Führungsarbeit in Krisenzeiten

Eine Führungskraft aus dem Bankenbereich über die veränderten Aufgaben und Anforderungen in der Führungsarbeit angesichts der aktuellen Krise.

Wie erleben Sie die derzeitige Situation?

Mein allgemeiner Eindruck ist momentan dass es sozusagen zwei Welten gibt: Es gibt Firmen, die sagen, dass sie nichts von der Krise spüren und andere, die ein Desaster auf sich zurollen sehen. Es werden aber immer mehr Firmen, die beginnen, sich auf die Krise vorzubereiten.

Wie schaut Ihre derzeitige Führungssituation aus?

Meine Abteilung betreut Großkunden bei ihren Aktivitäten in Österreich und Zentral- und Osteuropa. Beim Aufbau von Tochtergesellschaften brauchen diese Kunden eine Vielzahl von Bankdienstleistungen, beginnend bei Firmen- und Mitarbeiterkonten, Kreditkarten,  Projektfinanzierungen, über langfristige Investitionsfinanzierungen, Steuerung des Zahlungsverkehrs, Cash-Management,bis hin zu Working Capitel Linien und Garantielinien. Also die gesamte Bankdienstleistungspalette. Wir besprechen diese Themen mit der Zentrale des Kundenunternehmens und dann stimmen sich meine Mitarbeiter mit unseren internen Abteilungen und Tochtergesellschaften ab. Sie fungieren als Key Accounter, als Global Relationsship Manager, wie auch immer man das bezeichnet.

Wie lange lief das Geschäft bei Ihnen noch normal? Gab es einen plötzlichen Bruch oder hat es sich schleichend verändert?

Meine Abteilung war in den letzten Jahren sehr auf Expansion und Wachstum ausgerichtet, mit Schwerpunktfokus auf bestimmten Ländern in Westeuropa, in denen wir Firmen unsere Dienstleistungen in Osteuropa angeboten haben. 2008 hatten wir noch ein sehr gutes Jahr und zuerst auch das Gefühl, einen guten Grundstock für 2009 zu legen, weil wir schon viele Kundenbeziehungen aufgebaut hatten, bei denen absehbar war, dass hier neues Geschäft auf uns zukommen wird. Wobei man unterscheiden muss: Zum einen gibt es Kunden, die einen langfristigen Partner suchen, sozusagen eine zweite Hausbank. Zum anderen gibt es Firmen, die primär preisorientiert agieren, vor allem darauf schauen, wo sie noch günstigere Konditionen bekommen. Vor allem letztere Gruppe hat dann teilweise Probleme bekommen, weil ihnen die Bankverbindungen viel leichter wegbrechen als bei einer Hausbankverbindung. Dazu kommt, dass sich z.B. in Deutschland einige Banken aus dem Markt zurück gezogen haben oder wie etwa die Commerzbank und die Dresdner Bank fusioniert haben. Wenn ein Unternehmen beispielsweise genau bei diesen beiden Bankhäusern Kunde war und beispielsweise je 50 Mio. Kreditlinie hatte, wird das nicht einfach zusammengerechnet, sondern daraus wird wahrscheinlich etwas weniger.

Der Bruch kam mit der Lehmann-Pleite, Zuerst hatten wir für 2009 noch sehr aggressiv budgetiert, nach diesem Zeitpunkt war alles anders. Dann ging es vor allem einmal um Fragen wie: Haben wir ausreichend Liquidität? Wie viel Asset-Wachstum können wir uns überhaupt noch leisten? Damit ist dann ein intensiver Bremsvorgang eingetreten. In meiner Abteilung hieß das: Von Akquisition und Wachstum hin zu "keine neuen Kreditvergaben" und "Konzentration auf Stammkunden". Damit hat sich natürlich der Schwerpunkt in der Abteilung verändert. Statt der Frage "Welchen Kunden akquiriere ich als nächstes" beschäftigen wir uns derzeit intensiv mit dem bestehenden Geschäft. Wie stehen unsere Kunden da? Wer ist schon in der Krise, wer steuert auf sie zu? Wie schauen die aktuellen Zahlen der Kunden aus? Welche Prognosen gibt es? Wie wirkt sich das auf ihre Bonität aus? Was heißt das für die Konditionen? Etc. Es war auch vorher schon so, dass jeder Kunde, der einen Kredit bekommen hat, einen Kreditgenehmigungsprozess durchlaufen hat. Jetzt schaut man natürlich öfter und genauer hin, wie sich die aktuellen Zahlen und die Bonität entwickeln.

Wann war klar, dass Ihre Planung Makulatur ist?

Das hat sich laufend über den Herbst entwickelt. Das Budget wurde nicht gecancelt, das steht nach wie vor, aber es ist klar, dass wir es unter diesen Rahmenbedingungen nicht erreichen werden. Man bekommt ja auch von den Unternehmen keine Planungen mehr, es sagt jeder nur: Ich kann es in Wahrheit nicht sagen. Keiner trifft klare Aussagen. Es ist zum ersten Mal so, dass es schlicht keiner weiß. Diese Krise wird auch deswegen als so extrem empfunden, weil alle das Gefühl haben, erstmals nicht planen zu können. Damit kämpfen alle.

Was im Moment beobachtbar ist, ist eine deutliche Erholung der Konditionen, Die Konditionen vor und nach der Krise sind extrem unterschiedlich. Wenn Firmen heute Anleihen vergeben und sich dadurch Kapital besorgen, tun sie das zu Konditionen, die doppelt, drei- oder sogar vierfach so hoch sind wie vor der Krise. Wobei die absoluten Kreditzinsen vielleicht gar nicht viel teurer geworden sind, weil der Refinanzierungssatz aufgrund der sinkenden Zinsen billiger wurde, während die Aufschläge höher geworden sind. Wenn man vorher einen Zins von 4% hatte und einen Aufschlag von 1% zahlen musste, und der Zinssatz durch die Senkung der EZB heute nur mehr 1,5 % Zinsen beträgt, kann man einen Aufschlag von 3,5% zahlen und hat trotzdem dieselben Kreditkosten. Insofern muss sich das Kapital gar nicht so verteuert haben.

Wie schaut Ihre Führungsarbeit heute im Vergleich zu einem halben Jahr oder Jahr aus?

Einerseits hat sich sozusagen der Arbeitsauftrag geändert: Statt Wachstum geht es um intensive Betreuung der bestehenden Kunden. Der veränderte Arbeitsauftrag bedingt natürlich intensive Gespräche mit den Mitarbeitern, einerseits um sie laufend zu informieren und sich mit ihnen abzustimmen, und andererseits, weil die Leute in unsicheren Zeiten generell nach Informationen lechzen.

Wann und wie wurde das in Ihrem Bereich kommuniziert?

Es gibt einmal pro Woche einen Jour Fixe mit dem Bereichsleiter, wo solche Themen besprochen werden, einmal im Monat gibt es ein Treffen des Führungsteams mit dem zuständigen Vorstand. Ich selbst habe in meiner Abteilung auch einmal die Woche einen Jour Fixe, wo diese Informationen dann weitergegeben werden. Wobei man Informationen ja nicht nur über den Jour Fixe erfährt, sondern teilweise viel schneller durch Aufträge, die von oben kommen, etwa wenn vom Vorstand bestimmte Dinge abgefragt werden und bestimmte Leisten erstellt werden müssen. Etwa eine Watchlist – welche Branchen betrifft es schon, welche ist derzeit am stärksten betroffen, welche ist als nächster gefährdet, welcher Kunde ist daher möglicherweise gefährdet? Dadurch bekommt man auch zwischen den offiziellen Meetings ganz gut mit, womit sich das Top-Management beschäftigt und was da in nächster Zukunft auf einen zukommen könnte.

Sind die Leute in der Abteilung nicht unruhig geworden, als es plötzlich hieß, kein Neugeschäft mehr?

Ja, natürlich. Gerade in der Anfangsphase so einer akuten Krise werden teilweise auch sehr erratische Entscheidungen getroffen. Da heißt es dann von einem Tag auf den anderen "das Geschäft können wir nicht mehr genehmigen", während dasselbe Projekt zwei Wochen später möglicherweise anders entschieden wird. Durchaus verständlich, aber die Mitarbeiter fragen natürlich: "Also, was gilt jetzt?" Für unsere Arbeit bedeutete die Krise konkret: ein intensives Listenschreiben und gleichzeitig den verstärkten Gang zu den Kunden, den wir vermitteln mussten, dass Konditionen, Laufzeiten, Kreditlinien oder Kündigungsfristen angepasst werden müssen. Natürlich sind das relativ unangenehme Tätigkeiten für Kundenbetreuer, weil sie dem Kunden lieber positive Nachrichten verkaufen.

Ist da nicht die typische Kundenreaktion: Kaum bekommen die Banken Probleme, verschlechtern sie die Konditionen und sanieren sich auf unsere Kosten?

Nein, zum einen ist es für die Unternehmen an sich schon positiv, wenn sie in so einer Situation Kredite bekommen und die Bankbeziehung weiter geführt wird. Ihnen ist auch klar, dass sich unter diesen Rahmenbedingungen die Finanzierungskosten ändern. Die großen Unternehmen haben das alle verstanden. Die sehen ja am Weltmarkt, dass sie jetzt andere Margen zahlen müssen, weil es sonst keine Investoren gibt. Deshalb verstehen sie es auch, wenn die Kreditkonditionen erhöht werden, noch dazu, wenn sich die Kosten in absoluten Zahlen vielleicht gar nicht erhöhen, weil die Zinsen ja gesenkt worden sind. Eine meiner wichtigsten Aufgaben war uns ist, den Mitarbeitern immer wieder klarzumachen, wie wichtig es ist, in dieser Situation eng mit dem Kunden zu kommunizieren. Gerade wenn man in kritischen Zeiten diese enge Kommunikation mit dem Kunden hält, macht es dann die Arbeit auch wieder leichter. Umso mehr dann, wenn die Kunden erzählen, dass sich manche Bankbetreuer bei ihnen gar nicht mehr gemeldet haben, nie erreichbar sind, immer "in Meetings" sind und nicht zurückrufen.

Was hieß das konkret für die Führungsarbeit? Muss man viel Überzeugungsarbeit leisten, sich den Frust anhören….?

Ganz wichtig ist sicher einmal: Information, Information, Information. Da ist immer die entscheidende Frage, wie sehr man dabei von oben unterstützt wird. Was bekommt man vom Vorstand, was sagt der Bereichsleiter, wo kommen die Informationen her – und ganz wichtig - kann man sie nachvollziehen und sehen: Das ist jetzt der Weg, den wir jetzt gehen müssen. Und sei es auch nur für die nächsten Tage und Wochen. Wenn man die Grundlagen für die Entscheidungen nicht kennt, kann man als Führungskraft bei Nachfragen der Mitarbeiter "Warum so, warum in diese Richtung" immer nur sagen: "Ich weiß ich nicht." Wenn das in einem Unternehmen ständig so ist, ist es fatal, wobei das bei uns Gott sei Dank gut funktioniert. Gleichzeitig ist es aber Faktum, dass es in so einer Krise viele Fragen gibt, auf die man derzeit einfach keine Antwort hat. Da halte ich es für wichtig, diese Unwissenheit, dieses Nichtwissen einfach zuzugeben, um vor den Mitarbeitern wahrhaft zu bleiben. Bei vielen Themen gibt es derzeit einfach keine klaren Entscheidungsgrundlagen.

Wie schaut heute Ihr typischer Arbeitstag aus im Vergleich zum vergangenen Jahr?

In den letzten Jahren war klar, wohin geht es, womit du dich beschäftigen musst, was deine Aufgaben sind, was die Zielrichtung ist. Jetzt muss man viel mehr und viel häufiger darüber reden, es gibt viel mehr Abstimmungsgespräche: mit den Kunden, mit der Kreditabteilung, mit den Vorgesetzten und mit den Mitarbeitern. Wir müssen heute einzelne Kreditanträge viel genauer besprechen, einzelne Entscheidungen noch besser vorbereiten und genauer überlegen, wie man es so weiterkommuniziert, dass man auch eine positive Entscheidung bekommt. Es gibt viele Themen, die mehr Erläuterung bedürfen. Wenn z.B. eine neue Liste erstellt werden soll, dann muss diskutiert werden, wer kümmert sich darum, wie ist das aufzusetzen, etc.

Ein weiterer Unterschied ist: Ich führe heute viele Gespräche mit anderen Abteilungen, die ich vorher nicht in dem Ausmaß hatte, da ich bis in den Spätherbst viel beim Kunden direkt unterwegs war. Das versuche ich jetzt auch noch zu machen, aber ich gehe jetzt nicht mehr so viel zu Akquisitionsterminen, wobei wir gerade jetzt viele Möglichkeiten bei potenziellen Kunden sehen, die sich derzeit nach neuen Bankverbindungen umschauen. Da sehen wir viel Potenzial für neues Geschäft und das versuchen wir auch in der Bank zu positionieren, unterliegen derzeit aber klaren Restriktionen. Wir werden sehen, ob wir die Möglichkeiten bekommen, diese Geschäfte auch umzusetzen. Zumindest ist es eine Perspektive auf zukünftiges Geschäft, was auch emotional ganz wichtig ist,  damit wir uns nicht nur mit Krise und Kostensenkung beschäftigen.

Haben Ihre Mitarbeiter Angst vor Personalabbau?

Nein das ist bei uns nicht stark ausgeprägt, das mag in anderen Abteilungen stärker sein. Der Vorstand hat Anfang des Jahres klar gesagt, dass in Österreich kein Personalabbau geplant ist, dass es aber einen Aufnahme-Stopp gibt. Zum einen ist es wie gesagt sehr wichtig, Informationen zu liefern: Wo stehen wir gerade? Das gibt zumindest ein Stück weit Orientierung. Zudem ist es ja in meiner Abteilung nicht so, dass die Mitarbeiter nichts mehr zu tun haben, auch wenn das Neugeschäft derzeit steht. Dafür müssen sie sich derzeit umso intensiver um die bestehenden Kunden kümmern, mit ihnen Gespräche führen, die Situation analysieren, Konditionen neu verhandeln, die Kunden informieren und sich von ihnen informieren zu lassen. Bei den anstehenden MBO-Gesprächen werde ich noch einmal genau nachfragen, wie es den Leuten geht, wo es Angst, Sorgen oder Unzufriedenheit gibt. Klar ist vereinzelt Frust da, weil die Arbeit mühsamer geworden ist, aber dass es eine große Angst gibt, sehe ich bis jetzt nicht. Zumal die Leute wissen, dass man bei Einsparungen nicht gerade bei den Leuten anfängt, die den Kontakt zu den großen Kunden halten und pflegen.

Stecken die Manager derzeit wieder mehr im operativen Geschäft?

Es ist die Frage, was man als strategisch und was man als operativ bezeichnet. Wenn man z.B. besagte Listen erstellt, um damit Informationen zu generieren, auf deren Basis man dann Entscheidungen trifft -  so schaut unsere Position derzeit aus und daher können wir das und jenes tun - ist das operativ oder strategisch? Es ist nicht strategisch in dem Sinn, dass sich da eine radikale Veränderung abzeichnet oder ein ganz neues Geschäftsfeld kreiert wird, aber es sind sehr wohl strategische Maßnahmen, die dann wieder stark ins Operative wirken. Work out ist der Bereich einer Bank, der sich mit Problemfällen beschäftigt, mit Unternehmen, wo es schwierig wird, die Rückzahlungen nicht mehr leisten können.

Was brauchen Sie als Führungskraft von oben, um gut arbeiten zu können? Und wie gut oder schlecht funktioniert das?

Information, Information, Information. Ich habe glücklicher Weise einen Vorstand und einen Bereichsleiter, die Informationen sehr proaktiv weitergeben, insofern ist das ganz in Ordnung. Ob das im ganzen Unternehmen so ist, weiß ich nicht.

...zurück zum Seitenanfang

Teilen: