"Ein Werk mit 4000 Leuten können Sie nicht kontrollieren!"

Thomas Bogdanowicz, bereits als 30-Jähriger Aufsichtsratsvorsitzender mehrerer großer Unternehmen, über seine Erfahrungen mit rasantem Wachstum, bedrohlichen Krisen, die Pionierjahre im ehemaligen Ostblock und die Mammutaufgabe der Reorganisation einer kommunistischen Fabrik mit über 4000 Mitarbeitern.

Herr Bogdanowicz, haben Sie einen akademischen Titel?

Titel nein, Studiert ja. Vier Jahre Betriebswirtschaft inklusive Diplomarbeit, aber exklusive Abschlussprüfung. Da kam mir die Firma dazwischen. Ursprünglich hätte es Maschinenbau werden sollen, doch im Sommer vor dem Studienbeginn haben mir zwei Topmanager, die meine Segelschüler waren, erklärt, ich würde nur mit BWL und nicht mit Technikstudium meine Ziele durchsetzen können.

Wie kam es überhaupt zur Firmengründung?

Während des Studiums habe ich zuerst ein Jahr in einer Galerie gejobbt und dann in der Bundeswirtschaftskammer als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet. Im letzten Studienjahr bekam ich mit meinem späteren Partner Richard Schweger die Möglichkeit, bei Arthur Andersen in New York für mehrere Monate ein Internship zu absolvieren. Nach den drei Monaten war der Mythos Consulting zerplatzt und damit war klar: Wenn eine Karriere bei einer der großen Consultingfirmen nicht mehr erstrebenswert ist, dann müssen wir selbst etwas auf die Beine stellen. Nach der Rückkehr aus den USA haben wir zusammen mit Christian Guzy - somit waren die Anfangsbuchstaben der Firma BGS komplett - im Rahmen des letzten Proseminars einen Businessplan erarbeitet, bereits mit dem Ziel, diesen dann auch tatsächlich umzusetzen. Um das erforderliche Startkapital für den ursprünglichen Plan, ein Franchiseunternehmen zu gründen, zu finanzieren, haben wir nach Gründung der BGS Beratungsaufträge angenommen und mit EDV Zubehör gehandelt.

Am Beginn stand der Handel mit Computerzubehör?

Jein. Der Christian Guzy hatte einen Freund, der Mitglied beim Funkberater war, einer Einkaufsgenossenschaft im Elektrohandel, der uns beauftragt hat, die Mitglieder dabei zu beraten, ob sie PCs verkaufen sollten oder nicht. Damals hatte gerade einer ihrer Konkurrenten, die Firma Herlango, unter der Marke Future mit dem PC-Verkauf begonnen. Wir haben ihnen dann in dem Konzept geraten, die PCs selber zu produzieren, u.a. deshalb, weil zu der Zeit noch eine enorme Marge im Assembling der Computer drinnen war. Die Funkberater wollten jedoch nur fertige Produkte kaufen, woraufhin wir entschieden haben, die PCs in der BGS selbst zusammenzubauen und sie dann an den Funkberaterring zu verkaufen. In gewisser Weise ein mutiger Ansatz, nachdem wir gerade unsere 250.000 Schilling Stammkapital eingezahlt hatten und nicht wirklich wussten, wie man PCs zusammen baut.

Wie startet man das Assembling von PCs ohne Know How?

Das Know How haben wir dadurch in die Firma gebracht, dass wir den Verantwortlichen von Future abgeworben haben, der dort das Konzept gerade realisiert hatte. All das, die Gründung der BGS, der Kontakt zum Funkberaterring bis hin zur die Idee, selbst PCs zu bauen, passierte innerhalb von 3 Monaten. Danach war bereits die erste Bestellung nach Taiwan unterwegs und 10 Tage später waren mit Luftfracht alle Computerteile in Wien. In der Anfangszeit haben wir tagsüber Kundentermine wahrgenommen und in den Nächten PCs zusammen gebaut.

Da wir damals mit 50% Rohmarge im Gegensatz zu unserer Konkurrenz sehr knapp kalkuliert hatten, waren wir mit unseren PC-Preisen sehr gut positioniert. Mit einem Minimum an Marketing konnten wir im angrenzenden Osteuropa Kunden akquirieren und bereits 5 Monate nach unserem Start ganze LKW-Ladungen PC’s vor allem über die ungarische Grenze schicken. Die meisten dieser PCs waren aber gar nicht für Ungarn bestimmt, sondern wurden von dort nach Russland weiter verkauft. Da die Ungarn beim Weiterverkauf noch einmal 100% aufgeschlagen haben, waren wir schnell der Meinung, das wir selbst versuchen sollten, nach Russland zu verkaufen. Noch im Gründungsjahr 1988 habe ich mit Hilfe des Vaters einer Freundin eines Freundes, der schon lange in Russland tätig war, einen Termin im Forstministerium in Moskau bekommen. Die Reise, die für 3 Tage angesetzt war, hat sich dann auf drei Wochen ausgedehnt und am Ende stand die Vereinbarung, ein Joint Venture zu gründen und als Bezahlung für die PCs Holz geliefert zu bekommen. Damals gab es in der ganzen Sowjetunion keine eigene Computer-Produktion und die Firmen, die dort handelten, haben dementsprechend alle mit gigantischen Preisen gearbeitet. Zudem waren sie im Gegensatz zu uns nicht bereit, auf die örtlichen Gegebenheiten einzugehen. Aufgrund dieser Gegebenheiten sind wir daher im Rahmen von zwei Joint Ventures sehr schnell auf enorme Stückzahlen gekommen.

Von welchen Umsätzen reden wir hier?

1989, im ersten vollen Jahr wahrscheinlich um die 10 Mio. Schilling, 1991 standen wir bereits bei über 700 Mio. Schilling, begrenzt hauptsächlich durch die Finanzierung der Geschäfte. Wir haben zwar Kredite bekommen, aber klar ist: In der Praxis übersetzt sich GmbH als "Gesellschaft mit persönlicher Haftung", weil Sie die nötigen Finanzierungen nur mit persönlichen Wechselbürgschaften bekommen.

In der damaligen Sowjetunion  habe ich das PC-Geschäft schnell auch in Richtung Commodities entwickelt. Das war noch die Zeit des klassischen Ostblocks mit den alten Strukturen. Wirtschaftliche Freiheiten gab es in Russland damals nur im Rahmen von Joint Ventures (JV). JV hatten das Recht, selbst zu exportieren, ohne über die staatlichen Außenhandelsorganisationen zu gehen und wenn sie selbst produzierten - und den PC konnte man leicht als Produktion darstellen, da wir ihn zusammen schrauben mussten - konnte man auch die Teile selbst importieren, ohne über die staatliche Außenhandelsorganisationen zu gehen. Durch das diffizile Währungssystem, welches damals im Comecon-Raum existierte, war das Bartern über die Grenzen mit Waren und verschiedenen Währungen das interessanteste Geschäft. Neben unserem JV mit dem Forstministerium haben wir nicht nur Wald, sondern in der Folge dann auch Metalle und Chemie gehandelt.

Und diese Waren mussten Sie dann selbst im Westen verkaufen?

Genau, meist mit der Hilfe von Partnern Auch das heutige Chemieunternehmen begann als JV mit der Möglichkeit, selbst produzierte Chemikalien außerhalb der sonst alles umfassenden 5-Jahrespläne selbst in alle Welt zu exportieren. Ein beträchtlicher Teil dieser Geschäfte lief über Offset-Geschäfte mit Netzwerkpartnern. Der Hintergrund war, dass es zwischen den einzelnen Comecon-Ländern verschiedene Währungen gab. Man muss sich das so vorstellen, dass es in der damaligen Sowjetunion 60 Arten von Rubel gab. Im Handel zwischen Russland und Polen gab es einen Transferrubel und einen Transfersloty. Das eine war eine Währung, mit der die Russen in Polen einkaufen konnten und mit der anderen konnten die Polen in Russland einkaufen, der artifizielle Wechselkurs dieser Währungen wiederum glich die Planwirtschaftlichen Außenhandelsbilanzen aus. Das Problem war: Wenn eine Firma Flugzeuge nach Polen geliefert hat und dafür Transfersloty bekam, was sollte sie damit machen? Sie konnte damit nur ja Waren in Polen einkaufen. Also haben z.B. wir mit Partnerfirmen ermöglicht, dass mit den Transfersloty Tiefkühlkost in Polen eingekauft wurde, die dann nach Deutschland verkauft wurde, wodurch Devisen lukriert wurden, gegen die wir ihnen die heiß begehrten Computer geliefert haben. Das waren sehr komplexe Geschäfte, die wesentlich auf dem Vertrauen der handelnden Personen zueinander basiert haben.

Das Geschäft boomte also und die BGS wuchs mit enormen Tempo. Was passierte dann?

Dann sind mehrere Dinge parallel passiert. Zum einen kam die Ostöffnung, wodurch neben den Joint Ventures auch andere Konstellationen möglich wurden, z.B. konnten nun Ausländer selbst Firmen gründen, wobei wir uns an der Gründung der 2. Aktiengesellschaft in Russland beteiligten, aus welcher später viele Unternehmen, unter anderem auch eine Bank und eine Versicherung hervorgingen Zum anderen hatten wir bis 1991 in Österreich mittlerweile schon vier Unternehmen gekauft. Das heißt, wir hatten 1991 in Österreich knapp 200 Mitarbeiter und ca. 250 Leute im Osten. Mit einem Umsatz von alles zusammen etwa 700 Mio. Schilling.

In drei Jahren von 0 auf700 Mio. Schilling Umsatz?

Ja. Was wir nicht hatten - und das war eines der größten Probleme – war eine fundierte Eigenkapitalstruktur. Unsere Gewinne in Osteuropa hatten wir neben dem Aufbau von Tochterfirmen dort in Österreich mit Fremdkapital geleveraged und in Firmenzukäufe wie "Daustrab", "Die Netzwerker" und "Bacher Systems" investiert. 1991 erfolgte dann - durch Banken angedient - der Zukauf der sanierungsbedürftigen Geiger-Gruppe. Geiger hat dann aufgrund von bereits vorhandenen Verlusten, die doppelt so hoch waren wie von den Wirtschaftsprüfern bestätigt, der ursprünglichen BGS Holding das Genick gebrochen hat. Denn wir mussten dann aufgrund der von den Banken in Anspruch genommenen Querhaftungen die Holding auflösen und alle profitablen Unternehmen verkaufen, um die Bankverbindlichkeiten zu verringern.

Die gesamte BGS wurde zerschlagen und verkauft?

Ja, wobei ich selbst die damals signifikant überschuldete BGS Industrial mit Hilfe eines Geschäftsfreundes aus der Masse herausgekauft und weitergeführt habe. Im Rahmen der BGS Industrial hatte ich den Anlagenbau aufgebaut und verkaufte damals schlüsselfertige Ziegelfabriken, Lebensmittelfabriken und andere damals für vor allem russische Investoren interessante Anlagen. Daneben entwickelte die BGS Industrial das Projekt BGS Smartcard und war gleichzeitig Holding für unter anderem die Chemieaktivitäten.

Wie haben die Banken in der Situation reagiert?

Es gab einen Bankvorstand, zuständig für das Auslandsgeschäft, der mir das zugetraut und mich unterstützt hat. Dadurch konnte auch ein weiterer Schaden in Form von weit über 100 Mio. Schilling an Dokumentenhaftungen aus Anlagengeschäften verhindert werden. Das Hauptproblem beim Crash der Holding war, dass wir damals extrem jung waren, 1992 war ich 26 Jahre alt. Eine Schwierigkeit war daher, klarzumachen, dass der Crash nicht auf die Überheblichkeit von ein paar ausgeflippten jungen Highflyern zurückzuführen war, sondern einen etwas diffizileren Hintergrund hatte. Schlussendlich hat sich dann bei einem Gerichtsverfahren einige Jahre später gezeigt, dass die damals verkauften Unternehmen trotz der schwierigen Situation bereits höhere Bilanzgewinne hatten als die gesamten Verbindlichkeiten der damaligen Gruppe. aber das änderte wenig an dem Umstand, dass wir in der Zwischenzeit teilweise wie Kriminelle behandelt wurden.

D.h. jede Menge Druck...

Absolut. Aus heutiger Sicht war der Crash für mich allerdings ein großes Glück, weil er mir neben Krisenmanagement in Extremsituationen beigebracht hat, die geschäftlichen Aktivitäten auf Bereiche wesentlich größerer Wertschöpfung als den Handel von EDV zu fokussieren. Z.B. den Einstieg in den Zahlungsverkehr. Damals brach in Russland gerade der bislang händisch durchgeführte Interbankenzahlungsverkehr, das Clearingsystem, zusammen. Die BGS konnte dann innerhalb von 4 Monaten in Zusammenarbeit mit einem später fusionierten Softwareunternehmen ein funktionierendes System in der russischen Zentralbank aufbauen.

Aufgrund dieses Erfolgs bekam ich die Möglichkeit, der Sberbank, welche eine Tochter der Zentralbank ist und über 28.000 Filialen verfügt, ein bargeldloses Zahlungssystem anzubieten. Unter der Führung des mittlerweile langjährigen CEO der BGS Smartcardsystems AG, DI. Leonid Delberg, stellte ich ein Team zusammen, welches dann der Sberbank das Angebot machte, ein neues System basierend auf Chipkarten für diese Zahlungen zu verwenden, lange bevor hierzulande jemand an derartige Systeme gedacht hat. Bereits 1993 wurde dann der erste Pilot realisiert und 1997 habe ich die BGS Smartcardsystems AG unter Beteiligung des Managements DI. Delberg und Mag. Richard Schweger bei gleichzeitiger Fusion mit einer Partnerfirma aus der BGS Industrial ausgegliedert. Später sind dann die VCH AG und die Berndorf AG als Gesellschafter hinzugekommen. Mittlerweile hat BGS Smartcardsystems ihr Geschäft massiv auch im nahen Osten und in Asien ausgebaut und ist seit der Beteiligung der Sberbank 2005 auch im operativen Zahlungsgeschäft tätig.

Daneben gab es noch den Chemiebereich, in dem sich auch einiges getan hat, oder?

Wir hatten bereits seit 1989 ein Joint Venture mit dem Chemieunternehmen Uralchimplast, wo wir zwei Anlagen betrieben und die hier produzierten Produkte weltweit verkauft haben. Mit der Zeit hat sich dadurch jene Vertrauensbasis zwischen dem heutigen CEO und damaligen CFO von Uralchimplast DI. Alexander Gerdt und mir entwickelt, aus welcher 94/95 die Idee entstand, in Österreich eine Holding zu gründen, diese über einen in Österreich begebenen Bond zu finanzieren und damit die Chemiefirma, die damals gerade privatisiert werden sollte, zu übernehmen. Damit niemandem auffällt, dass ein ausländisches Unternehmen eine Übernahme plant, haben wir über mehrere Deckfirmen Aktien gekauft, denn sonst wäre sofort der Preis in die Höhe gegangen.
Der Staat hatte zu der Zeit Anteile von 20% und schrieb dafür einen Tender aus: Wer das beste Investitionsprojekt bietet, bekommt diese 20 Prozent. Wir haben ein gasbasierendes Kraftwerk für das Werk vorgeschlagen, Dampfkessel und Dampfturbinen, damit gewonnen und so die 20% übertragen bekommen. Damit hatten wir die Mehrheit.

Wie groß war die Chemiefirma damals?

Das ist schwer zu rechnen, weil das durch die Umrechnungskurse total verzerrt war. Umso klarer waren hingegen die großen Problemfelder. Erstens war das Werk im Prinzip eine kommunistische Struktur mit über 4000 Arbeitnehmern. Zweitens hatte das Produktportfolio 40-50% Produkte, die in einer Marktwirtschaft nicht bestehen konnten. Ein großer Teil wurde für den Militärbereich produziert, in dem es kein Geld mehr gab. Z.B. Additive für Treibstoff oder Kunststoffe für irgendwelche Militärprodukte. Das dritte Problem war, dass damals eine totale Illiquidität im Land herrschte und wenn Kunden zahlten, dann nur mit anderen Waren. Das ganze Geschäft lief im Barter, hatte aber einen entscheidenden Schönheitsfehler: die Mehrwertsteuer war in bar fällig. Als wir die Firma übernommen haben, hatte die Firma allein aufgrund dieser Tatsache hunderte Mio. Schilling Steuerschulden. Die Situation war also einigermaßen kritisch, denn weder produzierte die Firma marktgerechte Produkte, noch war die Struktur adäquat. Dafür gab es extreme Steuerschulden und eine Wildwestzeit im rechtlichen und wirtschaftlichem Umfeld. Heute weiß man, wie es sich weiter entwickelt hat, aber damals wusste keiner, wohin die Reise gehen würde.

Hatten nicht alle Firmen diese Steuerschulden?

Ja. Das Problem der Steuerschulden war nicht so sehr, dass uns der Staat zur sofortigen Zahlung gezwungen hätte, sondern diese Steuerschulden machten Unternehmen angreifbar für einen unfriendly takeover. Denn es gab die Möglichkeit, dem Staat die Schulden abzukaufen. Und da das Insolvenzrecht vorsah, dass der größte Gläubiger im Fall der Insolvenz zum Masseverwalter mutierte– on der Grundidee nicht schlecht, da er ein Interesse an der Fortführung haben müsste  –   nutzten Organisationen, die liquide waren, diese Regelung für unfriendly takeovers.

Wie haben Sie sich davor geschützt?

Indem wir im Gegensatz zu den meisten anderen Übernahmen nicht an schnellen Gewinnen interessiert waren. Wir sind aber mit dem Ehrgeiz angetreten, das Werk tatsächlich zu sanieren. Bei der Übernahme gab es natürlich wilde Reaktionen von allen Seiten. Am Anfang waren wir das Feindbild schlechthin und hatten Gewerkschaften, Politik etc. gegen uns. Das hat sich dann von Jahr zu Jahr zu unseren Gunsten verändert, weil immer mehr der anderen Grossunternehmen, in welchen keine Veränderungen in Gang gekommen sind, pleite gegangen sind. Während also rundum die Leute ihre Arbeit verloren haben oder sie noch hatten, aber kein Gehalt bekamen, haben wir dafür gesorgt, dass die Leute ordentlich und pünktlich bezahlt wurden. Heute gelten wir als Paradeunternehmen und durften uns über viele staatlichen Preise und Ehrungen für unsere Aktivitäten freuen.

Was passierte inzwischen mit der BGS Industrial?

Mitte der 90er-Jahre kamen immer mehr westliche Anlagenbauer, die Konkurrenz wurde größer und es wurde wichtiger, sich zu spezialisieren. Wir haben unser Projektmanagement Know How zuerst auf die Sanierung von Altbauten und Projekte mit der Administration des Präsidenten fokussiert, wobei wir die besondere Ehre hatten, an der Renovierung des Kreml und anderen Projekten mitzuarbeiten. Bei dem Bau des neuen Konferenzzentrums, welcher durch diskontierte Wechsel der in der Bankenkrise 98 bankrottgegangenen STB finanziert war, habe ich mir jedoch ein riesiges Loch von 58 Mio. Schilling in der BGS Industrial eingehandelt, an dessen Sanierung ich dann 4 Jahre gearbeitet habe, nicht zuletzt mit Hilfe der Verkäufe von BGS Smartcardsystems Anteilen an Berndorf und VCH.

Wie reorganisiert man ein kommunistisches 4000 Mann Unternehmen?

In dem damals gegebenen rechtlichen und wirtschaftlichen Umfeld können Sie als Eigentümer ein Werk mit 4000 Mitarbeitern nicht von heute auf morgen kontrollieren. Wir haben daher die Sanierung in Sphären geteilt, diese gemäß wirtschaftlicher und sozialpolitischer Vorraussetzungen mit entsprechenden Prioritäten versehen und dadurch eine Basis für eine weitere Entwicklung geschaffen. Die erste und direkt überlebenswichtige Sphäre ist die reine Abwicklung im kommerziellen Bereich und die Finanzsphäre. Damit einher kommt als weitere Sphäre Marketing und Verkauf. Gefolgt und parallel begleitet von Konzernorganisation und auf Basis dieser als vierter Bereich die proaktive Produktpolitik.

Die Basis fängt damit an, dass ich eine Situation schaffen muss, in ich sicher bin, beim Verkauf eines Produkts auch wirklich Geld dafür zu bekommen. Zudem muss ich wissen, an wen ich es verkaufe. Denn damals existierten rund um die großen Unternehmen tausende kleine Firmen, welche teilweise Mitarbeitern gehört haben, die das Unternehmen sprichwörtlich trockengelegt und vom Markt abgeschnitten haben. Wir haben daher als ersten Schritt eine Handelstochter gegründet, dort 40 junge Leute hineingesetzt, die wir kontrollieren konnten, und ab diesem Zeitpunkt Produkte ausschließlich über diese neu gegründete Firma verkauft. Der zweite Schritt war die Eingliederung des gesamten Einkaufes von Rohmaterialien und Technologie.

Dadurch waren wir sehr schnell in der Lage die Produkt und Finanzströme zu kontrollieren und konnten gleichzeitig eine vorwärtsgerichtete Produktpolitik beginnen während wir parallel im Grossunternehmen selbst die Konzernorganisation umstrukturierten und rationalisierten. In vielen anderen Unternehmen wurden ähnliche Strukturen etabliert, nur dienten sie dort häufig dazu, die Firmen auszusaugen, statt sie zu sanieren.

Aber die Firmen dort hatten doch alle kein Cash. Wie haben die bezahlt?

Eines der ersten Ziele nach der Übernahme war, den Barter-Umsatz drastisch hinunterzufahren und nur mehr Produkte zu produzieren, für die es also Kunden gab, die liquide waren. In gewissen Bereichen gab es immer Liquidität, z.B. bei den Kraftwerken, in der Medizintechnik, der Spanplattenindustrie oder bei abrasiven Materialien. D.h. überall dort, wo es aufgrund von Exporten Geld gab, hat das funktioniert. Neben den notwendigen technischen Investitionen haben wir vor allem in die Rückzahlung der Steuerschulden investiert, nicht, um dem Staat etwas Gutes zu tun, sondern um unfriendly takeover-Versuche abzuwehren, die es natürlich auch gab.

Es blieben also die Chemiefirma und die Smartcard, wobei es bei der Smartcard zu einem teilweisen Verkauf der Anteile kam, um die BGS Industrial zu sanieren?

Ja, wobei es auch andere Geschäfte gab, die Geld gebracht haben, das ich verwendet habe, um die BGS Industrial zu sanieren. Eine Bank hat mir damals angeboten, eine Finanzierung bereitzustellen, damit ich meine gesamten Anteile an der Smartcard behalten kann. Aber mein vorrangiges Ziel war der Abbau der Schulden. Inzwischen sind sämtliche Schulden getilgt und eine von mir ins Leben gerufene Stiftung ist Hälfteeigentümer der Chemiefirma und noch minderheitsbeteiligt bei der Smartcard.

Schon vor 8 Jahren haben Sie sich in den Aufsichtsrat zurückgezogen, was hat sich dadurch geändert?

Ein wenig die Arbeitszeit! Aber einer der wesentlichsten Unterschiede ist, dass ich mir heute genau aussuchen kann, an welchen Themen ich arbeite. Es ist kein Reagieren mehr, sondern reines Agieren. Das empfinde ich als besonderen Luxus. In beiden Unternehmen macht das Management die Sache besser, als ich es machen könnte.

Der bessere Fokus auf die Eigentümerrolle hatte für mich auch als Privatperson besondere Bedeutung. Ich habe damals eine Familie gegründet und wollte erstmals auch privat auf eine gesunde finanzielle Basis kommen, und nicht Verbindlichkeiten im Privatvermögen in einer Höhe haben, welche man im ganzen Leben niemals durch normale Arbeit zurückzahlen kann. Ich wollte endlich in der Situation sein, die unternehmerische Freiheit zu haben, zu manchen Geschäften und Geschäftspartnern Nein zu sagen.

Wie ist es der UCP Chemicals AG in den letzten Jahren ergangen?

Wir haben mit massivem Arbeitseinsatz und aller Konsequenz den gesamten Konzern neu positioniert und strukturiert: ein Fokus auf unseren Kernmarkt Russland und der andere Fokus auf unsere Kernprodukte synthetische Leime und Harze. Das hat sich bezahlt gemacht: Das Wirtschaftswachstum in Russland betrug in den letzten Jahre 7-9 %, das Wachstum der UCP betrug in der Zeit zwischen 17-25%.

Angesichts der vielen aufreibenden Jahre kann ich mir nur schwer vorstellen, dass bei Ihnen jetzt schlagartig Ruhe einkehrt. Was steht als nächstes auf dem Programm?

Wir befinden uns aktuell in einer historischen Situation: die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen in Osteuropa sind klar und für diese Märkte herrscht fast eine Überliquidität. In dieser Situation meine Erfahrungen nicht zu nutzen, würde an Selbstverleugnung grenzen. Im Chemiebereich schmieden wir gerade einige spannende Allianzen mit internationalen Chemieunternehmen.

Parallel dazu habe ich bereits vor einigen Jahren begonnen, projektspezifisch und als Investor mit einer Unternehmensgruppe zusammenzuarbeiten, die in Richtung Osteuropa in den Bereichen Immobiliendevelopment, Vermögensverwaltung und Private Equity tätig ist. Auch da sind gerade einige sehr interessante Projekte in der Pipeline. Insofern könnte man sagen: Für ausreichend Spannung ist gesorgt.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

03.2006

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Thoams Bogdanowicz, Aufsichtsratsvorsitzender der UCP Chemicals AG, der BGS Smartcards AG