Es gilt das Highlander-Prinzip: Es kann nur einen geben!

Mag. Bernhard Widhalm, regionaler Geschäftsführer des auf Projektmanagement spezialisierten Trainings- und Beratungsunternehmen next level consulting über die organisatorischen Voraussetzungen für erfolgreiches Projektmanagement und die Methoden, um sich diese zu erkämpfen.

Gibt es Ihrer Meinung nach Unterschiede zwischen Führen in der Linie und Führen in Projekten?

Zum einen muss man sagen, dass viele Organisationen schon erkannt haben, dass nicht nur die Hardfacts - die Merkmale eines Projekts, die Gestaltung des Projektstart- controlling- und abschlussprozesses, die Einhaltung vereinbarter Methoden etc.-  das entscheidende Erfolgskriterium sind, sondern auch auf die Softfacts immer mehr an Stellenwert gewinnen. Entsprechend häufiger wird auch über die Frage nachgedacht, wie führe ich überhaupt ein Projektteam? Die Auslastung in unserem überbetrieblichen Academyprogramm zeigt deutlich, dass immer mehr Projektleiter Antworten auf diese Frage finden wollen.
Doch in den meisten Firmen, die noch klassische Linienstrukturen haben, und daneben Projekte abwickeln, fehlen die internen Standards, wie hier Projekte gestartet werden, wer der Auftraggeber ist, wofür dieser verantwortlich ist, wie meine Rollendefinition als Projektleiter aussieht usw. In der Linie ist das durch Stellenbeschreibungen sehr klar abgebildet, im Projektbereich kaum, obwohl es dort noch viel wichtiger wäre. Dadurch finden Sie immer wieder frustrierte Projektleiter, die aufgrund unklarer Aufträge nicht genau wissen, was zu tun ist, die für Projektpersonal und Budget keine Verantwortung bekommen, aber gleichzeitig für die Zukunft der Organisation enorm wichtige und hochkomplexe Aufgaben lösen sollen. Das geht sich auf Dauer nicht aus!

Den Projektmitarbeitern geht es ja häufig ähnlich, oder?

Absolut. Wenn ich als Projektmitarbeiter im Projekt sitze und mir der Linienvorgesetzte und der Projektleiter beide Druck machen, muss ich mich entscheiden, für wen ich jetzt arbeite. Da ist mir in aller Regel mein Linienvorgesetzter weit näher, weil mich der rauswerfen, mir aber auch eine Gehaltserhöhung geben und mich in der Karriere fördern oder behindern kann. All das kann der Projektleiter nicht. D.h. als Projektmitarbeiter diene ich zwei Herren und muss mich, wenn es eng wird, entscheiden, für wen ich arbeite. Tendenziell entscheiden sich die Leute dann eher für die Linienaufgaben. Schließlich gibt es oft Linienziele, bei deren Nicht-Erreichung mein Team oder mein Vorgesetzter keine Prämie bekommt und/ oder schlecht beurteilt wird.

Das ist ein typisches Dilemma, aus dem die Organisationen nur herauskommen, wenn sie lernen in sogenannten Multirollen zu denken. Dazu ist es aber notwendig, dass ihre Rollen nicht nur in der Linie, sondern auch in den Projekten klar beschrieben werden. Z.B. dass der Auftraggeber verantwortlich ist für das Ziel des Projektes, für die Nominierung des Projektleiters, für eine klare Kommunikation und Entscheidungsstruktur mit dem Projektleiter, aber ebenso dafür, nicht ins Projektteam hinein zu regieren und Projektmitarbeiter mit Einzelaktivitäten zu beauftragen, was in der Praxis relativ häufig passiert.

Gehen wir einmal von der einfachen Form, hier Linie, dort Projekte aus. Die Frage, was hat Vorrang, ist bereits ein altbekanntes Problem. Macht es da einen Unterschied, ob Projektleiter Teilzeit abgestellt oder voll abgestellt sind?

Linienvorgesetzte haben klare Ziele, die sie zu erreichen haben. Wenn sie die erreichen, gibt es Geld in Form von Prämien. Das aber bedeutet, dass es für das Linienziel alles andere als förderlich ist, Projektleiter oder auch Projektteammitarbeiter abzustellen. Es ist zwar vielleicht hilfreich für das Gesamtziel, aber im eigenen Bereich verzichte ich auf dringend benötigte Resourcen. Daraus folgt: Organisationen, die für ihre Führungskräfte keine Gesamtzielvereinbarungen formulieren, haben ein maximales Problem, weil jeder nur auf seinen eigenen Bereich schaut und versucht, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Entsprechend egal ist ihnen auch, ob es in anderen Abteilungen und erst recht in Projekten Probleme mit Resourcen und mit der Zielerreichung gibt.

Ich arbeite selbst in etlichen Organisationen, wo genau das der Hauptknackpunkt ist. Es gibt Null Interesse für das Gesamtziel. Dazu kommt, dass, wenn man die Linienziele betrachtet, die Mitarbeiter schon zu über 100% mit Linienaufgaben zugedeckt sind. Natürlich leidet dann die Qualität der Projekte, es leidet aber auch die Zukunftsfähigkeit der gesamten Organisation. Denn Projekte sollten sich ja mit unternehmenskritischen Fragestellungen beschäftigen und der innovativer Faktor in der Weiterentwicklung der Organisation sein.

Wie kommt man nun aus dem Dilemma heraus? Entweder man zwingt die Linie, die Leute freizugeben, dann bekommen die Probleme, ihre Ziele zu erreichen, oder die Projektleiter bekommen Probleme, weil die Linie ständig die Leute abzieht, wenn es knapp wird?

Da gibt es ein paar Antworten. Erstens muss im Top-Management klar das "wir" herausgestrichen werden. D.h. ich würde mir alle Modelle der Zielerreichung und Prämiengestaltung kritisch dahingehend anschauen, was hier eigentlich belohnt wird. Das Denken fürs Ganze oder das Bereichsdenken? Das wäre der erste wichtige Schritt.

Dann müsste dann bei den Abteilungszielen entweder auf das Gesamtergebnis abgestellt sein oder explizit Bezug genommen werden auf das Abstellen von Mitarbeitern für Projekte in einem bestimmten Ausmaß?

Genau das sind die zwei Lösungen. Ich berate eine Firma, bei der 80% der Prämie der Hauptabteilungsleiter, die noch dazu ziemlich hoch war, auf die Erreichung der Linienziele abgestellt war und 20% dann lukriert wurde, wenn das Gesamtergebnis in der Organisation gestimmt hat. Da hatte natürlich keiner Interesse, auf die 20% zu achten. Jeder hat gesagt: "Pfeif auf die 20%, wenn ich meine Ziele erreiche, habe ich 80% fix. Wenn sich einer meiner Mitarbeiter bei irgendwelchen Projekten engagieren will, pfeife ich den sofort zurück: Hallo, hallo, hier spielt die Musik! Schön beim Herrl bleiben!" Das würden bei diesen Rahmenbedingungen wahrscheinlich die meisten von uns so machen.

Gleichzeitig hatte man aber in diesem Unternehmen einige heikle Projekte abzuwickeln. Die Mitarbeiter wurden dafür intensiv qualifiziert, aber es war ein schönes Beispiel dafür, dass die Qualifikation von Mitarbeitern noch lange kein Garant dafür ist, dass Projektmanagement als Kulturelement in der Organisation verankert wird. Das wäre sehr eindimensional gedacht.
Ich habe dem Geschäftsführer vorgeschlagen, einen Switch zu machen und in Zukunft 20% der Prämie für das Abteilungsziel und 80% für das Gesamtziel anzusetzen. Natürlich gab es einen großen Aufruhr: "Unmöglich, das können wir uns nicht erlauben." "Das haben wir seit Jahren so." "Da rennen uns die Leute davon." Ich habe dem entgegnet, dass sie aus meiner Sicht nicht viele Optionen hätten. Entweder sie würden es so lassen, dann würden die Projekte scheitern und ihre Innovationsfähigkeit leiden, was bereits absehbar wäre. Oder aber sie verändern das Belohnungssystem.

Nach ca. einem ¾ Jahr, und weiter wachsendem Leidensdruck – es muss anscheinend immer der Leidensdruck sehr hoch sein, sonst gibt es keinen  ausreichenden Veränderungsdruck – vollzogen sie dann doch den Systemwechsel. Und siehe da, dieselben Führungskräfte, die sich bisher einmal im Monat in Managementmeetings getroffen hatten, ohne sich dort auch nur irgendwie für die Angelegenheiten der anderen zu interessieren, waren plötzlich höchst interessiert zu erfahren, wie es in den anderen Abteilungen lief und ob das Gesamtziel auch erreichbar sei. Plötzlich gab es niemanden mehr, der dort seine Post erledigt hat, während die anderen gesprochen haben. Obwohl zuerst alle lautstark protestiert haben, hat auch keiner das Unternehmen verlassen. Wenn es nun in anderen Bereiche Probleme gab, war es plötzlich kein Problem mehr, schnell einmal Resourcen zur Verfügung zu stellen, damit die auch ihr Ziel erreichen, weil jeder wusste: Wenn wir es nicht gemeinsam schaffen, gibt es kein Geld.

D.h. als Organisation muss ich mir Rahmenbedingungen überlegen, die das fördern, was ich erreichen will. Und wenn ich Rahmenbedingungen aufstelle, aufgrund derer jeder nur auf seine eigenen Mitarbeiter und seine unmittelbaren Ziele schaut, führe ich Projektmanagement ad absurdum. Denn dann heißt es oft: Wenn du deine Arbeit in meiner Abteilung beendet hast, darfst du dich auch noch ums Projekt kümmern. Das ist Management per Zufall. Wenn ich Glück habe, wird der Mitarbeiter rechtzeitig mit seinem Tagesgeschäft fertig und macht dann, husch pfusch und widerwillig, weil das meistens eine Zusatzaufgabe ist, die noch dazu nicht entlohnt wird, ein bisschen Projektarbeit. Das sind Firmen, die zwar ständig betonen, dass Projektarbeit furchtbar wichtig ist, nur bemerkt niemand etwas davon.

Oft wird das Ge- oder Misslingen von Projekten an den Personen, vor allem am Projektleiter, festgemacht, während die ganze Organisationsebene ausgeblendet wird. Das sind doch aber Uraltprobleme des Projektmanagements, warum hat sich da bislang nichts geändert? Genauso wenig wie an der Projektflut, wo heute scheinbar jede Kleinigkeit sofort zum Projekt erklärt wird, während in den ausgedünnten Organisationen gleichzeitig alle über die Arbeitsüberlastung jammern?

Der Satz, dass das schon vor 10 Jahren klar war, weist darauf hin, dass sich Organisationen nicht besonders rasch verändern, sondern dass es einen hohen Leidensdruck braucht. In vielen großen Organisationen, wo dieser Leidensdruck nicht hoch genug ist, findet man die selben Probleme wie vor 10 Jahren. Andererseits muss man fairerweise sagen: Als ich vor 14 Jahren die Ausbildung mit Zertifizierung zum Projektmanager gemacht habe, hat es noch geheißen: "Aber Herr Widhalm, Sie sitzen doch nicht in der EDV-Abteilung, die hat Projekte, sonst gibt es keine." Damals war ich bei Tarbuk, einer Firma mit rund 33 GmbHs und insgesamt ca. 1000 Mitarbeitern. Liebgewonnene Strukturen gibt man nicht gerne auf. Erst recht nicht, wenn das, was man über die Jahre lieb gewonnen hat, noch halbwegs rund läuft.
Den Punkt mit der Projektflut - das erleben wir auch. Das betrifft wieder die Organisationsebene und fängt damit an, was überhaupt als Projekt definiert wird. In den meisten Organisationen fehlen klare Rahmenbedingungen für Projekte. Es ist nicht klar, was ein Projekt ist, es gibt keine Unterscheidung zwischen kleinen, mittleren und größeren Projekten und es ist absolut unklar, wie die Rollenbeschreibung ausschaut. Was bin ich als Projektleiter, als Auftraggeber, wer bin ich als Projektmitarbeiter rollenmäßig im Vergleich zu meiner Linienaufgabe? Genauso unklar sind die Kommunikations- und Entscheidungswege oder wie die vielen Projekte koordiniert, priorisiert und controlled werden.

Wird das unterlassen, dann wissen die Mitarbeiter nach der Qualifikation zwar, wie es ginge, sind aber erst recht frustriert, weil die Organisation nicht darauf abgestellt ist. Sie werden ozusagen doppelt demotiviert: Wir sagen euch wie es gehen könnte, aber wir ändern nichts, damit es tatsächlich geht.

D.h. die Hypothese wäre, das Wesentliche passiert auf der Organisationsebene. Stattdessen investieren viele Unternehmen in die Qualifikation, kümmern sich aber kaum um die notwendigen Rahmenbedingungen.

Richtig. Ich muss, wenn ich der Organisation dafür keine Rahmenbedingungen vorfinde, als Projektleiter auf der sozialen Ebene viel feiner und besser spielen. Denn ich habe als Projektleiter kein Druckmittel, also muss ich auf good will plädieren. Ich muss versuchen, den Leuten über meine Persönlichkeit klar zu machen, dass die Aufgabe, die wir hier zu lösen haben, überdurchschnittlich sexy ist. Was sehr schwierig sein kann, da ja nicht jedes Projekt das Ziel verfolgt, zum Mond zu fliegen. Zudem muss ich mit Leuten operieren, die mir jeden Tag erzählen, dass sie im Tagesgeschäft so zugedeckt sind, dass sie de facto gar keine Zeit haben, für mich zu arbeiten.
Die Konsequenz ist: In Organisationen ohne klar definierte Rahmenbedingungen steuern die Projektleiter ihre Projekte einzig über ihre Persönlichkeit und über sonst gar nichts. D.h, die Projektmitarbeiter engagieren sich dann für dich als Person oder eben gar nicht. Wenn der Projektleiter aber glaubt, Druck ausüben oder laut werden zu müssen, wird ihm der Mitarbeiter sofort die Frage stellen: "Was willst du überhaupt von mir? Sei froh, dass ich überhaupt da bin, denn ich müsste das gar nicht." Dort wo Projektmanagement aber in der Organisation etabliert ist, unterstütze ich den Projektleiter mit Rahmenbedingungen, die das Projektleben vereinfachen. Denn dann ist auch in der Organisation klar: Wenn ich Mitarbeiter eines Projektteams bin, dann habe ich hier folgende Aufgaben, folgende Rolle, und für den Projektleiter und den Auftraggeber und die Linienvorgesetzten ist das ebenfalls klar.

Jetzt bin ich aber Projektleiter und merke, diese Rahmenbedingungen gibt es bei mir nicht. Was kann ich da tun?

Die Probleme fangen bereits damit an, dass sich viele Projektleiter am Anfang mit einem sehr unsauber formulierten Projektauftrag abspeisen lassen. Um was geht es überhaupt? Wenn sie nachfragen, heißt es: "Das habe ich gerade gesagt. Machen Sie kein großes Tamtam, setzen Sie sich mit ein paar Leuten zusammen und erarbeiten Sie einmal einen Vorschlag." Dort muss man nachfragen. Man darf sich nicht gleich abspeisen lassen, auch wenn man einmal eine unwirsche Reaktion erntet. "Darf ich mal kurz notieren, worum es überhaupt geht." Denn diese Zwischen-Tür-und-Angel-Beauftragungen sind fatal: Man geht den Gang entlang, trifft einen Vorgesetzten und der meint: "Ah, gut dass ich Sie hier treffe, ich habe da eine Idee. Ich bin gestern noch mit dem X Golf spielen gegangen, die haben in ihrer Firma XY eingeführt, warum haben wir das nicht? Machen Sie da einmal was!" Was ist das jetzt? Ist das ein Auftrag? Was soll ich da erfüllen, mit wem? Bekomme ich da ein Budget, um über etwas nachdenken zu dürfen oder nicht? Das ist alles völlig unklar.

Der erste Schritt wäre, mehr Energie zu investieren, damit einmal klar ist, wer überhaupt mein Auftraggeber ist. Dort fängt das Spiel schon an. Ich frage Projektleiter oft: "Wer hat Sie beauftragt?" Dann heißt es oft: "das Management". Wen konkret meinen Sie mit "das Management"? "Naja, wenn ich die Frage X habe, gehe ich zum Herrn Maier, und wenn die Frage Y habe, gehe ich zur Frau Müller." "Und koordinieren sich die?" "Nein, ich bekomme halt teilweise unterschiedliche Aussagen und Entscheidungen." Und genau damit versorgen die Leute dann ihre Projektmitarbeiter. Dass das zum Scheitern verurteilt ist, ist klar. Denn spätestens wenn man dann vor dem Führungskreis etwas präsentiert, gibt es garantiert einen, der dann sagt: "Das haben wir uns ganz anders vorgestellt. Ich habe Ihnen doch extra gesagt, dass...."  "Ja aber die Frau Müller hat gesagt...."

D.h. die Klärung, wer ist mein Auftraggeber?

Wir nennen das das Highlander-Prinzip: Es kann nur einen geben! Es gibt nur einen Auftraggeber und es gibt nur einen Projektleiter und es braucht einen klaren Auftrag. Wir plädieren auf Schriftlichkeit, Weniger ist Mehr: Um was geht es in dem Projekt, Anfang und Ende, wer arbeitet im Projektteam mit, wer ist der klar definierte Projektleiter? Wer ist der Auftraggeber, der das Projekt machtpromotet? Ich brauche jemand Einflussreichen aus der Linie, der hinter dem Projekt steht, sonst hört mir keiner zu.
Schwierig wird es auch, wenn man im Projekt jemanden sitzen hat, der in der Linie mehr Macht hat als der Projektleiter. Dadurch generiert man Multirollen, die oft nicht behirnt werden und dann eine hohe Frustration schaffen. Die Gefahr ist, dass man so informelle Projektleiter generiert, weil sofort die Linienfunktion durchsticht, da der mit mehr Macht in der Linie nicht verstanden hat, dass er jetzt aufgrund seiner fachlichen Kompetenz in einer anderen Rolle tätig ist.

Nur gibt es aber nun einmal Organisationen, wo die Dinge unklar sind, man von oben eben keinen klaren Auftrag bekommt und es kein Interesse gibt, die Rahmenbedingungen zu klären.

Ja, aber ich habe als möglicher Projektleiter immer noch die Möglichkeit zu sagen: "Solange mir das nicht klar ist, nehme ich den Auftrag nicht an." Das sagt sich natürlich leicht, aber ich kann sagen: "Solange ich es nicht verstehe, macht es keinen Sinn, mich mit anderen zusammenzusetzen, denn die fragen mich drei Fragen und ich kann keine beantworten. Ich muss zumindest wissen: Fliegen wir zum Mond oder zum Mars oder heben wir die Titanic? Ich brauche eine grobe Richtung, andernfalls weiß ich auch gar nicht, mit wem ich mich zusammen setzen soll. Wenn Sie sagen, wir fliegen ins All, muss ich zumindest wissen: zu welchem Zweck, wohin, wie lange, womit? Solange ich die Eckdaten nicht kenne, brauche ich über nichts weiteres nachzudenken."

Es gibt ja eigentlich zwei Arten von Projekten, Projekte innerhalb von Bereichen und abteilungsübergreifende.

Wir raten den Organisationen, diese Projektitis zu vermeiden, und daher nur dann von Projekten zu reden, wenn bestimmte Merkmale gegeben sind, z.B. der abteilungsübergreifende Charakter. D.h. es müssen mindestens zwei unterschiedliche Bereiche involviert sein, um die Aufgabe zu lösen, sonst reden wir als Organisation nicht von Projekten. Sonst kommt man im Unternehmen plötzlich auf 410 Projekte, wie mir das vor kurzem untergekommen ist. Zudem empfehle ich eine Differenzierung in A,B,C-Projekte, vom Risiko, von den Ressourcen, vom Budget oder vom Zeitraum her betrachtet. Damit weiß ich auch, welche Projektleiter ich abstellen muss, den für ein A Projekt benötige ich Projektleiter mit anderen Qualifikationen als für ein einfaches C Projekt, wo wenige Bereiche involviert sind, wenig Budget und wenig Risiko vorhanden ist. So entwickelt die Organisation dahinterliegend einen Karrierepfad, der wichtig ist, um Projektmanagement innerhalb der Organisation zu promoten.
Innerhalb einer Abteilung würde ich grundsätzlich nicht von Projekten sprechen, obwohl das leider so eingerissen ist. Das würde ich als "Maßnahme" bezeichnen, aber natürlich klingt es besser, ein project manager zu sein als jemand, der eine Maßnahme zu erledigen hat. Dies kann aber gerne auch mit den Methoden des Projektmanagements erledigt werden. Es liegt an der Führungskraft, dafür zu sorgen, dass auch eine Maßnahme entsprechend wichtig genommen wird.

Was sind nun die speziellen Anforderungen an Führung?

Handwerkliche Basisvoraussetzungen sind Instrumente und Techniken zum Projektstart, zum Controllen eines Projektes und zum Abschluss. Das ist das Minimum an Handwerkszeug. Diese Seite wird ein den meisten Organisationen durch Weiterbildungen relativ gut abgedeckt.

Gerade weil Projektleiter eben nicht die Personalverantwortung haben und oft auch keine Budgetverantwortung, brauchen sie ein gutes Gespür, wie sie sich schnell auf unterschiedliche Leute, möglicherweise auch unterschiedliche Kulturen, einstellen können, weshalb die soziale Kompetenz eine große Rolle spielt. Wen setze ich wo wie bestmöglich ein? Das muss ich viel schneller erkennen und entscheiden können als in der Linie. Noch dazu kann ich mir die Leute im Projektteam oft gar nicht aussuchen. In vielen Organisationen ist es so, dass man die Bereiche anfragt und die dortigen Führungskräfte dann - auch wenn das keiner zugeben würde - überlegen: Wen brauche ich gerade nicht? Wen will ich loswerden? Den schicken sie dann ins Projektteam hinein und mit diesen Leuten muss man sich dann als Projektleiter herumraufen. Noch heikler wird das Führungsthema in internationalen Projekten, wo das interkulturelle Thema enorm wichtig ist.
Als Projektleiter muss ich dieses kleine Orchester erst einmal zum Spielen bringen. Dazu muss klar sein, wer welches Instrument spielt und was das für ein Stück ist und dann stellt sich die Frage: Schaffen wir ein vereinbartes Stück in einer gemeinsamen Lautstärke und dem gleichen Tempo? Den Leuten muss also klar sein, welche Rolle sie haben, dass sie als Fachspezialisten da drinnen sitzen, und hier bestimmte Kompetenzen einbringen sollen. Der Projektleiter selbst braucht weniger Fachwissen, sondern vor allem Wissen über Projektmanagement und Wissen über das Führen von Menschen in heiklen, schwierigen, stressigen, komplexen Situationen, bei Aufgaben, die für die Organisation neu sind.

Das klingt nach Wunderwuzzi.

Ja, das sind auch Wunderwuzzis. Nicht umsonst passiert in etlichen Organisationen Karriere - das ist ja auch ein interessantes Phänomen - zur Zeit vor allem über Projekte. Ein gar nicht untypischer Fall ist eine Mitarbeiterin, die vor sechs Jahren die Basisausbildung für Projektmanagement gemacht hat. Dann hat sie in den vergangenen Jahren vier sehr heikle Projekte exzellent abgewickelt, was in der Organisation Aufsehen erregt hat und auch im Top-Management aufgefallen ist: Aha, da gibt es jemanden, der diese heiklen Aufgaben in der vereinbarten Zeit mit wechselnden Teams handeln kann. So jemand ist für einen Führungsjob in der Linie top qualifiziert. Mittlerweile leitet sie einen großen Unternehmensbereich. Das ist ein gutes Beispiel, wie Karriere in der Linie über Projekte laufen kann. Andererseits gibt es auch in immer mehr Organisationen einen eigenen Karrierepfad im Projektmanagement, der vom Junior zum Senior bis zum Programm-Manager reicht. Entscheidend ist hier ein adäquates Standing in der Organisation und eine der Linie vergleiche Entlohung.

In der Praxis haben viele Projektleiter ja oft eine Doppelrolle, eine Position in der Linie, Gruppen- oder Abteilungsleiter, und gleichzeitig betreuen sie noch ein oder mehrere Projekte. Die theoretische Trennung, hier Linienvorgesetzte, dort Projektleiter, ist in der Praxis doch oft eine Personalunion.

Ja, aber das funktioniert nur dort gut, wo Multirollen in der Organisation klar verankert und verstanden sind. Hier reden wir auch von Vereinbarungen mit Mitarbeitern, wo z.B. klar ist, dass der Mitarbeiter zu 70% die Abteilungsziele zu erreichen hat und sich zu 30% in Projekten bewegen muss. Und wo ebenfalls klar ist, dass die Hauptabteilungsleiter auch daran gemessen werden. Denn aus dem Dilemma kommen die Führungskräfte nur heraus, wenn sie in ihren Zielen und Aufgaben auch klar drinnen stehen haben, dass die Resourcen auch fürs Projektgeschäft einzusetzen sind. Belohnung über Geld ist nur eine Dimension, oft nicht die wichtigste: Dazu kommen Standing, etwa durch einen Projektmanagement-Award für überdurchschnittliche Leistungen, einen Artikel in der Mitarbeiterzeitung, ein Treffen mit dem Vorstand, usw. Es geht darum, dass mein Einsatz erkannt und gewürdigt wird. Die Leute haben immer dort den maximalen Frust, wo das kein Mensch registriert, honoriert und mitbekommt, was sie da machen. Deswegen etablieren wir in allen Organisationen, in denen wir Projektmanagement professionalisieren, auch ein Marketing fürs Projektmanagement. Es gehört auch zu meinem Job als Projektleiter, zu schauen, dass innerhalb der Organisation klar wird, worüber wir da gerade nachdenken oder was wir da gerade entwickeln. Man kann z.B. einen Projektmarktplatz etablieren, wo sich halbjährlich oder jährlich die Projekte innerhalb der Organisation präsentieren.

Was beschreiben Projektleiter als ihre vorrangigen Probleme?

Erstens: Gibt eine klare Beauftragung, ja oder nein? Gibt es eine gewisse Schriftlichkeit? D.h. gibt es ein Projekthandbuch, ja oder nein? Zweitens: Werde ich für mein Projekt auch offiziell abgestellt? Ist das organisatorisch geregelt, oder regt sich dann mein Chef auf, dass ich ein Projekt leiten soll. Dritter Punkt: Die Projektleiter haben Schwierigkeiten, Ressourcen zu bekommen und diese vor allem zu halten, weil ihnen dann aus irgend welchen Gründen Ressourcen wieder abgezogen werden.
Diese drei Punkte messen wir: Wie viele der Projekte laufen in der Zeit und Qualität wie vereinbart ab? Um das festzustellen, braucht es zumindest eine gewisse Schriftlichkeit, wo am Projektauftrag steht: Das Projekt heißt.... Es sollte fertig sein am...  Projektziele sind..... Sie sind messbar durch..... Die Ziele wurden erreicht: ja oder nein? Diese Messbarkeit ist erfolgskritisch für die Motivation der Leute. Wo es das gibt, haben die Leute unverhältnismäßig mehr Motivation, sich auf Projekte einzulassen. Wenn ich diese drei Punkte nicht habe, frustriere ich als Organisation die Leute enorm und ich entwickele eine Kultur die da heißt: Projekt im Anmarsch? Achtung ducken und verstecken!

Warum werden so viele Projekte nicht in der geplanten Zeit fertig?

Das hat viele Gründe. Wenn ich z.B. jemanden aus der Linie für ein Projekt freistelle, aber nach Ablauf des Projektes in der Linie für ihn keinen Job habe und es keine Folgeprojekte gibt, dann haben die Leute logischerweise maximales Interesse, dass das Projekt noch etwas länger dauert, weil sich damit die Chance vergrößert, dass inzwischen ein Folgeprojekt daher kommt. Ähnliches gilt auch in reinen Projektorganisationen. Die arbeiten ja meist mit einem Pool an Leuten, die sie je nach Kundenaufträgen einsetzen. Diese Leute wissen, wenn es noch keinen Folgeauftrag gibt und sie wissen, dass sie nicht ewig im Pool behalten werden, weil sich das keine Firma leisten kann. Also dauert das Projekt dann eben ein bisschen länger. Das ist allerdings eine reine Vermutung.

Linktipp: Im unteren Teil der Next-Level-Seite
http://www.nextlevel.at/de/projektmanagement/pm-tools/verfuegbare-pm-tools/projekthandbuch.std.html hat man die Möglichkeit, sich kostenlos zu registrieren und erhält dann via Mail den Link zu einem ausführlichen Projekthandbuch mit zahlreichen, nützlichen Vorlagen.

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Mag. Bernhard Widhalm, Geschäftsführer der Next Level Consulting