Zwei Stufen mit einem Satz

Elisabeth Stadler, Vorstand der UNIQA Personenversicherung AG, über ihren Aufstieg von einer Expertenrolle mit immer vielfältiger werdenden Zusatzaufgaben bis in den Vorstand einer großen Versicherung.

Frau Stadler, Sie haben an der Technischen Universität Versicherungsmathematik studiert, wie kommt man auf so ein Studium?

Es war damals sehr unüblich, dass eine Frau Mathematik studiert, erst recht Versicherungsmathematik. Ich hatte aber schon immer eine Vorliebe für dieses Fach, die habe ich wohl von meinem Vater geerbt. Während meiner Schulzeit war es immer eines meiner Lieblingsfächer und ich bin einmal die Woche freiwillig zur Mathematik-Olympiade gegangen, wo wir Extrembeispiele gelöst haben, die im normalen Unterricht nicht vorgekommen sind. Also war für mich relativ rasch klar, dass Mathematik mit meiner Berufslaufbahn verbunden sein sollte. Ich wollte aber keinesfalls den Lehrerberuf ergreifen.

Wir hatten einen Bekannten, der bei der damaligen Bundesländer-Versicherung im Bereich Lebensversicherung gearbeitet hat und der meinte, dass Versicherungsmathematik für mich vielleicht als Studium interessant sein könnte. Im Sommer vor Beginn des Studiums war ich dann drei Monate als Praktikantin bei der Versicherung und habe in das Metier hineingeschnuppert. Dabei habe ich gesehen, was die Arbeit eines Versicherungsmathematikers alles umfasst. Das hat mich begeistert und mich in meiner Studienwahl bestätigt. Nachdem ich dann jedes Jahr in den Ferien wieder in der Bundesländer-Versicherung gearbeitet habe, war es auch naheliegend, dass ich dort meine Berufslaufbahn starten würde.

Was genau heißt Versicherungsmathematik, die Berechnung von Versicherungsprodukten in Hinblick auf Lebenszyklus und Prämien?

Ja, auf der einen Seite kalkuliert man, welche Leistungen und zukünftigen Verpflichtungen man hat, und stellt diesem abgezinsten Wert  eine Prämie gegenüber, die auf die entsprechende Laufzeit umgelegt wird. Das Hauptaufgabengebiet der Versicherungsmathematik ist Vertragskalkulation, die sicher in der Lebens- und Krankenversicherung am stärksten abgebildet ist.

Was war der Einstiegsjob bei der Versicherung?

Ich habe  in der Abteilung für Versicherungsmathematik begonnen. 1983 ist noch viel händisch berechnet worden. Es gab zwar schon Computerprogramme, aber das war noch die Zeit der Lochkarten und Endloslisten. Also weit entfernt von heute. Da haben Mathematiker schwierige Berechnungen noch manuell  durchgeführt. Auch Vertragsumschreibungen wurden händisch kalkuliert. Da saß man als Mathematiker mehr oder weniger den ganzen Tag und hat gerechnet, aber man hat es auch von der Pike auf gelernt. Damals war das eine Gruppe von rund 10 Mathematikern, während das heute eine Person mit EDV-Unterstützung erledigt. Den damaligen Bereichsleiter kannte ich von der Universität, er hielt dort die Vorlesung „Praxis der Versicherungsmathematik“.

Wie ging es weiter?

Im Nebenzimmer gab es eine Gruppe von Kollegen , die für die EDV-Organisation zuständig waren und händische Berechnungen  in Computerprogramme umgesetzt haben Das hat mich sehr interessiert und bereits einige Monate nach meinem Einstieg hatten wir einen großen EDV-Einsatz. So bin ich mit diesen Kollegen in intensiveren Kontakt gekommen. Als diese Gruppe dann erweitert wurde, bin ich dorthin gewechselt. Das war der erste Meilenstein, um den ganzen Lebensversicherungsbereich edv-mäßig abzubilden. So hatte ich mit vielen Leuten im Haus zu tun und damit einen guten Überblick über die Geschehnisse. Wir haben versucht, die Anforderungen der Kollegen so zu übersetzen, dass sie die EDV-Kollegen auch programmieren konnten. Ich hatte also eine Art Schnittstellen-Funktion, wobei die Aufgaben immer umfassender wurden. Damals haben wir begonnen, Gesellschaften in Tschechien und der Slowakei zu gründen und mein Team war als Schnittstelle natürlich in diese Aktivitäten mit eingebunden. Das war eine sehr spannende Zeit, in der wir mehrere Gesellschaften neu aufgebaut haben, sowohl von der Organisation und den Strukturen her als auch in den technischen Lösungen und beim Personal.

Sie waren Teil dieses Projektteams?

Es war in den Ostländern rasch klar, dass der Bereich Lebensversicherung ein wichtiger Bereich sein würde und daher waren wir dort schon früh aktiv. Wir haben Versicherungsmathematiker aus diesen Ländern getroffen und uns mit ihnen ausgetauscht, wie die Tarifgestaltung ausschaut, wie Lebensversicherung funktioniert, wie die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen sind. Es gibt unterschiedliche Methoden, ein Produkt zu berechnen, prospektiv und retrospektiv und das ist je nach Land unterschiedlich. Dabei waren wir immer in Beratungsfunktion tätig und ein Stück weit auch in Entscheidungsfunktion. Wir halten es als Konzern auch heute so, dass wir sagen: Unsere Einheiten in anderen Ländern sind eigenständige Einheiten. Wir geben nur die Spielregeln vor und kontrollieren die Ergebnisse.

Einerseits beratend, andererseits gibt das Headquarter die Regeln vor. Geht das zusammen?

Es gibt das Schlagwort: "Führen auf gleicher Augenhöhe". Das ist eine sehr spannende Aufgabe, denn einerseits müssen Sie manchmal einfach Entscheidungen treffen, die der andere zu akzeptieren hat. Auf der anderen Seite denke ich, wenn Menschen  fair miteinander umgehen, kann man das auf gleicher Augenhöhe abhandeln. Wenn unsere Gesprächspartner mit Argumenten gekommen sind, die einleuchtend und gut nachvollziehbar waren, haben wir das auch akzeptiert.

In diesem Projektteam saßen Experten und die gingen in die einzelnen Bereiche und haben dort die Situation sondiert und analysiert?

Ja. Wir hatten Projektteams, die sich aus Kollegen aus allen Unternehmensbereichen aus Österreich und dem jeweiligen Land zusammensetzten und die meist ähnlich gestafft waren, weshalb wir uns dann mit der Zeit schon gut gekannt haben und daher gut zusammen arbeiten konnten. Dazu kamen meistens noch externe Berater wie Wirtschaftsprüfer. Jeder ist in seinem Gebiet auf die Leute zugegangen, hat mit ihnen gesprochen und gewisse Dinge ausgearbeitet. Das wurde dann in einem großen Projektkatalog zusammengefasst, das Projekt definiert, Meilensteine festgelegt und die Umsetzung gestartet.

Und wie ging es in Ihrer Karriere weiter?

Ich habe weitere Aufgaben übernommen und wurde Schulungsbeauftragte für die Lebensversicherung. Dadurch konnte ich gute Kontakte zu unseren österreichischen Mitarbeitern in den Landesdirektionen knüpfen, sowohl in den Fachabteilungen als auch im Vertrieb. Durch die zusätzlichen Aufgaben, habe ich die EDV-Tätigkeiten selbst mehr und mehr an Kollegen abgegeben und nur mehr koordiniert. Dann kam das nächste zusätzliche Aufgabengebiet im internationalen Bereich. Das Unternehmen ist Mitglied bei internationalen Netzwerken, z.B. einem Zusammenschluss großer Lebensversicherer, die bemüht sind, international tätigen Firmen die gleiche Versicherungsdeckung in allen Ländern zu ermöglichen. Dieses Netzwerk hat seinen Sitz in Brüssel mit verschiedenen Arbeitsgruppen, die sich ein- bis zweimal im Jahr treffen. Mit dieser Aufgabe wurde meine Tätigkeit dann noch internationaler.

Das war alles noch zur Zeit der Bundesländer-Versicherung?

Ja, zuerst noch die Bundesländer-Versicherung allein. 1993 wurden die Raiffeisen-Versicherung und die Bundesländer-Versicherung fusioniert. Die Raiffeisen-Versicherung war damals ein reiner Lebensversicherer, d.h. es war bei uns eigentlich nur diese Sparte von der Aufnahme des Unternehmens betroffen, wobei ca. 30 bis 40 Mitarbeiter zu unseren damals 800 gekommen sind und integriert wurden. Die Raiffeisen Versicherung hatte nur eine zentrale Verwaltung, keine Landesdirektionen und keinen eigenen Vertrieb, da dieser über die Raiffeisenbanken durchgeführt wurde.

Das war meine erste aktive Erfahrung mit zwei unterschiedlichen Unternehmensphilosophien. Damals war die Raiffeisen-Versicherung 15 Jahre alt, d.h. viele Mitarbeiter waren schon bei der Gründung dabei. Sie kannten sich sehr lange, waren ein eingeschworenes Team und es war eine große Herausforderung, die Philosophie dieses kleinen, jungen, modernen Unternehmens mit der eher konservativen Kultur der Bundesländer-Versicherung zu verschmelzen.

Das war aber erst der Beginn der Fusionen.

Ja. Der nächste Schritt war  die Gründung der Dachmarke BARC im Jahr 1997, (Bundesländer-Austria-Raiffeisen-Collegialität), als wir die Bundesländer- und Raiffeisen-Versicherung mit Austria-Collegialität zusammengeführt haben. Diese zweite Integration ist einfacher über die Bühne gegangen, da die beiden Häuser relativ ähnlich waren. Alle Tätigkeiten und Projekte, die nicht Standardteams zugeordnet werden konnten, wurden von sogenannten Experten durchgeführt, ich war meist Teilprojektleiter und hatte wiederum Untergruppen.

In solchen Projektgruppen sind viele Experten, die nicht unbedingt immer gleichzeitig tolle Führungskräfte sind, Stichwort Kommunikation.

Das kann vorkommen, ich habe das damals so gelöst, dass ich diesen Personen Assistenten zur Seite gestellt haben, die sich eher um diese weichen Faktoren gekümmert haben. 1999 erfolgte dann die Einführung des neuen Markennamens " UNIQA". Auch in diesem Projekt habe ich ebenso wie bei der Jahrtausendumstellung mein Teilprojekt geleitet .

Also zuerst Expertin, dann zusätzlich Projektarbeit, Teilprojektleiterin, Projektleiterin...

Genau. So habe ich mich nach oben gearbeitet. Dann kam die nächste Übernahme mit der AXA-Versicherung und davor ein neuer Generaldirektor. Ich organisierte damals in Wien ein Meeting dieses internationalen Netzwerkes und ein Vorstand unseres Konzerns sollte die Teilnehmer begrüßen und ein paar einleitende Worte sprechen. Ich habe den Generaldirektor Dr. Konstantin Klien gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen, ihn kurz gebrieft, und er war damit einverstanden . Die Veranstaltung kam sehr gut an. Eines Tages kam dann ein Vorstand  zu mir und hat gemeint: "Immer wenn man in diesem Haus etwas wissen will, heißt es: Das weiß Frau Stadler." So wurde man in der Vorstandsetage auf mich aufmerksam. 2003 sind dann einige Vorstände altersbedingt ausgeschieden und dadurch kam auch im Lebensversicherungsbereich ein neuer Vorstand, der mich als Allocationmanager eingesetzt hat. Das war u.a. die Vertretung des Vorstandes.

Was hat sich durch Ihre neue Funktion als Allocationmanager verändert?

Ich hatte eine neue Funktion mit der Aufgabe, mich um die Führung des Ressorts zu kümmern. In dieser Funktion wollte man einen "Zahlenmenschen", der den Überblick bewahrt und darauf achtet, ob wir in die richtige Richtung laufen. Ich sollte im Auge behalten, was gut läuft, wo es Probleme gibt, wie es mit der Bestandsentwicklung und den Verkaufszahlen aussieht, etc. Das war einerseits als eine Stabstelle definiert, auf der anderen Seite war aber klar, dass , wenn der Vorstand nicht da war, ich die Führungsfunktion innehatte. Das war kein Problem und wurde von allen so akzeptiert.

Sie sprangen also quasi aus dem Team zwei Stufen nach oben, und waren plötzlich die Vorgesetzte ihres früheren Bereichsleiters, oder?

Ja, das stimmt. Natürlich denkt man am Anfang darüber nach, wie man mit der neuen Situation am besten umgehen kann. Ich habe als Erstes zu einer Besprechung mit den Bereichsleitern eingeladen und mit ihnen diskutiert, wie wir uns die künftige Zusammenarbeit und die Aufgabenteilung vorstellen. Das Ergebnis waren gewisse Spielregeln, an die sich alle Beteiligten zu halten hatten.

Dann kam das Aufrücken in den Vorstand?

Richtig, im Jahr  2003. Die Funktion als Allocation-Manager war also eine Vorbereitung, in der ich schon gewisse Vorstandsagenden wahrgenommen und den Vorstand vertreten hatte. Im Holdingvorstand gibt es fünf Vorstände, die jeweils für bestimmte Servicebereiche zuständig sind wie Betriebsorganisation, Finanzwesen, Personalwesen, etc. In den operativen Gesellschaften sind hingegen die Fachgebiete angesiedelt: Lebensversicherung, Krankenversicherung und  Sachversicherung. Insgesamt sind wir 10 Vorstandskollegen  mit Mehrfachfunktionen, die sich alle zwei Wochen als "Exekutivkomitee" treffen, um die Strategien für Inland und Ausland zu besprechen. Mittlerweile ist UNIQA in 16 Ländern tätig, in Österreich mit Landesdirektionen in den neun Bundesländern. Da die Koordination von 24 Regionen sehr umfangreich ist, haben wir ein Patronatssystem eingeführt, jeder Vorstand ist für bestimmte Regionen  hauptverantwortlich. Ich bin im Vorstand oder Aufsichtsrat jener Gesellschaften, die Lebensversicherung betreiben.

Wie lebt es sich als einziger weiblicher Vorstand in einer Männerrunde?

Ich fühle mich sehr wohl. Ich war von Anfang an akzeptiert, meine fachliche Kompetenz ist unbestritten und ein umgänglicher Mensch bin ich, so hoffe ich, auch. Die Kollegen haben einmal gesagt, der Umgangston ist etwas feiner geworden, seit ich bei den Sitzungen anwesend  bin. Und ein Kollege hat gemeint: "Ein bisschen menschlicher ist es auch geworden."

Der Wechsel von einer Expertenfunktion zu einer Führungsfunktion, bei der man noch dazu gleich in der Öffentlichkeit steht, wie war das für Sie?

Natürlich war das eine Veränderung, auch Außenwirksamkeit zu haben. Bei Veranstaltungen das Unternehmen zu vertreten, das ist einfach etwas Neues. Auch Ergebnisverantwortung in dieser Größenordnung hatte ich vorher nicht. Das erste Jahr war sehr spannend, weil man jede Situation das erste Mal erlebt: die erste Bilanz, die erste Teilnahme am Rating- Review , die erste Aufsichtsratsitzung etc. Da ich ein sehr kommunikativer Mensch bin und strukturiert denke, ist es mein Motto, ohne Umwege weiter zum nächsten Ziel zu gehen. So führe ich meine Mitarbeiter und arbeite mit meinen Kollegen. Ich freue mich schon jetzt auf jede neue Herausforderung.

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Elisabeth Stadler, Vorstand der UNIQA Personenversicherungen