Komplex, komplexer, Krankenhaus

Die klassische Krankenhausstruktur mit ihren parallelen Hierarchien im medizinischen, Pflege-, Technik-  und Verwaltungsbereich macht es den Mitarbeitern nicht gerade leicht, den Patienten in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Das Landeskrankenhaus Villach begann bereits Mitte der 90er-Jahre mit dem Aufbau hierarchie-, abteilungs- und berufsgruppenübergreifender Kommunikationsnetzwerke, die einige Jahre später im "Villacher Modell des patientenorientierten Qualitätsmanagements" gipfelten.

Blickt man mit etwas Zeitabstand auf den Beginn von Veränderungsprojekten zurück, dann verwundert es immer wieder zu sehen, wie scheinbar kleine, vereinzelte Impulse – noch dazu an ganz unterschiedlichen Ecken im Unternehmen – hoch dynamische Entwicklungen auslösen können und zu Ergebnissen führen, die – hätte man sie zu Beginn geplant – so kaum erreicht worden wären.

Im Landeskrankenhaus Villach kamen 1995 drei solcher Auslöser zusammen. Der erste Impuls bestand im Wunsch des Pfelebereichs, die bisherige Form der Besprechungen zwischen erster und dritter Ebene, d.h. Pflegedirektorin und Stationsleiterinnen, auf eine neue Basis zu stellen. Schon allein aufgrund der Gruppengröße hatten diese Meetings damals eher den Charakter von Verlautbarungen und Befehlsausgabe als den eines tatsächlichen Austausches und Dialogs und verliefen daher für alle Beteiligten unbefriedigend. Daher beauftragte die im Jahr 1994 neu bestellte Pflegedirektorin Kornelia Fiausch damals den Trainer Mag. Mario Petschniker mit einer Neuorganisation dieser Besprechungen.

Wichtig, aber unattraktiv

Neben dieser Unzufriedenheit mit dem Besprechungswesen gab es im Pflegedienstbereich einen weiteren Impuls in Form eines drängenden Problems, das es zu lösen galt: die zunehmenden Schwierigkeiten bei der Nachbesetzung von Stationsleitungen – der Schlüsselposition für das Funktionieren des Krankenhausbetriebes. Das mangelnde Interesse an dieser Managementposition ist leicht nachvollziehbar, denn nicht nur bekommen die Stationsleiterinnen in dieser höchst unbedankten „Sandwich Position“ ständig Druck von allen Seiten, von den Patienten ebenso wie von Angehörigen, Schwestern und Ärzten, zu allem Überfluß verdienen sie in dieser Managementfunktion auch noch weniger als ihre Mitarbeiterinnen, da ihnen durch den Wegfall der Nachtdienste ein erheblicher Einkommensbestandteil wegbricht. Bei einer von Petschniker initiierten Befragung „was glauben Sie, warum finden wir für die Nachbesetzung keine Leute?“ kamen daher auch schnell all die Themen auf den Tisch, die den Stationsleiterinnen seit langem unter den Nägeln brannten.

Die Lösung bei der Probleme bestand darin, die bisherigen Besprechungen mit der Pflegeleitung einzustellen und statt dessen auf Ebene der Stationsleitungen vier abteilungsübergreifende Arbeitsgruppen zu bilden, die sich von nun an monatlich zu moderierten 2-3 stündigen Sitzungen treffen sollten. Zu bearbeitender Inhalt: „Was braucht die Funktion Stationsleitung, um ihre Arbeit gut machen zu können?“

Netzwerke für direkte Kommunikation

Ganz oben auf der Forderungliste der Stationsleiterinnen stand – wie könnte es anders sein: „Wir brauchen mehr und bessere Informationen!“ Genau dafür erwiesen sich die neuen Arbeitsgruppen als ideale Plattformen, indem sie abteilungsübergreifende und direkte Kommunikationswege schufen und so ergänzend zur Hierarchie neue vernetzte Kommunikationswege etablierten. Wolfgang Deutz, der zusammen mit dem im vergangenen Jahr jung verstorbenen Mario Petschniker die Personal- und Organisationsentwicklung im LKH aufbaute: „Bei Computerproblemen beispielsweise hatte sich die Stationsleitung bis dahin an die Oberschwester gewandt, die ging zur Pflegedirektorin, die redete mit dem Verwaltungschef, der mit dem EDV-Leiter und dann ging das den ganzen Weg zurück. Bei Einrichtung der Gruppen hieß es nun: Wenn ihr ein EDV-Problem habt, geht nicht zur Oberschwester, sondern holt euch den EDV-Leiter direkt in die Arbeitsgruppe! Je nach Informationsbedürfnis konnten die einzelnen Arbeitsgruppen aufgrund dieser neuen Regel also direkt auf die zuständigen Informations- und Entscheidungsträger zugreifen.“

Am Ende des Probejahres wurde mit den vier Gruppen eine zweitägige Klausur abgehalten, um die bisherigen Erfahrungen auszuwerten. Nicht sehr überraschend zogen sie diese Form der Besprechung der alten vor und vereinbarten für ein weiteres Jahr: monatliche Treffen mit Moderator; im Frühjahr und Herbst jeweils ein Informationstag, an dem Infos von anderen Abteilungen oder Berufsgruppen eingebracht werden, die für die Arbeit der Stationsleitungen von Interesse sind (z.B. EDV, Qualitätssicherung, Krankenhausfinanzierung, etc). Zu diesen Tagen werden auch der Personalchef und der Betriebsrat eingeladen. Und einmal im Jahr ein Treffen der inzwischen  sechs Arbeitsgruppen (die fünfte umfasst die Physiotherapeuten, die sechste Gruppe alle Stabstellen in der Pflege wie Sozialarbeiter, Diätassistentinnen, etc) zu einer Klausurtagung für zwei Tage.

Schon im ersten Jahr begannen die Arbeitsgruppen, unterstützende Weiterbildungsmaßnahmen einzufordern, die ihnen auch gewährt wurden, allerdings wieder unter Respektierung der Hierarchie. Die Entscheidung über Teilnahme und Freistellung bleibt bei der jeweiligen Oberschwester, was durchaus unterschiedlich gehandhabt wurde und wird.

Ausstrahlungseffekte

Der Effekt dieser Maßnahmen ließ nicht lange auf sich warten, denn je höher Informationsstand und Wissen der Stationsleiterinnen in Bezug auf die für ihre Arbeit relevanten organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Themen wurden, desto selbstbewußter und selbständiger agierten sie auch. Und dementsprechend unruhig wurden auch die Oberschwestern und Primarii. Mitentscheidend in dieser Phase war daher die klare Haltung der Krankenhausleitung, um den mitunter heftigen Querschüssen Paroli zu bieten. Ganz im Sinn der Erfinder war dagegen der langsam erwachende Neid der anderen Berufsgruppen (Ärzte, Verwaltung): „Warum gibt es diese Gruppen eigentlich nur im Pflegebereich? Wir wollen das auch! Ausserdem wollen wir auch Weiterbildungsmassnahmen.“

Statt aber nun ein großes Bildungsprogramm auszurollen, bot man den Medizinern nur eine beschränkte Zahl an Plätzen bei bereits für den Pflegebereich konzipierten Seminaren. Der Effekt war, dass seitdem viele Seminare interdisziplinär durchgeführt werden. der kleine, aber feinen Unterschied: Während diese Durchmischung (verschiedene Berufsgruppen, verschiedene Hierarchiestufen in einem Seminar) im LKH Villach durch aktives Betreiben der Mitarbeiter passierte, wehren sich diese Berufsgruppen in vielen anderen Krankenhäusern aufgrund des häufig erhobenem Zeigefingers („die Kommunikation und Zusammenarbeit von Ärzten und Pflegedienst gehört dringend verbessert“) bis heute gegen Teamtrainings.

Der neue Weg

Die kollegiale Führung, bestehend aus medizinischem Leiter, Verwaltungsdirektor und Pflegedirektorin, geht in Bezug auf direkte Kommunikation mit gutem Beispiel voran. Jeder der rund 1500 Mitarbeiter bekommt im Herbst eine Einladung zu einer Veranstaltung namens „der neue Weg“, kann sich dann bei einem der etwa 20 möglichen Termine anmelden und sitzt bei dieser Veranstaltung dann 2-3 Stunden dem Direktorium gegenüber, welches ihm schildert, wie das Jahr für die Organisation verlaufen ist, was sich an relevanten Veränderungen im Umfeld des Krankenhauses abspielt, welche Auswirkungen das hat und was im nächsten Jahr alles geplant ist. Die restliche Zeit ist für Fragen und Anregungen reserviert und bietet so jedem Mitarbeiter die Möglichkeit, abseits des Dienstweges all das loszuwerden, was man „denen da oben“ schon lange einmal sagen wollte. Nach eher verhaltenem Start, bei dem die Leitung aber durch Vorsicht bei ihren Versprechen (nur das versprechen, was auch sicher gehalten werden kann!) hohe Glaubwürdigkeit gewonnen hat, erfreut sich diese Form des ungefilterten Informationsaustausches heute hoher Beliebtheit.

Qualität aus Sicht der Patienten

Der dritte Auslöser, ebenfalls Mitte der 90er-Jahre, war die vom medizinischen Leiter vorangetriebene Einführung des Qualitätsmanagements, aus dem sich viele weiterführende Projekte entwickelten, wie etwa spezielle Zertifizierungen, regelmäßige benchmarks mit weltweit führenden Kliniken wie der John Hopkins-University und ein eigener Risk-Management-Prozess (wie hat das Krankenhaus zu reagieren, wenn etwas passiert? Wie laufen die Informationsketten?).

Während die Kommunikationsnetzwerke durch die direkten Kontakte über die Berufsgrenzen hinweg zu spürbaren Klimaverbesserungen führte, bildete das Qualitätsmanagement den passenden Rahmen zur Veränderung eher struktureller, ablauforganisatorischer Probleme. Bisher stattgefundene Qualitätszirkel, bei denen immer alle für eine Lösung notwendigen Berufsgruppen und Entscheidungsträger eingebunden werden, beschäftigten sich u.a. mit Themen wie: Abgabe von Medikamenten an ambulante Patienten und Verrechnung mit Sozialversicherungen; Optimierung des Arbeitsablaufes an der Chirurgischen Abteilung; Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen der Kinderstation und der Kinder-Intensiv-Station; Reparaturanforderungen und deren Ausführung oder Essenszustellung an der Medizinisch-Geriatrischen Abteilung.

Manager in Weiß

Einfache Fragen können da mitunter weitreichende Konsequenzen haben. So dürfte zwar jeder Schwester aber keineswegs jedem Arzt klar sein, dass sich die meisten Abläufe auf den Stationen nicht primär an den Bedürfnissen der Patienten orientieren, sondern am Zeitpunkt der Visite. Deren Zeitpunkt wiederum hängt gar nicht so selten mit den Ordinationszeiten diverser Privatpraxen der Primarii und Oberärzte zusammen. Im Klartext heisst das: Wann immer jemand im Krankenhaus im Zuge der „Patientenorientierung“ über veränderte Abläufe nachdenkt, stößt er über kurz oder lang auf den Einwand: „Das geht nicht wegen der Visite.“ Was nun über Jahrzehnte ein absolutes Tabuthema war, wird aber spätestens dann besprechbar, wenn wie im Fall des LKH Villach Abteilungsbudgets mit gemeinsamer Budgetverantwortung von Primar und Oberschwester eingeführt werden und die von Jahr zu Jahr verbesserte Kostentransparenz solche Kostentreiber ins Blickfeld bringt.

Ebenso wie die dadurch natürlich auch stark steigenden Anforderungen an die Managementqualifikationen der Oberärzte und Primarii, die unter der neuen Rahmenbedingung gekürzter bzw. eingefrorener Mittel aufgerufen sind, unnötige Wartezeiten und Doppelabläufe zu vermindern, entgegen bisherigen Abteilungsegoismen (Das ist mein OP!) OP-Auslastungen zu optimieren und generell ablauforientierten Fragestellungen wesentlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken als früher.

Es ist schon verblüffend, welch ungeahnte Folgewirkungen eine neue Besprechungsregelung haben kann. Finden Sie nicht?

03.2001

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