"Entscheidungen brauchen Begründungen, sonst verfällt die Unternehmenskultur"

Dr. Wilfried Stadler, Vorstandsvorsitzender der Investkredit AG im Gespräch über die ersten Führungserfahrungen im Familienunternehmen, den Wechsel in den politischen Bereich und seinen Aufstieg im Bankenbereich.

Herr Dr. Stadler, Sie stammen aus einer Unternehmerfamilie in Salzburg?

Ja, ich bin gebürtiger Salzburger, habe dort das akademische Gymnasium absolviert, dann den Abiturientenlehrgang an der Handelsakademie und danach ein Volkswirtschaftsstudium an der Wirtschaftsuniversität in Wien.

Nach dem Studium war ich sechs Jahre im väterlichen Unternehmen tätig, einem Sägewerk im Land Salzburg. Dort habe ich als Juniorchef in vierter Generation die ersten unternehmerischen Erfahrungen gesammelt. In den 80er-Jahren war die Branche in einer schwierigen Situation, der auch wir uns nicht verschließen konnten. Das hat mich nach dem Tod meines Vaters dazu veranlasst, das Unternehmen zu verkaufen. Ich war einerseits gelernter Volkswirt, andererseits auch schon ein wenig Wirtschaftspublizist, weil ich an der Wirtschaftsuniversität ein Wirtschaftsmagazin verantwortet habe. Als ich dann vom damaligen Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, Dr. Wolfgang Schüssel, eine Einladung erhalten habe, bei ihm als wirtschaftspolitischer Referent zu arbeiten, habe ich das Angebot nach dem Verkauf unseres Unternehmens angenommen.

Kannten Sie sich bereits über die Universität?

Nein Dr. Schüssel kannte mich über den Managementclub. Der heutige Generaldirektor der Raiffeisenversicherung, Dr. Christian Sedlnitzky, hat damals den Managementclub geleitet, mich als Student und Journalist unseres Wirtschaftsmagazins "Thema" auf den Managementclub-Tagungen kennen gelernt und später eingeladen, neben meiner Tätigkeit im Salzburger Unternehmen den Salzburger Managementclub zu leiten. Das hat mich immer wieder zu den Jahrestagungen zurück gebracht und durch die Leitung eines Arbeitskreises auf  einer dieser Jahrestagungen kam ich in Kontakt mit Dr. Schüssel.

Er hat mich damals gefragt, ob ich die Aufgabe eines wirtschaftspolitischen Referenten, für die er einen Nationalökonomen gesucht hat, der auch gut schreiben und artikulieren kann, übernehmen möchte. Meine erste Antwort war: "Das interessiert mich sehr, aber ich habe meinen Beruf in Salzburg." Ein halbes Jahr später, nachdem dann sehr rasch die Entscheidung gefallen war, das Unternehmen zu verkaufen, rief ich ihn an, um zu fragen, ob diese Position noch frei wäre. Es gab sie noch, daher folgten einige sehr spannende Jahre im Wirtschaftsbund, bis zu meinem Wechsel in die Bank.

War für Sie immer schon klar, dass Sie ins Familienunternehmen eintreten?

Absolut. Mein Vater hat gesagt: "Lerne, was du willst, denn das kann Dir keiner mehr wegnehmen. Und dann komm in die Firma." Das fand ich unglaublich großzügig. Dort habe ich dann auch meine ersten Führungserfahrungen gemacht, wenn man die Erfahrung als Leiter dieses Wirtschaftsmagazins an der Universität noch nicht dazurechnet. Das war sozusagen eine Vorschule mit Verantwortung für ein kleines Team, das ein monatliches Wirtschaftsmagazin mit Namen "Thema" auf die Beine gestellt hat. Ein Freund von mir, der heutige Chef des Linde-Verlages, Dr. Mennel, hat damals die Initiative ergriffen. Er war in der ÖH, hat das Projekt im Freundeskreis organisiert und mich gefragt, ob die Redaktion leiten möchte. Als sich unser Studium dann dem Ende zugeneigt hat, haben wir das Magazin an ein anderes Medium verkauft.

Wie fanden Sie es, ein Team zu führen?

Das war kein bewusstes Führen, sondern ein gemeinsames, begeistertes Arbeiten. Es hat ja niemand auch nur einen Schilling dafür bekommen. Es gab nur "Ruhm und Ehre", den Spaß an der Sache, aber auch den Willen zur Professionalität, weshalb viele von uns am Ende des Studiums das Angebot erreicht hat, Journalisten zu werden. Ich selber hatte ein Angebot, in die Wirtschaftsredaktion einer österreichischen Tageszeitung zu gehen, aber ich hatte damals einen anderen Berufsweg geplant.
Profitiert habe ich von dieser Nebentätigkeit auf der Uni vor allem in der Textsicherheit.

Die publizistische Arbeit ist für mich zu einer zweiten Leidenschaft geworden. Während aller weiteren beruflichen Tätigkeiten habe ich diese Seite immer gepflegt und weiter entwickelt und daraus sind mittlerweile schon mehrere Buchprojekte entstanden. Sei es zu Fachthemen wie der neuen Unternehmensfinanzierung als auch zu ordnungspolitischen Themen. Das war die zweite Themenschiene, die mich als Nationalökonom immer fasziniert hat: Wie funktioniert unser Wirtschaftssystem? Was können wir durch geeignete Rahmenbedingungen tun, um sowohl auf der makroökonomischen Ebene im Sinn der Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft als auch in den einzelnen Politikfeldern wie Technologiepolitik, Industriepolitik, Mittelstandspolitik oder Steuern ein Wirtschaftssystem optimal zu gestalten? Das waren Fragen, die mich immer fasziniert haben.

Dennoch sind Sie in die Firma Ihres Vaters eingestiegen?

Das war für mich immer klar. Die Firma hatte ca. 30 Beschäftigte und zählte zu den eher größeren Sägewerken der damaligen Zeit. Heute würde die Jahreskapazität, die wir eingeschnitten haben, höchstens als Kleinbetrieb gelten und hätte in der Art, wie wir es damals betrieben haben, am Markt keine Chance mehr. Sowohl die Technologie als auch die Marktverhältnisse haben sich inzwischen vollständig verschoben.

Was war Ihre Rolle beim Einstieg?

Wie das bei einem eigentümergeführten Unternehmen üblich ist, war ich der Juniorchef. Das war eine Rolle, in die ich schon seit der Kindheit hineingewachsen bin. Ich bin zwar in der Stadt aufgewachsen, aber wenn ich im Sommer am Land war, bei den Betriebsfeiern, in den Ferien beim Spielen mit den Kindern von den Sägearbeitern usw. da war ich immer auch in der Rolle dessen, der die Firma später einmal übernehmen wird. Ich war der einzige Sohn und hatte zwei Schwestern, die dann andere Wege genommen haben, zumal auch meine Mutter ein Unternehmen gegründet und geführt hat.

Ich konnte also in diese quasi vorbereitete Rolle des Juniorchefs hineinschlüpfen, was fast immer angenehm war, weil ich das Gefühl hatte, dass man mir viel zutraut und viel von mir erwartet. Diese Zumutung macht dann auch Mut. Das Unternehmen war aber nicht groß genug, um es nur aus der kaufmännischen Sicht zu betreiben, weshalb ich auch sehr viel operativ mitgewirkt habe, beim Versand, im Einkauf, in allen Funktionen, wo es eben gerade erforderlich war. Ich habe aber auch gemerkt, dass ich das Geschäft nicht in der Intensität erlernt hatte, die man wahrscheinlich braucht, um ein Vollblutvertreter dieser Branche zu sein. Mir ist sozusagen die Lehre abgegangen. Als ich dort eingestiegen bin, war ich schon 26 Jahre alt. Kollegen gleichen Alters von gleich großen Sägewerken waren in dem Alter schon fünf bis acht Jahre im Betrieb. Die hatten die HTL gemacht und dann die Sägefachschule Kuchl und wurden dadurch zu dem, was man damals in unserer Branche "die Holzwürmer" genannt hat. Holzwurm bin ich nie einer geworden, wahrscheinlich auch deswegen, weil ich auch nicht von einem solchen erzogen wurde. Mein Vater hat sich immer einen gesunden Abstand zur eigenen Branche bewahrt.

Ich habe schöne Gestaltungsmöglichkeiten im Unternehmen gehabt und konnte mit den Dingen, die ich im Studium gelernt habe, Vieles anstoßen und erneuern, weil mein Vater sehr offen war für Veränderungen. Z.B. habe ich den Verkauf systematisiert, in der Produktion eine Rationalisierungsinvestition vorgenommen, die ich zusammen mit meinem Vater von A bis Z mitgeplant habe und in der Finanzierung einiges verändert.

Was hieß in diesem Umfeld Führen?

Zunächst einmal seiner Rolle als ein Mitleitender gerecht zu werden, indem man was den Arbeitseinsatz betrifft, das Kommunizieren und den Umgang mit konkret anstehenden Themen, rasch bereit ist, Verantwortung und Entscheidungsbereitschaft zu übernehmen. Es war ein gut aufgestelltes Unternehmen, wo es in sozialen Dingen, wie das in diesen Unternehmen fast immer der Fall ist, sehr tolerant zugegangen ist. Eben ein typisches Familienunternehmen, wo man sehr viel Rücksicht nahm und z.B. auch einen Mitarbeiter mitgetragen hat, der schon lange da war, aber ein Alkoholproblem und zu Hause ein Familienproblem hatte. Es wurden eben nicht alle über einen Leisten geschert. Diese paternalistische Grundverantwortlichkeit bezog sich auch auf das soziale Umfeld.

Sie haben das Unternehmen nach dem Tod Ihres Vaters verkauft. Gab es die Überlegungen schon vorher und konnten Sie mit Ihrem Vater darüber reden?

Ja, wir haben darüber geredet, aber es war natürlich ein schwieriges Thema. Es war kein konfliktäres, aber naturgemäß ein schmerzhaftes Thema. Mein Vater hat die Veränderungen im Markt durchaus gesehen und meine Einschätzung geteilt, dass unsere Größe eine kritische bzw. eine unterkritische ist. Noch dazu hatten wir gerade neu in die traditionelle Technologie investiert. Damit hatten keinen wirklichen Spielraum, um an die neue Technologie anzudocken, weil wir erst die alte Investition zurückverdienen mussten. Daher war es ein schwieriges Thema, mit dem wir ungefähr ein Jahr lang gerungen haben. Die Idee des Verkaufs war ihm zwar nicht angenehm, zumal er gerade dabei war, an die vierte Generation zu übergeben, aber er hat die Situation ähnlich gesehen wie ich. Der frühe Tod meines Vaters hat den Verkauf beschleunigt, es wäre aber auch sonst dazu gekommen.

Danach folgte der Wechsel zum Wirtschaftsbund. Was war dort Ihre Aufgabe?

Ich war der wirtschaftspolitische Referent, der Themenzuständige für alle Grundsatzfragen der Wirtschaftsbundpolitik. Das reichte von der damals neu angestoßenen Privatisierung über industriepolitische Themen – die Verstaatlichtenreform war gerade ein heiß diskutiertes Thema – bis zu steuerpolitischen Fragen und Mittelstandspolitik. Beim Wirtschaftsbund war ich in einer Art Stabsfunktion des Generalsekretärs tätig und konnte auf sehr selbständige Weise zu den unterschiedlichsten Themen arbeiten und in Arbeitskreisen mitwirken. Unsere Ergebnisse mündeten in kompakte, programmatische Positionspapiere, die dann bei Tagungen und Klubklausuren diskutiert wurden. Im Wirtschaftsbund habe ich sozusagen das Handwerk des vorpolitischen Raums erlernt.

Der Wechsel in die Bank erfolgte zeitgleich mit dem Eintritt der ÖVP in die Regierung. Warum das?

Ich war damals Mitte 30 und fand es an der Zeit zu wechseln, weil ich nicht von der Politik abhängig werden wollte. Damals gab es zum zweiten Mal eine Alternative hin zur Publizistik. Ich wurde eingeladen, bei einem neu gegründeten Magazin mitzuwirken. Gleichzeitig war die Chance da, in die Investkredit zu gehen. Die Investkredit war damals eine reine Förderbank, die damit eine spezielle Aufgabe für die Republik erledigt hat. Zu der Zeit gab es in der Bank gerade die TOP-Aktion, die sehr erfolgreich war und von der Republik zinsgestützt war, von der Investkredit verwaltet wurde und für die Industriekunden günstige Langfristkredite bereitsgestellt hat. Die Bank suchte gerade jemanden, der diese volkswirtschaftlichen Themen, die eng mit Förderprogrammen gekoppelt sind, konzeptiv bearbeitet und die Verbindung zwischen politischem System und Bank im Blick hat.

D.h. die Überlegung war, Sie kennen als Volkswirt die Materie, kennen das politische System, können kompakt und pointiert formulieren und haben die Verbindungen in die Politik hinein...

Genau. Ich habe mich dann für diese Aufgabe entschieden, aber gegenüber dem damaligen Vorstand von Beginn an betont, dass ich neben der Betreuung der Förderthematik gerne auch ins operative Geschäft möchte. Ich wollte also unbedingt ins Kundengeschäft und vier Monate später kam dann auch die Chance, das zu tun. Zu Beginn habe ich das Tourismusportfolio der Bank betreut, d.h. alle Finanzierungsprojekte im Bereich des Tourismus. Es gab damals vier Kreditabteilungen und eine dieser Abteilungen, allerdings eine sehr kleine, war der Tourismusbereich. Das war eine wunderbare Chance. Zuerst war ich Stellvertreter des Abteilungsleiters, drei Jahre später dann nach einer Organisationsveränderung, bei der die vier Kreditabteilungen auf drei verdichtet wurden, übernahm ich die Leitung einer dieser drei Abteilungen.

Die Leitung des Tourismusportfolio war die erste offizielle Führungsfunktion?

Ja, wobei das eine winzige Abteilung war und insofern eher wieder ein Teamerlebnis. Ich habe den Abteilungsleiter sehr geschätzt und als sein Stellvertreter die Verantwortung für das Tourismusportfolio gehabt. Nach ein, zwei Jahren konnte ich dann zwei Mitarbeiter zum Team dazuholen, weil sich der Bereich erfolgreich entwickelt hat und wir expandiert sind. Gleichzeitig hatte ich durch das Thema Förderpolitik auch immer die Möglichkeit, an Grundsatzthemen, die das Haus betroffen haben, mitzudenken und mitzureden.

Also eigentlich eine Teamleitung in einer kleinen Abteilung mit einem für diese Funktion untypischen direkten Draht zum Vorstand durch das Förderthema.

Ja, das war sicher eine wichtige Chance, die ich dadurch bekommen habe.

Was unterschied die Teamleitung von der späteren Abteilungsleitung?

Zunächst war dann die Leitungsspanne größer, vor allem aber war das Portfolio wesentlich größer. Als Abteilungsleiter verantwortete ich ein Portfolio, das immerhin ein Drittel der Aktivseite unserer Bilanz umfasst hat. Es beinhaltete verschiedenste Bereiche der Industriefinanzierung, in die ich mich intensiv eingearbeitet habe. Hier gab es dann auch in risikopolitischer Hinsicht eine echte Leitungsverantwortung. Was die personelle Verantwortung betrifft, ging es darum, die richtigen Menschen vom Arbeitsstil her, von der Genauigkeit her, aber auch von der sozialen Seite her im Umgang mit den Kunden, weiter zu entwickeln.

1990 kam dann eine ganz überraschende Leitungsfunktion auf mich zu, parallel zur Tätigkeit in der Bank. Der Investkredit-Vorstand hatte entschieden, ein junges Team von drei Vorständen in die erst vor wenigen Jahren erworbene, noch sehr kleine Tochterbank Komunalkredit zu setzen, um diese neu zu positionieren und etwas daraus zu machen. Ich wurde neben meiner bisherigen Tätigkeit einer der drei Vorstände, was die tolle Chance bot, mitzugestalten. Durch die Übernahme der Umweltförderung aus dem aus Sicht der Regierung nicht mehr sanierbaren Umwelt- und Wasserwirtschaftsfond haben wir der Kommunalkredit einen völlig neuen Inhalt gegeben, der die Grundlage war für den dann beginnenden Erfolgsweg dieser Tochterbank, die heute unter Federführung meines damaligen Kollegen Reinhard Platzer fantastisch performt. Heute sind dort 250 Mitarbeiter, ganz zu Beginn waren es acht, dann nach der Übernahme der Umweltförderung und der Integration der Mitarbeiter aus dem Ministerium, die diese Fachaufgaben weitergeführt haben, sechzig Mitarbeiter. Das war eine faszinierende Gründungszeit, bei dem ein Unternehmen komplett neu auf die Beine gestellt wurde.

Wie gelang der mentale Switch vom in Ministerium vorherrschenden Bild des "Antragstellers" zu "Kunden"?

Durch intensives Kommunizieren, durch Vorleben, durch Offenlegen gemeinsamer Ziele, durch Setzen von Vergleichsgrößen, die man miteinander erreichen und im nächsten Jahr verbessern möchte. Da gab es sehr viele Möglichkeiten, innerhalb erstaunlich kurzer Zeit bei vielen Mitarbeiter Einstellung und Verhalten zu verändern, aber natürlich nicht bei allen. Es gab dann auch Mitarbeiter, die ihr Rückkehrrecht ins Ministerium genützt haben. Die haben sich in der Kameralistik einfach wohler gefühlt.

Was war dann der nächste Karriereschritt?

1995 bekam ich dann, nicht zuletzt wegen der guten Entwicklung in der Tochterbank, die Chance, in den Vorstand der Investkredit einzuziehen. Zu dieser Zeit liefen gerade die Förderaktivitäten aus, die das Haus über Jahrzehnte mitgeprägt hatten, wodurch klar war, dass nun auch in der Investkredit eine Neupositionierung dringend nötig war.

Bis dahin hatten wir quasi ein monopolistisches Produkt: geförderte Kredite mit eigenem Risiko. Mit dieser Innovationsförderung hatten wir die Chance gehabt, an die besten Unternehmen des Landes heran zu kommen, unterstützt durch eine Mittelqualität, die wir nicht durch eigene Refinanzierung, sondern durch die Zinsstützung der öffentlichen Hand weitergegeben haben. In diesem Produkt waren wir Monopolist, einziger Partner der Republik. Wenn so etwas wegfällt, fällt der eigentliche Treiber für das Geschäft weg.
Wir haben es dann geschafft, unsere Förderkompetenz rasch auf das damals neue Thema EU-.Förderungen zu übertragen und waren damit die erste Bank, die ihre Kunden umfänglich über das völlig neue Instrumentarium der EU-konformen Industrieförderungen informieren konnte. Dadurch waren wir mit dieser Kompetenz wieder wichtig und das hat uns ermöglicht, bei gleichzeitiger Restrukturierung im Haus wieder eine selbsttragende Kraft zu entwickeln. Diese Neupositionierung hat ca. drei Jahre gedauert.

Welche Rolle spielte das Thema Führung bei der ersten Abteilungsleiterfunktion?

Damals habe ich nicht viel über Führung nachgedacht. Ich habe immer versucht, das Gesamtbild im Blick zu behalten und dazu mit meinem Team einen wertvollen Beitrag zu leisten. Die Führungsaufgabe habe ich nie als eine solche gesehen, die sich nur an mein engstes Umfeld richtet, sondern ich habe mich sehr früh mit dem Gesamtbankenthema so stark identifiziert, dass ich einfach überlegt habe, was ich im Rahmen meiner Verantwortlichkeit mit meinen Mitarbeitern zu den Gesamtzielen beitragen kann.

Und das Thema Personalführung....

Da kam mir die Sozialisation aus dem eigenen Unternehmen sehr entgegen. Ich hatte einfach das Glück, dass ich in dieser Rolle als Juniorchefs natürliches Gespür dafür mitbekommen habe, wie man wertschätzend, aber auch sehr offen - und in Situationen, die das erfordern - auch einmal abgrenzend und klärend mit Mitarbeitern umgeht. Wichtig ist mir eine möglichst große Offenheit darüber, was man miteinander vorhat, was man miteinander tut, um diese Ziele zu erreichen und was man tut, um Zielabweichungen auf ihre Ursachen zu untersuchen und dort, wo es möglich ist, an der Veränderung der Ursachen zu arbeiten. Das ist der Innovationskreislauf des täglichen Tuns.

Was war in der Rolle des Abteilungsleiters am schwierigsten?

Am schwierigsten waren Fragen risikopolitischer Natur. Da haben wir in der Bank eine sehr gute Kultur, sehr viel Offenheit der Information über das Einschätzen der Stärken, Schwächen eines Projektes, über die Risiko-Chancen-Analyse, die SWOT-Analyse, die man drüber legt. Dazu gehört für mich auch ein vernünftiger Umgang mit Problemthemen, die es da naturgemäß auch gibt. Insofern war meine Führungsaufgabe im Wesentlichen, dass ich mich bei solchen Problemthemen vor meine Mitarbeiter zu stellen hatte. Schließlich war ich mit verantwortlich, da ich die Entscheidungen mitgetragen hatte, daher musste ich auch sicherstellen - und das war nicht immer ohne Konflikte möglich – dass unmittelbare Durchgriffe auf den verantwortlichen Kundenbetreuer unterblieben, wenn sie aus meiner Überzeugung nicht sachgerecht waren. Da muss man als Führungskraft wirklich für die Mitarbeiter gerade stehen und darf sich nicht als opportunistisch erweisen gegenüber der nächsthöheren Führungsebene. Sonst verliert man das Vertrauen seiner Leute.

Dann kam der Wechsel in den Vorstand der Muttergesellschaft?

Das war ein eigentlich erhoffter und erträumter Schritt, um den ich mich bemüht habe, für den ich mich jahrelang ins Zeug gelegt habe. Umso schöner war dann, dass es tatsächlich erfüllbar war und ich diese Aufgabe übernehmen durfte. Allerdings in der verhältnismäßig ernsten Situation des Restrukturierungserfordernisses. Es mussten sehr rasch sehr viele – nicht nur angenehme - Entscheidungen getroffen werden. Da war es natürlich hilfreich, dass in der Komunalkredit alles so gut funktioniert hatte und ich daher auch auf der Ebene der Mitarbeiter einen Vertrauensbonus gehabt habe, selbst dort, wo es zu massiven Einschnitten gekommen ist.

Im Jahr 1995 sind wir in der Investkredit innerhalb eines halbes Jahres von 210 Mitarbeitern auf 165 Mitarbeiter zurückgegangen. Die Klärung des Abbaus erfolgte schon vor meinem formellen Antritt der Position und die organisatorischen Änderungen wurden dann mit meinem Funktionsantritt am 1. Juli 1995 kommuniziert und umgesetzt. Durch die rasche Klärung der notwendigen Schritte mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden und Vorstandskollegen, Dkfm. Alfred Reiter, und dem folgenden raschen Implementieren war sozusagen vom ersten Tag an das Arbeiten in den neuen Strukturen möglich. Das frühe Klären von Verantwortlichkeiten und Geschäftsfeldfragen im Vorstand war dabei sicher der allerwichtigste Punkt, denn wenn diese Klärung vorhanden ist, lässt sich sehr früh sehr offen über die damit verbundenen Ziele, Instrumente, Methoden und Planungen diskutieren und dann kann man in regelmäßigen, mindestens monatlichen Gesprächen die erreichten Zwischenschritte stetig optimieren.

Aus dem Grund tauschen wir bei der Investkredit regelmäßig in verschiedenen Vergrößerungen des Führungskreises unterschiedlichste Verdichtungen von Geschäftsfeld- und Strategieinformationen miteinander aus. So schaffen wir auf der Ebene der erweiterten Führung der Bank ein möglichst gemeinsames Bild von der Wirklichkeit und kennen darauf aufsetzend die Vorstellungen, entlang derer wir uns weiter bewegen wollen. Wenn wir über weitere Internationalisierungsschritte nachdenken, über neue Produkte oder über neue Geschäftsfeldpositionierungen, dann entsteht das in der Regel auch aus diesen Prozessen heraus.

Plötzlich führt man lauter Führungskräfte, ist das nicht ein qualitativer Unterschied?

Absolut. Ich habe da sehr viel Respekt, schließlich arbeite ich da mit Menschen zusammen, die die gleiche Fähigkeit hätten, die eigene Tätigkeit ausüben. Umso wichtiger erscheint mir ein absolut wertschätzender Umgang sowie der Grundsatz, nie ohne guten Grund top-down zu agieren. Es wird von mir zwar Entscheidungsstärke erwartet und es ist auch klar, man muss oft rasch entscheiden muss, es wird aber auch erwartet, dass jede Entscheidung, die nicht innerhalb des gemeinsam definierten Feldes von abgesteckten Spielräumen getroffen wird, einer sehr genauen Begründung unterliegt. Und die darf dann keinesfalls heißen, „weil ich das so will“, sondern die muss eindeutig ableitbar sein, da darf kein Fragezeichen offen bleiben. Wenn jemals der Eindruck entsteht, da ist etwas irrationales passiert, was sich nicht vorher gut erklären lässt oder unmittelbar danach aus einem Erfolg heraus erklärt, dann haben Sie sofort eine Leitungslücke, die sich mit Misstrauen und mit Illoyalität füllen würde.

Inzwischen sind wir in der Investkredit-Gruppe rund 500 Menschen. Da benötigen Sie eine gewisse Durchgängigkeit der Grundaussagen über das ganze Unternehmen hinweg. Wenn Führungskräfte Entscheidungen treffen, die andere nicht mehr nachvollziehen können, entweder weil sie ihnen nicht erklärt werden, obwohl ihnen das aus der Nähe der sonstigen operativen Zusammenarbeit zustünde oder weil sie weit weg sind und es niemanden in der Mitte gibt, der ihnen das sozusagen dolmetschen kann, dann verfällt die Unternehmenskultur. Damit geht Ihnen viel an möglichen gemeinsamen kreativen Potenzialen einfach verloren.

Im Wesentlichen glaube ich, dass es darauf ankommt, in den Kernfragen der Ausrichtung des Unternehmens - in unterschiedlich verdichteten Formen - eine Kommunikationskultur zu haben, in der die wesentlichen Fragen von Mitarbeitern, die an den unterschiedlichsten Stellen sitzen, aus eigenem Verständnis heraus gleich beantwortet werden.

Den Anspruch haben viele, nur funktioniert es nur bei den wenigsten Firmen.

Ich sage nicht, dass wir das perfekt machen. Aber der Anspruch steht außer Zweifel. Das ist so wie der berühmte Anspruch, in einem Medium für objektive Information zu sorgen. Es gibt jeden Tag Anlässe, wo ein Dritter sagen kann, „das war aber nicht objektiv“, und trotzdem würde ein Medium viel schlechter funktionieren, wenn es diesen ehrlichen Anspruch nicht gäbe und dieser nicht ständig verfolgt würde.

Wenn Sie auf Ihre Führungskräfte schauen, woran machen Sie den Unterschied zwischen einer guten und einer weniger guten Führungskraft fest?

Eine gute Kombination von charakterlichen Eigenschaften, was das Verhalten zu den eigenen Mitarbeitern und die Loyalität zum Unternehmen betrifft, mit einer – in unserem Fall erforderlichen – sehr vertieften fachlichen Erfahrungskurve. Dazu ein offener Blick für das, was sich im Umfeld tut. Gute Führungskräfte zeichnet meiner Überzeugung nach aus, dass sie einen realistischen Blick auf die Umgebungswirklichkeit haben. Wir versuchen, uns in den monatlichen Treffen schonungslos zu erzählen, wie wir das wahrnehmen. Daraus ergeben sich dann auch mögliche Korrekturerfordernisse wie das Zurückfahren eines Geschäftsfeldes oder die Trennung von einzelnen Mitarbeitern, die aufgrund veränderter Anforderungen nicht mehr in das Zielgefüge des Unternehmens passen. In diesem Fall muss man zeigen, dass man mit einer Trennung so umgehen kann, dass nicht Verlierer zurück bleiben. Es gibt vielleicht keine Trennung ohne Schrammen, aber es gibt sehr wohl die Möglichkeit, sich so zu trennen, dass man, wenn man sich am nächsten Tag in einem anderen sozialen Zusammenhang treffen würde, aufeinander zugeht, ohne Bitterkeit zu verspüren. Das ist möglich und darum muss man sich bemühen.

06.2005

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Dr. Wilfried Stadler, Vorstandsvorsitzender der Investkredit AG