Change and Emotions

Wie Führungskräfte Emotionen bei Veränderungen nutzen können.

In den vergangenen Jahren ist in den Organisationen das Interesse am Thema Emotionen spürbar gestiegen. Werden Emotionen wie Interesse, Freude und sogar Leidenschaft von Mitarbeitern und insbesondere von Führungskräften begrüßt, betrachtet man vermeintlich negative Emotionen wie Angst, Aggression oder gar Trauer insbesondere bei schnellen und radikalen Veränderungsprozessen als Problem, zumal sie vom Management üblicherweise als Widerstand und Barriere für Veränderungsvorhaben gedeutet werden.

Die vielfältigen emotionalen Dynamiken, die in den sich verändernden Organisationen und ihren unsicheren Kontexten entstehen, sollten von den Führungskräften eigentlich aufgefangen und konstruktiv gestaltet werden. In der Praxis wird die Bedeutung und der Stellenwert von Emotionen für Motivation, Leistungserbringung und Identifikation von Führungskräften aber nach wie vor unterschätzt und die Kommunikation über Emotionen in Organisationen tendenziell tabuisiert. Damit bleibt eine wichtige Ressource für den Erfolg von Veränderungsprozessen ungenützt.

Dieser Artikel basiert auf einer aktuellen empirischen Arbeit über die Bedeutung von Emotionen für Führungskräfte bei Veränderungsprozessen 1). Dabei wurden Führungskräfte und Teilnehmer von Führungskräftetrainings in Finanzdienstleistungskonzernen mittels qualitativer Einzel- und Gruppeninterviews nach Auslösern, Situationen und Verhaltenskonsequenzen von Emotionen bei Veränderungsprozessen befragt. Anhand eines auf den fünf Grundgefühlen der Affektlogik nach L. Ciompi basierenden theoretischen Grundlagenmodells wurde eine Emotionentaxonomie entwickelt. Darauf aufbauend entstanden mehrere konkrete Instrumente, die Führungskräften den Umgang mit eigenen und fremden Emotionen in Veränderungsprozessen erleichtern sollen.

Die zentralen Ergebnisse im Überblick:

Die verschiedenen emotionalen Erfahrungsbereiche für Führungskräfte lassen sich in sechs grobe Kategorien zusammenfassen.  Nachfolgende Tabelle zeigt die sechs Oberkategorien und die identitätsrelevanten Themen und Situationen der Führungskräfte während der Befragungsperiode. Je nach Auslöser und Situation sind typische positive und negative Gefühle im Spiel, die ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Motivation und das Verhalten der Beteiligten haben.

Rahmenmodell emotionalen Erlebens in Change-Prozessen

Arbeit / Aufgabe Persönliche Situation Soziales Umfeld / Team und Mitarbeiter
  • Nicht-funktionierende IT, Prozesse u. Abläufe
  • Inhalte der Arbeit/der Aufgabe
  • Arbeitsbelastung
  • Sicherheit / Verlust
  • Identifikation mit der Arbeit
  • Professionelles Arbeiten
  • Sinn
  • Arbeitsplatzsicherheit
  • Status & Zukunft
  • Kontrolle über Situation/Geschehen
  • Wirksamkeit
  • Zugehörigkeit / Ausgrenzen
  • Persönliche Entwicklung
  • Funktionswechsel
  • Sinn & Wertschätzung
  • Teams werden gestärkt/geschwächt
  • Zugehörigkeit / Ausgrenzen
  • Position im Team finden/erarbeiten
  • Zusammenarbeit u. Trennung
  • „Heimat“ und Sicherheit
  • Konflikte
  •  

     

    Führung Beziehung zur Organisation Beziehung zum Kunden
  • Wahrgenommene Fairness des Geschehens
  • Glaubwürdigkeit u. Vertrauen in direkte Vorgesetzte
  • Überlastung
  • Kritik / Lob
  • Anerkennung / Wirksamkeit
  • Wahrgenommene Fairness des Geschehens
  • Glaubwürdigkeit und Vertrauen in Organisation und Management
  • Identifikation & Werthaltung
  • Zugehörigkeit
  • Wertschätzung der Stakeholder
  • Kundenbeziehung / Feedback von Kunden / Trennung
  • Erfolg
  • Emotionen beziehen sich immer auf bestimmte Erfahrungen (erlebte Ereignisse oder Situationen). Sie weisen auf Aspekte der Arbeitswelt hin, denen von Mitarbeitern (hier Führungskräften) besonders hohe Bedeutung zugemessen wird und auf die deshalb sensibel reagiert wird. Clustert man den Kontext von Emotionen und die Erfahrungsbereiche, so ergibt sich ein Rahmenmodell für das emotionale Erleben von Veränderung: das "Kontextsteuerungsmodell von Emotionen". Mit diesem Modell wurde ein Bezugsrahmen für die Praxis entwickelt, der Auslöser, Arten und Konsequenzen von Emotionen betrachtet und somit Führungskräften Orientierung für eigene Interventionsabsichten bei der nicht exakt planbaren Steuerung von Emotionen schafft.

    Jeder dieser sechs Erfahrungsbereiche enthält positive und negative Ereignisse und Situationen. In Abbildung 1 sind alle Emotionen je Erfahrungsbereich angeführt. Die verschiedenen Emotionen sind zudem nicht gleichmäßig oder zufällig auf die sechs Erfahrungsbereiche verteilt, sondern es gibt typische, den Erfahrungsbereich charakterisierende Gefühle. Diese haben wiederum unterschiedliche Konsequenzen für die Motivation und das Verhalten. Die Erfahrungsbereiche und Themen sind in blauer Schriftfarbe, positive Emotionen in grüner und negative Emotionen in roter Schriftfarbe erkenntlich.

    Abbildung 1: Kontextsteuerung von Emotionen und emotionale Erfahrungsbereiche

    Diese Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Erarbeitung individueller und organisationsspezifischer Instrumente und Modelle zur ganzheitlichen Personal- und Führungskräfteentwicklung. U.a. wurde ein Rahmenmodell für das emotionale Erleben von Veränderungen, ein Interventionsmodell, eine Emotionentypologie sowie ein Reflexionsleitfaden für Führungskräfte im Umgang mit eigenen und fremden Emotionen entwickelt.

    Beispiel: Reflexionsleitfaden

    Ein bemerkenswertes Ergebnis lieferte die Wahrnehmung der vielfältigen Emotionen hinsichtlich Intensität und Qualität ihres energetischen Aktivierungspotenzials. Folgende Intensitätsstufen konnten herausgearbeitet werden: Emotionen können "positiv" oder "negativ" sein. Weiters können sie – im Sinn einer energetischen Aktivierung – "schwach" oder "stark" sein. Angst und Furcht sind starke negative Emotionen. Enttäuschung oder Frustration sind schwache negative Emotionen. Begeisterung und Leidenschaft sind starke positive Emotionen, wohingegen Zufriedenheit eine schwache positive Emotion darstellt: Schwache, egal ob positive oder negative Emotionen, spornen Führungskräfte nicht zum Handeln an.

    Bemerkenswert war auch, dass Emotionen, die aktivierend erlebt werden, einen positiven Beitrag zu Veränderungsprozessen ergeben. So wurden Aggression, Wut, Stolz oder Freude als stark handlungsaktivierend bei Veränderungen empfunden, wohingegen deaktivierende, schwache Emotionen wie Trauer, Neugier/Interesse oder Resignation zu handlungsneutralem Verhalten oder gar Passivität und Rückzugstendenzen führten. Ausgeprägt erlebter Ärger und insbesondere Misstrauen führte ebenfalls zu Passivität und ein Zurücknehmen der Identifikation mit der Organisation.

    Eine Sonderstellung nimmt die Emotion Angst ein. Man könnte nach Ed H. Schein (1995) – der z.B. Lernangst  von Überlebensangst bei Veränderungen unterscheidet - von einer "Paradoxie der Angst" sprechen. So ist neurobiologisch erklärbar, dass z.B. ein geringes Angstniveau das Gehirn anregt, neue Lösungsmuster zu erfinden und auszuprobieren.  Überschreitet Angst aber eine Schwelle (z.B. Panik) geht das Gehirn auf besonders alte und fest verankerte Muster zurück, wodurch Lernen verhindert wird. Je nach subjektivem Erleben und Vorerfahrungen der Führungskräfte kann Angst alle Qualitäts- u. Intensitätsstufen (schwach/stark, positiv/negativ) annehmen und somit als aktivierend oder – mehrheitlich dieser Untersuchung entsprechend – als deaktivierend erlebt werden.

    Die Interpretation des Datenmaterials beweist, dass positive als auch (überraschenderweise) negative Emotionen funktionale Wirkungen für Führungskräfte und wichtige Impulse für Veränderungsprozesse haben, wenn sie als handlungsaktivierend empfunden werden. Die Schlussfolgerung aus der Studie gibt Hoffnung für den zukünftigen Stellenwert und deren Bedeutung von Emotionen in Organisationen: Ohne Affekt kein Effekt!

    Autor: Mag. Dr. Stefan TEUFL, arbeitet im Bereich Human Resources Strategy einer Bank. 09.2005

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    Dr. Stefan Teufl