Mitarbeiter über Monate zwischen meterhohen Aktenstapeln, weil beim Umzug darauf vergessen wurde, ausreichend Ablageplatz und Aktenschränke mit einzuplanen. Da kamen der Firma im Zuge der  ”Konzentration auf wenige Standorte" mehr Mitarbeiter abhanden als geplant, wodurch sich bei der Bearbeitung der laufenden Versicherungsfälle schnell extreme Rückstände ergaben, die nur mit vereinten Anstrengungen, enormen Überstunden und Prämien wieder halbwegs aufgeholt werden konnten. Da verschwanden plötzlich wie im Bermudadreieck gehäufter weise Poststücke - Unterlagen und Anträge von Kunden – die, obwohl eingeschrieben geschickt,  ” leider nie angekommen sind” . Da beglückte man Kunden und Mitarbeiter mit einer hochmodernen, über Computer laufenden Telefonanlage, die immer wieder abstürzte, einen Teil der Anrufer aus der Leitung kippte oder ins Nirwana verband und dadurch den Frustpegel der Anrufer in ungeahnte Höhen trieb.

Es wird schon werden

Das Top-Management aber hatte den Eindruck,  alles im Griff zu haben: ”der Veränderungsprozess steht auf Schiene”. Warum auch nicht, schließlich berichteten  die operativ verantwortlichen Manager nach oben, es gebe zwar die „typischen Anlaufschwierigkeiten", aber das sei ja klar bei einem derartig einschneidenden Veränderungsprojekt. Da müsse man schon mit Rückschlägen rechnen, da komme es eben auch zu Reibungsverlusten, doch – dann folgte die Entwarnung – die Maßnahmen begännen schon zu greifen, bis Ende des Jahres werde man alles unter Kontrolle haben.

Auf Seite der Kunden, Makler und Mitarbeiter, die im täglichen Chaos irgendwie zurecht kommen mussten, klangen solche Beteuerungen aber höchstens zynisch. Diejenigen Manager übrigens, die die Entwicklung nicht so rosig sahen  und das auch immer wieder ausgesprochen hatten, wurden „aufgrund ihrer negativen und kritischen Einstellung gegenüber diesem ehrgeizigen und innovativen Vorhaben" sukzessive ausgetauscht - ein fatales Signal an die Belegschaft, das nur dazu führte, dass ehrliche, offene und vor allem rechtzeitige Rückmeldungen über die teils eklatanten Probleme fortan unterblieb. 

Auslöser Liberalisierung

Den ursprünglichen Anstoß zu dem Veränderungsprojekt lieferte der EU-Beitritt Österreichs, der Schluss machte mit dem bis dahin sehr harmonischen Umgang der heimischen Versicherungsunternehmen. Getrieben von der Angst, durch die Liberalisierung könnten neue Konkurrenten mit Dumpingpreisen in den Markt fahren, nahm die Branche das Dumping gleich selbst in die Hand. Mit den Prämien ging es rasant abwärts. Anscheinend nur mehr „Prämienwachstum" vor Augen, begannen die Unternehmen Risiken einzukaufen, die noch vor kurzem niemals akzeptiert worden wären. Interne Warnungen – „passt´s auf, der zahlt zwar 10. Mio. Prämie, hat bei der letzten Versicherung aber 30 Mio. Schäden pro Jahr gehabt" – zählten plötzlich nichts mehr.  Und siehe da:  die Schadenszahlungen der Versicherer begannen zu steigen.

Internationale benchmarks ließen bald den Ruf nach „Kostenoptimierung" laut werden. Begleitet von der üblichen  Lüge, man denke nicht an eine Zusammenlegung der bisher selbständig am Markt operierender Unternehmen, begann man mit. „Einsparungen im Verwaltungsbereich", mit der Zusammenlegung der Personalbüros, der Sachverständigenabteilungen, des Vorstands, des Controllings. Man sprach ständig von Strukturoptimierungen, leugnete aber weiterhin jede Fusionsabsicht. Dann kam die Fusion. Die Entscheidung, künftig nur ein EDV-System zu verwenden, brachte die Übernahme des von der Mehrheit verwendeten EDV-Programms. Kaum war  es flächendeckend eingeführt, verkündete man den Beschluss, ein komplett neues EDV-System einzuführen: sehr teuer, sehr gefinkelt und - wie sich zeigen sollte - sehr praxisfremd. Spätestens ab diesem Zeitpunkt begannen die Dinge, aus dem Ruder zu laufen.

Selbstbetrug: weniger Personalkosten

Hauptaufgabe des neuen Systems war, Köpfe zu sparen, indem  viele bisherige Aufgaben des Innendienstes aufgrund der EDV-Unterstützung nun direkt von den Verkäufern und Maklern erledigt werden könnten. Eine an sich einleuchtende Idee, die mit einem sehr sozialverträglichen Mitarbeiter-Abbau gekoppelt wurde. Nur ging man  leider von  falschen  Annahmen aus.  Beispiel Versicherungsvertrag. Mußte ein Versicherungsverkäufer den Vertrag früher noch durch mehrere interne Abteilungen schleusen, bis er endgültig bewilligt und dem Kunden  zugestellt werde konnte, so konnte er nun, ausgestattet mit einem Laptop,  direkt beim Kunden anhand verschiedener Parameter vom  Programm  prüfen lassen, ob der Vertrag ok war, ihn dann sofort ausdrucken, den Kunden unterschreiben lassen und ihm sofort die fertige Polizze überreichen. Ein Vorteil für den Verkäufer, toll für den Kunden, scheinbar günstig für die Versicherung, die begann, intern  Leute einzusparen und den Anteil der Personalkosten planmäßig zu senken.

Kritik ist pfui

Bald darauf war ein deutlicher Anstieg der Schadenskosten zu beobachten, denn plötzlich kamen  jede Menge Verträge ins Haus, die früher so nie abgeschlossen worden wären. Die Annahme, die bisherige Qualität der Risikoprüfung durch Spezialisten könne durch das EDV-System im gleichen Maße aufrecht erhalten werden, erwies sich als falsch. Potenziert wurden die Probleme durch den  Abbau bei den Sachverständigen. Zwar erspart jeder Sachverständige seiner Firma durch die Begutachtungen ein Vielfaches seines Gehalts an Zahlungen, solche Gedanken allerdings stellten inplizit die Sinnhaftigkeit des gesamten neuen Systems ins Frage.

Die Einsparung bei den Sachverständigen sprach sich natürlich schnell herum, die eingereichten Rechnungen wurden schlagartig höher und der damit einhergehende Anstieg der durchschnittlichen Schadensauszahlungen betrug schon bald ein zig-faches der Einsparungen bei den Personalkosten. Die vorherrschende Systemlogik aber war: Es gibt eine bereits messbare Reduktion der Personalkosten, wir liegen im Plan. Der Anstieg der Schadenskosten hat damit nichts zu tun. Der hängt zusammen mit Faktoren wie dem  Anstieg der Arbeitskosten in den Werkstätten, teureren Ersatzteilen, mehr Unfällen etc. aber sicher nicht mit der Personalreduktion. Ein riesiger blinder Fleck entstand.

Der Kundenbetreuer als Buhmann

Ein anderer zentraler Gedanke hinter dem neuen System erwies sich als Total-Flop. So war es ein erklärtes Ziel des Systems,  dass Außendienstler und Makler im Schadensfall künftig selbst die Auszahlungen abwickeln sollten. Wie sich zeigte, eine widersinnige Idee. Denn erstens hatte natürlich kein Makler Lust, mit dem eigenen Personal und auf eigene Kosten die Schadensabwicklung der Versicherung zu erledigen. Vor allem  aber übersah man das riesen Dilemma, in das Makler und Außendienst dadurch getrieben wurden: Aus Sicht des Kunden sind sie nämlich in einer Art Vermittlerposition tätig. Tritt ein Schaden ein und eine Deckung wird von der Versicherung abgelehnt, geht der Kunde natürlich zu seinem Betreuer, beklagt sich und dieser verspricht, sich der Sache anzunehmen. Die Bösen sind hier die unsichtbaren Leute im Innendienst.

Dieses good guy – bad guy Spiel entlastet Außendienst bzw. Makler und ermöglicht  erst, das Vertrauensverhältnis zum Kunden aufrechtzuerhalten, selbst wenn das Unternehmen die Zahlung verweigert.  Wären diese Personen selbst verantwortlich für die Schadensabwicklung, würde sich der ganze Zorn des Kunden gegen sie richten und das Vertrauensverhältnis wäre im Eimer. Hätte man hier rechtzeitig die Betroffenen nach möglichen Problemen bei der Realisierung dieser Idee gefragt, hätte man sich wohl viel Geld gespart.

Autor: Peter Wagner, 05.2001

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