"Führungsqualität erkennt man in unerwarteten Situationen"

DI. Wolfgang Hiermann, Abteilungsdirektor der Beko Engineering & Informatik AG, über die unterschiedlichen Führungsziele bei Abteilungs- und Teamleitern und die schwierige Unterscheidung zwischen herausfordernden und überfordernden Zielen.

Herr DI. Hiermann, wonach beurteilen Sie die Leistung Ihrer Führungskräfte?

Ich finde, man muss unterscheiden, auf welcher Hierarchieebene die Führungskräfte beurteilt werden. Ich selbst und meine Abteilungsleiter werden einerseits nach dem Unternehmenserfolg bewertet, andererseits nach persönlichen Zielvorgaben. Von der Geschäftsführung gibt es Umsatz- und Ertragsvorgaben, die dann mit den Beteiligten abgestimmt werden. Das ist ein leicht messbares Ziel und der eine Teil der Beurteilung.

Aber solche Umsatzziele können doch nur die Verkäufer beeinflussen oder?

Nein, das glaube ich eben nicht. Bei uns ist die Aufgabenverteilung so, dass der Verkauf zwar schwerpunktmäßig die Verantwortung für den Umsatz trägt und die Verkaufspreise bestimmt, dafür verantworten wir in der Produktion z.B. Einkauf und die Bereitstellung der Leistungen und der Qualifikationen. Ich finde ich es wichtig und richtig, dass unsere Seite genauso umsatz- und ertragsbezogen bezahlt wird wie der Verkauf. Das fördert die Zusammenarbeit. Diese frühere Trennung, bei uns Kostenziele, beim Verkauf Umsatzziele, haben wir aufgegeben.

Neben den Zahlenzielen gibt es in meinem Bereich noch Entwicklungsziele für die Abteilungsleiter, die heißen bei uns persönliche Vorgaben 2, persönliche Vorgaben 1 sind Umsatz- und Ertragsziele: Persönliche Vorgaben 2 sind Entwicklungsziele, die wir in den einzelnen Abteilungen erreichen wollen. Kernpunkt ist z.B. dass wir in der fachlichen Entwicklung unsere Qualifikation in Form von öffentlichen Auftritten, Vorträgen, Artikeln viel stärker nach außen zeigen müssen. Daher gibt es hier Vorgaben: so und so viele Vorträge, Publikationen etc. müsst ihr machen. Das kann man ebenfalls eindeutig messen.

Eine weitere Vorgabe war bestimmte Entwicklungen voranzutreiben, z.B.: Wir wollen eine Gold-Partnerschaft mit Microsoft. Um das Ziel zu erreichen, muss man eine bestimmte Applikation entwickeln, ein vorgegebenes Procedere einhalten. Was sich gezeigt hat, war, dass man solche Ziele leicht auf die Teamebene herunterbrechen kann. Das Ziel "Du bist mit deiner Truppe dafür verantwortlich, in diesem Jahr 3 Vorträge zu veranstalten" kann man eindeutig messen. Umsatz- und ertragsbezogene Ziele gehen bei uns bis zur Abteilungsleiterebene, die Teamleiter bekommen heruntergebrochene PV-2 Ziele. Bis dieser Zieldefinitionsprozess und die Zielverfolgung die Reife gehabt haben, die wir jetzt leben, hat es allerdings zwei bis drei Jahre gebraucht.

Was war das Schwierige?

Die Schwierigkeit liegt darin, die Latte hoch genug zu legen, dass es eine Herausforderung ist, ohne zu überfordern und damit zu demotivieren, sie aber andererseits auch nicht so tief zu legen, dass jeder sofort drüberspringen kann. Wenn ich beispielsweise eine Mannschaft habe mit 15 Leuten und ich bekomme das Ziel, 10 Vorträge auf einschlägigen Kongressen zu gestalten, wird das nie funktionieren. Jedenfalls nicht zu Beginn. Anderes Beispiel: Im vergangenen Jahr gab es das Ziel, eine bestimmte Zahl wissenschaftlicher Artikel zu publizieren, nur hat sich dann herausgestellt, dass dieser Aufwand nicht leistbar und die Erreichung des Ziels unsicher ist. Denn wenn bei den einschlägigen Zeitschriften nur 10-20% der eingereichten Artikel angenommen werden, dann kann ich nur schwer eine bestimmte Zahl an veröffentlichten Artikeln vorschreiben. Zumindest nicht, ohne die Mitarbeiter zu frustrieren, weil das nur mit einem Aufwand erreichbar wäre, der nicht dafür steht. Da habe ich z.B. letztes Jahr die Latte eindeutig zu hoch gesetzt. Die Herausforderung besteht also darin, das passende Niveau zu definieren, um zu fordern, ohne zu überfordern.

Anhand welcher Kriterien beurteilen Sie als Bereichsleiter die Führungsleistung ihrer Abteilungsleiter?

Im Moment sind wir gerade dabei, bestimmte Führungsaufgaben von den Abteilungsleitern an die Teamleiter zu übertragen, wobei wir bei den Teamleitern zwischen Teamleitern mit Fachverantwortung und Teamleitern mit Personalverantwortung unterschieden. Bisher waren die Teamleiter mit Personalverantwortung vorwiegend für das Mitarbeitergespräch und den Bereich Qualitätsmanagement verantwortlich waren, aber z.B. nicht für das Gehalt. Das lag ebenso wie das Thema Einstellen oder Kündigen bisher bei den Abteilungsleitern.

Die Folge war, dass die Teamleiter sich beklagt haben, dass sie nur „Durchreicher“ sind und nichts selbst bestimmen können. Nach dem Motto: "Wir haben nichts zum Verteilen und wir können auch nichts einfordern, sondern wir müssen uns wegen allem und jedem mit dem Abteilungsleiter abstimmen. Z.B. wenn ein Mitarbeiter mit dem Gehalt unzufrieden ist." Das wollen wir jetzt ändern und derzeit bereiten wir gerade die Systeme und die Prozesse so vor, dass die Teamleiter dann auch Zugriff auf die notwendigen Daten haben.

Wie haben Sie dann bisher die Führungsleistung der Teamleiter gemessen?

Beim Herunterbrechen der Ziele hat sich ja schon bisher gezeigt, wie hoch die Zielerfüllung bei den Teamleitern war. Es gab die Entwicklungsziele der Abteilung und da wurde dann gefragt: Was hat dieses Team dazu beigetragen, wie viel jenes? Eine gute Möglichkeit zu erkennen, in welchem Maß ein Teamleiter seine Führungsverantwortung wahrnimmt, ist die Frage: Wie viele Eskalationen kommen aus dem Team zurück? Denn eine der Aufgaben eines Teamleiters ist es eigentlich, die Vorgaben von oben, z.B. die maximale Gehaltshöhe, gegenüber seinen Mitarbeitern zu vertreten, statt sich dauernd für unzuständig zu erklären. Die Frage ist also: Nimmt er die Verantwortung jetzt schon wahr und vertritt die Ziele, Regeln und Vorgaben gegenüber seinen Mitarbeitern oder nicht? Insofern erkennt man Führungsqualität auch daran, wie viele Themen wieder die Hierarchie hinauf wandern. Die Teamleiter sind ja eigentlich dazu da, die Abteilungsleiter zu entlasten. Wer übernimmt da jetzt schon die Verantwortung?

Noch einmal zurück zur vorherigen Frage: Was heißt nun Führung auf Abteilungsleiterebene?

Einerseits wird er an den Zahlen gemessen, andererseits daran, wie gut er seine Leute im Griff hat. „Im Griff haben“ meint folgendes: Wenn es Ad-Hoc-Anforderungen gibt, wie schnell organisiert sich die Gruppe, um Lösungen herbeizuführen? Da gibt es sehr wohl Unterschiede, aber die kann man kaum in einem Ziel verpacken. Wer von den Abteilungsleitern schafft es, seine Truppe so zu motivieren, dass sie z.B. auch ohne zu murren Mehrleistungen erbringen. Das ist insofern wichtig, weil wir im IT-Bereich zunehmend vor der Herausforderung stehen, Pauschalverantwortung zu übernehmen. Das klassische Rahmenvertragswerk mit dem Kunden gibt es kaum mehr. Der Trend geht in Richtung: „Ich gebe ein Projekt aus dem Haus, Du hast alle Risiken zu tragen, wenn es fertig ist, kommst du wieder und wenn es passt, bekommst du ein Geld.“ Das wird durch das Vergabegesetz noch gefördert.

Die Folge dieser Entwicklung ist: Man muss schnell und in wechselnder Konstellation Teams zusammenstellen. Z.B. für diese Ausschreibung brauche ich einen Spezialisten im Bereich Signaturen, einen Spezialisten für XML und einen Fachmann aus der Java-Welt. Diese drei müssen dann die Ausschreibung ad hoc bearbeiten, weil bei Ausschreibungen oft nur 14 Tage Zeit für eine Antwort bleiben. Da merken Sie sehr schnell, wie gut eine Abteilung intern organisiert ist. Ob sich eine Abteilung bewusst auf diese Entwicklungen einstellt oder da ständig ein Drama draus macht und solche Anfragen als Störungen bezeichnet, die die Abläufe durcheinander bringen und alle nerven. Die Routinetätigkeiten sind meist durch Prozesse abgebildet und eingespielt, die Führungsqualität erkennen Sie eher an Situationen, die unerwartet auftreten. Sie erkennen es daran, wie die Mannschaft agiert und reagiert.

Wenn Sie dann am Ende des Jahres ein Beurteilungsgespräch mit ihren Abteilungsleitern führen, worauf stützen Sie dann Ihre Bewertung? Streitet man nicht schnell über "subjektive Eindrücke" und "Momentaufnahmen"?

Das ist der Punkt, wie bereite ich mich auf so ein Gespräch vor? In meinem Fall war es z.B. im vergangenen Jahr so, dass ich mit einer Abteilung bzw. den dortigen Teamleitern nicht so ganz zufrieden war. Das hat nicht so funktioniert, wie ich mir das vorstelle. Natürlich habe ich den Abteilungsleiter darauf angesprochen, wobei das in keinem der expliziten Ziele des Vorjahres drinnen war. Es war halt einer dieser "subjektiven Eindrücke". Wobei es wichtig war, dem Abteilungsleiter auch genaues Feedback zu geben und aufzuzeigen, wo genau hat es nicht funktioniert. Ihm zu sagen, was waren die Kundensituationen, damit er auch erkennt, welche Auswirkungen das auf andere und auf das Unternehmen gehabt hat. Wir haben dann aber als Ziel für das kommende Jahr beschlossen, dass er seine Mannschaft umorganisiert und dass er seine Mitarbeiter auch danach bewerten muss, wer hilft mir in meiner Tätigkeit, wer hilft mir nicht so gut? Er hat explizit das Ziel zu entscheiden, wen belasse ich in der Position und wen baue ich neu auf?

Ich bin vergangenes Jahr auch eher zufällig draufgekommen, dass das Herunterbrechen der Ziele in den einzelnen Abteilungen sehr unterschiedlich gehandhabt wird, nämlich durch eine Mitarbeiterbefragung, wo es genau um die Führungsqualität dieser Teamleiter mit Personalverantwortung gegangen ist. Ich hatte damals beschlossen, die Auswertung den Teamleitern selbst zu überlassen. Dabei ist ihnen aufgefallen, dass die Ziele in den einzelnen Abteilungen ganz unterschiedlich auf die Teamebene und dann von dort auf die Mitarbeiterebene herunter gebrochen werden. Da ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass ich bisher die Annahme hatte, jeder bricht das genau so herunter, wie ich das früher als Abteilungsleiter auch gemacht habe. Ein großer Irrtum. Was heruntergebrochen wurde und wie es gemessen wurde, war höchst unterschiedlich. Zudem hat sich gezeigt, dass manche der Teamleiter Unterstützung brauchten, um ihre Vorgaben weiter auf die Mitarbeiterebene runterzubrechen. Das konnten mache sehr gut, andere nicht.

Aber eigentlich geht es auf Ihrer Ebene doch primär um die Frage, funktioniert der Bereich oder nicht? Solange die Zahlen stimmen und es keine großen Konflikte gibt, ist doch eigentlich alles ok.

Die Frage ist ja, was muss man machen, dass die Zahlen stimmen und der Bereich funktioniert. Aber es stimmt schon: Wenn das Unternehmen gute Zahlen schreibt, wird man tendenziell weniger auf die Führungsleistung schauen. Führungsleistung fängt dann an, wenn draußen nicht die Sonne scheint, wenn ich abbauen, umbauen, verändern muss, um marktfähig zu bleiben oder wieder zu werden. Gerade in diesen schlechten Zeiten habe ich immer versucht aufzuzeigen und Marketing zu betreiben, was in den Bereichen passiert. Denn was dem Top-Management oft fehlt, ist die Transparenz und der Durchblick, was die da unten genau machen. Sie sehen die Ziffern, aha es geht abwärts, aber sehen vielleicht nicht, was diese Mannschaft tut, um gegen diesen Trend zu steuern. Welche Vorsätze haben sie, welche Planungen für die Zukunft, wie wollen sie in Zukunft Geschäft machen? Die Manager an der Spitze leben ja auch von den Ideen, die die Leute unten haben. Und wenn ich weiß, was die einzelnen Bereiche konkret machen, tue ich mir auch als Vorstand leichter zu sagen, was ich alles unternehme, um das Unternehmen durch unruhige Zeiten zu steuern.

Daher fand ich es immer wichtig, als Führungskraft für meinen Bereich aufzuzeigen, was wir für unser Geschäftsfeld tun. Ein Beispiel: Ich habe bereits mit dem Problem der  Ausschreibungen beschäftigt, bevor noch irgend jemand aus dem Verkauf sich darum gekümmert hat. Für so eine Ausschreibung braucht man ein Fachkonzept, eine technische Schätzung, eine juristische Bewertung etc. d.h. man braucht bestimmte Player, um eine Ausschreibung zu machen. Wir haben dann einmal eruiert, wie viele Angebote wir gelegt haben, wie viele wir abgelehnt haben, und wie viele der gelegten wir dann gewonnen haben? Dabei hat sich folgendes gezeigt: Als wir im Jahr 2002 mit der Evaluierung begonnen haben, haben wir nur 5% der gelegten Angebote gewonnen, jetzt liegen wir bereits bei 22%. Das ist ein Wert, den wir als Bereich sehr wohl kommunizieren können, wenn es um die Frage geht, was wir fürs Geschäft getan haben. Auf diese Weise können auch Führungskräfte der unteren Ebenen helfen, Transparenz ins Unternehmen zu bekommen.

Herr DI. Hiermann, vielen Dank für das Gespräch.

03.2005

...zurück zum Seitenanfang

Teilen:

DI. Wolfgang Hiermann, Abt.Dir. Beko Engineering & Informatik AG