Endlich Letztverantwortung!

Ralf Schmid, CFO von Nabriva Therapeutics, über die zahlreichen Karriereschritte, beginnend in der Energiewirtschaft, über den Pharmabereich bis zur Position des CFO in einem 2006 neu formierten Biotech-Unternehmen.

Herr Schmid, was haben Sie gemacht, bevor Sie Ihre Laufbahn in der Energiewirtschaft begonnen haben?

Ich habe Volkswirtschaft in Bamberg studiert und danach den Zivildienst absolviert. VWL hat mich interessiert, weil es übergreifend ist. Ich hatte drei Schwerpunkte: internationales Wirtschaftsbeziehungen, Wirtschaftsstruktur- und Umweltpolitik und als drittes ein stark betriebswirtschaftlich orientiertes Fach: Finanzwirtschaft und Jahresabschlussanalyse.
Ich habe mich nach dem Studium bei verschiedenen Unternehmen beworben und bin dann interessanter Weise in der Energieversorgung gelandet, was Ende der 80er-Jahre nicht unbedingt die Branche war, die als besonders sexy galt. Ich habe mich trotzdem dafür interessiert, weil die Liberalisierung des Marktes vor der Tür stand und ich die Möglichkeit hatte, Assistent des kaufmännischen Leiters der größten regionalen Einheit zu werden. Heute heißt der Konzern EnBW, nach RWE und e.on der drittgrößte Energieanbieter in Deutschland.

Was waren Ihre konkreten Aufgaben als Assistent?

Einerseits klassische Assistenz: Sitzungsvorbereitung, Folien anfertigen, Informationen aus den verschiedenen Abteilungen zusammenholen, bündeln, mundgerecht präsentieren und gemeinsam durchsprechen. Es ist eine Querschnittsfunktion und wenn man das nötige backing von seinem Vorgesetzten hat, was bei mir der Fall war, dann hat man wirklich Zugriff auf alles, was einen interessiert. Dadurch habe ich einen tollen Überblick über die verschiedenen kaufmännischen Bereiche bekommen und die sind eigentlich in jedem größeren Unternehmen ähnlich, egal ob das ein Energieversorger oder ein Handels- oder Pharmaunternehmen ist. Man bekommt einfach mit, wie das kaufmännische Rückgrat eines Unternehmens funktioniert und entwickelt damit ein gutes Grundverständnis für alle kaufmännischen Basistätigkeiten.

Ein wichtiges Thema war auch der Jahresabschluss. Das hat mir dann später sehr geholfen, weil ich dadurch wusste, wie die Prozesse funktionieren, welche Daten man braucht, wie man mit dem Wirtschaftsprüfer umgeht, wo seine Kompetenzen beginnen und wo sie aufhören, usw. Ich war auch später immer wieder in Jahresabschlüsse involviert, mal mehr, mal weniger, diese Erfahrung hilft mir jetzt als CFO. Neben dieser Assistenztätigkeit hatte ich noch den Schwerpunkt Controlling. Damals begann die Liberalisierung am Energiemarkt, also haben die Energieversorgungsunternehmen erst mal versucht kräftig abzuspecken, Synergien zu finden, ein Kostenbewusstsein zu entwickeln und damit hielt auch dort das Controlling Einzug. Costcenter, Profitcenter, interne Leistungsverrechnung, Reportingsystem - das gab es in der Form dort alles noch nicht. Im Zuge der Umstrukturierungen kamen neue Leute von außen hinein und Bereiche, die im früher techniklastigen Monopolbetrieb wenig beachtet worden waren, wurden aufgrund des neuen Wettbewerbs plötzlich sehr wichtig, insbesondere die kaufmännische und die Finanzseite. Nun ging es um die Frage, ob das Unternehmen effizient aufgestellt ist: Wie schaut unsere Wertschöpfungskette aus, wo entstehen welche Kosten? Dazu kam dann noch die Fusion, mit einem anderen lokalen Energieversorger, aus der als Fusionsprodukt die heutige EnBW entstand. Und parallel dazu begann die Internationalisierung eines bislang klar lokal fokussierten Unternehmens.

Wie haben Sie eigentlich die Fusion zu spüren bekommen?

Mein Vorgesetzter war stark involviert und damit war ich auch dabei. Da es zuerst einmal um die Unternehmensbewertung ging, mussten wir sehr viele Zahlen aufbereiten, weil die für das Management die Grundlage bildeten, um die letztendliche Gewichtung der Unternehmen verhandeln zu können. Praktisch hieß das, dass ich innerhalb unserer regionalen Einheit viel koordinieren musste, was auch in Punkto Führung sehr interessant war. Wie geht man mit Menschen um? Wie kommt man zu den Informationen, die man benötigt?

Mein Chef hat zwar sehr viel verlangt, aber es war immer klar, was die Aufgabe ist und die Kompetenz dazu, was er inhaltlich erwartet und was als Ergebnis geliefert werden muss. Er hat aus seiner Aufgabe Teilpakete geschnürt und diese an sein Team weitergegeben. Und er hat sich immer bemüht, mir den Sinn der Aufgabe zu vermitteln und dieses auch mit mir diskutiert, was ich für enorm wichtig halte. Denn die Führungskraft muss spüren, dass ich es verstehe, zumal es sein kann, dass ich eine etwas andere Sicht der Dinge habe und dann die Aufgabe anders deute. Das klingt zwar vielleicht etwas theoretisch, ist aber sehr praktisch, denn erst wenn beide Seiten dasselbe Verständnis der Aufgabe und der gegenseitigen Erwartungen haben, hat man einen guten Rahmen, in dem man erfolgreich arbeiten kann.

Wie lang waren Sie in der ersten Position, der Assistentenrolle?

Knapp zwei Jahre. Parallel zu den Fusionsbestrebungen gab es in Richtung Internationalisierung mit der RWE ein großes Gemeinschaftsprojekt in Ungarn. Wir haben uns dann im Konsortium an drei großen Gesellschaften in Ungarn mehrheitlich beteiligt, da war ich in der letzten Phase der M&A-Aktivitäten mit involviert, wenn auch nicht an vorderster Front. Aber sobald die Dinge in trockenen Tüchern waren, war ich einer der ersten, die dann nach Budapest gegangen sind. Die drei gekauften Gesellschaften wurden getrennt voneinander geführt, aber für die Koordination wurde eine eigene Managementgesellschaft gegründet und in diese Gesellschaft bin ich gegangen. Das Engagement dort war für ein Jahr geplant, letztlich wurden es dann vier Jahre. Im Prinzip ging es darum, in den erworbenen Unternehmen das Rechnungswesen und Controlling zu analysieren, Vorschläge für die Umstrukturierung zu machen und das dann auch umzusetzen. Ich saß also in dieser Managementholding in Budapest und bin zwischen den drei Gesellschaften im Land herumgereist.

Wie war diese Zeit?

Extrem interessant. Die Vorstände, die dort hinüber gingen, waren zwischen 45 und 60 und gestandene Energiemanager, die sich zum Teil sehr wenig mit dem dortigen Umfeld, mit der dortigen Kultur, mit den Befindlichkeiten auseinander gesetzt haben. Dann gab es mehrere junge Leute wie mich, damals Ende 20, die viel mit den operativen Personen vor Ort zu tun hatten. Dadurch haben wir hautnah mitbekommen, was die Veränderungen für die Menschen bedeuten und ob sie überhaupt verstehen, was man sich vorstellt.

Mit Ende 20 habe ich dann meine erste Linienverantwortung übernommen und bin fachlich noch mehr in die M&A Schiene gerutscht, weil wir dort einige große Folgeinvestitionen realisiert haben und ich dann viel mit Investmentbankern, Anwälten und Strategieberatern zu tun hatte. Auslöser war, dass es große Kunden gab, die sich durch den Bau eigener spezifischer Kraftwerke versprachen, ihren Energiebedarf  günstiger zu decken als durch den Bezug von den Energiegesellschaften. Und da war die Idee, aktiv in diesen neuen Markt hineinzugehen und den Unternehmen zu sagen,: "Passt auf, wir bauen euch das Kraftwerk, wickeln die Finanzierung ab und wir liefern euch Strom, Wärme, Dampf was immer ihr wollt."

Es gab ein großes Chemieunternehmen mit so einem Vorhaben, wodurch einem unserer Versorger mit einem Schlag ein Drittel der Stromlieferungen weggebrochen wäre. Da haben wir uns intensiv darum bemüht, mit denen ein Konzept zu erarbeiten. Damit fing diese ganze Geschichte an. Dafür haben wir eine neue Gesellschaft gegründet, die diesen Bedarf abdecken sollte. Diese Gesellschaft haben wir in Ungarn aus dem Boden gestampft, das war dann eine Enkeltochter von RWE und ENBW, zum Start mit 8 Mitarbeitern und zwei Jahre später waren es bereits 50. Dazu haben wir uns von einem Kraftwerksbauer einen technischen Geschäftsführer geholt und ich war Prokurist, zuständig für den kaufmännischen und administrativen Bereich. Das habe ich knapp zwei Jahre gemacht und bin dann zurück nach Deutschland.

Wo ging es hin, wieder ins Stammhaus?

Ich hatte zwar ein neues Angebot von der EnBW, habe mich dann aber dagegen entschieden, weil es zwar karrieretechnisch sicher eine guter Schritt gewesen wäre, ich aber keine Lust hatte, wieder eine Stabsfunktion zu machen. Gleichzeitig hatte ich ein Angebot von der e.on, damals mit Headquarter in München, im Bereich "strukturierte Finanzierung". Die kannten mich aus Ungarn, weil sie dort auch engagiert waren. Die Aufgabenaufteilung bei e.on war: Es gab eine strategische Abteilung, Business Development, die sich nach interessanten Übernahmeobjekten umgeschaut hat und wenn ein Unternehmen in die engere Wahl kam, wurde die M&A- Abteilung eingeschaltet, mit dem Auftrag: Schaut mal, was das Unternehmen wert ist, besorgt euch die Business Pläne, fahrt zur Due Dilligence und wenn wir Interesse haben, dann schaltet ihr finanzielle Berater ein. Ich war dann noch einmal viel in Ungarn aber auch in Tschechien, Slowakei, Italien, Spanien, eine sehr reizvolle Tätigkeit, die ich als Turbo für meine fachliche Ausbildung und Internationalisierung verstanden habe. Ich habe viel auf Englisch verhandelt, an Due Dilligences teilgenommen und hatte gleichzeitig Personalverantwortung. Das war dann im Jahr 2000. Dort war ich dann 3,5 Jahre.

Was folgte auf e.on?

Dann kam der Wechsel in den Pharmabereich. Bei der e.on gab es ein Leadership-Programm, "Emerging Leader", ein relativ exklusives Programm für künftige Führungskräfte, das ich mitgemacht habe. Danach war ich einer der Kandidaten für größere Führungsaufgaben, aber es ist in den 3,5 Jahren nicht wirklich etwas passiert. Ich hatte ein bisschen Sorge, dass ich zum Fachidioten werde, der sich aufgrund seiner Fachkenntnisse einen Namen macht und dort stecken bleibt, während der Zug in Richtung leitender Position abfährt. Dazu kam, dass auch bei e.on restrukturiert wurde. Das Headquarter wurde von München nach Düsseldorf verlegt und es war nicht ganz klar, was aus dieser Abteilung wird. Der dritte Punkt war: Ich wollte auch mal was anderes sehen als die Energiewirtschaft. Die hatte nicht unbedingt das Image, dass man dort schnell, agil, dynamisch sein muss, obwohl in diesen Jahren sehr viel passiert ist. Also habe ich mir gedacht: Wenn ein Wechsel, dann jetzt.

Ich habe dann in der Zeitung eine Anzeige gesehen, in der die Firma Sandoz Kundl mit etwa 2.500 Mitarbeitern jemanden für den Bereich Finanzen, Treasury, Steuern gesucht hat. Eine Abteilung mit direkter reporting-line zum CFO. Da habe ich mich beworben, wurde genommen und habe dann in Kundl in Tirol angefangen. Von meinem CFO, Johannes Schwertner, der vorher bei einem Telekom-Anbieter war, habe ich dann extrem viel gelernt, was Führung und Organisation anlangt.

Und zwar?

Ich habe gelernt, was klare Abgrenzung von Kompetenzen und Aufgabenstellung bedeutet, was Feedbackkultur ist, ein schreckliches Wort, aber ungemein wichtig. Denn der Mitarbeiter muss meine Erwartungen an ihn und die Aufgabe kennen und verstehen, und umgekehrt muss ich mir sicher sein dass der Mitarbeiter die Aufgabe auch erfüllen kann. Denn wenn dies nicht der Fall ist, muss ich diees wissen, um Maßnahmen ergreifen zu können. Was ich dort ebenfalls gelernt habe war Delegation, indem ich gesehen habe, wie er das gemacht hat. Er hat sich ein Team aufgestellt und sehr viel Zeit für Führung investiert, um dann von den inhaltlichen Dingen freigespielt zu sein für Managementtätigkeiten. Z.B. die Schnittstelle zu den Eigentümern, zum Aufsichtsrat, zu den Investoren, was extrem wichtig ist in einem Konzern.

Viele Führungskräfte nehmen sich diese Zeit für ihre Mitarbeiter nicht, was sicher auch damit zu tun hat, dass viele ja nicht Führungskraft werden, weil sie gut Personen führen können, sondern weil sie andere herausragende Eigenschaften haben, belastbar sind, gutes Auftreten haben, sich gut verkaufen können oder fachlich sehr gut sind. Dass sie gut führen können, ist oft kein Kriterium. Das habe ich immer wieder erlebt.

Wie äußert sich das?

Die Führungskraft fühlt sich gehetzt und beklagt sich, dass sie keine Zeit hat und gleichzeitig wundert sie sich, dass die Leute nicht gut performen. Aber wenn ich mir nicht die Zeit nehme, mein Team ordentlich aufzustellen und klarzumachen, was ich erwarte, was sie liefern müssen und man sich nicht versichert, was dort ankommt, dann registriert man auch nicht, dass die oft etwas ganz anderes hören als man sagt und umgekehrt. Dann braucht man sich aber nicht wundern, dass man nicht die erhofften Ergebnisse bekommt. Dann kommt es zu Konflikten, zu Problemen und das ist nicht nur nicht im Sinne des Unternehmens, sondern vor allem ist es auch menschlich absolut unbefriedigend.

Das zweite, an dem man es merkt, ist Willkür. Mal dürfen die Leute etwas, dann wieder nicht, mal sollen sie eigenständig sein, dann beklagt man ihre Eigenmächtigkeit, usw. Mal Hüh, mal Hott. Wenn die Mitarbeiter nicht wissen, wie der Rahmen gesteckt ist, erzeugt dies Frustrationen. Deswegen glaube ich, dass man sich letztendlich sehr viel Zeit sparen kann, wenn man das sauber aufsetzt. Ich würde nicht behaupten, dass ich das perfekt mache, aber man muss sich zumindest darum bemühen.

Was war die genaue Aufgabe bei Kundl?

Die Aufgabe war, meine kleine Abteilung zu organisieren und zu führen und der zweite Aspekt waren viele Projekte. Diese Funktion war klassischerweise immer auch eine Art Liberofunktion für den CFO. Alles was mit übergreifenden Themen zu tun hat. Es gibt auch eine übergeordnete Novartis-Österreich-Gesellschaft, wo der CFO von Kundl gleichzeitig auch CFO der Novartis-Österreich ist. In dieser Landesgesellschaft- geht es viel um Steuerthemen, Finanzierungsthemen und organisatorische Arbeiten, mit einer starken Schnittstelle zu den Finanzleuten im Novartis -Headquarter in Basel. Diese Schnittstelle habe ich für den CFO abdeckt.

Und wie wurden Sie dann selbst zum CFO?

Es gab eine Einheit von ca. 40 Leuten, die sich um die Entwicklung neuer Antibiotika gekümmert hat. Die gehörte zu Sandoz Kundl, saß aber in Wien, weil hier die Förderstellen und die Universität sind. Die Sandoz hat dann im Rahmen der Fokussierung aufs Kerngeschäft entschieden, diesen Randbereich auszugliedern und sich dafür Partner im Venture-Capital-Bereich zu suchen, die in solche Zukunftsprojekte investieren wollen. Ich war der Projektleiter, habe mit dem Team ein Projekt-Memorandum gemacht, eine Art Roadshow, um es den Investoren schmackhaft zu machen und insbesondere die Verträge mit den Venture Capital Gesellschaften verhandelt. Und dann haben wir in einem halben Jahr alle Verträge unter Dach und Fach gebracht  und eine Finanzierungsrunde mit 42 Mio. Euro auf die Beine gestellt, was eine außerordentlich große Erstrundenfinanzierung war und gewährleistet für mehrere Jahre in Ruhe arbeiten zu können. Nach der Vertragsunterschreibung wurde ich vom Hauptinvestor Nomura gefragt, ob ich in dieser Firma CFO werden möchte. Da ich die beteiligten Personen schon gut kannte und die Konditionen und die Aufgabe attraktiv waren, habe ich nicht lange überlegt und ja gesagt und bin im Juni 2006 zu Nabriva als CFO gewechselt.

Was ist anders als CFO?

Es ist wunderbar, aber auch anstrengend, weil dieses Geschäft extrem schnell ist und die Erwatungen der Investoren hoch sind, aber die Funktion als sich macht extrem Spaß. Man hat Gestaltungsspielraum, kann die Firma mit dem Geschäftsführerkollegen so aufstellen, wie man sich das vorstellt und auch bestimmte Prinzipien die man hat, umsetzen. Die Freiheitsgrade sind größer als in einem Konzern und ich merke, dass ich hier viel von dem, was ich gelernt habe, umsetzen kann. In vielen Dingen wirklich die Letztverantwortung zu haben, das genieße ich.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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Ralf Schmid, CFO der Nabriva Therapeutics