"Als Führungskraft sind Sie kulturprägend"

Mag. Othmar Sailer, Finanzvorstand der Waagner-Biro Stahlbau AG, über die Vorteile eines besonderen Kompetenz-Mixes für den Karriereverlauf und die speziellen Herausforderungen an die Führung in projektorientierten Unternehmen.

Wie gestaltete sich Ihr Einstieg ins Berufsleben?

Ich habe in Wien BWL studiert und schon während des Studiums begonnen, bei der Baufirma Maculan zu arbeiten. Es war ursprünglich als Sommerjob gedacht, aber ich blieb gleich fulltime und habe parallel weiterstudiert. Damals wurde gerade die Maculan-Holding gegründet und aufgebaut und ich wurde Vorstandsassistent, wo ich mich neben allerlei klassischen Assistententätigkeiten schwerpunktmäßig mit der IT befasst habe. Durch das IT-Interesse kam ich in der Folge in die Hofmann & Maculan Bau AG, wo ich unternehmensweit Personal Computer als Arbeitsmittel mit eingeführt habe. Das ist heute zwar unvorstellbar, aber damals war PC-Einsatz für die Mitarbeiter absolutes Neuland, vor allem auf den Baustellen.

Nachdem ich im Zuge der IT-Einführung begonnen hatte, selbst Schulungen zu organisieren und abzuhalten wurde ich nach einer Unterbrechung durch das Bundesheer stellvertretender Leiter der Organisations- und Personalentwicklung, einer neuen Abteilung, in der wir ein OE- und PE-Konzept für den Konzern entwickelt und in den folgenden zwei Jahren implementiert haben. Ich hatte die operative Leitung, acht eigene Mitarbeiter und einen Staff aus unterschiedlichen Beratungsunternehmen, mit denen wir 6000 bis 7000 Manntage Aus- und Weiterbidlung im Jahr veranstaltet haben. Besonders spannend war, durch die starken Aktivitäten in Osteuropa auch andere Kulturen kennen zu lernen und mit diesen zu arbeiten. Zudem hatte ich das Glück, in der Nachwuchsführungskräftegruppe zu sein, gut ausgebildet zu werden und dabei auch viel über Projektmanagement zu lernen. Als das Unternehmen dann in Schieflage kam, wechselte ich ins Controlling und konnte bei einem großen Sanierungsprojekt mitarbeiten, für das Roland Berger ins Unternehmen geholt wurde. Trotz eines tragfähigen Konzepts haben die Banken das Unternehmen dann leider in Konkurs geschickt. Nach dem bitteren Ende war ich drei Jahre selbständiger Berater für Projektmanagement im Rahmen des Netzwerks der Primas Consulting.

Was war die besondere Lernerfahrung im ersten Führungsjob?

Nachdem OE und PE etwas war, das es bisher im Unternehmen nicht gegeben hatte, ging es darum, einen neuen Bereich aufzubauen und klar zu strukturieren, d.h. eine Linie hineinzubringen und im Team einen gemeinsamen Geist zu entwickeln. Eine andere wichtige Erfahrung war, unsere Leistungen auch verkaufen zu müssen. Jedes Seminar, jede Entwicklungsmaßnahme mussten wir intern erst einmal verkaufen. Es gab interne Kostenstellen und Verrechnungspreise und da lernt man schnell, was akzeptiert wird und was nicht. Was gut angekommen ist, hat sich multipliziert und was nicht gut angekommen ist, wurde in der Folge wieder gestrichen. Ich habe mich in dieser Zeit auch sehr intensiv mit Baukalkulation und Projektmanagement beschäftigt. Es darum, Projektmanagement als Methodik zu implementieren und zu intensivieren und darum, Baukalkulation in die neuen deutschen Bundesländer zu tragen und den Mitarbeitern nahe zu bringen.

Wieso dann der Wechsel in die Selbstständigkeit statt in eine andere Firma?

Durch meine Tätigkeit in der OE und PE, das Kennenlernen von Beratung und Training als Beruf und mein wachsendes Interesse daran hat sich dieser Schritt angeboten. Es hat mich interessiert und Spaß gemacht. Ich habe die Unternehmensberaterprüfung gemacht und dann drei Jahre lang intensivst als Berater gearbeitet. Da ich dadurch aber kaum mehr Zuhause sein konnte, habe ich diese Tätigkeit dann aus familiären Gründen wieder aufgegeben. Also stand ich vor der Frage: Was mache ich stattdessen? Ich hatte BWL studiert, kannte mich gut im Projektmanagement und in der Projektkalkulation aus und hatte Controlling gelernt, also lag ein Finance-Job in einem projektorientierten Unternehmen nahe. Ich habe dann ein Angebot als Finanzchef Österreich/Ungarn bei einem amerikanischen Konzern bekommen, bei Tyco, die damals noch "Total Walter, Feuerschutz- und Sicherheitsges.m.b.H" hieß. Das Produkt waren Sprinkleranlagen, Feuerlöschtechnik unterschiedlicher Art, Brandmeldetechnik sowie Videoüberwachungsanlagen, Zutrittskontrollanlagen und sonstige Low Voltage Haustechnik -  Produkte, die vor allem in Hotels, Bürogebäuden, Einkaufscentern und Krankenhäusern Anwendung finden.

Wie kamen Sie zu diesem Job?

Ich habe mich auf ein Inserat beworben. Die Firma hat einen Finanzchef gesucht, ich habe meine Unterlagen hingeschickt, am Telefon ein Gespräch geführt und dann den Geschäftsführer im Kaffeehaus getroffen. Nach 10 Minuten haben wir offenbar gemeinsam beschlossen, "das passt" und das war´s dann. Das ging sehr flott.

Hatten Sie so gute Qualifikationen für den Finanzbereich?

Jein, entscheidend war wohl, dass es wenige Leute gibt, die sowohl Finance als auch Projektmanagement beherrschen. Ich sehe das jetzt auch bei Waagner-Biro. Wir suchen Controller, die von Projektmanagement etwas verstehen und da ist der Markt leer. Es ist sehr mühsam, Leute, die aus der Produktion oder aus dem Handel kommen, dazu zu bringen, Contracting zu verstehen. Sie müssen wissen, wie Projektkalkulation und Projektsteuerung funktioniert und mit sehr vielen Unwägbarkeiten und schnellen Änderungen umgehen können. Leute, die sich da gut zurecht finden, sind rar gesät.

Wie viele Mitarbeiter gab es damals bei Tyco?

120 in Österreich, wobei Tyco ein Weltkonzern ist und unter den Top 500 Unternehmen dieser Welt rangiert. Ich habe die Bereiche Buchhaltung, Controlling, Einkauf, IT und Personal unter meiner Verantwortung gehabt - alles, was nicht Technik und Vertrieb war - und ein kleines Team direkt geführt. Das habe ich sieben Jahre lang gemacht. Am Schluss hatten wir von Österreich aus die Verantwortung für ganz Osteuropa, d.h. wir waren als Eastern Europe Regional Management in Wien angesiedelt. Wir haben die Geschäfte in Österreich geführt und die Ostländer, die wir teilweise selbst aufgebaut haben, von Wien aus gesteuert.

Wie war es, erstmals in einer Top-Management-Position zu sein?

Spannend. Es ist eine ganz andere Ebene. Der größte Unterschied war, dass ich plötzlich Führungskräfte in anderen Ländern führen musste. Das war insofern relativ leicht, weil es im Konzern gute Strukturen gab, daher ging es mehr darum, darauf zu schauen, dass es ein gutes Projektmanagement gibt, weil die typischen Probleme, mit denen man im Projektgeschäft konfrontiert ist, meistens Projektänderungen, Leistungsänderungen und Probleme im Projektteam sind. Am kritischsten ist es wahrscheinlich, den richtigen Projektleiter und gut funktionierende Projektteams zu haben, denn es gibt eine große Bandbreite an Möglichkeiten, die auftauchen können, um einem im Projektgeschäft das Leben schwer zu machen oder aber auch zu großen Erfolgen zu führen.

Wie startet man in so einem neuen Managementjob?

Unspektakulär. Ich bin ins Unternehmen gekommen, habe mich vorgestellt und damit begonnen, möglichst strukturiert zu arbeiten. D.h. ich bin regelmäßig mit den Teams zusammengesessen und habe versucht herauszufinden, was gut funktioniert und was verbessert werden sollte. Strukturiert zu arbeiten heißt für mich: Gibt es eine klare Organisationsstruktur? Wissen die Leute, was ihre Aufgaben und Verantwortungen sind? Sind die Schnittstellen klar oder gibt es da Unklarheiten oder Widersprüche, was sehr heikel ist, weil das meistens im Streit endet. Wenn man einen neuen Job antritt, ist in der Organisation ja in der Regel schon etwas vorhanden. Also ist der erste Schritt einmal zuzuhören und zu verstehen, was läuft und dann, je nachdem was man findet, zu überlegen, ob etwas gegebenenfalls - in klar definierten Arbeitsschritten - verändert werden sollte. Meist geht es darum: Was können wir schneller machen, was können wir billiger machen? Und dafür müssen Sie das Commitment Ihrer Leute finden. Meine Erfahrung ist: Wenn man die Kommunikation so aufbaut, dass sich die Mitarbeiter trauen offen darüber zu reden, was sie bedrückt, dann kommen diese Anliegen automatisch hoch. Dann heißt es schnell: "Wir sollten das und jenes tun. Wir warten schon lange darauf, dass sich hier etwas verändert." Dann kommen viele Änderungswünsche und –vorschläge von den Leuten selbst. Wenn Sie ihnen ermöglichen und sie dazu ermächtigen, da etwas zu unternehmen, dann gibt es immer welche, die das gleich aufgreifen.

Aber nicht immer wird in Unternehmen auf eine sehr konstruktive Art kommuniziert.

Ja, aber das hängt auch stark davon ab, wie man es selber angeht, weil man als Führungskraft immer auch kulturprägend ist. Zudem nehme ich mir schon heraus, das dann auch zu klären, wenn jemand destruktiv wird. Ich spreche das an und die Leute merken schnell, welches Verhalten nicht nur ich, sondern auch die anderen wollen und welches nicht. Da regelt sich viel in der Gruppe untereinander und wenn es ganz sture Böcke gibt, muss man sie auf die Seite nehmen und mit ihnen reden. Ich frage dann meist: "Was wollen Sie eigentlich damit erreichen? Was ist Ihr Ziel?" Wenn man den Leuten verständlich machen kann, dass das, was sie tun, für sie selbst wahrscheinlich kontraproduktiv ist und sie sich dadurch sozial ins Abseits stellen, verstehen Sie meist nach einiger Zeit den Änderungsbedarf. Der härteste Fall wäre, dass sich jemand gar nicht adaptiert, dann ist er irgendwann aus dem Team draussen, aber das passiert selten. Meine Erfahrung ist, dass die meisten Menschen fair behandelt werden wollen und wenn das der Fall ist, adaptieren sie sich relativ schnell. Keiner will in ständigen Konflikten oder unproduktivem Umfeld leben.

Macht es einen Unterschied, ob man Mitarbeiter führt oder andere Führungskräfte?

Absolut. Meistens sind Führungskräfte "stärkere" Persönlichkeiten. Sie haben selbst Führungserfahrung und sind gewöhnt, selbst Kulturen zu prägen. Da geht es vor allem darum, mit diesen Leuten ein Commitment zu finden, um gut miteinander arbeiten zu können. Im Fall von Tyco war das eine mehrfache 1:1 Führung (die jeweiligen Finanzverantworlichen in den unterschiedlichen Ländern), keine 1:n Führung. Es gab also kein eng zusammenarbeitendes Team an einem Ort. Wichtig war, eine gemeinsame Basis zu finden und zu klären, was ich von meinem Gegenüber brauche und wie ich ihm helfen kann, damit er oder sie umsetzen kann was gefordert ist. Wir waren in unserem Handeln sehr frei, weil wir im Endeffekt vom Konzern an dem Geld gemessen wurden, das wir am Jahresende abgeliefert haben. Wichtig war, dass das EBIT passt, wie wir das bewerkstelligt haben, hat uns keiner vorgeschrieben. Die Herausforderung war – noch bevor Zahlen nicht stimmen - Trends rechtzeitig zu erkennen und mit den lokalen Geschäftsführern zu überlegen, was man tun könnte um aktiv zu steuern.

Ein weiterer Aspekt war, im damalig im Aufbau befindlichen Osteuropa das Personal zu halten und zu entwickeln. Gerade im Geschäft mit großen Projekten ist es wichtig, Leute zu haben, die genau wissen was sie tun, das Produkt kennen und die Projekte beherrschen können. Diese zu finden, zu entwickeln und zu schulen ist schwierig und aufwändig, also ist man darauf bedacht, die Mannschaft so stabil wie möglich zu halten. Die Kunst ist, die Aufgaben und das Unternehmen so attraktiv zu gestalten, dass die Leute gerne, auch trotz vielleicht finanziell besserer Angebote, bleiben. Wir hatten auch den Vorteil, mit dem großen Konzern Tyco im Rücken einen guten Namen zu haben. Dadurch haben die Mitarbeiter dann wohl auch etwas länger überlegt, bevor Sie, was damals üblich war, wegen einer kleinen finanziellen Differenz zu einem lokalen kleineren Wettbewerber wechseln.

Was haben Sie in dieser Zeit über Führung gelernt?

Zum einen braucht es ein gewisses System, das natürlich branchenspezifisch ist. Zum anderen ist die Beachtung der interkulturellen Unterschiede enorm wichtig: Wie gehe ich mit den Personen in den einzelnen Ländern um? Wenn ich in Ungarn z.B. jemanden kritisiere, ist das fatal. Wenn dort jemand das Gesicht verliert, aus welchem Grund immer, kann das für die Leute ein sofortiger Kündigungsgrund sein. Einem Ungarn direkt zu sagen: "Das hast du falsch oder schlecht gemacht"  ist zum Beispiel ein No-No. Daher bedarf es einer gewissen Sensibilität um zu lernen, wie ich mich in einer anderen Kultur bewege, um in dieser erfolgreich sein zu können.

Nach den sieben Jahren war es dann Zeit zu wechseln?

Ja, zum einen ist es etwas langweilig geworden, zum anderen hat sich abgezeichnet, dass sich die Konzernstruktur verändern wird. Es war absehbar, dass die Ebene des Regional Managements herausgenommen wird, wodurch die Steuerung der osteuropäischen Länder durch Wien wegfallen würde und damit war es weniger interessant. Ich bin dann durch Zufall darauf gestossen, dass bei Waagner-Biro gerade jemand gesucht wird und hier zunächst als Verantwortlicher für eine Sparte, dann als Vorstand bei der Stahlbau AG mit den beiden Bereichen Glas-Stahl-Technik und Brückenbau gelandet. Also wieder im Projektgeschäft, ich habe sozusagen die Firma gewechselt, aber nicht die Branche.

Worin bestand hier die Hauptaufgabe?

Flapsig gesagt: Gute Technik, entwicklungswürdige Organisation. Im Projektgeschäft besteht immer die Gefahr, dass ein tolles Projekt durch ungenaue Kalkulation oder unerwartete Entwicklungen im Lauf des Projekts in Probleme gerät. Umso wichtiger ist es, im Projektgeschäft besser zu sein als die anderen und die besseren Leute zu haben. Sprich: die richtigen Strukturen, die besseren Instrumente und die richtigen Mitarbeiter. Eine der wichtigsten Managemententscheidungen ist zum Beispiel die Besetzung der Projekte mit den richtigen Projektleitern. Inklusive unserer Töchter in Indonesien, auf den Philippinen und in Dubai haben derzeit rund 650 Mitarbeiter. In Wien arbeiten rund 160 Mitarbeiter, vor allem im Vertrieb, in der Planung und Projektabwicklung, im Controlling und im Einkauf. Bis 1998 haben wir selbst produziert, heute kaufen wir Stahl und Stahlfertigung zu. Mein Fokus ist Finance, Projektmanagement, IT und die Führung der Tochter in Dubai. Im Vergleich zum Konzern Tyco ist Waagner-Biro ein kleines Unternehmen. Insofern ist ein großer Unterschied, dass es hier – anders als bei Tyco - über uns als Management ausser dem Aufsichtsrat keine Managementebene gibt. Wir gestalten unsere Arbeit hier viel freier und selbstgesteuerter. Zudem hat Waagner-Biro natürlich eine andere Kultur aus seiner Geschichte heraus, der Startpunkt war also ein völlig anderer als bei Tyco. Die Erfordernisse um im Projektgeschäft erfolgreich zu sein sind aber, neben der Beherrschung der Technik, die gleichen. Die Herausforderung ist also auch hier die richtigen Strukturen zu bilden und eine offene, positive, projektorientierte Kultur zu schaffen.

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Mag. Othmar Sailer, Vorstand der Waagner-Biro Stahlbau AG