"Führen ist eine kollektive Leistung"

Prof. Dr. Rudolf Wimmer über Führen als unmögliche Aufgabe und die Voraussetzungen einer zielführenden Managementausbildung

Was heißt professionelles Management?

Man kann Management nicht denken, ohne ein bestimmtes Bild von Organisation im Kopf zu haben. Ein mögliches Verständnis ist, dass Organisationen Instrumente sind, die man nur gut nutzen kann, wenn Leute da sind, die der Organisation Ziele setzen. Daran schließt sich wieder die implizite Annahme: Die Ziele werden nicht realisiert, wenn nicht jemand dahinter ist, der das genau plant, Zwischenziele setzt und entsprechende Kontrolleinrichtungen und -verfahren schafft, die Rückmeldung geben, ob die Ziele erreicht wurden oder nicht. Da steckt ein sehr instrumentelles Organisationsverständnis dahinter - das ist aber nicht ausgesprochen. Doch jede dieser Schwerpunktsetzungen, worum es im Management geht, transportiert ausgesprochen oder unausgesprochen ein ganz bestimmtes Organisationsverständnis mit.

Was muß jemand, der Manager wird, nun eigentlich können?

Ein bestimmtes Verständnis von sozialen Systemen, bezogen auf Organisationen, sagt auf die Frage, was Manager eigentlich tun: Sie beschäftigen sich mit Steuerungsfragen und der Beeinflussung von etwas, das nicht gezielt beeinflussbar ist. D.h. Sie sind bemüht, gezielte Wirkungen zu erzeugen in einem sozialen System, wo das nicht geht. Wo das, was herauskommt, nicht wirklich prognostizierbar ist und man die Parameter, die man beeinflußt, nicht wirklich im Griff hat, geschweige denn, dass man sie alle sieht und diagnostisch durchschauen würde.

Auch auf der Ebene der Organisationsmodelle streiten die Leute, welches das Passende ist. Insofern gibt es keine allgemeingültige Antwort, sondern nur verschiedene Modelle?

Ja, die klassische BWL etwa bemüht sich, Unternehmen nach rationalen, wirtschaftliche Prozesse optimierenden Gesichtspunkten zu konstruieren. Da kommt man zu einem Organisationsverständnis, das dem Zweck-Mittel-Denken gewidmet ist: Manager setzen dem Unternehmen Ziele und dann haben sie Instrumente zur Hand, um das auch in die Tat umzusetzen. Das Wunderbare an dieser Denktradition ist, dass man, wenn etwas nicht funktioniert, relativ leicht sagen kann, woran es liegt. Man kann sozusagen wie bei einer Maschine hineinschauen und sagen: "Aha, dieser Teil ist kaputt. Wenn Sie ihn auswechseln, dann läuft es wieder." Entweder die Mitarbeiter spielen nicht entsprechend mit, oder die Führungskräfte haben das Know-How nicht. Also lässt man sie schulen oder tauscht sie aus, aber am Denkkonzept wird nicht gerüttelt.

Solche Modelle sind hoch attraktiv, weil sie die Leute einladen, Komplexität so weit zu reduzieren, dass man sich wieder halbwegs auskennt und weiss woran man ist. Natürlich produziert das eine entsprechende Reparaturmentalität und ein Eingriffsverhalten, das die Probleme meist nur verschärft. Aber das ist schon wieder ein Beschreibungsmodell, das auf einem alternativen Denkkonzept beruht.

Aber dieses Modell hat doch längere Zeit ganz gut funktioniert.....

Das Bedürfnis nach solchen Denkkonzepten und solchen Orientierungshilfen ist ungebrochen und deshalb sind Managementkonzepte, die hier klar sagen, "wir wissen wie es geht" hoch attraktive Botschaften. Sie versprechen "Ihr braucht euch nur daran zu halten und jeder, der bereit ist, sich auf diesen Job einzulassen, kann das auch lernen. Er muss sich nur entsprechend anstrengen und in die entsprechenden Managementkurse gehen." Und je verunsicherter die Manager durch entsprechende Veränderungsdynamiken werden, desto attraktiver werden solche Botschaften. Bei sehr techniknahen Routinen kann dieses triviale Steuerungsverständnis ja wirklich angesagt sein. Deshalb kann man es nicht einfach generell zur Seite schieben.

Führung konzentriert sich in ihrem Geschäft auf die Sorge um die Überlebensfähigkeit des jeweiligen Ganzen, der jeweiligen Überlebenseinheit. Das kann eine Abteilung sein oder das Gesamtunternehmen. Die Arbeitsteilung der Hierarchieebenen, die Funktion von Hierarchie, lässt sich darüber ganz gut definieren. Denn die Überlebensfragen einer Abteilung sind andere als die einer Business-Unit, die unternehmerisch am Markt agiert. Und die Überlebensfragen einer Konzerns sind wieder andere als die einer Business-Unit. Trotzdem hängen alle eng miteinander zusammen. Und jede Führungsebene konzentriert sich auf die zentralen Überlebensfragen ihres Verantwortungsbereichs, wobei sich die Einheiten einander jeweils in ihren Kontexten definieren. Die Business Unit schaut darauf, dass die Subeinheiten Rahmenbedingungen bekommen, damit die optimal funktionieren können etc. Damit wird deutlich, dass Hierarchie neu definiert wird, nicht als Durchgriffsrecht, als Weisungskette, wo eine Entscheidung an die Basis durchplumpst, sondern es geht um Aushandlungsprozesse in Hinblick darauf, wie die einzelnen Überlebenseinheiten ihre Rahmensetzungen definieren.

Das würde ein bestimmtes Managementverständnis voraussetzen...

Die Grundproblematik ist, dass die Organisationsarchitektur Komplexitäten geschaffen hat, die mit der herkömmlichen Führungsmentalität nicht mehr steuerbar sind. D.h. wir haben in den meisten Organisationen inzwischen Organisationszustände, zu denen die herkömmliche Steuerungslogik nicht mehr passt. Während man früher im besten Fall etwas gesagt hat und das dann weitgehend ausgeführt wurde, passiert heute vielleicht gar nichts oder das genaue Gegenteil. Oder es entstehen massive Konflikte und Auseinandersetzungen, oder es dauert viel länger als man es geplant hatte. Das schafft ein hohes Maß an Verunsicherung. Das lösen die einen durch Verschärfung der alten Verständnisse: "So schwer kann das doch nicht sein, das kann man doch lernen,  man muss nur die Planungsregelkreise richtig implementieren und Zielvereinbarungsgespräche durchsetzen und dann marschieren die schon." Die Perfektionierung der Trivialisierung - das ist die eine Tendenz am Markt, die man beobachten kann. Da hilft übrigens die Technologie sehr, weil sie die Illusion stärkt, wenn man nur die richtigen EDV-Tools hat, dann können die Leute nicht aus. Sie stärkt die Illusion von Beherrschbarkeit und Kontrollierbarkeit.

Mit solch einem trivialen Verständnis kann ich aber nur arbeiten, wenn die anderen Führungskräfte und Mitarbeiter im wesentlichen auch in dieser Mentalität leben, wenn das also mit den Führungsstrukturen korrespondiert, in denen gehandelt wird, wenn das der Wahrnehmung der Mitarbeiter entspricht. Es ist ganz wichtig zu sehen, dass die Führungsleistung eines Einzelnen, egal auf welcher Ebene, zutiefst abhängig ist vom sozialen Umfeld, das das ermöglicht oder verunmöglicht. Wir neigen dazu, Führung als Leistung einer Person zu beschreiben, und dort im Positiven wie Negativen zu verorten - hat sie Erfolg oder Mißerfolg? - und sehen viel zu wenig, dass die Wahrnehmung dieser Führungsfunktionen eine kollektive Leistung ist.

Wie kann ich Führen nun lernen?

Das Führungsgeschäft zu erlernen geht im Grunde genommen nur on the job. Know-how über Führung ist nicht auf Halde entwickelbar. Führung lernt man dadurch, dass man führt und darüber reflektiert. Viele gute Führungskräfte haben schon früher in sozialen Kontexten agiert, wo sie ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil ausgeprägt und ein gewisses Gespür entwickelt haben, wie man sich in sozialen Situationen bewegen kann. Wenn man Manager unterstützen will, ist es günstig, jobbegleitend ein Lernsetting zu bauen, wo man genau das, was man im Alltag erlebt, in geschütztem Umfeld reflektieren und dort üben kann. Durch Fallbearbeitung, Planspiele, Simulationen. Dann geht man wieder ins Geschäft zurück, probiert, beobachtet und wertet wieder aus. Das sind meines Erachtens nach die erfolgversprechendsten Lernarchitekturen.

Managementausbildung ist Trockentraining. Damit habe ich noch kein wirkliches Handwerkszeug, um in der Praxis zu bestehen, weil eben das Führungsgeschäft das Handhaben hochkomplexer sozialer Einheiten ist, die nicht wirklich steuerbar sind. Da steht man dann plötzlich drinnen und fragt sich, was man jetzt tun soll. Das setzt Erfahrung voraus, reflektierte Erfahrung und die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, um mit soviel Unsicherheit gut umgehen zu können. Denn als Führungskraft bin ich selbst mein wichtigstes Instrument.

Gibt es nicht so etwas wie Basisanforderungen, die Jeder lernen kann?

Da ist eine Prämisse drinnen, die nicht zutreffend ist: Eigentlich müsste das Jeder erlernen können. Was viele Proponenten dieses Gedankens unterschätzen, ist, dass das Führungsgeschäft ein Geschäft ist, wo ich viel stärker als bei handwerklichen Tätigkeiten oder technischen Problemlösungsanforderungen meine Persönlichkeit als Instrument brauche, d.h. das Geschäft des Führens ist viel mehr an persönliche Voraussetzungen gebunden als das beispielsweise der gute Fredmund Malik annimmt. Wenn die fehlen, dann nutzt es nichts, wenn ich weiß, wie Ziele zu formulieren sind oder wie ein Planungskreislauf ausschaut. Wenn ich nicht in der Lage bin, ein Gespräch konstruktiv zu führen, dann nützen mir auch die besten Leitfragen nichts. Die These ist: Wenn die Person bestimmte Anlagen nicht mitbringt, kann man sie hundertmal durch Führungstrainings schicken, sie wird trotzdem eine ganz lausige Führungskraft bleiben.

Geht das nicht wieder in Richtung Eigenschaftsmodelle, ideale Führungskraft?

Die Grundthese ist schon, dass wir unterschiedliche Begabungen haben und wenn eine bestimmte Grundausstattung nicht da ist, dann plagen sich die Leute. Da, wo ein Minimum an persönlicher Begabung da ist, werden Investitionen in die Weiterqualifizierung, wenn sie gut gemacht ist, ihre Wirkung nicht verfehlen. Wenn sie aufgabennah gemacht werden und wenn die Lernarchitektur stimmt. Es wird heute aber viel investiert in Seminare, die rein kognitiver Natur sind. Man sagt den Leuten, was zu tun ist und gibt ihnen Unterlagen an die Hand, wo sie nachlesen können. Diese Art Lernarchitektur bewirkt - nichts! Da sind die Leute zwar vielleicht begeistert, aber mit ein bißchen Abstand haben sie nichts mehr zur Verfügung, weil es eine Lernarchitektur ist, die unterstellt, dass über schlichte Wissensvermittlung Führungskompetenzen vermittelt werden können. Man kann Leute begeistern und beeindrucken, aber sie lernen so nicht führen. Der Happiness Index mag hoch sein, aber die Wirkung ist Null.

Es gibt viel zu begreifendes Know-how, aber ob ich damit im Alltag operiere, ist über kognitives Lernen nicht zu lösen. Da brauche ich innere Sicherheit und dazu muss ich es ausprobiert haben, muss die Erfahrungen ausgewertet haben, muss in meinem Umfeld einen Prozess generieren, wo genau diese Vorgehensweisen dann zum selbstverständlichen miteinander Tun werden. Führen ist ein Geschäft mit hohen persönlichen Anteilen, ein unmöglicher Beruf mit der unmöglichen Aufgabe, Wirkungen gezielt zu erzeugen, die ich nicht gezielt kontrollieren und erzeugen kann. So ein Geschäft kommt ohne Reflexion nicht aus.

 

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