Führen in der Krise

Der Managementberater Ram Charan beschreibt in seinem neuen Buch "Leadership in the era of economic uncertainty" eindrucksvoll, wie das Top-Management von DuPont den gesamten Konzern in extrem kurzer Zeit auf die heran rollende Krise eingestellt hat.

Auch wenn kein Mensch Krisen gerne mag, noch viel unangenehmer ist für die meisten Mitarbeiter das Gefühl, dass eine mögliche Bedrohung für das Unternehmen von "denen da oben" im Top-Management nicht gesehen oder nicht ernst genommen oder ihr nur halbherzig gegengesteuert wird.

So wie in vielen anderen Unternehmen wurde auch beim Chemiekonzern DuPont die Krise bis Mitte 2008 vor allem als Krise des Finanzbereichs gesehen. Den "Weckruf" erhielt der Vorstandsvorsitzende Charles O. Holliday Jr. bei einem Treffen mit dem CEO eines großen japanischen Kunden, der in hohem Maße besorgt war über die Liquidität seines Unternehmens und dessen Fähigkeit, in naher Zukunft benötigte Mittel am Kapitalmarkt zu beschaffen. Wieder zurück in der Firmenzentrale berief Holliday sofort ein Meeting mit seinen sechs wichtigsten Spitzenmanagern ein und konfrontierte sie mit zwei Fragen: Wie schlimm ist es jetzt? Und wie schlimm könnte es noch werden? Die Antworten waren weit schlimmer als erwartet.

Was wissen wir, was wissen wir nicht?

Die Auswirkungen der Finanzkrise hatten bereits begonnen, sich im Geschäft von DuPont niederzuschlagen. Sowohl in Amerika als auch in Europa, Russland und Asien bekamen immer mehr Firmen Probleme, aufgrund der Kreditklemme Investitionen zu finanzieren, weshalb sie stark auf die Bremse stiegen. In wichtigen Produktbereichen wie Autolacken, bei denen DuPont in Amerika einen Marktanteil von 30% innehat, ist die Firma mit den Automobilherstellern aufgrund der Just-in-Time Produktion IT-mäßig aufs Engste verflochten. Da die Lacke erst zwei Tage, bevor die Autos lackiert werden, von DuPont produziert werden, ist die Firma über die Produktionspläne der Kunden genau informiert. Doch plötzlich gab es keine Produktionspläne mehr, da die abstürzenden Verkaufszahlen der Automobilhersteller deren Produktion quasi zum Stillstand brachte.

Um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, verfügte DuPont auch über einen ausgearbeiteten Krisenplan, der bisher aber kaum aktiviert worden war. Die zentrale Frage war: Ist die Krise ernst genug, um den Plan zu aktivieren oder werden damit die rund 60.000 Mitarbeiter möglicherweise unnötig in Panik versetzt. Angesichts der zusammengetragenen Informationen entschied Holliday, den Krisenplan zu aktivieren. In kürzester Zeit versammelten sich 17 Teams in der Konzernzentrale und machten sich an die Arbeit. Nachdem klar war, dass man es hier vor allem mit einer Finanzkrise zu hatte, beendeten jene acht Teams, die sich auf andere Themen wie Arbeitssicherheit konzentrierten, ihre Arbeit. Übrig blieben neun Teams, die festzulegen hatten, was zu tun war, um die Lebensfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen.

Die Leute wollen die Wahrheit wissen

Nachdem dies geschehen war, betraute der CEO zwei hochrangige Manager, die im Konzern hohes Ansehen genossen, mit der Aufgabe, der Belegschaft in einfacher, nichttechnischer Sprache mitzuteilen, was die Gründe für die aktuelle Krise sind und wie diese Krise DuPont betrifft. Innerhalb von 10 Tagen nach Erstellung des Krisenplans hatte jeder einzelne Mitarbeiter ein Gespräch mit seiner Führungskraft geführt, indem diese dem Mitarbeiter Ziel und Zweck des Plans zu erläutern hatte und jeder Mitarbeiter aufgefordert wurde, drei Dinge zu identifizieren und zu nennen, wie die Firma liquide Mittel sicherstellen und Kosten sparen könnte. Wenige Tage nach diesem Roll-Out folgte eine Mitarbeiterbefragung, um herauszufinden, wie gut die Mitarbeiter die Natur der Krise verstanden hatten und wie die Stimmung in der Belegschaft war: Waren sie vor allem verängstigt oder eher energetisiert und bereit, sich der Krise zu stellen? Die Botschaft schien breitflächig angekommen zu sein und erste Maßnahmen zeigten bereits Wirkung. Dennoch hatte der CEO den Eindruck, dass die Dinglichkeit des Handelns noch nicht allen klar war. In diesem Fall möglicherweise gerade wegen des schnellen und energischen Handelns des Managements, wodurch sich viele Mitarbeiter in falscher Sicherheit wiegten.

In einem nächsten Schritt setzte der CEO zusammen mit seinem COO und CFO Meetings an, in denen die drei jeweils 1,5 Stunden mit den 14 wichtigsten Führungskräften des Konzerns zusammensaßen und diese mit der Frage konfrontierten, was konkret sie in ihren Bereichen unternehmen würden, um mit der Krise fertig zu werden. Jeder dieser Führungskräfte brachte eine lange Liste von Maßnahmen, doch das Problem daran war überall dasselbe - die Geschwindigkeit: "Sie sprachen über Maßnahmen, die mit Jänner oder Februar 2009 umgesetzt sein würden, aber entscheidend war, sie bereits mit Ende Oktober umgesetzt zu haben." Die Folge davon waren neu festgesetzte, und ständig beobachtete Ziele in Bezug auf Kosten, Working Capital und andere Kenngrößen für die restlichen Monate im Jahr 2008 sowie für 2009. Gleichzeitig mit diesen Sofortmaßnahmen konzentrierten sich einige Top-Manager ausdrücklich darauf, längerfristige Maßnahmen zu planen, deren Umsetzung etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, etwa die zeitweilige oder endgültige Schließung von Standorten, das Lieferantenmanagement, Outsourcing, etc.

Von ersten "Weckruf" bis zu den ersten Maßnahmen benötigte DuPont gerade einmal sechs Wochen, wohl auch dank eines bereits vorhandenen Krisenplans. Viele weitere Schritte und Maßnahmen werden noch folgen. Doch auch wenn noch völlig unklar ist, was die nächsten Wochen, Monate und Jahre bringen werden, eines hat das Top-Management bisher erreicht: Die Sicherheit, dass hier im Management die Realität erkannt und anerkannt, geführt, entschieden und breitflächig kommuniziert wird, statt sich in frommen Wünschen zu ergehen ("Es wird schon nicht so schlimm werden") und dann (zu) spät und damit oft panikartig und wenig durchdacht zu handeln.

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