"Vergessen Sie Kulturwandel"

Anlässlich der 20-Jahr-Feier der Infora Unternehmensberatung formulierte Ed Schein pointiert fünf zentrale Prinzipien bei der Veränderung einer Unternehmenskultur. Eine Zusammenfassung.

Das erste Prinzip:

Sie müssen wissen, was Sie tatsächlich verändern wollen. Es gibt eine enorme Zahl an Aussagen in Zeitungen und Vorträgen nach dem Motto: „Wir wollen unsere Kultur ändern“, „wir wollen eine Teamorganisation werden“, „wir wollen offener werden und kundenorientierter“.  Das wird angekündigt, so als würde es irgendetwas bedeuten. Dabei ist es nur ein bunter Strauss abstrakter Worte.

Wenn Sie also wirklich etwas verändern wollen, müssen Sie zuerst einmal entscheiden, was momentan falsch läuft. Es gibt immer ein Geschäftsproblem hinter der Veränderungsidee. Der falsche Grund ist, eine Veränderung vorzunehmen, nur weil es die Konkurrenz macht. Wenn es eine Erkenntnis gibt, die wir in Bezug auf Unternehmenskultur gewonnen haben, dann die, wie einzigartig jede Organisation ist.

Das zweite Prinzip:

Seien Sie klar und präzise in bezug auf das Veränderungsziel. Was Sie tun müssen, ist klar zu sagen: Was genau müssen wir morgen anders machen als heute. Ein Beispiel: ich berate seit einiger Zeit ein Energieunternehmen, das vom Gericht die Auflage bekam nachzuweisen, ein höheres Umweltbewusstsein an den Tag zu legen. Das Management stand voll dahinter, ja wir müssen offener kommunizieren, ja wir müssen verantwortungsbewusster handeln. Als ich dann mit Gruppen von Mitarbeitern redete, meinten diese „aber das machen wir doch schon längst. Wir sind aufgeschlossen und wir verheimlichen nichts“. Anders gesagt: Die Aussagen des Managements hatten keinerlei Bedeutung für die Mitarbeiter, zumindest solange nicht, als unklar war, was die neue Art zu arbeiten denn nun konkret hieß.

Also veranschaulichte das Management seine Erwartungen an einem Beispiel aus dem Arbeitsalltag: „Stellen Sie sich vor, in einem Spital ist die Stromversorgung zusammen gebrochen. Sie fahren hin, laufen hinein, reparieren den Schaden, kommen wieder zum Wagen, sehen dass er Öl verliert und das Öl in den Kanal fließt. Verantwortung für die Umwelt heißt: Sie müssen sich um beides kümmern, die Reparatur des Transformators und die Öllacke!“ Die Antwort der Arbeiter war: „Das ist ein Scherz, oder? Mein Job ist, die Stromversorgung sicherzustellen. Soll ich vielleicht am Boden herumrutschen und die Öllacke wegputzen?“ „Genau das! Die neue Art zu arbeiten heißt: Es ist genauso wichtig, Schaden an der Umwelt zu vermeiden wie den Schaden am Generator zu reparieren.“ Mehr Verantwortungsbewusstsein ist bedeutungslos, solange die Mitarbeiter es nicht mit ihrer täglichen Arbeit in Bezug setzen können. Genau diese Verbindung fehlt bei den meisten Veränderungsprojekten. Wir sagen den Leuten nicht, was wir erwarten, das sie morgen anders machen sollen. Wir beschränken uns auf vage Generalisierungen „Seien Sie ein Teamspieler“. Was soll das heißen?

Ok, also Sie wissen, was Sie verändern wollen und warum. Sie definieren das Veränderungsziel, indem Sie klar sagen, was ab morgen anders gemacht werden soll. Und jetzt kommt zum ersten Mal die Kultur des Unternehmens in den Blick. Als das Management etwa meinte, „wir wollen mehr Teamarbeit“ präzisierte es diese Erwartung folgendermaßen: „Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten zu zweit und einer schüttet etwas aus und verursacht einen kleinen Umweltschaden. Dann heißt Teamwork, dass ihn der andere darauf aufmerksam macht, sie den Schaden beheben und an ihren Vorgesetzten melden.“ Das aber ist eine gänzlich andere Definition von Teamwork als die der Arbeiter. Hier hieß Teamwork: Man deckt sich gegenseitig. Der neue Weg aber hieß: Man unterstützt sich gegenseitig dabei, Probleme zu identifizieren, sie einer Lösung zuzuführen und sie zu berichten. An diesem Punkt entdeckt eine Organisation ihre Kultur bzw. ein Stück ihrer Kultur. Im vorliegenden Fall hätte kein Arbeiter dem Folge geleistet, hätte es doch geheißen, Kollegen zu verpfeifen. Wenn das nun ein Punkt ist, den Sie verändern müssen, dann haben Sie ein Kulturthema. Bis zu diesem Augenblick war unklar, ob die Kultur überhaupt involviert ist.

Nun, wenn Sie also entscheiden, dass sich die Kultur ein Stück weit ändern muss, dann bekommt Ihr Veränderungsvorhaben eine neue Dimension. In der Kultur liegen Ihre bisherigen Stärken, die Kultur ist die Basis Ihres bisherigen Erfolges. Wenn Sie merken, dass eine dieser Regeln, dieser Werte der Lösung Ihres Problems im Weg steht, dann reden Sie nicht über Ihre Kultur, sondern über einen kleinen Teil davon. Das führt uns zum dritten Prinzip.

Das dritte Prinzip:

Bevor Sie anfangen, „die Kultur“ zu verändern, müssen Sie verstehen, was Kultur wirklich ist. Kultur ist das akkumulierte Wissen, das Sie bisher in Ihrer Umwelt erfolgreich agieren ließ, Kultur ist die Normen und Werte, aufgrund derer Sie bisher zusammengearbeitet haben. Kultur ist all das.

Besagtes Energieunternehmen beispielsweise hatte eine sehr patriarchalische hierarchische Kultur. Der Punkt ist, die bestehende Kultur zu nutzen, um Ihre Probleme zu lösen. Paradoxerweise nutzen Sie also, wenn Sie ein guter Change Agent sind, den Kern Ihrer Kultur um einzelne Kulturelemente zu verändern, die der Lösung Ihrer Probleme im Weg stehen. Im vorliegenden Fall half die autokratische Kultur dabei, in kurzer Zeit eine große Zahl von Mitarbeitern in Trainings zu schicken, um Sie mit den veränderten Erwartungen an ihre Arbeitsweise vertraut zu machen. Und die Mitarbeiter liebten diese Trainings.

Das vierte Prinzip:

Wie aber erkennt man die eigene Kultur. Das führt uns zum Prinzip Nummer vier. Viele Firmen nutzen dafür Fragebögen und Einzelinterviews. Tun Sie das nicht. Kultur ist ein Gruppenphänomen. Meiner Meinung nach ist der beste Weg, um die eigene Kultur herauszufinden, Mitarbeitergruppen in einen Raum zu bringen und zu Beginn jene Mitarbeiter zu befragen, die in der Gruppe neu sind: Wie war es, in diese Gruppe zu kommen? Was waren die Dinge, die Ihnen sofort aufgefallen sind? Was muss man hier machen, um dazuzugehören, was darf man keinesfalls? usw. Nehmen Sie Schlüsselthemen und lassen Sie das auftauchen, was in die Gruppen wirklich wichtig ist, was dort tatsächlich vorgeht. Bei Fragebögen erfahren Sie vor allem, was der Ersteller unter Kultur versteht und das hat möglicherweise nichts zu tun mit dem, was in der Gruppe wirklich wichtig ist. Und wenn Sie Einzelinterviews machen, wissen Sie nicht, ob die Antworten Einzelmeinungen oder Gruppenkonsens widerspiegeln.

Das fünfte Prinzip:

Sie brauchen eine Theorie und Methodik, um mit den Ängsten umgehen zu können, die diese Art Wandel unweigerlich produzieren wird. Denn diese Veränderung löst beim Einzelnen Ängste aus, ein Stück Selbstvertrauen zu verlieren, die bisherige Identität aufgeben zu müssen, die bisherige Gruppe verlassen zu müssen, Macht zu verlieren und mit einer ungewissen Zukunft fertig werden zu müssen. In dem Augenblick, in dem das Management die Veränderungen bekannt gibt, müssen Sie mit „Überlebensangst“ (survival anxiety) rechnen. In der Folge fragen sich die Mitarbeiter: Was erwartet das Management nun von mir? Kann ich das überhaupt bzw. kann ich das lernen? damit entsteht eine zweite Form von Angst, die ich als Lernangst (learning anxiety) bezeichne. „Das schaffe ich nicht, das lerne ich nie“.

Solange es diese Lernangst gibt, gibt es das Bestreben, die Grundlage dieser Angst, die Managementscheidung zu verdrängen. „Die meinen das nicht so, das geht wieder vorbei“. Diese defensive Haltung ist das, was wir so gerne als Widerstand bezeichnen. Also was tun?

Entscheidend ist, dass die Überlebensangst größer ein muss als die Lernangst. Dafür gibt es zwei Wege, entweder man erhöht die Überlebensangst oder man senkt die Lernangst. Viele Manager erhöhen ersteres durch Druck und Drohungen, erfolgversprechender ist zweiteres durch Mittel wie eine klare Vision, einleuchtende Erklärungen für die notwendigen Anstrengungen, konkrete Unterstützung durch Trainings, Coaching, Übungsräume und vor allem eine Veränderung der Beurteilungs- und Belohnungssysteme, die das neue, gewünschte Verhalten fördern statt es zu bestrafen. Ein provokatives Wort zum Schluss: Vergessen Sie „kulturellen Wandel“ und konzentrieren Sie sich stattdessen auf die Geschäftsprobleme!

Übersetzung: Peter Wagner, 12.2002

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