"Krisenmanager sind mutige Leute"

Im Gespräch mit Dr. Viktoria Kickinger über die Probleme vieler Manager, in Krisensituationen richtig und rechzeitig zu reagieren.*

Frau Dr. Kickinger, was ist das besondere an Krisen-Kommunikation?

Ich war einmal bei einem Seminar, wo die Seminarleiterin uns Teilnehmer zu Beginn gebeten hat, jeder von uns möge an sich etwas verändern. Ich kann mich noch gut erinnern, ich habe damals meine Uhr abgenommen, mein rechter Nachbar hat seine Krawatte weggegeben und meine linke Nachbarin hat das Sakko ausgezogen. Als wir alle fertig waren, hat die Seminarleiterin gesagt: Wunderbar, ihr habt alle etwas von euch weggeben. Alle assoziieren Veränderung mit Verlust. Man gibt die Uhr weg, zieht das Sakko aus, usw. Man hätte ja auch die Uhr von der einen oder die andere Hand geben können, die Ärmel aufkrempeln oder einfach etwas hinzufügen.

Das fand ich ein Schlüsselerlebnis. Alle assoziieren Veränderung mit Verlust und die Kunst in der Kommunikation ist es, klarzumachen, dass Veränderung eben nicht mit Verlust assoziiert werden muss, sondern genauso gut eine Chance sein kann, wo etwas sich verändert, indem etwas neues dazukommt. Zwischen diesen beiden Punkten, der Erkenntnis, dass Veränderung stattfinden muss und der Erkenntnis, dass es auch etwas besseres geben kann als das was bisher war, liegt die Krise.

Mein Eindruck ist, dass in vielen Firmen die schlechten Nachrichten scheibchenweise daherkommen, was die Leute nur noch mehr verunsichert. Da denken dann alle „Und was werden sie uns morgen sagen?“

Absolut. Im Augenblick haben ja viele Unternehmen das Glück, externalisieren zu können und den Schuldigen im 11. September festzumachen. Wäre der nicht gewesen, wären halt statt 1.000 Mitarbeitern 850 abzubauen gewesen. Das wichtigste in einer Krise ist, Vertrauen zu schaffen. Zuerst einmal lange nichts zu sagen, irgendwann dann ein bisschen was zu sagen, ist ja ein altbekanntes Muster und zumeist Ausdruck mangelnden Mutes. Ein Unternehmen, das gut aus einer Krise herausgeht, hat zu Beginn der Krise – und z.B. an die 1000 Mitarbeiter abzubauen ist ja wohl eine ordentliche Krise - die Wahrheit gesagt und zwar die ganze Wahrheit.

In einer Krise ist es überspitzt gesagt eh schon egal, ob eine Firma 700 oder 1000 Mitarbeiter abbaut, die Tatsache an sich ist das Erschütternde bzw. das zu Kommunizierende. Daher muss man, wenn, dann ganz offen und wahrheitsgemäß agieren. Die Firmen, die da ehrlich sind, haben auch bei der internen Kommunikation und bei der Neustrukturierung die wenigsten Probleme, weil die Leute bei all der Unsicherheit um sie herum wenigsten in einem sicher sein können: Hier wird offen kommuniziert. Und das ist nicht zu unterschätzen. Die Firmenchefs, die nichts unangenehmes sagen wollen, sind eigentlich gar nicht qualifiziert, eine Firma zu führen. Sie haben Angst, die Wahrheit zu sagen, was vielleicht kurzfristig entlastend, aber längerfristig häufig zum Schaden aller ist.

Nun gibt es ja das sogenannte Survivor´s Syndrom, welches das Phänomen bezeichnet, dass ja nicht nur die gefeuerten Mitarbeiter geschockt sind, sondern die, die bleiben, genauso. Die fragen sich ständig: War´s das jetzt oder kommt noch was? Wer wird der Nächste sein? Das wird im Eifer des Gefechts oft nicht bedacht und berücksichtigt. Man kümmert sich einseitig nur um die entlassenen Mitarbeiter.

Das ist einer der ganz wichtigen Problemkreise, die sie ansprechen. Ich würde sagen, rund 70% der Firmen, der mittelständischen Firmen, sind sich nicht bewusst, wie wichtig die interne Kommunikation ist. Sie ist die Säule eines guten Betriebsklimas, da können die Zahlen noch so gut sein. Die interne Kommunikation ist das Um und Auf in der Mitarbeiterführung.

Man kann die Krisenbewältigung in drei Phasen einteilen: Die erste Phase ist die Phase davor, wo die Krisenprävention einsetzt. Zu dieser Phase gehört das Evaluieren von Signalen. Keine Krise tritt einfach so auf. Es gibt immer Signale, und die kann man evaluieren. Die Kunst besteht darin, wer evaluiert die Signale? Gibt man z.B. Zeitungsberichte an einen Assistenten, der keine Ahnung davon hat und beauftragt ihn, „schau, ob was Wichtiges und Kritisches darunter ist“ oder siedelt man das möglichst hoch an, bei jemandem der wirklich den Überblick hat und das Krisenpotential von Ereignissen abschätzen kann? Es gibt eine ganze Reihe von Indikatoren, woran ich eine Krise betriebswirtschaftlich erkennen kann. Also Fazit: wenn man beizeiten ehrlich ist zu sich selber und zu seiner Firma, können viel Krisen abgewendet werden.

Wenn die Krise nun schon da ist, das wäre die zweite Phase, dann ist immer noch die Frage, ob ich unbedingt nach dem alten Muster - der Firma geht es schlecht, also muss ich Mitarbeiter entlassen – reagieren muss. Da finde ich das Beispiel der ÖBB, der Österr. Bundesbahnen sehr interessant, wo Entlassungen schon durch die Rahmenbedingungen kaum möglich sind. Hier hat man sich auf die Frage konzentriert,  kann ich Arbeit ins Unternehmen hineinholen? D.h. es wurde massiv Arbeit ins Unternehmen hineingeholt, z.B. in den Werkstätten. Das wäre eine positive und kreative Form der Krisenbewältigung.

In dieser Phase, in der Krise selbst ist Vertrauen schaffen das allerwichtigste. Vertrauen in den, der kommuniziert. Und dazu ist ganz wichtig und hilfreich, in der Krise etwas unerwartetes zu tun. Etwas, womit keiner gerechnet hat. Es gibt immer Möglichkeiten. Das kann wie im Fall von Philips sein, nicht nur einen Standort dicht zu machen, sondern sich im großen Stil und aktiv darum zu bemühen, ihre Leute woanders unterzubringen. Oder es könnte wie bei der ÖBB so ausschauen, dass gesagt wurde, ok, wir haben eine Krise, wir haben 5.000 Leute zu viel und dann unerwarteterweise zu sagen, wir wollen nicht die Leute loswerden, sondern etwas neues aufbauen und die Arbeit zu uns ins Unternehmen holen.

Die dritte Phase ist die Phase nach der Krise, die Erholungsphase. Die kommunikativ vielleicht wichtigste Phase überhaupt. Da ist der erste Schock, die erste Lähmung schon vorbei, das ist so eine Art Plateauphase, da werden intern Geschichten platziert, warum ist das ganze passiert, was wurde daraus gelernt, wie werden wir in Zukunft mit solche Situationen umgehen. Und in dieser Phase kann man für die nächste Krisensituation lernen, es passiert ein Aufarbeiten dessen, was war und sozusagen ein nachhaltiges Positionieren der Realität. Für mich ist das die entscheidende Phase in der Krisenbewältigung.

Vorbildhaft hat das meines Erachtens nach Mercedes gelöst mit der A-Klasse. Nach vielen anfänglichen Fehlern haben sie diese Phase dann sehr gut gemacht. Da gab es einen deutlichen Lernprozess. Sie haben unerwartet alle Autos eingezogen und gesagt, ‚wir bauen den neuen Stabilisator ein und zwar nicht nur in die A-Klasse, sondern in die anderen Modelle auch’. Am Anfang der Krise haben sie noch denkbar schlecht reagiert. Es gab ja deutliche Signale. Der erste Umfaller ist bereits sechs Wochen vor dem bekannt gewordenen Fall passiert. Da hat derjenige, der das evaluieren hätte müssen, nicht reagiert. Hätte man damals schon reagiert, wäre wahrscheinlich vieles vermeidbar gewesen. Das Nachbearbeiten der Krise, das Lernen, das Entwickeln von Konzepten ist das eigentlich Positive so einer Krise.

Nun hat ja in der Krise nicht jedes Unternehmen das Geld, um  noch großen Handlungsspielraum zu haben.

Das ist ja das Problem, dass die Karten häufig viel zu spät auf den Tisch gelegt werden und die Ehrlichkeit auch sich selbst gegenüber oft sehr zu wünschen übrig lässt. Viele der Unternehmen, die jetzt den 11. September zum Anlass und Vorwand nehmen, um noch schnell unangenehmes zu kommunizieren und aufzuräumen, überlegen sich viel zu wenig, wie sie dann weiter damit umgehen.

Auf Seite der Mitarbeiter ist es wichtig zur Kenntnis zu nehmen, dass lebenslange Jobs einfach nicht mehr existieren und dass mehrmalige Jobwechsel vermehrte Flexibilität und Kreativität erfordern. Gleichzeitig aber sollte es die erforderliche Kreativität auch auf Seite der Unternehmen geben. Denn selbst wenn Entlassungen notwendig sind, kann man sich mit den Leuten zusammensetzen und kreative Lösungsansätze entwickeln, wo und wie die wegrationalisierten Mitarbeiter neue Chancen bekommen könnten.

Warum funktioniert die Krisenkommunikation so selten? Man weiß ja mittlerweile, wie entscheidend gute Krisenkommunikation ist.

Weil viele Manager - auch wenn sie ihre Unternehmen noch so modern führen – bei der externen und internen Kommunikation immer noch denken, am besten ich sage gar nichts, dann kann nichts passieren. Diese Rückzugsvariante ist immer die schlechteste. Oft haben die Verantwortlichen schlicht Angst, offen zu kommunizieren, was Sache ist. Es ist wirklich alles andere als lustig und behaglich. Es ist aber eben gleich wesentlich weniger angstbesetzt, wenn ich als Manager im Vorfeld schon drei Schritte weiterdenke und mir überlege, was tue ich, damit ich aus dieser unangenehmen Situation für die Leute und das Unternehmen noch etwas positives heraushole?

Da scheint es an Ideen zu fehlen

Ja. Es ist ihnen so schrecklich, das durchführen zu müssen und so unangenehm, dass sie über diese erste Schwelle gar nicht hinausdenken. Ich könnte mir als Manager auch sagen: Wir werden jetzt diese Krise wegweisend und vorbildhaft anpacken. Wir werden z.B. mit Beratern gemeinsam analysieren, was für ein Potential an Mitarbeitern ist das, das wir abbaune müssen. Was haben die für Ausbildungen, und was gibt es für Möglichkeiten im Rahmen von neuen Firmen, neuen Geschäftsfeldern, von Management Buy outs, etc. um diese Mitarbeiter so unterzubringen, dass sie abgesichert sind für einen neuen Lebensabschnitt? Für diese Phase des Lebens, wenn eine Anstellung  zu Ende geht und man noch nicht genau weiss, wohin es weiter gehen soll, gibt es ja bereits durchaus kreative Lösungen, spezielle Coachings, Orientierungshilfen usw.

Was unterscheidet einen guten Krisenmanager von anderen Managern? Was macht er anders?

Erstens ist eher sehr intelligent, aber das sind viele andere auch. Aber bei einem guten Krisenmanager paart sich Intelligenz mit Angstfreiheit, Krisenmanager sind mutige Menschen. Das sind Leute, die vor Problemen nicht davonlaufen, sondern die auf das Problem mit aufgekrempelten Ärmeln zugeht. Außerdem haben die besten Krisenmanager eine Fähigkeit, die selten ist: Sie können in 10, 20 , 30 Jahres-Intervallen denken. Sie können sich mit einer Firma, einer Branche so auseinandersetzen, dass sie Ihnen sagen können, wie die Firma in 10, 20 Jahren aufgestellt sein wird oder sein könnte. Intelligenz, Mut und Kreativität ist eine seltene Paarung.

Was sind konkrete Instrumente zur Gestaltung der internen Kommunikation?

Trotz aller neuen Medien wie Internet oder Intranet, die höchste Glaubwürdigkeit hat immer noch das gesprochene Wort. Und da kann man was von der Gewerkschaft lernen. Kennen Sie das Prinzip der 20, nein? Also angenommen die Gewerkschaftsspitze hat eine Informationen weiterzugeben, z.B. übermorgen wird gestreikt. Jeder ruft 20 Genossen an und sagt diesen einen Satz, von den 20 ruft wieder jeder 20 weitere Personen an und so weiter. Auf diese Art können Sie bei einem Unternehmen von 50.000 Mitarbeitern innerhalb von sieben Stunden eine Information an alle Mitarbeiter verteilt haben. Das funktioniert perfekt.

Wenn man es sich leisten kann, was leider nur wenige können, ist Firmenfernsehen eine tolle Möglichkeit, es hat eine hohe Glaubwürdigkeit. DaimlerChrysler macht das sehr gut, auch die damalige Bayrische Hypotheken und Wechselbank hatte damit begonnen. Jeden Tag in der Früh hatten die von dreiviertelacht bis acht eine Livesendung über aktuelle Meldungen und aktuelle Produkte, und dann noch einmal von 16.00 bis 16.20, mit Diskussionen. Das hat damals ernorm eingeschlagen und die interne Kommunikation auf ein neues Niveau gebracht.

Nun geht ja die erste Phase, wo man noch gegensteuern könnte, meistens vorbei, ohne dass viel passiert. Und „plötzlich“ ist dann die Krise da.

Ja, dann sollte man zumindest die Phase nach der Bewältigung der Krise nützen, einen Lernprozess zu initiieren, damit die Krisensignale beim nächsten Mal entweder rechtzeitig erkannt werden – welche Signale haben wir diesmal übersehen und warum – damit die Krise gar nicht stattfindet oder zumindest besser bewältigt werden kann.

Entscheidend ist, dass es gelingt, das Wort Krise positiv zu besetzen, indem man klarmacht dass sie eine Chance ist für eine positive Veränderung. Man sollte Beispiele sammeln, wo haben wir Krisen und Probleme bereits positiv bewältigt, wie hat sich das für die betroffenen Leute danach ausgewirkt und das dann auch prominent kommunizieren. Denn Angst erzeugt Lähmung, auch kreative Lähmung. Diese Angst zu nehmen, ist eine der wichtigsten Ziele einer guten Kommunikationsstrategie.

Mitarbeiterabbau ist ja nur eine Form, mit Krise umzugehen. Um das zu vermeiden, müsste ich aber rechtzeitig andere Konzepte haben. Die sind aber dünn gesät.

In der Krise gibt es noch eine wichtige Strategie, die man zusammengefasst so beschreiben kann: Man muss sich die nötige Zeit zum Nachdenken nehmen. Hektische Aktivitäten sind meistens kontraproduktiv. Das wichtigste ist da, dass die Manager selbst ihre Angst ablegen, sonst können sie nicht kreativ sein und Mitarbeiter um sich scharen, mit denen sie positive Lösungsansätze finden. Ich denke, es ist die Verantwortung eines Managers, um einiges weiter zu denken.

Erstens gehört es nun einmal auch zu den Aufgaben eines Managers, unangenehme Botschaften zu vermitteln. Wenn sie es nicht können, gibt es zum einen ausreichende Möglichkeiten, sich da ein Instrumentarium anzueignen, wie gehe ich damit um. Zum anderen zwingt sie niemand, Manager zu sein. Da habe ich kein Mitleid. Wenn ein Manager schon schlechte Nachrichten zu vermitteln hat, dann gehört auch die ethische Dimension dazu zusagen, ich geh mit euch ein Stückchen mit und helfe euch, eine neue Perspektive zu finden. Wenn der aber schon so dasteht, dass er ausdrückt, dass das ganze eine Katastrophe ist, aus der es kein Entrinnen gibt, dann ist er da falsch.

Er kann ja auch sagen: ‚So ist es, diesen Arbeitsplan habe ich entwickelt; wird werden jetzt fünf Kollegen ermitteln, die da die neuen Arbeitsgruppen leiten werden; ich habe da schon Hilfe organisiert; morgen findet das und das statt; wir werden da was auf die Beine stellen; die Personalvertretung hat das auch bereits abgesegnet.’ Dann schaut das ganz anders aus als wenn er dort nur mit hängenden Schultern steht und sagt, ‚es tut mir unendlich leid, 1000 Leute müssen gehen, Auf Wiederschauen.“

Natürlich gibt es diese emotionalen Wellentäler, wo man Wut und Enttäuschung empfindet, aber irgendwann gilt es dann, die Ärmel aufzukrempeln und wieder aktiv zu werden. Und da kann man psychologisch sehr viel machen. Und wie schon gesagt: Je stärker die Krise, desto stärker brauche ich einen Bruch in der Kommunikation. Es ist immer schlecht, mehr vom selben zu bringen. Es muss ein Aha-Effekt da sein. Damit ist dann auch die heiße Phase zu Ende. Einer der besten Krisenmanager ist der Bürgermeister von New York. Wie sich der in einer Zeit höchster Verunsicherung vor die Kameras hingestellt und offen und ehrlich kommuniziert hat, das war unglaublich. Das war Krisenmanagement auf höchstem Niveau.

12.2001

* Zur Person: Dr. Viktoria Kickinger war Leiterin der internen Kommunikation bei den Österreichischen Bundesbahnen, Leiterin des Bereichs Krisenkommunikation bei der Firma Publico, Unternehmenssprecherin der ÖIAG und leitet seit dem Frühjahr 2004 den Bereich Kommunikation bei der Österreichischen Post AG.

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