Wie lernen Manager wirklich?

Welche Erfahrungen in der Führungslaufbahn sind besonders lernträchtig und was muss passieren, damit Führungskräfte aus diesen Erfahrungen tatsächlich lernen?

Fragt man Manager, wie viel ihr Unternehmen in die Weiterbildung von Führungskräften investiert, hört man oft, wie viele MitarbeiterInnen im letzten Jahr zu Seminaren geschickt wurden, wie hoch die Trainer- und Beraterkosten waren und welche neuen Maßnahmen die Personalentwicklung für die Führungskräfte konzipiert hat. Diese Zahlen beziffern aber nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Entwicklungskosten. Manager verbringen die wenigste Zeit im Seminarraum – der größte Teil ihrer Entwicklung findet in den restlichen 99 Prozent der Zeit statt. Führungskräfte lernen vor allem bei der Arbeit und dieses learning by doing ist Teil der Entwicklungsinvestitionen.

Arbeit als Lernfeld

Michael Lombardo und Ann Morrison vom Center for Creative Leadership in San Diego meinen denn auch: "Um die tatsächlichen Ausgaben für die Managementförderung auch nur annähernd richtig einzuschätzen, müsste man die Kosten berücksichtigen, die mit den entwicklungsbedingten Veränderungen der Aufgabenverteilung verbunden sind. Versetzungskosten, Gehaltserhöhungen, Leistungsabfälle, Fehler während des Lernprozesses und kostspielige Misserfolge bei neuen Aufgaben können alle als Teil der Weiterbildungsinvestitionen betrachtet werden." Folgt man diesem Ansatz, ist man schnell bei astronomischen Entwicklungskosten angelangt. Gingen daraus erfolgreiche Manager hervor, wäre das Geld gut angelegt. Aber leider ist alles andere als klar, ob das Geld tatsächlich gut investiert ist. Lombardo und Morrison: "Wir wissen, dass berufliche Herausforderungen entscheidend für die Herausbildung von Führungsfähigkeiten sind. Aber wir wissen kaum etwas darüber, welche Erfahrungen wichtig sind, warum sie wichtig sind und was die einzelne Person daraus lernt."

Führung lernt man durch Führen

Am Beginn derartiger Überlegungen stehen natürlich immer Annahmen über das Wesen der menschlichen – insbesondere der erwachsenen – Entwicklung. Auf dem einen Pol finden sich die Verfechter der Ansicht, Führungsfähigkeiten könne man nicht erlernen, man habe sie oder eben nicht. Auf dem anderen Pol stehen jene, die meinen, in jedem von uns stecke das Zeug zu einer erfolgreichen Führungskraft, man brauche nur die richtige Ausbildung oder Erfahrung, um dieses Potenzial freizusetzen. So hitzig die Debatte über Natur versus soziale Umwelt auch geführt wird, Tatsache ist, dass Spitzenmanager nicht fertig aus dem Ei schlüpfen. Lombardo und Morrison bringen es pointiert auf den Punkt: "Wie gut die Erbanlagen, das Familienleben oder die Ausbildung auch sein mögen, es gibt keine vernünftige Führungskraft, die einfach in ein Unternehmen spaziert und intuitiv weiß, wie man Dampfturbinengeneratoren an die Chinesen verkauft." Ihre Schlussfolgerung: Wer als Bewerber für eine Führungsposition in Frage kommt, bringt möglicherweise schon viele Voraussetzungen mit, aber das Entscheidende ist, was am Arbeitsplatz mit ihm geschieht. Nur durch Erfahrung lernt man, wie das Geschäft läuft, wie man mit Vorgesetzten umgeht, wie man ehemalige Kollegen führt oder nötigenfalls Mitarbeiter entlässt. Vielleicht sind Führungskräfte mit Eigenschaften gesegnet, die sie diese Dinge schneller lernen lassen, aber lernen müssen sie sie auf jeden Fall.

Nicht jede Erfahrung ist gleich lernträchtig

Einige Erfahrungen -  so das Ergebnis einer fünfjährigen empirischen Forschung von Lombardo, Morrision und Morgan McCall Jr. vom Center for Effektive Organizations - treiben die Entwicklung einfach schwungvoller voran als andere. Untersucht wurden jene Erfahrungen, - unterteilt in Aufgaben, in Personen, die eine nachhaltige Wirkung ausgeübt hatten sowie in Härten und Rückschläge - von denen Top-Manager glauben, dass sie ihr Führungsverhalten nachhaltig geprägt haben sowie die Lektionen, die sie daraus gezogen haben.

Als besonders lernträchtig erwiesen sich folgende Situationen:

Entwicklungsrelevante Aufgaben wichtige Lektionen
Die ersten Arbeitserfahrungen Das oft unsanfte Erwachen nach der Ausbildung; erstmals den "Realitäten" von Organisationen ausgesetzt werden; mit Aspekten außerhalb des eigenen Fachbereichs konfrontiert werden; "Menschenkunde": lernen wie man mit anderen Menschen auskommt; Probleme in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen hautnah erleben; Entdecken, dass man bisher nicht alles gelernt hat, was man wissen muss, um in Organisationen erfolgreich zu sein
Die erste Führungserfahrung Es reift die Erkenntnis, dass zu einer guten Führungskraft mehr gehört als technischer Sachverstand oder Handbücher über Arbeitsabläufe: Wie verdiene ich mir Respekt und Vertrauen der Mitarbeiter? Wie erkenne und reagiere ich angemessen auf die Bedürfnisse meiner Mitarbeiter? Wie bringt man Mitarbeiter dazu, Lösungen umzusetzen? Wie führt man ehemalige Vorgesetzte und Kollegen?
Projekt- und Gruppenarbeiten zur Lösung größerer geschäftlicher Probleme Führen durch Überzeugen, d.h. unabhängig von offizieller Weisungsbefugnis: Wie bewegt man Menschen zum Handeln, wenn sie dazu nicht verpflichtet und vielleicht auch nicht bereit dazu sind? Oft wichtige Aufträge, die ohne Vorwissen, in kurzer Zeit, mit wenig Resourcen gelöst werden und die Zustimmung des Top-Managements gewinnen müssen. Man muss mit Nicht-Wissen fertig werden und trotzdem handeln und ist dabei auf die Unterstützung anderer angewiesen: "Kannst Du Neues managen, ohne es vorher zu meistern?"
Wechsel von der Linie in den Stab Zwei Lernschwerpunkte: das Bewältigen mehrdeutiger Situationen und ein besseres Verständnis der Unternehmensstrategie und-kultur; oft nah am Top-Management angesiedelt; eine intellektuelle Herausforderung; unter starker Beobachung; Denken in Szenarien; der Mut sich aufgrund unvollständiger Informationen eine Meinung zu bilden und sie auch öffentlich zu vertreten; ENtwicklung eines Gefühls für die vorherrschenden Kulturegeln und die damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten
Etwas ganz Neues auf die Beine stellen Startaktionen, etwas aus dem Nichts heraus aufbauen: Betriebsstätten, Produktlinien, neue Märkte oder Tochtergesellschaften. Hier geht es um handfeste Führungsaufgaben, Fertigwerden mit zahlreichen Stolpersteinen, unerwarteten Hindernissen; ein Fortgeschrittenenkurs in Eigenständigkeit; Überleben unter schwierigsten Bedingungen. Die Gefahr: Für manche wird es zur Droge, das Normalgeschäft erscheint nicht mehr attraktiv.
Reorganisieren, Sanieren Den Laden wieder flott kriegen: Konfrontation mit Personalproblemen, demoralisierten, oft orientierungslosen, untereinander zerstrittenen Mitarbeitern; je nach Handlungsvollmachten ein Einführungskurs in "die Kunst des vorsichtigen Anstubsens" oder der harten Entscheidungen und des Aufräumens, das menschliches Leid mit sich bringt; Lernen, Systeme auseinander zu nehmen, ohne dabei die Menschen zu beschädigen; Wichtiges Lernfeld ist das Balancieren des Widerspruchs von dicker Haut und Sensibilität und Mitgefühl.
Die sprunghafte Erweiterung des Aufgabenbereiches Ein Verantwortungssprung: neue, größere Aufgabe, neues Geschäft, neue Kunden, mehr Mitarbeiter. Man wird erst dann gezwungen, Delegieren zu lernen, wenn man mit einer Aufgabe konfrontiert ist, die man unmöglich allein bewältigen kann. Damit verbunden: das Fördern von Mitarbeitern, Informationsmanagement, "Führen per Fernsteuerung"; Sorgen für die notwendigen Resourcen und Rahmenbedingungen, damit andere ungestört arbeiten können, Verantwortung für die Arbeit anderer, eigene Prioritäten und Werte vorleben; Erreichen der bisherigen Position aufgrund des Vertrauens in sich selber; nun braucht es Vertrauen in andere.

Nicht die Aufgaben an sich sind es aber, die die Entwicklung vorantreiben. Es geht darum, was der Manager tun muss, um die Aufgabe zu bewältigen. Diese zentralen Schwierigkeiten und Herausforderungen sind die "Kernelemente" einer Erfahrung und sie sind es, die das Lernen steuern.

Die oben angeführten Aufgabentypen stellen Manager vor Situationen, in denen sich die vorhandenen Fähigkeiten als unbrauchbar erweisen. Fehlende Kenntnisse, Erfahrungen, Hintergrundinformationen oder Fertigkeiten sind so typisch für die beschriebenen Aufgaben, dass man dieses Defizit fast schon als Entwicklungsvoraussetzung betrachten kann. Sie zwingen Manager zum Lernen, wenn sie nicht scheitern wollen. Wer an die Spitze will, sollte also keine gemütliche Reise erwarten. Aber wer tut das heute noch?

12.2004

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