Das hierarchielose Unternehmen

Wenn sich Teams selbst steuern und über "Nahtstellenvereinbarungen" mit ihren internen "Lieferanten" und "Kunden" koordinieren, wozu benötigt man dann noch Vorgesetzte? Die oberösterreichische Firmengruppe Peneder lebt das hierarchiefreie Unternehmen bereits vor. Den Ergebnissen nach lebt sie damit ausgesprochen gut.

Manche Entwicklungen sind wirklich nicht vorherzusehen. Der Anlassfall, der Franz Peneder im Jahr 1996 dazu brachte, über organisatorische Veränderungen in seiner Firma nachzudenken, war eigentlich eher banal, weil häufig anzutreffen: Der Unternehmensinhaber und Geschäftsführer war es leid, sich ständig aufs Neue mit den Reibereien zwischen der Einkaufsabteilung und anderen Abteilungen herumzuärgern und dachte daher über Möglichkeiten nach, das Problem ein für allemal vom Tisch zu kriegen.

Kleiner Anlass, große Wirkung

Als dann sein Bruder, Karl Peneder, Geschäftsführer des zweiten Familienunternehmens, der "Peneder Brandschutztore", Anfang 1996 begann, mit dem Unternehmensberater Ing. Ernst Weichselbaum sein Unternehmen umzustellen und damit in kurzer Zeit enorme Ergebnisverbesserungen erzielte – z.B. sank die Lieferzeit von ca. vier Wochen auf gerade noch 30 Stunden (!) – setzte sich auch Franz Peneder mit dem Unternehmensberater zusammen, um eine Lösung für sein "Einkaufsproblem" zu finden.

Ernst Weichselbaum, den die Brüder ursprünglich bei einem seiner Seminare zum Thema "Fraktale Fabrik" kennengelernt hatten, riet ihm allerdings davon ab, den Einkauf allein neu zu organisieren. Statt dessen setzte sich ein „Kernteam“ aus verschiedenen Bereichen des Hallenbauers drei Tage zusammen und kreierte, angeregt durch die Berater-Fragen, einen radikalen Neuentwurf des gesamten Unternehmens. Zwar war dieser Neuentwurf am Ende dieses Workshops erst in groben Umrissen erkennbar, allerdings konkret genug, um gleich darauf die ersten Schritte zu setzen.

Abschied von der Hierarchie

Statt der bisherigen hierarchischen Struktur mit Geschäftsführer und Abteilungsleitern entstand die neue Organisation entlang des Leistungsprozesses in Form von Verkaufs-, Produktions- und Montagesteams sowie einem "Unterstützungsteam" Geschäftsleitung. Die ehemaligen Abteilungsleiter integrierten sich entweder in die Teams bzw. bildeten ein eigenes Expansionsteam zur Erschließung neuer Märkte oder verließen das Unternehmen.
Um im Verkauf möglichst ausgewogene Teamzusammensetzungen zu schaffen, bestimmte Herr Peneder jeweils eine Person pro Team als Fixstarter, während sich die anderen Mitarbeiter dann nach eigener Wahl zuordnen konnten.

Eine ähnliche Vorgangsweise wählte man auch bei der Zusammensetzung in der Montage, wobei sich hier im großen und ganzen die bereits bestehenden Partien wieder zusammenfanden, einige wenige bisher "mitgetragene" Arbeiter aber plötzlich in keinem Team mehr Aufnahme fanden und in der Folge aus dem Unternehmen ausschieden. Die Aufgaben und Leistungen jedes Teams, ebenso wie Zuständigkeiten, Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse wurden in kurzen Workshops klar definiert und auf einer A4-Seite pro Team schriftlich festgehalten, ebenso wie die "Nahtstellenvereinbarungen" zu internen Lieferanten und Kunden.

Interne Verrechnung

"Ein ganz wesentliches Element unseres Ansatzes ist, dass wir uns bei jedem Team immer gefragt haben, wie würde das sein, wenn es eine externe Firma macht? Dort muß ich z.B. klare Auftragsgrundlagen haben. Habe ich auch die zwischen den Teams? Mit einem Fremden würde ich so und so umgehen, gehe ich mit den eigenen Teams auch so um?" Als Folge dieser Grundidee von Teams als kleinen Unternehmen gab es zu Beginn der Umstellung eine grundlegende Einigung der Teams über die Kalkulationsgrundlagen: Welcher Arbeitsprozess dauert wie lange und verursacht pro Zeiteinheit welche Kosten? Auf Basis dieser jedes Jahr neu überarbeiteten Kalkulationsbasis wird nun ein einzelner Auftrag vom Verkaufsteam kalkuliert und den einzelnen Teams mit Preisen zugewiesen. So könnte ein Auftrag an eines der Produktionsteams gehen "zum Bau der benötigten Elemente zum Preis von z.B: Euro 63.000,- lieferbar in 13 Tagen". Zum gleichen Zeitpunkt erhielte eines der Montageteams den "Auftrag zum Aufstellen einer Halle mit bestimmten Ausmaßen zum Preis von Euro 26.000,-,- mit Start der Montage in genau 13 Tagen, fertigzustellen bis zum Tag X".

G+V für jedes Team

Jedes Quartal gibt es pro Team eine eigene Gewinn- und Verlustrechnung. Gibt es einen Gewinn, wird dieser in einem festgelegten Verhältnis zwischen Team und Unternehmen geteilt. In den Verkaufsteams gilt z.B. die Regel, daß bei einem Gewinn das erste Prozent dem Unternehmen zusteht und durch das Fixgehalt abgegolten ist. Der darüber hinausgehende Gewinn wird im Verhältnis 1:2 zwischen Team und Unternehmen aufgeteilt. Gibt es allerdings, und das ist eben die Kehrseite der Medaille, einen Verlust in der G+V-Rechnung des Teams, dann muß dieser Verlust erst ausgeglichen werden, bevor wieder an eine Gewinnausschüttung zu denken ist. Ein „Glattstellen“ zu Jahresende, wie das bei vielen "Profit-Center-Ansätzen" in der Industrie der Fall ist, gibt es nicht.

Das 1/3 und 2/3 Teilung gibt es allerdings nicht überall. In der Produktion bekommen die Mitarbeiter die Hälfte von dem, was im Topf überbleibt. In der Montage erhalten die Leute sämtliche Kosten, die sie einsparen. Hier ist der Vorteil des Unternehmers: "Ich weiß, ich brauche nicht mehr Stunden zahlen und ich habe einen fixen Stundensatz. Das Risiko der Monteure ist, wenn es einen Schaden gibt, z.B. am LKW-Kran, dann müssen sie das auch zahlen. Wenn sie mehr oder neues Werkzeug brauchen, dann gehört das zu deren Budget, denn in dem Stundensatz, den wir im zahlen, sind ja KfZ-Servicekosten usw. alles drinnen. Daher gehen die Leute mit den Sachen anders um, als wenn es für sie keine Auswirkungen hätte." Im letzten Jahr gab es aufgrund dieser Regelung Teams, die bis zu sechs, sieben Monatsgehältern dazu verdient haben. Es gab aber auch Teams, die nichts dazu verdient haben.

Hohe Verluste führen zum Teamkonkurs!

Übersteigt ein allfälliger Team-Verlust eine bestimmte Marke, dann muß das Team ein Sanierungskonzept vorlegen, das schlüssig erläutert, wie dieser Verlust in nächster Zeit wieder hereingewirtschaftet werden soll. Im schlimmsten Fall (der bisher allerdings noch nicht vorgekommen ist) kann ein Team konsequenterweise auch in Konkurs gehen und aufgelöst werden. Allerdings verliert ein angestelltes Teammitglied dann im Gegensatz zu einem "echten" Unternehmer höchstens seinen Job, das Abzahlen etwaiger Schulden ist auch bei der Firma Peneder nach wie vor dem Inhaber vorbehalten.

Einkauf neu

Im Einkauf, dem ursprünglichen Sorgenkind, ging die Firma komplett weg von den üblichen Einzelanfragen und Preisvergleichen. Der Einkaufsprozess wurde radikal vereinfacht, die frühere Einkaufsabteilung mit drei Mitarbeitern aufgelöst. Stattdessen gibt es heute Jahresvereinbarungen mit einigen wenigen Lieferanten. Die vielen kleinen Vorteile, die damit zusammenhängen, sparen wesentlich mehr Geld als jede Preisfeilscherei: Kein Zeit- und Arbeitsaufwand mehr für ständige Anfragen ("nur mehr Bestellungen, Rechnungskontrolle, fertig"), keine Probleme mehr durch Kauf bei mehreren Lieferanten und damit verbundenem Koordinierungs- und Umschlichtungsaufwand beim Anliefern, keine ständige Ablenkung der Arbeit durch Vertreter ("jeder weiß, dass wir für ein Jahr vergeben sind"), keine leeren Kilometer durch Anfragen während des Anbotsstadiums, wo man dann doch keinen Zuschlag erhält. Heute erledigt Franz Peneder den Einkauf selber, indem er einmal jährlich mit den Lieferanten verhandelt, unterstützt durch Mitglieder verschiedener Teams, die als "Produktberater" für bestimmte Produktgruppen fungieren.

Zuerst denken die Leute wie ein Unternehmer,
dann handeln sie wie einer, dann werden sie einer!

"Das einzige, was einige unserer Teams noch von einem eigenen Unternehmen unterscheidet, ist der rechtliche Aspekt", beschreibt Karl Peneder die Entwicklung einzelner Teams zu immer mehr Autonomie und Selbstverantwortung. Und gerade diese Hürde der rechtlichen Selbständigkeit wird von den Teams bei Peneder zunehmend übersprungen.

Beispiel Statiker: "Wir hatten immer Probleme mit der Statik. Wenn man einen guten Statiker hat, dann geht der nach zwei, drei Jahren und wenn er nicht gut ist, ist dir auch nicht geholfen. Es war immer derselbe Zirkus. Jetzt habe ich mit dem Statiker ausgemacht, er macht ein selbständiges Büro, ich bin dort mit Minderheit beteiligt, er ist bei uns eingemietet, und seit einem Jahr funktioniert das zur Zufriedenheit aller Beteiligten."

Beispiel EDV: "Wir haben in den letzten Jahren viel in die EDV-Entwicklung investiert. In der Phase haben sich unsere Mitarbeiter sehr viel Wissen angeeignet, aber jetzt wird der Aufwand immer weniger. Im Moment hätte ich dadurch ein totales Auslastungsproblem und ich müßte einen der drei Mitarbeiter kündigen. Im Frühjahr haben sich die drei als GmbH selbständig gemacht und bauen derzeit bei unserem Lizenznehmer in Deutschland die EDV auf. Außerdem haben die Leute von Baan gemerkt, wie gut die mit ihrem Produkt umgehen. Jetzt vermittelt Baan die drei an ihre Kunden weiter und ich mache mir keine Sorgen mehr, ob die genügend Arbeit haben oder nicht."

Beispiel Rechnungswesen: "Leistung, die von den Teams beansprucht wird, wird von ihnen auch bezahlt: Eine Rechnung kostet soviel und eine Zahlung soviel und ein Quartalsabschluß soviel. Die Leiterin des Rechnungswesens bekommt mittlerweile Aufträge von anderen Unternehmen, um das bei uns entwickelte System, z.B: G+V für jedes Team, auch dort zu etablieren. Die Hälfte des anfallenden Honorars geht an die Firma, die andere Hälfte an das Team. In diesem Fall hängt die rechtliche Selbständigkeit nur mehr von der Klärung bestimmter rechtlicher Fragen ab."

Die alte Firma Peneder gibt es also nicht mehr. Es gibt keinen Hierarchien mehr, nur mehr selbständige Teams. Die ehemaligen Verwaltungsbereiche und internen Dienstleister agieren teilweise bereits als selbständige Unternehmen und liefern die benötigten Leistungen zu, oder noch als Teams innerhalb der Unternehmensgrenzen, die im Falle freier Kapazitäten am freien Markt dazu akquirieren.

Franz Peneder über....

Teamentwicklung:

     

  • Wir haben auch in den Jahren davor viel im Bereich im Bereich Persönlichkeitsentwicklung gemacht, aber wenn dann die Organisation nicht danach ist, dann entwickelt sich das Team nie.
  • Teams brauchen Schwierigkeiten, die sie überwinden müssen und Erfolgserlebnisse, erst dann werden sie zu wirklichen Teams.
  • Solange am Ende des Jahres etwaige Verluste einfach gestrichen werden und dann bei Null begonnen wird, ist das System nicht wirklich leistungsorientiert.
  • Die wesentlichste Erkenntnis heißt: Beeinflussungs-  und Verantwortungsstrecke müssen hundertprozentig eins sein. Ich kann niemanden zur Verantwortung ziehen für etwas, das er nicht beeinflussen kann. Und wenn ich als Führungskraft noch dazu ständig eingreife, dann übernimmt der Mitarbeiter natürlich nicht mehr die Verantwortung.
Die Voraussetzungen im Management:

"Wenn ich als Unternehmer ein Menschenbild habe, das bezweifelt, dass etwas auch ohne mich funktioniert, dann funktioniert es auch nicht. Wenn ich, sobald etwas falsch läuft, das sofort als Beweis ansehe, dass man Sachen eben doch nicht aus der Hand geben darf, dann wird das auch nichts. Denn entscheidend ist bei diesem System, ins Unternehmen nicht hineinzugreifen. Und das muss man als Unternehmer erst einmal aushalten."

ergebnisabhängige Bezahlung:

"Wichtig ist: Das System muss schlüssig sein. Wenn z.B. nur die Verkaufsteams einkommensmäßig abhängig sind, und die Produktionsteams und die Montageteams nicht, wie wir das in einem ersten Ansatz gehabt haben, dann hat das keine Wirkung. Wenn das Handeln des Monteurs zwar das Ergebnis des Verkaufsteams beeinflusst, aber das eigene nicht, dann identifiziert er sich nicht damit. Darum ist so wichtig, dass man das durchgängig macht."

Ing. Weichselbaum zu...

....der Frage: Was passiert mit den Führungskräften?

Sie bekommen teilweise neue Aufgabe: Es gibt in den Unternehmen permanente Teams, temporäre Teams und Betreuungsteams. Diese Betreuungsteams sind besonders wichtig, denn da können sich die ehemaligen Vorarbeiter, Meister, Abteilungsleiter etc. hoch qualifizieren. Diese Leute fahren auf Messen, machen Benchmarking usw. und von dort gehen dann wieder Projekte aus. Beim Peneder beispielsweise gibt es ein Expansionsteam, das heute bereits Lizenzen nach Dubai verkauft. Daran hätten die früher nicht zu denken gewagt.

Bis jetzt sind ja Führungskräfte in einem sehr hohen Ausmaß Krisenmanager. In einem Betrieb, in dem alles glatt lauft, fühlt sich ein Meister schnell überflüssig. Da ist er sogar froh, wenn nicht alles glatt lauft, damit er gebraucht wird. Jetzt drehen wir es um und sagen den Leuten: Verkauft euer Wissen den anderen Teams als Betreuungsleistung. Verkaufen meine ich wörtlich. Die Teams kaufen Stunden ein.

....Abwehrverhalten:

Natürlich gibt es Abwehrmechanismen der Hierarchieverlierer. Der Wechsel gelingt dann, wenn man mit einem bisherigen Meister oder Abteilungsleiter gemeinsam ein attraktives Zukunftsbild von seiner neuen Rolle entwickelt. Dann erst kann er loslassen. Der muss zuhause, am Wirtshaustisch eine tolle Story erzählen können. Attraktiv ist die nur, wenn er an der Entstehung direkt mitgewirkt hat. So etwas kann nicht verordnet werden. Das haben viele immer noch nicht verstanden.

....der gedanklichen "Neugründung" des Unternehmens.

Es geht um Einbindung: Die Leute müssen beim Entwurf der neuen Firma dabei sein.

     

  1. Mit der derzeitigen Situation wird folgendermaßen verfahren: "Alles was bisher war, ist gut, sonst wären wir nicht so weit gekommen". Dann ist eine Schranke im Kopf weg. Denn wenn man "Schwachstellen" analysiert, signalisiert das: Du hast da was schlecht gemacht.
  2. Stattdessen der Zugang: "Wir haben heute aufgrund unserer Erfahrungen ein reichhaltiges Wissen: Wenn wir also das Unternehmen heute neu gründen würden, wie würden wir es dann machen?" Im Fall der Firma Peneder hieß daher die Frage: Wie wäre das denn, wenn ich als Hallenbauer mit dem, was ich weiß heute ein Unternehmen gründen würde? Wie würde ich es machen, wenn ich durch nichts Bestehendes eingeschränkt wäre?
  3. Angst nehmen und Akzeptanz schaffen: Es geht immer über den Versuch: Das Neue tritt in Wettbewerb mit dem Bisherigen. Dabei muss man immer auch die Möglichkeit offen lassen, dass das Neue schlechter ist als das Alte. Damit schafft man erst den Boden, dass Neues entstehen kann, weil so kein Verlustgefühl entsteht und die Energie dann vom Bewahren weggeht.

11.1998

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