Macht Führen glücklich?

Je größer die Anforderungen an die Führungskräfte, je höher der Druck, aber auch je erfüllender die Tätigkeit, desto schwerer wird es, "dem Menschen hinter der Führungsrolle" noch genügend Raum und Zeit zu gewähren. Wenn wichtige Lebensthemen aber an den Rand gedrängt werden und das Verhältnis von Arbeit und Privatleben immer mehr zu kippen droht, ist die Krise nicht mehr weit.

Es hatte so verheißungsvoll begonnen. Ein tolles Angebot, bei einem großen internationalen Beratungsunternehmen als Consulter einzusteigen, Heimatbasis Berlin, tolles Gehalt, blendende Perspektiven. Die Ehefrau und die beiden kleinen Kinder siedelten mit und - da saßen sie dann. Alleine in einer fremden Stadt, ohne Freunde und Familie. Denn als Heimatbasis entpuppte sich weniger die Stadt als vielmehr der Flughafen Berlin, auf dem der in ganz Europa im Einsatz befindliche Consulter oft erst Freitag nachts wieder anzukommen pflegte. Nur um nach der Landung via Handy zu Hause kundzutun, dass er noch dringend im Büro vorbeischauen müsse. Am nächsten Morgen aber quälte er sich todmüde bereits um 07.00 Uhr aus dem Bett, "um zumindest am Wochenende für Kinder und Frau da zu sein". Doch bereits beim Mittagessen am Sonntag wetzte er wieder unruhig am Stuhl hin und her, sollte er doch schon dringend wieder ins Büro, um diverse Projektunterlagen für die kommende Woche vorzubereiten.

Während aufgrund des "vollen Einsatzes" beruflich inzwischen bereits der nächste Karriereschritt winkt, befindet sich die Beziehung in einer schweren Krise. Die Planungen der Rückübersiedlung von Ehefrau und Kindern sind bereits abgeschlossen und die Koffer gepackt.

Erfolgreich - nur als Single?

So eine Situation verwundert heute keinen Menschen mehr, zu alltäglich ist sie bereits geworden. Die Überzeugung, "wer Karriere machen will, muss auch vollen (zeitlichen) Einsatz zeigen" wird als quasi gottgegeben abgenickt und mit dem Universalargument "unabwendbare Begleiterscheinung des zunehmenden Wettbewerbs in einer globalisierten Wirtschaft" verziert. Noch dazu hüpft einem aus jedem Magazin-Interview mit jungen, erfolgreichen Durchstartern die Bekenntnis entgegen: "Wenn ich nicht Single bzw. kinderlos wäre, hätte ich das nicht geschafft."

Wie Firmen Produktivität senken

Doch es sind längst nicht mehr nur Führungskräfte oder Mitarbeiter auf dem Weg nach oben, die die tägliche Arbeit erst in den Nachtstunden beenden. Der für Unternehmen so praktische Gruppendruck in Teams macht es auch für Normalsterbliche immer schwieriger, nach getaner Arbeit das Büro zu verlassen. Wenn alle bis 18.00 oder 19.00 Uhr im Büro sitzen und nur eine/r um 17.00 Uhr geht, verfolgen sie/ihn schnell  ausgeprägte Neid- und Rachegefühle. Nicht selten werden so gerade die effizientesten und am besten organisierten MitarbeiterInnen zu beliebten Mobbingopfern und Adressaten der unterschweligen, aber eindeutigen Botschaft, gefälligst ihr  Tempo "anzupassen", d.h. zu verlangsamen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Situationskomik: Statt dass die Unternehmen darauf schauen, dass sich die Kollegen an den besten und effizientesten Mitarbeitern orientieren, zwingen sie durch die allerorts spürbare, besondere Wertschätzung ihrer "workholics" die besten und talentiertesten Mitarbeiter, denen die Arbeit leicht und flüssig von der Hand geht, zu Norm- = Minderleistung. So sie nicht rebellieren oder kündigen.

Der Blick nach außen

Die Arbeitszeit (immer noch von vielen mit Arbeitsleistung verwechselt) ist aber aus einem noch viel grundlegenderen Punkt so wichtig. Verfügung zu haben über die eigene Zeit ist eine der entscheidenden Faktoren für das subjektiv empfundene Ausmaß an Einfluss auf die Gestaltung des eigenen Lebens. Kurz gesagt:  Über die eigene Zeit verfügen können, heißt über das eigene Leben verfügen können. Da bleibt bei den heutigen Führungskräften wohl nicht mehr viel Verfügungsgewalt übrig.

Balance im Leben - wie geht das?

Gerade dann, wenn die eigene Arbeit Spaß macht und Anerkennung und Befriedigung bringt, neigt das Pendel dazu, über längere Zeit auf einer Seite stehen zu bleiben. Nicht selten der Einstieg in einen veritablen Teufelskreis: die Überbeanspruchung in der Arbeit führt zu Problemen im Privatleben. Je anstrengender die Beziehung wird, desto größer die Versuchung, sich in die Arbeit zu flüchten, was wiederum die Beziehungsprobleme verschärft.

Erst eine "äußere" Veränderung wie z.B. ein neues Jobangebot, Reorganisationsprozesse, eine Fusion oder eben auch (meist nur für einen der Beteiligten, d.h. den Mann) "plötzlich" auftretende  Beziehungsprobleme lassen das Pendel in die andere Richtung ausschlagen, erzwingen Entscheidungen und lassen den Betroffenen plötzlich in ein tiefes Loch fallen.

Der vorerst noch vage Eindruck "so geht´s nicht weiter" weicht dann langsam der Erkenntnis, dass da wohl schon länger etwas schiefgelaufen ist. Hat man sich lange Zeit zu sehr nach außen orientiert und damit dem Innenleben zu wenig Aufmerksamkeit gezollt, wird man jetzt gleichsam überflutet von Emotionen wie Trauer, Wut und Aggressionen, gepaart mit schwer auszuhaltenden Gefühlen der Hilf- und Orientierungslosigkeit. Man sucht nach Antworten, dreht sich aber ständig im Kreis. Diese Krise fordert genau das ein, was man sich vorher vielleicht jahrelang nicht gönnen wollte: Zeit. Zeit zum Nachdenken, zum In-Sich-Gehen, um Klarheit zu erlangen, bisherige Prioritäten zu hinterfragen und sich in als wichtig erkannten Bereichen gegebenenfalls neu zu entscheiden.

"Fast-Food"-Erkenntnisse?

Da wir nun bekanntlich in einer Gesellschaft leben, in der es für jedes Problem die passenden Problemlöser gibt, ist gerade in Krisenzeiten die Versuchung groß, gleich wieder einen Guru zu suchen, um möglichst schnell und leicht verdaulich fertige Antworten serviert zu bekommen. Und an vorgefertigten Antworten herrscht ja beileibe kein Mangel. Ebenso wenig wie an Nachfrage, sonst wäre die Ratgeber-Literatur nicht das am schnellsten wachsende Buchsegment der Verlage. Das Problem dabei ist, dass eine durch einseitige Aussenorientierung verursachte Krise nicht durch Antworten von außen zu beheben ist.  

Seelen-Hygiene

"Ein Seminarbesuch oder der nächste Urlaub können durchaus wichtige Impulse geben, aber die Hoffnung, schnell einmal in sich zu gehen, ein paar neue Einsichten zu gewinnen und das war´s dann für lange Zeit wieder, die wird sich nicht erfüllen. Geist und Körper pflegen und trainieren wir ja auch nicht nur einmal im Jahr, sondern regelmäßig. Bei der Seele ist das nicht anders", erteilt Dr. Barbara Tesch, Spezialistin für das Thema Persönlichkeitsentwicklung im Management, der anfänglich oft vorherrschenden Heilserwartung einen Dämpfer. "Nicht umsonst gibt es nach den ersten Seminaren aufgrund des hier entstandenen Vertrauensverhältnisses meist den Wunsch der Teilnehmer, weiterzumachen, miteinander in Kontakt zu bleiben und sich über die eigenen Erfahrungen auszutauschen und zu unterstützen."

Was meint Autonomie?

Wenn Führungskräfte vor diesem Weg nach Innen zurückschrecken, hat das auch mit der Angst zu tun, ”"dann meine Rolle nicht mehr mit dem gebotenen Einsatz ausfüllen zu können. Ich müsste mir wohl einen anderen Job suchen." Dass dem in aller Regel nicht so ist, tut der Angst keinen Abbruch.  Dabei ginge es, meint Hans Georg Hauser von der "Bildungswerkstatt", viel eher um die Zurückerlangung richtig verstandener Autonomie. "Autonom zu sein, kann nie heißen, frei zu sein von etwas, sondern es heißt frei zu sein für etwas. Es geht nicht um die Frage, wovon befreie ich mich, das wäre ein permanenter Abwehrkampf, sondern um die Frage, wofür entscheide ich mich?"

Der Buchautor Christian Opitz weist auf einen weiteren interessanten Aspekt hin: "Während allen Menschen die Suche nach Erfüllung und Glück gemeinsam ist, sind sie sich bei kaum einem Thema so uneins wie bei der Frage, was denn nun zu diesem Glück führe. Immer aber machen wir unser Glück abhängig von bestimmten Personen, Zielen, Erlebnissen, Lebensumständen, etc. D.h. wir setzen voraus, dass die Erfüllung, nach der wir uns sehnen, eine Ursache im Außen hat. Aber angenommen, dem liegt ein Missverständnis zugrunde, angenommen, Erfüllung ist ein Aspekt der wahren Natur des Menschen und hat keine Ursachen - dann wären unsere ständigen Versuche, das zu erreichen, von dem wir uns Glück versprechen, genau der Prozess, durch den wir die Erfahrung, jetzt erfüllt zu sein, vermeiden."

Autor: Mag. Peter Wagner, Leaders Circle,

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