Karriere Interruptus

Die eigenen Berufs- und Karrierepläne plötzlich durchkreuzt zu sehen, trifft heute Manager im selben Maße wie ihre Mitarbeiter. Wer anstatt nach oben zu klettern, plötzlich draußen steht, die früher so spannenden Aufgaben nur mehr frustrierend findet und neben beruflichen auch noch gesundheitliche oder private Probleme bekommt, steht vor der Aufgabe, eine neue Lebensperspektive zu entwickeln.

In den 70er- und 80er-Jahren bezog sich der Ausdruck mid-life-crisis  vor allem auf Männer in den Vierzigern, am Zenit ihrer Karriere, die die Sinnkrise packte. Wesentlicher Bestandteil war das häufig artikulierte Gefühl der Langeweile in Beruf und/oder Beziehung („War es das schon? Das kann doch noch nicht alles gewesen sein“) und der Wunsch, „die Fesseln zu sprengen und auszubrechen“. Den Begriff der mid-life-crisis gibt es nach wie vor, neuerdings ergänzt um die quarter-life-crisis und die later-life-crisis. Doch der Bedeutungsinhalt ist ein völlig anderer geworden. Statt von Langeweile ist nun die Rede von Burnout, Überlastung, Karriereknick und der Angst, zu scheitern oder ausgebootet zu werden. Fehlte in den früheren, stabileren Verhältnissen angesichts eingeschliffener Routinen manchem der nötige Kick, wird heute gekickt und aufs Tempo gedrückt, dass vielen Angst und Bange wird und die Luft auszugehen droht.

Verbaute Perspektiven

Quarter-, mid- oder later life crisis - alle drei Begriffe stehen für Umbruchsphasen. Für potenzielle Krisen, die im Leben des Einzelnen heute früher, häufiger und heftiger passieren als noch vor ein, zwei Jahrzehnten. Der New-Economy-Boom etwa führte wie im Zeitraffer vor, wie eine ganze Generation junger, dynamischer High-Flyer in kürzester Zeit die Karriereleiter hinauf raste, mit hohen Gehältern und noch höheren Boni belohnt wurde und kurz darauf – oft noch vor Erreichen des 30. Geburtstags – mit lautem Knall wieder am Boden aufschlug. Viele eben noch von Erfolgen verwöhnte Berufseinsteiger mussten sich in kurzer Zeit oft mehrmals neu orientieren und die eigenen Lebenspläne komplett überarbeiten.

Diese Anforderung häufiger Neuorientierung durchdringt nach Ansicht des deutschen Beraters Dr. Laurenz Andrzejewski (s.a. Interview auf Seite ..), der Unternehmen dabei unterstützt, eine neue Trennungskultur zu etablieren, bereits alle Alters- und Berufsgruppen: Plötzlicher Jobverlust, obwohl eben noch der nächste Karriereschritt winkte, Angst vor drohendem Jobverlust, Versetzungen oder Kompetenzverlust im Zuge von Umstrukturierungen, ständige Mehrarbeit, zunehmende Konflikte und Grabenkämpfe, sich verschlechterndes Betriebsklima, ständiger Zeit- und Termindruck – die Anlassfälle, um ins Grübeln zu kommen, sind vielfältig. Bei einer wachsenden Zahl von Managern und Mitarbeitern sinkt die Halbwertszeit bisheriger Berufs- und Lebenspläne rapide und damit die Fragen drängend: „Wie soll es weitergehen? Wohin will ich denn überhaupt?“

Stabilität ist ein junges Konzept

Was diese Phasen der Neuorientierung so krisenanfällig macht, ist ein eigentlich sehr junges, erst seit Ende des 2. Weltkrieges dominierendes Weltbild, das im Arbeitsleben eine Stabilität und Sicherheit vorgaukelt, welches mit der heutigen gesellschaftlichen und betrieblichen Realität kaum mehr etwas gemeinsam hat. Das Ende bürokratischer Organisationen und damit einhergehender lebenslanger Jobs und planbarer Karriereschritte erschüttert auch das zugehörige Bild einer an sich stabilen Organisation, die von Zeit zu Zeit Veränderungen vornimmt, um sich dann wieder in einem nun neuen Zustand der Stabilität einzuschwingen. Stabilität gilt hier als Norm, Veränderung als Ausnahme. Diese Erfindung großer Unternehmen und öffentlicher Institutionen, die Idee von Planbarkeit und Sicherheit mit dem Versprechen von Arbeit unter stabilen Bedingungen ist heute kaum mehr leistbar.

Auch wenn das vielen von uns kognitiv klar ist, wirkt dieses Stabilitäts-Bild als Sehnsucht doch tief in uns nach: Das Unternehmen sorgt für uns, solange wir gute Arbeit leisten, im Notfall sorgt der Staat für uns, und im Privatbereich kümmert sich ebenfalls jemand um unsere Bedürfnisse. Nur – all diese Zonen der Sicherheit sind längst gehörig durchlöchert. Der Staat schränkt seine Leistungen ständig ein, die Unternehmen kümmern sich primär ums eigene Überleben (oder exzessiv um die kurzfristige Gewinnmaximierung) und stabile, langjährige Freundschaften und Beziehungen (deren Pflege mehr Zeit bräuchte, als es die „anspruchsvolle“ Arbeit zulässt) sind alles andere als selbstverständlich geworden.

Darf  man Hilfe brauchen?

Misslingt nun unter solchen Rahmenbedingungen die Schnelllösung in Form eines nahtlosen Funktions- oder Jobwechsels, somit das „Weitermachen wie bisher“, dann naht, so die Erfahrung Andrzejewskis, die Krise schnellen Schrittes. Man steht unter Schock, wird von Existenzängsten geplagt und sieht sich genötigt, innezuhalten, sich neu zu Be-Sinnen und eine bewusste Wahl zu treffen über die Richtung, in die man weitergehen will. Ob End-Zwanziger, End-Dreißiger oder End-Vierziger, sie alle eint inzwischen die Erfahrung: Schon morgen kann alles ganz anders sein. Auf abrupte Bremsungen die passenden Antworten zu finden, braucht aber seine Zeit - und geeignete Gesprächspartner. Denn nur den Wenigsten gelingt es, alleine mit sich selbst ins Reine zu kommen.

Benötigt werden in dieser Phase Menschen, denen man vertraut, die einem zuhören, Fragen stellen, um den eigenen inneren Klärungsprozess voranzutreiben, statt gleich mit Lösungen und Ratschlägen aufzuwarten, die oft mehr verwirren und die Resignation vergrößern als zu helfen. Genau das aber erweist sich gerade für „Macher“ aus den Führungsetagen oft als gewaltige Hürde. Die Psychotherapeutin Mag Inge Savall, Vorstandsmitglied der ÖAS, des Österreichischen Arbeitskreises für systemische Therapie (s.a. Interview auf Seite ..) sieht „das in Unternehmen vorherrschende Tabu des Scheiterns“ als wichtige Mitursache, weshalb viele Manager so lange über ihre Probleme und Ängste schweigen – auch und gerade gegenüber ihren PartnerInnen – bis sich die Krise auch beim besten Willen nicht mehr verbergen lässt. So führt denn einer der typischen Wege über körperliche Erkrankungen wie Erschöpfungszustände, Depressionen, chronische Müdigkeit, Magen-Darm-Probleme, Allergien, Medikamenten- oder Alkoholabhängigkeit zuerst zum praktischen Arzt und von dort oft durch Überweisung weiter in die Therapie.

Hilfe braucht Mut zur Offenheit

Ein anderer Suchweg läuft über Karriere- und Outplacementberater oder Coaching. Ein Dritter über Seminare zu Themen wie Selbstmanagement, Finden der eigenen Vision oder das immer populärer werdende Work-Life-Balance. Eine Vierter, damit eng verbundener Strang ist der boomende Wellness- und Gesundheitsbereich. Ein Fünfter die Suche nach Antworten in Lebenshilfe-Büchern, inzwischen neben Kochbüchern der umsatzstärkste Bereich des Buchhandels überhaupt.

Natürlich ist das Gespräch mit Partnern und Freunden nach wie vor eine wichtige Stütze. Vorausgesetzt man bringt genügend Vertrauen auf, um sich zu öffnen. Oft die größte Hürde, die Manager überwinden müssen, da sich Rat suchen und um Hilfe bitten mit ihrem Selbstbild häufig schwer verträgt. Dafür berichten speziell toughe, nach außen scheinbar unverwundbare Führungskräfte unisono, wie verblüfft sie nach einem ehrlichen Eingeständnis ihrer momentanen Ratlosigkeit gegenüber Freunden und Kollegen waren, zu erfahren, dass viele ihrer Gesprächspartner sich entweder gerade in einer ähnlichen Situation befanden oder eine vergleichbare Situation mit all den zugehörigen Ängsten, Sorgen und Stimmungsschwankungen vor nicht allzu langer Zeit bereits durchlitten und durchgestanden hatten.

Selbstzweifel, Grübeleien, Hoffnungsschimmer

Der Weg zur Neuorientierung verläuft in bestimmten Phasen, die in der Praxis oft in rekursiven Schleifen miteinander verwoben sind:

     

  • Man steht an, kommt nicht mehr weiter. Man strengt sich noch mehr an, will weitermachen wie bisher, am Alten festhalten, merkt aber schließlich, so geht es nicht mehr. Es kommt zur Resignation, Ängste werden wach, ein Gefühl der Isolation, der Ausweglosigkeit und Orientierungslosigkeit dominiert. Enttäuschung und Wut wechseln sich ab. Das Selbstwertgefühl ist im Keller, man wird von Selbstzweifeln geplagt.
  • Man beginnt langsam, die Situation zu akzeptieren, loszulassen, sich zu besinnen, merkt, dass man Warnsignale, die drohendes Ungemach angekündigt haben, übersehen oder negiert hat. Man differenziert zunehmend zwischen der eigenen Person und der Situation (z.B. im Unternehmen), spürt wieder lange weggeschobene Gefühle wie Unlust, Überanstrengung, Frustrationen, denkt wieder verstärkt über die eigenen Werte und Prioritäten nach. In dieser Phase ist die Ratlosigkeit am größten, es herrscht die größte Konfusion, man wird von Gewissensbissen und Selbstvorwürfen geplagt und durchschreitet die Talsohle. Man beginnt, gezielt nach Unterstützung zu suchen, seien es Freunde, sei es ein Berater.
  • Mit Hilfe des Dialoges tauchen wieder Erinnerungen auf an Situationen oder Tätigkeiten, die einem Spaß gemacht und gute Gefühle vermittelt haben, die eigenen Stärken und Resourcen kommen wieder in den Blick, aus der Notwendigkeit zur Veränderung wird langsam eine Gelegenheit, eine Chance, wieder mehr von dem zu tun, was einem selbst wichtig und sinnvoll erscheint. Es keimt die Hoffnung, wieder mehr Lebensqualität zu erlangen, Wünsche und Bedürfnisse werden greifbarer, erste Ziele formuliert, die Hoffnung wächst, den inneren Nebel bald vertreiben zu können.
  • Je klarer Ziele und Suchstrategie werden, desto häufiger stoßt man „zufällig“ auf Menschen, die über die gesuchten Informationen verfügen, die passenden Kontaktpersonen kennen und dadurch weiter helfen. Nach längerer Inkubationsphase und vielen Grübeleien lüftet sich unvermutet die Schleier, es kommt zum berühmten „Heureka“ und plötzlich ist „glasklar“ wohin es gehen soll. Die Energie kehrt zurück, man freut sich über die wiedergewonnene Klarheit, wird selbstbewusster und schreitet kraftvoll voran, sieht im Leben wieder Sinn und für sich eine erstrebenswerte Zukunft.

Autor: Peter Wagner, 12.2003

...zurück zum Seitenanfang

Teilen: