Personalarbeit in Krisenzeiten

Die Auswirkungen der Krise auf die Arbeit eines HR-Managers.

Wie erleben Sie die derzeitige Situation aus Sicht eines Personalisten?

Bei vielen Firmen in Österreich ist die Krise noch gar nicht angekommen. Wir haben sie um einiges früher gespürt, weil wir in vielen osteuropäischen Ländern aktiv sind, wobei die Krise in den verschiedenen Ländern bisher ganz unterschiedlich angekommen ist. Als wir im vergangenen Herbst gemerkt haben, dass hier etwas auf uns zukommt, haben noch alle Firmen in unserem Umfeld gesagt: "Also bitte, übertreibt nicht so." Jetzt höre ich das nicht mehr. Seit Herbst 2008 arbeiten wir intensiv daran, uns auf die Krise vorzubereiten. Die Situation in Ungarn, Rumänien und Bulgarien ist katastrophal, der Markt in der Ukraine ist quasi kaputt und auch in Russland ist es schon losgegangen.

Woran haben Sie die Krise gemerkt, an Umsatzrückgängen?

Ja. Wir haben z.B. in der Ukraine Kunden, die ihre Fabrik von einem Tag auf den anderen einfach zugesperrt haben, mit der lapidaren Aussage: "Vielleicht sperren wir eines Tages wieder auf." D.h. ein Teil der bisherigen Kunden verschwindet plötzlich vom Markt oder sie stornieren Aufträge oder sie zahlen nicht mehr, d.h. die offenen Forderungen werden immer höher. Daher ist eine der Hauptaufgaben, offene Forderungen einzutreiben, um die Liquidität zu sichern. Wobei hier das Motto zu sein scheint: "Wer zuerst kommt und wer mehr kämpft, bekommt die Rechnung vielleicht noch gezahlt." Dazu kommt, dass die Planbarkeit derzeit komplett weg ist. Es hat Jahre gekostet, bis wir unsere Kunden im Osten dazu gebracht haben, in Budgets zu denken. Schließlich hatten wir das erreicht und jetzt ist das alles wieder Makulatur. Derzeit ist völlig unklar, wann welche Aufträge kommen und wenn sie dann kommen - falls sie kommen - müssen wir sofort parat sein, d.h. extrem flexibel. Zum einen geht es bei uns daher darum, Liquidität zu sichern, zum anderen ist es notwendig, intern Kosten zu sparen und die Flexibilität zu erhöhen.

Was bedeutet das für die Arbeit eines HR-Managers?

Vor dem Börsencrash, dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, haben wir schon erste Vorzeichen gehabt. Wir haben dann ganz schnell Maßnahmen in alle Richtungen ergriffen. Zum einen haben wir derzeit einen Produktivitätsberater im Haus, das uns dabei hilft, nach dem Wachstum der vergangenen Jahre unsere Strukturen und Prozesse zu optimieren. Wir haben teilweise die Zahlungsmodalitäten umgestellt auf Ware gegen Geld. Es gibt sehr, sehr viele kleine und große Dinge, wobei wir nicht überall dieselben Maßnahmen setzen, sondern versuchen sehr differenziert vorzugehen: Die Situation ist nicht nur von Land zu Land zu verschieden, sondern auch von Kunde zu Kunde und es wäre fatal, alles über einen Kamm zu scheren. Wir sind daher in sehr engem Kontakt mit unseren Area-Managern vor Ort.
Im HR Bereich ging es in den letzten Jahren immer nur darum, Gas zu geben und neue Mitarbeiter zu suchen. Diese neuen Mitarbeiter hatten alle sehr hohe Erwartungen und Forderungen und als Firma stand man vor allem vor der Frage: Wie hält man die Leute bei Laune? Im Osten, aber auch in Österreich. Welche Schulungen bieten wir ihnen, welche Karrierepfade und Laufbahnplanungen, usw. Jetzt ist das Thema ein anderes.

Jetzt geht es darum, den Leuten klarzumachen, dass es eine Krise gibt, die sich noch verschärfen wird, dass das nicht ihre Schuld ist, dass wir aber als Unternehmen schnell darauf reagieren müssen, um nicht unter die Räder zu kommen. Damit einher gehen natürlich ganz andere personalpolitische Maßnahmen, jetzt beschäftigen mich nicht Themen wie Laufbahnplanung oder High-Potenzial-Analysen, sondern arbeitsrechtliche Fragen: Welche Möglichkeiten gibt es, angesichts des Wegfalls der Planungen den Personalbedarf und die Kosten möglichst schnell dem Bedarf anzupassen? Wie schaffst wir das, ohne die Leute zu vergrämen, denn wenn der Markt wieder wachsen sollte, brauchen wir sie wieder da und motiviert. Das ist ein schwieriger Balanceakt. Derzeit wird bei uns nicht nachbesetzt. Aber wir spüren, dass es nur der Anfang ist und wir wissen nicht, wie weit sich das noch nach unten entwickeln wird.

In gewisser Weise agieren die Manager ähnlich wie die Politiker. Keiner stellt sich hin und sagt, was Sache ist, aus Angst, dass dann alle in Panik verfallen und sich die Situation damit im Sinn einer selbsterfüllenden Prophezeiung weiter verschlechtert. Riskiert man da nicht seine Glaubwürdigkeit?

Die Kunst ist, als Unternehmen einen Weg zu finden, wo man mit viel Augenmaß – eben nicht panisch – Maßnahmen setzt, um sich schrittweise anzupassen. Man muss den Leuten Angst nehmen, wo man es kann, aber trotzdem die notwendigen Maßnahmen setzen, um nicht zu riskieren, dass das Unternehmen kaputt geht.

Was haben Sie das konkret kommuniziert?

Wir haben ganz früh angefangen - bevor die Krise noch gekommen ist – das im Managementteam zu kommunizieren, also im Kreis von Geschäftsführung und nachgelagerter Führungsebne. Wir haben ihnen gesagt, dass andere Zeiten auf uns zukommen, dass wir uns schnell darauf vorbereiten müssen und dass - was auch immer für Maßnahmen kommen - wir sie dazu brauchen und sie das mittragen und unterstützen müssen. Wir haben sie also auf harte Zeiten eingeschworen. Anfang des Jahres haben wir dann eine Betriebsversammlung gemacht und frühzeitig unsere Mitarbeiter über die Krise informiert. Wir haben ihnen geschildert, was in den einzelnen Ländern vor sich geht und dass wir in nächster Zeit Stellen nicht nachbesetzen werden. Das war keine leichte Sache, aber wir sind ein sehr offenes Unternehmen und kommunizieren Erfolge, aber auch Misserfolge und Probleme. Daher haben wir versucht, ihnen klarzumachen, was auf uns zukommt, dass wir mehr Flexibilität brauchen, um damit fertig zu werden und dass die höhere Flexibilität angesichts dieser massiven Krise ein extrem wichtiger und erfolgskritischer Punkt ist. Tatsache ist, dass vor allem jene Mitarbeiter wertvoll für das Unternehmen sind, die dem Unternehmen in der jetzigen Phase eine hohe Flexibilität zu geben bereits sind, weil die Zeit derzeit unplanbar ist und wir uns mit diesen unvorhergesehenen Einflüssen auseinander setzen müssen. Einen Mitarbeiter, der klar gesagt hat, dass er nicht dazu bereit ist, habe ich kürzlich gekündigt. Denn wenn die meisten Mitarbeiter zu mehr Flexibilität bereit sind und dann Einzelne stur auf dem Standpunkt stehen, dass sie das nichts angeht, dann sind das in der derzeitigen Situation die falschen Mitarbeiter, weil das Zulasten der Kollegen geht.

Wie haben Sie sich selbst darauf vorbereitet?

Zum einen durch intensive Gespräche mit der Geschäftsführung, um zu überlegen, wo wir welche Maßnahmen setzen können. Außerdem habe ich ein Seminar besucht über "personalpolitische Maßnahmen in der Krise", das sehr gut war. Im Grunde genommen geht es darum, eine gemeinsame Sprache zu finden, denn es sind ja alle daran interessiert, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Also ist die Frage, welche Mischung an Maßnahmen man findet, um einerseits den betrieblichen Gegebenheiten, aber auch den Mitarbeitern gerecht zu werden. Ein Problem von KMUs ist, dass Thema Kurzarbeit viel zu kompliziert und administrativ zu aufwändig für kleinere Firmen ist. Für uns ist Kurzarbeit immer noch kein Mittel der Wahl, weil es administrativ zu komplex ist. Also ist die Frage: Was kann ich sonst tun, um flexibler zu werden? Das reicht vom Nicht Nachbesetzen von Stellen über das Identifizieren von Mitarbeiter, die möglicherweise Teilzeit arbeiten wollen, bis zu Bildungskarenz, Altersteilzeit, Gehaltsanpassungen, etc. Bildungskarenz kann ich aber nicht mit Leuten machen, die Familie haben, sondern das können nur junge Leute sein, zu denen man sagt: Nehmt euch ein Jahr Auszeit, bildet euch weiter. Oder man gibt Mitarbeitern Wiedereinstellungszusagen, damit man gute Arbeiter nicht dauerhaft verliert.

Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag in den letzten Monaten geändert?

Mein Arbeitstag heute und vor einem Jahr ist total anders. Im Personalbereich ist es so, dass täglich viele Mitarbeiter zu mir kommen, die Angst haben und mich fragen, ob sie demnächst gekündigt werden, ob sie den geplanten Kredit noch aufnehmen können, etc. Ich sage ihnen dann immer, dass derzeit ist kein Personalabbau geplant ist, sondern dass wir derzeit nur Stellen nicht nachbesetzen. Aber ich sage Ihnen auch, dass ich nicht in die Zukunft blicken und daher nichts versprechen kann, weil ich einfach nicht weiß, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Wir informieren die Leute Schritt für Schritt, wo wir gerade stehen.

Zudem verbringe ich viel Zeit mit vorbereitenden Maßnahmen. Vor einem Jahr habe ich mich vor allem gefragt: Wo bekommen wir weiteres Personal her? Recruiting ist derzeit kein Thema. Jetzt geht es eher um Kostenabbau und Effizienzsteigerung. Z.B. den Abbau von Überstunden und Urlauben, durch die Überarbeitung der Gehaltssysteme oder sogenannte Verschlechterungsvereinbarungen mit Mitarbeitern, die schlicht überbezahlt sind. Wir wollen nach wie vor die Leute im Unternehmen halten, aber wir schauen derzeit auch, wo Leute im System sind, die nicht die erwartete Leistung bringen, die – auch aufgrund der teils enormen Gehaltsforderungen der vergangenen Jahre – einfach überbezahlt sind und wo daher Korrekturen nötig sind. Ein Teil meiner Arbeit derzeit besteht also darin, Dinge, die in den starken Wachstumsjahren aus dem Ruder gelaufen sind, zu begradigen. In der Krise zeigt sich noch deutlicher, welche die guten und engagierten und qualifizierten Leute sind und welche nicht. Die Mitarbeiter selbst sehen und sagen das. In guten Zeiten werden solche Leute oft mitgetragen, wobei es ganz wichtig ist, darauf zu schauen, dass da kein Mobbing einsetzt.

Wie hat sich die Arbeit der Führungskräfte geändert?

Je nach Bereich unterschiedlich. Im Verkauf geht es darum, Geld einzutreiben und andere Zahlungsbedingungen zu vereinbaren, z.B. liefern wir in bestimmten Ländern bestimmten Kunden Ware nur mehr gegen Geld, während sich bei anderen Kunden nichts geändert hat. Im Einkauf schauen wir noch mehr auf die Kosten, wir verhandeln mit den Lieferanten und schließen - wenn möglich - keine langfristigen Kontrakte mehr, um Preisfallen zu vermeiden. Es ist ein stärker kurzfristiges Agieren, auch weil die ganzen Konzepte, die wir vor einem Jahr in der Schublade hatten, alle gestoppt sind. Wir steigen also auf der einen Seite auf die Bremse, versuchen aber gleichzeitig, Gas zu geben. Z.B. geben wir weiter Geld im Schulungsbereich aus, schichten aber um, wir investieren weiter in die Forschung und forcieren Bereiche, wo wir neue Chancen sehen. Dafür haben wir auch jemand Neuen aufgenommen.

Wie managt man Unplanbarkeit?

Die Geschäftsführer-Meetings und die Managementteamtreffen sind in kürzeren Intervallen, wir sind nah am Kunden, holen uns ständig die neuesten Informationen und passen unsere Planung daran an. Die Mitarbeiter sind natürlich im Moment sehr verwirrt, aber sie verstehen die Situation und tragen das mit, zumal sie ja auch in ihrem Umfeld mitbekommen, dass die Situation schlimmer wird.

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