Das Ende des Monopols

Die Stadtwerke Bremen AG meisterte in den 90er-Jahren als eines der ersten öffentlichen Unternehmen den radikalen Wandel vom Monopolbetrieb zum Dienstleistungsunternehmen.

Die Stadtwerke Bremen AG sind ein gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Unternehmen. Zum einen geben sie ein faszinierendes Beispiel ab dafür, wie mehrere tausend Menschen in enorm kurzer Zeit, quasi „von Null auf Hundert“, aus einem vormals eher behäbigen kommunalen Monopolunternehmen einen Dienstleistungsbetrieb geformt haben, um sich auf einem liberalisierten Markt  zu behaupten. Zum anderen macht der Fall auch die Schwierigkeiten sichtbar, als Manager und Mitarbeiter mit den bei solch massiven Änderungen freigesetzten Emotionen wie Frust, Angst, Ärger und Wut zurande zu kommen. Aber alles der Reihe nach.

Neue Zeiten, neue Eigentümer, neue Spieler

Bereits in der ersten Hälfte der 90er-Jahre war klar, dass der Energiemarkt und insbesondere der Strommarkt in den nächsten Jahren liberalisiert werden würde, auch wenn der genaue Zeitplan von der EU noch nicht fixiert war. Konkret bedeutete die Liberalisierung den Fall lokaler Monopole und somit speziell für Großabnehmer in der Industrie die Möglichkeit, Strom und Gas einkaufen zu können, wo immer sie wollen. Für die Energieanbieter verhieß das einerseits neue, bisher ungewohnte Konkurrenz samt sinkenden Preisen und, um der drohenden Kundenabwanderung zu trotzen, die Notwendigkeit deutlich verbesserter Kundenorientierung.

Bei der Stadtwerke Bremen AG (kurz SWB) fiel diese Entwicklung zeitlich zusammen mit einem Wechsel in der Eigentümerstruktur - aus 100% Eigentum der freien Hansestadt Bremen wurden 50,1%, die restlichen Anteile teilen sich nun VEBA mit 24,9% sowie Ruhrgas und der belgischer Energieversorger Tractebel mit je 12,5% - und zusätzlich einem Generationswechsel im Top-Management. Mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden Gerhard Jochum übernahm ein mit Anfang vierzig an Jahren sehr junger, aber gleichzeitig im Energiesektor an Erfahrung reicher Manager das Steuer.

Und dann ward keine Ruhe mehr

Nun waren Anfang 1995 massive Marktveränderungen zwar schon als dunkle Gewitterwolken am Horizont sichtbar, aber im Unternehmen noch nicht wirklich spürbar. Selbst wenn man als Manager weiß, „wenn es erst einmal spürbar ist, dann ist es zu spät zum Reagieren“, bleibt immer noch die Frage: wie schafft man es dann, mehr als 3.000 Menschen aufzurütteln und zu mobilisieren?

Die Antwort von Herrn Jochum: „Natürlich ist man innerlich ungeduldig, aber ich finde es sehr wichtig, dann ein hohes Maß an Disziplin zu haben und sich selbst sozusagen als Puffer und Speicher zu nutzen für diese unterschiedlichen Bedürfnisse und Geschwindigkeiten. Darin sehe ich auch eine der Führungsaufgaben: weder den Blick für die Schnelligkeit des Marktes noch für die Langsamkeit der Einstellungsveränderung zu verlieren. Beides ist real, diese beiden Realitäten muss man zusammenbringen, indem man versucht, es in den Dosen zu vermitteln, die verarbeitungsfähig sind. Daraus ergibt sich eine Politik des „steten Tropfen höhlt den Stein“, also dass man ganz früh, wenn man erkennt, dass Veränderungsnotwendigkeiten entstehen, das im Unternehmen kommuniziert und das auch mit konkreten Projekten, Maßnahmen, Entscheidungen, Personen verbindet, die dann dafür stehen. Und dann immer wieder nachlegen! Also angenommen, man sieht zehn Veränderungsnotwendigkeiten, hat aber das Gefühl, dass im Augenblick im Unternehmen nur zwei verarbeitet werden können. Dann hieße das, mit den zwei anfangen und sie auf den Weg bringen, und nach einiger Zeit ein drittes nachzuschieben, dann ein viertes, dann ein fünftes. Sozusagen ständig zu fordern, aber es mit der Anerkennung zu verbinden, dass gerade die ersten zwei erfolgreich erledigt wurden und man bereits etwas abhaken kann. Dann besteht auch die Chance, dass die Anpassungsfähigkeit und –geschwindigkeit der Organisation sich immer mehr den Anforderungen des Marktes angleicht.“ Im Fall der SWB vollzog sich diese Angleichung über die folgenden Schritte:

1995 das „Entwicklungsprojekt“

Vom Vorstandskollegen Jörg Willipinski initiiert, fiel die Umsetzungsphase dieses Change-Projektes mit dem Zeitpunkt des Eigentümerwechsels und des Eintritts von Herrn Jochum zusammen. Ca. 20 Projektgruppen erarbeiteten im Lauf des Jahres insgesamt 210 Maßnahmen zur Verbesserung und kundenfreundlicheren Gestaltung der Abläufe und zur Einsparung von Kosten. Es kam zu einer neuen Aufbauorganisation: statt der bisherigen Werksorganisation mit E-Werk, Gas-Werk etc. (intern „Fürstentümer“ genannt) entstand eine Gliederung in die drei Bereiche Erzeugung, Netze und Markt. Mit Hilfe großzügiger Vorruhestandsregelungen beschlossen Vorstand und Betriebsrat einen sozial verträglicher Mitarbeiterabbau von 3.150 auf 2.600 Mitarbeitern innerhalb eines Zeitraumes von 3-4 Jahren.

1996 Ziele und Strategien

Das „Entwicklungsprojekt“ optimierte die bestehende Organisation, etablierte verstärktes Kostenbewusstsein und erzeugte Veränderungsbereitschaft, nun ging es im nächsten Schritt darum, der Veränderung die passende Richtung zu geben bzw. zu überprüfen: „Wie schauen die Energiemärkte in 5, 10 Jahren aus? Wie müssen wir uns daher als Unternehmen aufstellen, um zukunftsfähig zu sein?“ Die Folge war die Bildung der strategischen Geschäftseinheiten Stromerzeugung und Stromabsatz, Erdgas-, Wärme- und Trinkwasserversorgung. Dahinter stand die Überzeugung, es hier mit unterschiedlich zu bearbeitenden Märkten mit dementsprechend unterschiedlichen Schlüsselerfolgsfaktoren zu tun zu haben. Zu dieser Neudefinition der bestehenden Geschäftseinheiten kam die Entwicklung dreier neuer Geschäftsfelder: Abfall & Abwasser, Telekommunikation und Facility Management.

1996 Kulturprojekt

Organisatorische Änderungen haben nur dann Erfolg, wenn sich die zentralen Denk- und Verhaltensweisen mitverändern: ohne Kulturveränderung keine Systemänderung! Daher ging und geht es in diesem mit der Beratergruppe Neuwaldegg realisierten Projekt um Ziele wie: Einüben neuer Arbeits- und Verhaltensweisen, Erhöhung der Konfliktfähigkeit, Aushalten von Widersprüchen, Beschleunigen von Entscheidungen, vermehrte Team- und Projektarbeit, Managemententwicklung etc.

1997 Center-Erfolgsrechnung

Nach der Entwicklung von Veränderungsbereitschaft und der Bestimmung der Veränderungsrichtung geht es hier vor primär um die Steuerung der Veränderung: es kommt nun zur weiteren Differenzierung der Aufbaustruktur durch Bildung von 52 Profit- und Costcentern und der genauen Definition von 250 Produkten und Dienstleistungen z.B: „Strom am Wochenende zu Schwachlastzeiten an Kundengruppe X“., somit zur Abbildung der gesamten Leistungspalette und zur Einführung eines internen Besteller-Ersteller-Systems mit Orientierung an Marktpreisen.

1998 Preisabstand-Null

Ende 97 fusionieren die beiden Regionalgesellschaften EWE und ÜNH, die Bremen umschließen. Es entsteht der größte Regionalversorger Deutschlands mit den niedrigsten Preisen. Der Vorstand beschließt das Programm „Preisabstand-Null“: Angenommen unsere Kunden zahlten nur die Preise der Konkurrenz, wie hoch wäre unser Einnahmenverlust? Anders gefragt: Um wie viel müssen wir effizienter werden, um die gleichen Preise bieten zu können? Alles in allem ergeben sich bei ca. 1,3 Mrd. DM Umsatz notwendige Kosteneinsparungen von ca. 100 Mio. DM. Es ist Feuer am Dach. Das öffentliche Statement des Vorstands: „betriebsbedingte Kündigungen sind nicht mehr auszuschließen“ führt zum Aufruhr mit öffentlichen Protesten, Streikdrohungen, Betriebsversammlungen usw.

1998 Beschaffungsprogramm

Im Zuge des P-Null-Programms wird „alles zur Disposition gestellt“, dabei geht es auch um make-or-buy-Entscheidungen. Die definitive Entscheidung, einzelne Kraftwerke stillzulegen, rührt wieder massiv an Fragen der eigenen Identität und bringt damit neue Spannungen und Konflikte. Gleichzeitig kommt es aber auch zum Abschluss neuer Kooperationen und im Zusammenhang damit zu wesentlichen Wachstumsschritten.

1999 Gruppenstruktur

Anfang dieses Jahres erfolgt die nächste Veränderung der Aufbaustruktur in Form einer Holding mit nunmehr eigenständigen operativen Töchtern.

Die Projekte - die Konfliktfelder

Auch wenn die Veränderungsdynamik bei SWB mittlerweile die kritische Masse überschritten haben dürfte, die mit diesen Projekten einhergehenden Konflikte waren und sind teils sehr massiv und für die Beteiligten sicher nicht immer leicht auszuhalten. Bereits das Projekt „Ziele & Strategien“ führte zu Verstimmungen, da viele Mitarbeiter das Projekt („ein Baby Jochums“) als Abwertung des ersten Entwicklungsprojektes erlebten. („War wohl nicht gut genug“, „Gönnt er uns den Erfolg nicht?“)

Auch das Kulturprojekt stand immer mal wieder knapp vor dem Scheitern, zumal sich immer deutlicher herauskristallisierte, dass es entgegen den ursprünglichen Erwartungen vieler Mitarbeiter (wir müssen etwas für das „Klima“ im Haus tun, wir müssen wieder netter zueinander sein) hier weniger ans Kuscheln, sondern mehr ans Eingemachte ging. Spannungen innerhalb des Vorstands wurden im Zuge des Projektes ebenso sichtbar wie das bisher im Unternehmen tabuisierte Thema Führung und Führungskompetenz, bei dem die beginnende Auseinandersetzung letztlich zu klaren Personalentscheidungen mit Signalcharakter führte. Bei all en hier behandelten Themen aber ging es, wie es Frau Dr. Roswitha Königswieser, die das Kulturprojekt von Beraterseite her leitet, formuliert, darum, die Überlebensfähigkeit des Systems zu erhöhen.

Dazu gehörte auch und vor allem eine neue, für die meisten völlig ungewohnte Art, Konflikte und Widersprüche offen anzusprechen, auszutragen und manchmal einfach nur auszuhalten zu lernen. Am sichtbarsten wurden die Konfliktlinien dann im vergangenen Herbst, nachdem der Vorstand im Zuge des Beschaffungsprogramms den Entschluss gefasst hatte, in den nächsten Jahren einen Teil der eigenen Kraftwerke stillzulegen. Dieses radikale Infragestellen der bisherigen Unternehmensidentität löste massive Proteste und Widerstände der Belegschaft aus und gipfelte in symbolischen Aktionen wie dem Hereintragen eines Sarges, der dem Vorstandsvorsitzenden mit den Worten „Herr Jochum, Sie tragen die SWB zu Grabe!“ vor die Füße gestellt wurde.

Gerade wenn man als Vorstand für Veränderung und Modernisierung steht, bekommt man natürlich auch leicht die entsprechende Zuschreibung, für all das Ungemach, das die vielen Veränderungen mit sich bringen, verantwortlich zu sein. Nach dem Motto: „Wenn der nicht wäre, wäre alles viel schöner.“ Wie geht nun ein Top-Manager mit all diesen Konflikten und Anfeindungen um? Gerhard Jochum: „Zum einen gibt ja auch Erfolge und Entwicklungen, und an die muss man andere und auch sich selbst von Zeit zu Zeit erinnern. Außerdem ist der Konflikt von heute ja nicht mehr der Konflikt von vorgestern. Dieser Konflikt von Vorgestern hat zu einem Ergebnis geführt und dieses Ergebnis bietet ja erst die Chance, dass wir heute einen Konflikt haben können. Wenn wir den Konflikt von Vorgestern nicht ausgetragen hätten, dann hätten wir Gestern nicht mehr erlebt und heute gäbe es uns nicht mehr. Ich gebe zu, das ist eine sehr rationale Betrachtung und natürlich ist es schwierig, sich ständig mit den Veränderungen und den damit einhergehenden Konflikten auseinander zu setzen. Aber das ist eigentlich die Aufgabe, die ich habe und es macht ja auch Spaß zu sehen, dass man ein Unternehmen verändern kann und dass damit die Zukunftschance für das Unternehmen größer ist.“

Autor: Peter Wagner, 05.1999

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