Veränderung ist leicht!

Angenommen, über Nacht passierte ein Wunder und morgen früh schauten Sie Ihr Unternehmen mit ganz neuen Augen an: Sie würde plötzlich auf all die Dinge blicken, die Ihnen in diesem Unternehmen gefallen, die gut funktionieren, die Sie mit Stolz erfüllen und die das Unternehmen, Sie und Ihr Team erfolgreich machen. Was würden Sie da sehen? Was für Auswirkungen hätte solch eine Sichtweise in Ihrem Unternehmen?

Die Erkenntnisse der lösungs- und ressourcenorientierten Kurztherapie im Umgang mit Problemen und dem Finden von Lösungen bergen faszinierende, bislang kaum genutzte Ideen für die Gestaltung von Change-Prozessen in Unternehmen:

Bei der Zusammenführung zweier Handelsketten bildeten sich aufgrund der unterschiedlichen Kulturen schnell Klischees heraus, die im täglichen Umgang alles andere als förderlich waren: Die Manager der übernommenen Firma, die eine lange Tradition hatte und in der ein Großteil der Mitarbeiter bereits viele Jahre im Unternehmen arbeitete, erweckten bei den Kollegen den Eindruck, überheblich zu sein ("vor allem angesichts der Tatsache gerade übernommen worden zu sein") und am hohen Ross zu sitzen, auf gut wienerisch, sie galten schnell als "die Gspritzen". Die Manager der übernehmenden Firma wiederum waren in den Augen der anderen die finanziell potenten underdogs, "die Proleten". Innerhalb kürzester Zeit war damit eine Abwertungsspirale in Gang gekommen, bei der jeder dem anderen bewies, dass er nicht ok ist.

Fragen, die das Herz öffnen

Um dem entgegenzusteuern, beschloss das Top-Management, einen Open Space zu veranstalten zu der Frage, wie die Integration gelingen könne. Passend zu den vorherrschenden Bildern war die Stimmung zu Beginn der Veranstaltung eher gedrückt und frostig. Von einer großen Begeisterung, zum Gelingen der Veranstaltung, geschweige denn zum Gelingen der Integration beizutragen, war wenig zu spüren.

Dem Open Space vorgelagert war ein Paar-Interview auf Basis des "Appreciative Inquiry", frei übersetzt "wertschätzende Erkundung", bei dem jeweils zwei Führungskräfte (eine aus dem übernehmenden, eine aus dem übernommenen Unternehmen) die Aufgabe hatten, sich gegenseitig zu interviewen. Gemäß der Annahme, dass sich Organisationen in die Richtung entwickeln, in die sie sich permanent Fragen stellen (denn diese bestimmen, womit sich die Menschen vorwiegend beschäftigen und ihre Aufmerksamkeit richten) geht es bei diesen Fragen eben nicht um Mangel und dessen Behebung, sondern um ein (Wieder-)Entdecken dessen, was bereits an positiven Erlebnissen und Energien da ist. Dementsprechend waren die Fragen, die sich die Manager gegenseitig stellten, von der Art:

  • Wenn Sie an eine Situation denken, in der Sie besonders erfolgreich und voller Energie waren: Was war das für eine Situation? Worin bestand der Erfolg für Sie? Was war Ihr eigener Beitrag? Was hat diesen Erfolg möglich gemacht? Was bedeutet diese Situation heute noch für Sie?
  • Was schätzen Sie an sich selbst am meisten – ohne falsche Bescheidenheit: an Ihnen als Kollege, als Führungskraft, als Person?
  • Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit am meisten? Was macht Ihnen besondere Freude? Was hat Sie seinerzeit an dieser Arbeit interessiert?
  • Was schätzen Sie an ihrem Unternehmen am meisten?
  • Was gehört Ihrer Meinung nach zu einer erfolgreichen und lebendigen Zusammenarbeit? Was sind die für Sie wichtigsten Faktoren?

Nach Ende der Interviews waren die Teilnehmer wie ausgewechselt, der Energiepegel war deutlich erhöht, das Thema Integration erschien um einiges attraktiver geworden zu sein und die nächsten zwei Tage wurde mit großem Einsatz eine beträchtliche Zahl an kleineren und größeren Maßnahmen konzipiert, um die Integration voranzubringen. Die kleine Fragerunde veränderte die Haltung der Führungskräfte in Bezug auf den Integrationsprozess, die Fragen brachten sie wieder in Kontakt mit positiven inneren Bildern, mit eigenen Kräften und Ressourcen und schürten die Vorstellung, es selbst in der Hand zu haben, eine positive Zukunft mitgestalten zu können.

Stolz, Freude, Leichtigkeit

Appreciative Inquiry als stark ressourcenorientierter Ansatz ist nur einer von vielen, bislang in Unternehmen kaum genutzten Ansätzen, die das Potential haben, die derzeit noch in Manager- und Beraterköpfen vorherrschenden Konzepte und Annahmen in Bezug auf Problemlösung und Veränderung gehörig durcheinander zu bringen.

"Veränderung ist mühsam", "keiner verändert sich gerne", "Veränderungsprozesse dauern ihre Zeit", "Widerstand weist auf Verlustängste hin", "die meisten Veränderungsansätze scheitern", "ohne starke Unterstützung von oben hat Veränderung keine Chance", "Probleme müssen erst ordentlich analysiert werden, bevor man sie lösen kann"  – jedes dieser weit verbreiteten Bilder birgt in sich bereits Annahmen, was nötig ist, damit Veränderung gelingen kann und allesamt wirken sie nicht gerade einladend und ermutigend.

Noch viel fataler - diese Überzeugungen kreieren teilweise erst die Probleme, die sie zu lösen vorgeben, da sie im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung die Wahrnehmung der Beteiligten auf genau die Dinge richten, die die eigene Meinung zu bestätigen scheinen: Probleme, Hindernisse, Rückschläge, Verzögerungen. Wenn Führungskräfte sich primär als Problemlöser verstehen, ist es nur schlüssig, die eigene Aufmerksamkeit vorrangig darauf zu richten, "Probleme möglichst frühzeitig zu erkennen und einer Lösung zuzuführen". Dementsprechend viel Raum und Zeit nimmt das Nachdenken und Reden über Probleme im betrieblichen Alltag auch ein und dementsprechend gedrückt bis depressiv ist auch die Stimmung in vielen Firmen. Wenn die Bosse dauernd den Eindruck vermitteln - wohin man schaut, überall nur Probleme! – was sehen dann wohl die Mitarbeiter? Eben.

Ein Blick über den Tellerrand

Typischerweise heißt es dann von Seiten der Manager: "Ja, ja, ich weiss schon, das Glas ist halb voll oder es ist halb leer. Alles nur eine Frage der Perspektive". Spricht´s, dreht sich um und hastet davon in ein kurzfristig angesetztes Meeting, um wieder einmal Feuerwehr zu spielen, sich über andere zu ärgern und gleichzeitig unentbehrlich zu fühlen. Die Art und Inhalte der Probleme, mit denen Manager und Mitarbeiter es heute zu tun haben, mögen sich in den letzten Jahren verändert haben, an der Problemorientierung selbst hat sich nichts geändert.

Wie viel Energie und Potenzial dabei auf der Strecke bleibt, erahnt man, wenn man einen Blick in den Bereich der Psychotherapie wirft, einem vom traditionellen Selbstverständnis vieler Therapeuten her dem Management gar nicht so unähnliches Arbeitsfeld. Schließlich geht es auch hier vor allem um die "Beseitigung und Behebung von Problemen", getragen von der Annahme, man müsse sich nur intensiv genug mit ihnen beschäftigen, um sich von ihnen befreien zu können. Interessanterweise schaffen es aber die seit den 80er-Jahren entwickelten "lösungs- und ressourcenorientierten" Ansätze, die die traditionellen Annahmen und Etikettierungen in Bezug auf Gesundheit und Krankheit, richtig und falsch, Geschwindigkeit von Veränderung etc. radikal in Frage stellen, bei ihren Klienten in kurzer Zeit oft beeindruckende Wirkungen zu erzielen. Die zugrunde liegende Haltung im Umgang mit Problemen und dem(Er-)Finden von Lösungen ist aber in der Arbeit mit und in Organisationen mindestens ebenso gut anwendbar.

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