Manager auf dem Prüfstand

Ob das Label nun Mangement-Audit, -Appraisal, -Review oder schlicht Potenzialanalyse lautet, im Kern soll dieses Instrument immer Antworten liefern auf eine zentrale Frage: Wie fit ist unser Management gemessen an den derzeitigen bzw. künftigen Anforderungen? Der Einsatz dieses Instrument verspricht viel Nutzen, birgt aber auch jede Menge Risiken.

So war das eigentlich nicht geplant gewesen. Ausschau haltend nach potenziellen Vorstandskandidaten hatte ein großer Konzern die Bereichsleiterebene einem Audit unterzogen, war mehrfach fündig geworden und dann das: Die Führungskraft mit dem besten Ergebnis reichte umgehend die Kündigung ein und leitet jetzt ein Konkurrenzunternehmen. Die knappe Begründung: "Einem Unternehmen, das so mit seinen Mitarbeitern umgeht, wollte ich nicht mehr angehören."

Was war passiert? Die Grundidee dieses Audits war dem Manager noch einsichtig gewesen, die Art und Weise, in der es vonstatten ging, stieß ihm jedoch sauer auf. Er fühlte sich als Mensch abgekanzelt statt wertgeschätzt, war zutiefst verärgert, empfand das eingeforderte Gespräch mit dem Vorstand als völlig unbefriedigend und zog daher die Konsequenzen. Sicher, ein extremes Beispiel, aber gut geeignet, die Gefahren zu zeigen, die mit dem Einsatz eines Instruments verbunden sind, das sich in den letzten Jahren vor allem in den großen Unternehmen deutlich steigender Beliebtheit erfreut.

Wie fit ist das Management?

Die Grundidee eines Audits ist einleuchtend und leicht nachvollziehbar. Die rasanten Veränderungen in den Umwelten des Unternehmens erfordern immer häufiger eine Neuausrichtung und Neustrukturierung der Organisation. Selbst wenn sich Führungskräfte, so die Überlegung, bisher hervorragend bewährt haben, ist immer noch die Frage, ob und in welchem Ausmaß sie (schon) die Voraussetzungen für teils stark veränderte Anforderungen mitbringen. So macht es z.B. einen großen Unterschied, ob ein Manager einen internen Verwaltungsbereich leitet, oder als kaufmännischer Leiter eines selbständig agierenden Geschäftsbereichs agieren soll. Einige Anforderungen werden positionsübergreifend relativ ähnlich sein, einige sich aber stark unterscheiden. Nicht jeder, so die dahinterstehende Logik, ist für alles gleich gut geeignet. Gefragt ist, wie es so schon heißt, die richtige Person am richtigen Platz. So weit, so einig.

Doch schon folgt der erste Einwand, den – so die Erfahrung von Dr. Jaochim Zyla, Managing Partner bei Ray & Berndtson - viele der auditierten Manager zwar nur gegenüber Vertrauten formulieren, aber immer im Kopf haben würden:  "Die meisten sind der Überzeugung, ein gutes Top-Management müsste seine Leute eigentlich so weit kennen, dass sie sie genau beurteilen und damit die Personalentscheidungen treffen kann. Die Realität ist aber eine andere. Gerade in großen, weiter verzweigten Konzernen arbeitet man ja nicht Tür an Tür. Man trifft sich bei einigen wenigen Meetings pro Jahr, sieht zwar die Zahlen, bekommt Berichte und hört Erzählungen über diese Person, immer gefiltert und gefärbt. Für einen fundierten Eindruck und als Grundlage für die Besetzungen von Schlüsselpositionen reicht das kaum. Außerdem weiß jeder Top-Manager, dass das Verhalten eines Mitarbeiters, und sei es auch ein Bereichsleiter, sich in dem Augenblick verändert, in dem der Top-Manager etwa bei einem Meeting den Raum verlässt. Man weiß um die Subjektivität seiner Eindrücke und erhofft sich von einem Externen zusätzliche, nicht von internen Interessen überlagerte Rückmeldungen." Der eigene Eindruck soll durch die Einschätzungen eines neutralen Dritten ergänzt werden, bestenfalls bestätigt.

Einen weiteren Einwand, der verständlich macht, warum die meisten Manager ein Audit immer auch Zumutung und Ausdruck des Misstrauens interpretieren, formuliert einer der befragten Manager: "Auch wenn ich die Absicht verstehe, das Grundgefühl ist und bleibt: Ich bin jetzt sein 20 Jahren Führungskraft, habe eine Menge Erfolge vorzuweisen und jetzt vergattern mich die zu einem zweistündigen Gespräch, um herauszufinden, ob ich als Führungskraft geeignet bin. Das ist ein schlechter Witz."

Gerade weil das so empfunden wird, ist es nach Einschätzung von Dr. Gudrun Vater von der Beratungsfirma OSB so entscheidend, "eben nicht nur über veränderte Qualifikationsanforderungen zu reden, sondern am besten mit den Leuten gemeinsam eine genaue Umfeldanalyse durchzuführen. Erst wenn sie sich damit auseinandersetzen: In welchem Umfeld bewegt sich unser Unternehmen, welche Veränderungen passieren dort und was heißt das für die Steuerung unseres Unternehmens? wird die Maßnahmen für sie einsichtig und vor allem emotional nachvollziehbar. Häufig ist genau dieser Schritt der notwendige Kick, durch den sie ins Boot kommen."

Pendel schlagen auf beide Seiten

Gerade weil dieses Instrument für den Einzelnen und die Organisation ebenso aufrührend, irritierend, verunsichernd und schädlich sein kann wie bereichernd, ist sein Einsatz eine so massive und heikle Intervention. Im besten Fall bietet es eine tolle und befriedigende Chance, sich mit der eigenen Arbeit und Rolle vertieft auseinander zu setzen und mehr Klarheit zu gewinnen über die eigenen Präferenzen, Stärken und Schwächen (Berater meiden dieses Wort wie das Weihwasser und sprechen immer von "Entwicklungsfeldern"). Schlechtestenfalls gleicht es einem Bombenwurf mit enormen Schaden, den zu beseitigen Jahre dauern kann.

In jedem Fall ist es ein starkes Signal, das einiges in Bewegung bringt. Die Frage ist nur was. Das Pendel kann ebenso in Richtung Lust und Neugier ausschlagen wie in Richtung Frust und Ablehnung. Es kann verstanden werden als Hilfe zur Selbstreflexion und eine der wenigen Möglichkeiten, zu einem konstruktiven Feedback zu kommen, ebenso aber auch als drohendes Ende der Karriereträume oder zumindest als möglicher veritabler Knick des Karrierepfades. Da scheint Skepsis durchaus angebracht. Wie berechtigt oder unberechtigt sie ist, hängt von mehreren kritischen Faktoren ab:

  • der Intention des Auftraggebers: Ist sie für die Manager nachvollziehbar und vor allem, wird sie geglaubt?
  • dem Ansatz der ausgewählten Beraterfirma, damit eng verbunden die konkrete Vorgangsweise und Art und Ausmaß des Feedbacks
  • dem Umgang mit den Ergebnissen und
  • den Konsequenzen dieses Audits

Auch auf den ersten Blick sehr ähnliche Konzepte mit ähnlichen Prozessschritten erweisen sich bei genauerer Hinsicht doch als sehr unterschiedlich. Abhängig vom Menschen- und Organisationsbild der Auftraggeber und Berater unterscheiden sich Audits beispielsweise stark im Ausmaß der Nachvollziehbarkeit der Beurteilung (Worauf genau gründen Sie dieses Urteil? Welche Beobachtungen liegen dem zugrunde?) und dem Ausmaß, ob und in welcher Form dies dem Beurteilten auch rückgemeldet wird. Genauso unterschiedlich sind die "mentalen Landkarten" der Berater: Die Bandbreite reicht von "wir wissen, was gute Manager sind" und dementsprechend klarer Zuordnung vom "Star" bis zum "Problemfall" bis hin zu "Das ist meine Einschätzung aufgrund dieser und dieser Beobachtungen und Ergebnisse, wie sehen Sie das?" und – damit Hand in Hand gehend - von stark eigenschaftstheoretischen Konzepten "Sie sind:......." bis hin zu stark den Kontext berücksichtigenden Ansätzen, bei denen Verhaltensweisen, Werte und Einstellungen der Person in Beziehung gesetzt werden zu den Anforderungen der spezifischen Rolle und Funktion in einer bestimmten Unternehmenskultur.

Bekanntlich sagt die Beurteilung eines Menschen mindestens genauso viel wenn nicht mehr über den Beurteiler (und seine Beobachtungs- und Bewertungskriterien aus) wie über den Beurteilten. Bei Management-Audits ist das nicht anders.

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