Vision Markenartikel-Karriere

Mag. Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich über seine Karriere bei Procter & Gamble, Coca-Cola, Gilette, HP, markante Unternehmenskulturen und die Gefahr, sich als Führungskraft zu sehr in die Arbeit der Mitarbeiter einzumischen.

Was war Ihr erster Job nach dem Wirtschaftsstudium?

Ich bin zu Procter & Gamble gegangen. Der Kontakt kam über meinen Professor zustande, der einen guten Draht zum Unternehmen hatte und wusste, dass dort gerade etwas frei war. Ich habe 1995 das Bewerbungsverfahren durchlaufen und wurde danach eingestellt.

Warum Procter & Gamble?

Ich wollte damals eine Markenartikelkarriere einschlagen, das war meine Vision. Wenn man Marketing studiert, ist das sicher die Königsdisziplin. Damals war die Markenartikelindustrie die Branche, in der am meisten in Marketing investiert und in diesem Bereich am Professionellsten gearbeitet wurde. Heute gibt es sicher auch andere spannende Bereiche wie die Telekom-Industrie, wo man im Marketingbereich sehr viel machen kann. Allerdings bin ich bei P&G dann doch nicht ins Marketing gegangen, sondern in den Vertrieb. Das war für mich eine relativ überraschende Wendung, denn wer plant schon, in den Vertrieb zu gehen, wobei ich dann später gemerkt habe, dass doch überraschend viele WU-Absolventen dort landen. Inzwischen hat sich auch herumgesprochen, dass auch Vertriebspositionen sehr interessant sein können. Für mich kam es allerdings doch überraschend und ich habe mich überzeugen lassen, dass die angebotene Funktion im Vertrieb eigentlich spannender war als das, was ich im Marketing hätte machen können, zumal es eigentlich eine Zwitterfunktion war, es ging um Marketingaufgaben in der Verkaufsabteilung. Seit damals hat sich gerade bei den internationalen Firmen allerdings viel geändert, denn eigene Marketingabteilungen sind in Österreich mittlerweile kaum mehr existent. Und wenn, dann haben sie alle nur Verkaufsmarketingaufgaben. Wer konzipiert in Österreich schon eine große Werbekampagne? Das passiert nicht hier, zumindest nicht bei den Österreich-Töchtern großer Unternehmen. Insgesamt waren es ca. 80-100 Mitarbeiter. Mittlerweile ist die Mannschaft auf die Hälfte geschrumpft.

Was hatten Sie bei Ihrer ersten Position für konkrete Aufgaben?

Wir haben Verkaufspräsentationen für die Vertriebsleute erstellt, mit den Händlern Promotions ausgearbeitet und z.B. überlegt, welche Packungen lanciert werden sollen, wie die beworben werden und wie die Angebotspakete im Einzelnen ausschauen sollen. Also relativ handfeste Aufgaben. Es war eher eine Vorbereitungsfunktion für den Vertrieb und insofern eine auch eine strategische Vertriebsfunktion, dass wir überlegt haben, in welche Absatzkanäle wir hineingehen möchten. Die Entscheidung darüber hat dann aber mein Chef getroffen.

Wie war die Unternehmenskultur bei P&G?

Sehr prägnant, sehr eigenwillig. Da gibt es eine ganz eigene Kultur, sehr amerikanisch. Ein kulturmerkmal ist z.B. dass dort kaum externe Mitarbeiter in höhere Funktionen geholt werden. Führungspositionen werden fast nur intern besetzt, wodurch es auch einen sehr homogenen Führungsstil gibt, da das alles Menschen sind, die im P&G–System beruflich aufgewachsen sind. Dadurch gibt es eine sehr starke Kultur, wobei diese Kultur in Europa etwas weniger stark ausgeprägt ist als in Amerika.

Woran würde ich diese Kultur spüren, wenn ich dort hinkomme?

Zum einen gibt es – so wie in vielen internationalen Unternehmen - ganz klar umrissene Systeme, die in Österreich die gleichen sind wie in den USA. Weiters gibt es – zumindest damals war das so – in den meisten Ländern einen relativ großen Anteil von Mitarbeiter aus anderen Ländern, also ein sehr internationales Team. Das ist gewollt und wird dadurch gefördert, dass die Mitarbeiter im Zuge ihrer Karriereentwicklung sehr stark durch die einzelnen Länderorganisationen rotieren. Eine weitere Eigenart bei P&G ist, dass es eine sehr "schriftliche" Unternehmenskultur gibt, wo alles in Memos festgehalten und festgelegt wird sowie eine sehr zahlenorientierte Unternehmenskultur. Und das Karrierestreben ist bei P&G extrem ausgeprägt. Der Vorgesetzte hat aber interessanter Weise keine so mächtige Funktion wie in anderen Unternehmen, da die Organisation sehr strikte Vorgaben hat, auch was Mitarbeiterführung anbelangt. Bestimmte Instrumente wie Mitarbeitergespräche und 360° Feedback gab es damals schon, meinem Eindruck nach schon viel früher als in vielen anderen Unternehmen. Was es auch gibt, sind die Einstufungen der Mitarbeiter von 1 bis 5.

Ist dieser ständige Positionswechsel der Mitarbeiter wirklich produktiv?

Das kommt darauf, in welchen Bereichen es passiert. Während der Vertrieb üblicherweise sehr stabil ist, wird in anderen Funktionsfeldern weit häufiger gewechselt. Die Verkaufsleiter bei P&G waren teilweise Jahrzehnte da. Diese Stabilität ist wichtig und wird auch verstanden, denn kaum jemand ist bestrebt, seinen Kunden ständig neue Leute vorzusetzen. Häufige Wechsel passieren also größtenteils in anderen Bereichen und da ist das nicht ganz so tragisch, zumal große globale Marken strategisch ja nicht von Österreich aus, sondern zentral geführt werden. Und das operative Geschäft vor Ort bekommt man relativ rasch in den Griff.

Warum nach knapp drei Jahren dann der Wechsel von P&G zu Coca-Cola?

Bei P&G geht man nach zwei, drei Jahren weg oder man bleibt für immer. Ich wollte etwas Neues machen, kam bei Coca-Cola dann in die Marketingabteilung, hatte dort eine spannende Aufgabe und das Angebot war zudem finanziell sehr interessant. Coke war einerseits ähnlich, aber aufgrund des Organisationssystems mit der Coca-Cola-Company und den Abfüllern und der Produktion im Land auch wieder ganz anders. Am Beginn war ich bei Coca-Cola auch im Bereich Sales-Marketing, aber die Tätigkeit war wesentlich marketinglastiger. Nach zwei Jahren bin ich dann zum Abfüller gewechselt und habe dort ein Restrukturierungsprojekt gemacht, bei dem sämtliche Prozesse durchleuchtet wurden, was einmal ganz etwas anderes war. Nach diesem Projekt bin ich dann aufgrund des sehr interessanten Angebots, Mitglied der Geschäftsleitung Österreich-Schweiz zu werden, zu Gilette gewechselt, zuständig für den Produktbereich Batterien. Es gab jeweils einen Business-Unit-Verantwortlichen für Gilette, für Braun, Oral B und für Duracell. Ich war für Duracell zuständig und hatte jeweils ein kleines Team in der Schweiz und in Österreich.

Welchen Handlungsspielraum hat man als Business-Unit-Leiter?

Es gibt klare Profit-Vorgaben. Man verwaltet die Budgets, kann Rabatte eindämmen, bei Werbe- und Promotions-Budgets sparen und versuchen, in neue Vertriebswege zu expandieren. Sehr viel ist durch Systeme gesteuert und es gibt relativ strikte Vorgaben bei der Profitverteilung, daher ist es vor allem wichtig, die geplanten Umsätze zu schaffen. Man ist in solchen Funktionen eigentlich mehr ein Beeinflusser und weniger ein Entscheider. Österreich-Schweiz hatte damals zusammen ca. 50-60 Mitarbeiter, davon ca. 40 in Österreich. Im Vergleich zu P&G war Gilette damals etwas patriarchalischer geprägt und von der Marke her noch globaler. Denn die Marke Gilette ist eigentlich der Inbegriff einer globalen Marke. Der Zukauf von Duracell war eine gewisse kulturelle Friktion, noch stärker dann Braun, weil es in diesen Unternehmen eine ganz andere Mentalität gab. Z.B. war Braun vertriebsmäßig sehr stark in den Elektromärkten vertreten, Gilette hingegen in den Supermärkten und Drogerieketten.

Friktion im Sinne unterschiedlicher Unternehmenskulturen?

Genau. Zuerst gab es in Österreich noch getrennte Büros von Gilette, Braun und Duracell, die dann in der Folge an einem Standort zusammengeführt wurden. P&G hat bei Unternehmenskäufen eine andere Kultur bzw. eine klare Strategie. Wenn P&G eine andere Firma übernimmt, wird die bisherige Kultur einfach ausradiert und zerschlagen. Wer sich anpasst, kann bleiben, wer nicht, muss gehen. Damit meine ich: Hier gibt es keine Diskussionen, welche der bisherigen Systeme verwendet werden oder wie jetzt die Prozesse aussehen. Bei P&G ist das klar, da heißt es: "Bei uns funktioniert das folgendermaßen und das gilt ab jetzt auch für die Neuen." Das gab es bei den in Österreich relativ gleich großen Organisationen Gilette, Braun und Duracell, die damals zusammengegangen sind, nicht. Auch wenn das Vorgehen von P&G sehr hart klingen mag, ich glaube, dass ist die einzige Möglichkeit, die funktioniert, gerade im Markenartikelbereich, wo es um das Management globaler Marken gibt. Natürlich hat das auch seinen Preis, aber wenn Sie nicht eine dominante Kultur haben, die Sie auch durchsetzen – und die in den einzelnen Marken durchaus Unterschiede zulässt, Stichwort unterschiedliche Vertriebskanäle und Markenauftritte – dann ufert das leicht aus. Sie können nicht mehrere unterschiedliche Organisationstypen mit unterschiedlichen Systemen weiterführen, zumindest nicht erfolgreich. Wenn es vom Markt her erforderlich ist, eine andere Logik beizubehalten, macht es mehr Sinn, dafür eine eigene Organisation zu gründen und den Bereich getrennt zu führen. Das hat P&G auch schon gemacht, z.B. bei hochpreisigen Kosmetika, die anders gesteuert und gemanagt werden müssen als Konsumgüter wie etwa Waschmittel. Das ist nicht kompatibel und beides in eine Vertriebsorganisation zu integrieren, birgt ständige Konflikte und gefährdet vor allem die Profitabilität der Marke.

Gilette wurde dann ja von Ihrem früheren Arbeitgeber von P&G gekauft.

Ja, aber da war ich schon nicht mehr bei Gilette. Bei Duracell war die Führungskultur eine andere. Da wir hier vor allem über die Elektromärkte verkauft haben, war das Geschäft viel stärker lokal geprägt, viel kleinteiliger. Dadurch wurde auch mehr lokal entschieden.

Warum sind Sie dann von Gilette weg?

Weil die Struktur zerschlagen und Österreich und die Schweiz an Deutschland drangehängt wurden, damit wurde die österreichische Geschäftsleitung obsolet. Ich habe im Zuge der Neuorganisation in Deutschland einen Job angeboten bekommen, den ich auch ein Dreiviertel-Jahr gemacht habe, aber jede Woche nach Frankfurt zu pendeln, war auf Dauer extrem anstrengend. Und da meine Frau und ich nicht nach Frankfurt ziehen wollten, habe ich dann entschieden, etwas Neues zu suchen. Das Problem dabei war: Wenn man ständig in Deutschland ist, kann man in Österreich keinen Job suchen. Man kann ja nicht sagen: Ich geh mal zwei Stunden weg, um sich schnell für ein Bewerbungsgespräch zu treffen. Daher habe ich entschieden, das Unternehmen zu verlassen, die Gelegenheit der Elternkarenz genutzt und in dieser Zeit angefangen, neu zu suchen. Es bot sich dann die Gelegenheit zu HP zu gehen, was eine Möglichkeit war, einmal etwas ganz anderes zu machen. Im Nachhinein betrachtet, war es aber nicht die klügste Entscheidung. Es war spannend zu sehen, wie die IT-Branche tickt, aber es ist nicht meine Welt.

Was war so unterschiedlich?

Ich war in der Drucker-Division, die ja eigentlich am konsumgüterlastigsten ist, wenn man das HP-Portfolio ansieht, aber nach einiger Zeit ist mir klar geworden, dass Unternehmen im IT-Bereich völlig anders ticken als Markenartikler und ich persönlich die Konsumgüterwelt einfach spannender finde. Die Leute im IT-Bereich sind viel technikorientierter, die Produktqualität steht viel mehr im Mittelpunkt – während das bei Konsumgüterherstellern kein explizites Thema ist, sondern vom Kunden vorausgesetzt wird – und das Geschäft ist sehr business to business orientiert. Bei HP war ich Leiter Produktmanagement des Produktportfolios in der Druckersparte.

Bei Gilette haben Sie erstmals Teams geführt, nun auch bei HP? Wie ging es Ihnen damit?

Es war herausfordernd. Es geht immer darum, das Team zu motivieren und auf eine Aufgabe einzuschwören. Wobei ich mittlerweile gelernt habe, dass man sehr darauf achten muss, was man selbst tut, wenn man ein Team führt. Denn was man sagt und tut, wird viel mehr beobachtet und abgewogen als wenn das ein Kollege tut. Ebenso wichtig ist, die Erfahrung der Mitarbeiter zu honorieren. Gerade bei HP hatten meine Mitarbeiter viel mehr Ahnung von der Materie als ich. Umso wichtiger ist, dass man die Leute in ihrem Bereich auch wirklich arbeiten lässt. Einerseits sollte der Chef möglichst wenig "stören", gleichzeitig muss er aber auch darauf schauen, dass die Vorgaben erreicht werden. Wenn Mitarbeiter bemüht sind, ihr Bestes zu geben und man sich als Vorgesetzter dann ständig einmischt, ist das enorm demotivierend. Positive Einmischung ist hingegen, wenn man etwas gemeinsam betrachtet und bespricht. Gemeinsam, aber nicht von oben herab.

Wie schnell haben Sie gemerkt, dass die IT-Branche nicht Ihre Welt ist?

Ich glaube, nach einem Jahr sind mir diese Unterschiede deutlich bewusst geworden. Am Anfang ist man vor allem damit beschäftigt, herauszufinden, wie das Geschäft funktioniert, mit den neuen Mitarbeitern klarzukommen und die Firma kennenzulernen.

Worauf sollte man also achten, wenn - oder bevor - man neu in ein Unternehmen eintritt?

Zum einen sollte man darauf achten, welche Geschäftslogik hier dominiert. Zum anderen auch darauf, welche Bedeutung der Organisationsteil, in den man kommt, in Relation zum Gesamtkonzern hat: Wie stark prägt die Kultur des Gesamtkonzerns diesen Bereich? Zwei Jahre nach meinem Einstieg gab es bei HP eine größere Umstrukturierung, die ich zum Anlass genommen habe auszuscheiden. Als ich in der Zeitung gelesen habe, dass die Stelle des Geschäftsführers von Fairtrade frei geworden ist, war das eine günstige Gelegenheit, die ich sofort am Schopf gepackt habe. Ich habe mich initiativ beworben und die Stelle bekommen.

Wieso gerade Fairtrade?

Ich hatte schon als Student eine Affinität zum fairen Handel und einen Weltladen in Stockerau mitgegründet. D.h. die Idee war mir schon damals wichtig und ich wollte etwas finden, wo ich mir sicher war, dass ich gut reinpasse. Und hier war ich mir sicher. Wenn man es auf den Kern zusammendampft, ist Fairtrade ein Gütesiegel für Produkte. Wir verkaufen nichts, sondern besiegeln Produkte, finden Lizenznehmer und überwachen das. Darüber hinausgehend machen wir Lobbying im Handel und versuchen, Stimmung für Fairtrade-Produkte zu machen. Wir machen Marktforschungsstudien, die wir dem Handel näherbringen, schalten Fernsehwerbung und machen Marketing für das Siegel. Diese Aktivitäten finanzieren wir durch Lizenzgebühren. Dazu kommen Subventionen durch private und öffentliche Förderungen. Ganz wichtig ist auch die Pressearbeit, um Stimmung für den fairen Handel zu machen sowie Lobbying bei den Regierungsstellen. Wir besiegeln aber keine Unternehmen, sondern nur einzelne Produkte. Wenn also ein Kaffeeproduzent einen Kaffee mit dem Fairtrade-Siegel herausbringt, sind da nur Fairtrade-Bohnen drinnen. sonst gibt es kein Siegel.

Ist Fairtrade eine internationale Organisation?

Jein. Wir sind ein lokaler Verein und komplett eigenständig. Solche lokale Vereine gibt es auch in zahlreichen anderen Ländern. Fairtrade ist also eine internationale Organisation lose zusammenarbeitender Regionalgesellschaften. Allerdings sind wir gerade dabei, einige Kompetenzen an den Dachverband abzugeben, bei denen es Sinn macht, wenn das zentral passiert, z.B. in der Marktforschung. Und natürlich schauen wir, was andere erfolgreiche Länderorganisationen machen und tauschen uns darüber aus.

Was unterscheidet Ihrer Erfahrung nach einen guten Chef von einem nicht so guten?

Einen guten Chef unterscheidet von einem schlechten, dass er weiß, wie frei er seine Mitarbeiter arbeiten lassen kann, dass er aber trotzdem Ziele und Grenzen steckt. Also möglichst wenig stören, sie aber auch nicht alleine lassen. Man muss wissen, wie viel Einmischung welcher Mitarbeiter verträgt und man muss sehen, welche Mitarbeiter wie leistungsbereit sind. Es kann sein, dass jemand etwas nicht kann, dann kann man helfen. Aber wenn die richtige Einstellung nicht da ist und jemand innerlich schon gekündigt hat, ist es besser, man lässt ihn gehen als zu versuchen, ihn mit Gewalt zu halten oder zu pushen. Mit Einsatz meine ich nicht, dass jemand ständig bis 20.00 Uhr im Büro sitzt, sondern es geht darum, dass man Ideen hat und versucht, andere positiv zu beeinflussen, nicht nur negativ. Am schlimmsten ist es, wenn eine Person alle anderen hinunterzieht. Wir sind ja keine große Organisation. Bei 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kann man das sehr gut einschätzen.

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Mag. Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade