"Ideen brauchen Schutz"

Dr. Barbara Heitger, geschäftsführende Gesellschafterin der Beratergruppe Neuwaldegg, über die Anforderungen an die Steuerung von Innovationsprozessen.

Nur wenige Unternehmen schaffen es, kontinuierlich innovativ zu sein und Innovation wirklich zu einem integralen Bestandteil ihres Unternehmens zu machen. Warum ist dem so?

Betrachtet man die Geschichte von Innovation, dann war Innovation früher meist den Technikern vorbehalten. Innovation meinte lange Zeit vor allem "Produktinnovation" und wurde quasi gleichgesetzt mit Forschung und Entwicklung. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Innovation wird im Top-Management zunehmend zum Thema, indem man sich fragt: Wie können wir als Gesamtunternehmen innovativer werden? Man denkt zunehmend über die reine Personen- und Teamorientierung hinaus in Richtung: Was sind innovative Kulturen? Ein Stück spiegelte sich das in dem Konzept der Lernenden Organisation, wobei das eher ein evolutionärer Ansatz ist im Gegensatz zu den heute häufig diskutierten revolutionären, radikalen Innovationen, den "Durchbrüchen", dem "Quantensprung".

Ein zentraler Punkt ist meines Erachtens, dass es darum geht, in Unternehmen zu verankern, welche Arten von Steuerung es in den unterschiedlichen Phasen eines Innovationsprozesses braucht. Also vom Generieren von Ideen bis zur Umsetzung und Verankerung in der Organisation. Denn diese unterschiedliche Phasen brauchen auch jeweils eine andere Art von Steuerung.

Nämlich..?

Zunächst geht es darum, neue Ideen zu generieren und denen Raum zu geben. Da sind Unternehmen oft am wenigsten gut. Denn für dieses Suchen und Finden braucht es eine lose Steuerung, wobei lose Steuerung nichts mit einer "laissez faire"-Haltung zu tun hat. Da geht es um das Setzen sehr herausfordernder Ziele, um echtes Comittment und das Entstehen echter Begeisterung. Ein wichtiger Effekt von herausfordernden Zielen ist, dass dadurch allen klar wird, dass das mit "ein bisschen besser" und "ein bisschen anders" nicht klappen wird. Dazu ist es nötig, eingefahrene Wahrnehmungs- und Handlungsschienen zu überwinden. Und dafür braucht es eine große Irritation. Genau das kann so ein herausforderndes Ziel sein, ebenso wie eine große Krise.

Man kann - und man muss sich - also Irritationen organisieren, damit wirklich Neues entstehen kann. Das macht auch innovative Organisationen aus, dass sie sich z.B. immer wieder in fremde Welten begeben und schauen, wie machen das andere Branchen, wie funktioniert das dort, und darüber in Reflexion gehen.

Diesen Dreischritt, den es auch im Wissensmanagement gibt, erleben, reflektieren, auswerten, den braucht Innovation auch. Innovation ist nicht direkt planbar, aber man kann den Boden dafür bereiten.

Oft ist die bisherige Unternehmenskultur sehr beharrlich, wie geht man das an?

Da kann ich schon ein paar Ideen aus Projekten sagen. Zum Beispiel haben wir in einem Projekt ein Kundenparlament durchgeführt, wo die schwierigsten, die am meisten herausfordernden, die innovativsten Kunden eingeladen wurden. Man kann das aber auch mit Lieferanten machen, oder mit Mitarbeitern. Entscheidend ist, dass es dann ein Setting gibt, das wirkliches Zuhören fördert, das Nachfragen zulässt, aber keine Diskussionen.

Bei diesem Kundenparlament wurden die Gäste dann gefragt: Was wäre Ihrer Ansicht nach innovativ bei dieser Firma? Was müssten die Firma tun, verändern, entwickeln, anbieten, damit Sie in 10 Jahren auch noch auf die Firma schwören? Es geht darum, erst die Irritation zu organisieren. Das kann man machen, indem man diejenigen Stakholder aktiviert, die der Stachel im Fleisch sein können. Am wirkungsvollsten ist eine möglichst business-nahe Irritation, die vom Markt kommt, nicht vom eigenen Management.

Dann kommen vielleicht Leute mit ihren Ideen und dann gibt es so viele Hürden, dass es wieder versickert.

Genau, das ist der nächste wichtige Punkt.. Also in der ersten Phase, das ist sozusagen die Gärungsphase, da  braucht es Irritation, Aufmerksamkeit, den Wettbewerb der Ideen, viel Freiraum und herausfordernde Ziele, Aber dann brauchen die Ideen noch einige Zeit Schutz. Wenn jemand eine Idee hat und dann wird sofort gesagt, ok, jetzt brauchen wir einen Businessplan, dann ist die Idee schon wieder gekillt. Es gibt leider viele Ideen, bei denen es von der Ideenphase gleich in so etwas wie eine angedachte Serienproduktion geht. Das ist zu schnell. Das ist wie wenn ein Kind auf die Welt kommt und es soll nach drei Wochen in die Schule gehen. Das funktioniert einfach nicht.

Es braucht eine Phase, wo mit der Idee einmal experimentiert wird, wo vielleicht erste Prototypen entstehen, wieder verworfen werden, neue entstehen und an diesen dann weiter getüftelt wird. Da braucht es diesen geschützten Raum. Man kann eine neue Idee nicht sofort in die Logik des operativen Geschäfts geben. Das ist ein ganz zentraler Punkt. Das ist eine zweite typische Klippe, dass diese Ideen scheitern, dass sie zu schnell auf Prüfstand gestellt werden. Ideen brauchen eine bestimmte Zeit zur Reifung. Nicht umsonst evaluieren die „Top-Performer“ Ideen deutlich später als die „Poor-Performer“.

Oft ist die Rede von Spirit, von Vertrauenskultur, von Spiel und Spaß, von viel Freiraum, mit gleichzeitiger Fokussierung und einer klaren Richtung, in die geschaut werden soll. Von dem spüre ich in den meisten Unternehmen aber wenig.

Ich glaube, dass es in der Tat sehr stark von den Personen und ihrer Struktur abhängt, wie viel Freiraum sie geben können und wollen. Im Grunde heißt ja Innovation „für Irritation offen sein“. Irritationen haben einerseits etwas faszinierendes, sind aber immer auch ein Ärgernis. Wer gesteht sich schon zu, dass das, was man die letzten zehn Jahre gemacht hat, heute nicht mehr gültig ist, vielleicht sogar falsch war. Wenn sich das nicht nur eine Person, sondern eine ganze Organisation eingestehen muss, ist das noch viel herber.

Das andere ist, dass das Management-Know-how darüber, wie Innovation „funktioniert“, wie man einen Boden schafft, damit eine gute Saat aufgehen kann, keineswegs ein selbstverständlicher Bestandteil von General Management Wissen ist. Vor wenigen Jahren erst wurde Change-Management-Wissen überhaupt Thema, es hat immer eine kognitive Seite und eine emotionale. Bei Innovation ist das noch kürzer her.

Nur ganz wenige Firmen schaffen es, lange Zeit innovativ zu bleiben

Das interessante ist ja, dass die wirklichen Brancheninnovationen zu einem hohen Prozentsatz von Quereinsteigern kommen. Und das macht für mich noch einmal deutlich, wie sehr einen der derzeitige Erfolg daran hindert, Neues zu denken.

Das andere ist: Zur Innovation gehört der ganze Zyklus, bei Innovation wird aber oft nur an den Anfang gedacht, statt den Marathonlauf zu sehen. Es braucht eine innere Landkarte, um phasengerecht zu stützen. Manchmal fürsorglich, manchmal herausfordernd. Gerade bei den innovativen Unternehmen ist viel drive drinnen, die arbeiten mit engen Terminen, hochfliegenden Zielen.

Neues Wachstum dieser Art zu fördern oder besser noch herauszufordern ist nicht trivial, geht es doch darum einerseits die „Selbstverständlichkeiten“ der Alltagsroutine bisheriger Erfolge hinter sich zu lassen - Wirklichkeitskonstruktionen, innere Bilder und Annahmen über sich, Kunden, Mitbewerber den Markt, Manager Mitarbeiter ... Handlungs- und Entscheidungsmuster. Andererseits geht es darum Offenheit und Anreize dafür zu schaffen, dass „ganz Anderes“ entstehen und reifen kann.

Gelungenen Innovationen gehen daher fast immer heftige Auseinandersetzungen voraus - vor allem, wenn es um solche geht, die einen deutlichen Wandel der Unternehmensidentität bewirken. Das kann das Umstellen von Einzel- auf Serienfertigung in der Produktion sein oder das Entwickeln und Umsetzen einer „Solutionsprovider“ Strategie in einem Unternehmen, das bis dato Softwareprodukte von der Stange vertrieben hat.

Frau Dr. Heitger, vielen Dank für das Gespräch.

10.2002

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Dr. Barbara Heitger, Beratergruppe Neuwaldegg