"Eigene Geschäfte sind krisensicherer"

Dr. Friedrich Wille, Inhaber des Schmuck-Unternehmens Frey-Wille, über die Entwicklung einer Wiener Email-Manufaktur zu einer internationalen Marke und den entscheidenden Vorteil eigener Geschäfte gegenüber dem Großhandel.

Seit wann gibt es Ihr Unternehmen?

Michaela Frey hat die Firma 1951 in ihrer Wohnung gegründet. Bis 1970 hatte es sich zu einem Unternehmen mit rund 50 Mitarbeitern entwickelt, in dem Jahr bin ich dazugestoßen. Sie hatte damals ihren Geschäftspartner verloren und konnte nicht alles alleine organisieren. Nach ihrem Tod 1980 habe ich das Unternehmen weitergeführt. Zu der Zeit war ich bereits 50% Eigentümer und dann habe ich allmählich die Anteile ihrer Töchter, die die anderen 50% geerbt hatten, erworben. Ab dem Jahr 1992 habe ich dann alle Anteile gehalten.

Wie kamen Sie in Kontakt zu dem Unternehmen?

Ich war 1970 ein angehender Wirtschaftsprüfer und Steuerberater und hatte damals schon das Ziel, ein Unternehmen zu erwerben bzw. mich einzukaufen. Ich hatte zwar kein Geld, wollte aber nicht angestellt, sondern unternehmerisch tätig sein. Nach zwei gescheiterten Versuchen hat sich plötzlich die Möglichkeit ergeben, der Gründerin des Unternehmens, der Michaela Aichberger, wie sie damals hieß, zu helfen, eigentlich temporär, bis ein neuer kaufmännischer Geschäftsführer gefunden wäre.

Aber wie ging es vonstatten, ohne Geld Miteigentümer zu werden?

Ich habe mir meine Anteile langsam erarbeitet. Am Beginn waren es 5 Prozent und dann stieg das langsam weiter an. Ich habe immer Geld gespart und dann wieder ein Stück erworben. Jedes Jahr ein paar Prozent. Das war aber nur möglich, weil mich die Gründerin halten wollte, während ich damals eigentlich meinen erlernten Beruf Wirtschaftsprüfer nicht aufgeben wollte. Aber dann wurden mit der Zeit die Versuchungen, auch finanzieller Art, so groß, dass ich nicht widerstanden habe und ich bereue es nicht.

Wenn man bei erfolgreichen Unternehmen zurückblickt, scheint die Entwicklung klar und schlüssig, doch bei vielen Entscheidungen hätte es auch in eine ganz andere Richtung gehen können. Z.B. gab es am Anfang doch noch eine ganz andere Produktpalette und keine eigenen Geschäfte.

Bei meinem Start habe ich mir das Ganze mit den Augen eines Kostenrechners angeschaut und gesehen, dass man unter diesem Gesichtspunkt eigentlich die meisten Produkte einstellen müßte. Das haben wir dann in der Folge auch gemacht. In der Hauptsache gab es damals folkloristische Email-Produkte wie Schalen und Kerzenleuchter, die in den 50er- und 60er Jahren sehr beliebte Produkte gewesen waren, die weggingen wie die warmen Semmeln. Dazu kam ein sehr einfacher Email-Schmuck. Die Michaela Frey war ein Verkaufsgenie, sie hat die Produkte an Souvenirgeschäfte und Möbelgeschäfte sowie über eine Messe in Frankfurt verkauft. Sie war damals in England verheiratet und hat die Hälfte der Zeit dort verbracht. Sie war auch mit den Kaufhäusern in London in Kontakt, hatte dort überall ihre Kunden und ich habe diese Kunden alle mit ihr besucht. Dort gab es vor allem Interesse am Schmuck, daher wurde immer mehr Schmuck gemacht.

Was genau meint eigentlich Emailschmuck?

Email ist eigentlich eine Form von festem Glas in Form von kleinen festen Stoffen, sogenannten Fritten. Das wird dann gemahlen und mit Wasser versetzt, damit es auf ein Material aufgetragen werden kann. Es wird aufgetragen, getrocknet und dann gebrannt. Das passiert mehrmals hintereinander und am Schluss wird das Dekor aufgetragen. Das haben wir durch eine Technik, die man als eine Art Kunstdrucktechnik bezeichnen kann, weiterentwickelt. Genau genommen ist es eine Art Simulation einer Emailmalerei.

Ich stelle es mir sehr schwierig vor, ein Unternehmen weiterzuführen, wenn der kreative künstlerische Kopf plötzlich nicht mehr da ist.

Wenn man vom Kaufmännischen etwas versteht, aber vom Künstlerisches nichts, geht es viel leichter als umgekehrt, vorausgesetzt man hat ein grundsätzliches Interesse an Kunst. Ich bin ja von der Ausbildung her Humanist und Kunst war immer Teil meines Interessensgebietes. Mich damit zu beschäftigen, war und ist eine wunderschöne Arbeit. Nach dem Tod der Gründerin habe ich eine Gruppe junger Künstler von der Akademie geholt - eine davon ist meine heutige Frau - und ihnen den Auftrag gegeben, ein völlig neues Schmuckkonzept zu erarbeiten. Das habe sie gemacht und es ist wirklich gut gelungen. Wir haben mit den vorhandenen Vertriebskanälen begonnen, vor allem mit Kunstgewerbegeschäften, dann allmählich immer mehr Juweliere dazu genommen und uns auf Schmuck spezialisiert.

1991 kamen wir durch den ersten Irakkrieg in eine große Krise. Zuerst hat man damals im Handel abgewartet - das Herbstgeschäft ging noch relativ normal - dann wuchs die Nervosität immer mehr und vor dem Angriff gab es bereits einen totalen Stillstand. Auch nach dem Angriff war das Geschäft enorm gedämpft. Unser größter Kunde zu der Zeit war Hermes in Paris, diesen Kunden hatten wir seit 1978. Dieser eine Kunde hat damals 60% unseres Umsatzes ausgemacht und von heute auf morgen die Bestellungen um die Hälfte reduziert. Die anderen Umsätze gingen um 20-25% zurück. Also in Summe ein enormer Einbruch und die Frage war, wie wir das überstehen können. Ich habe dann meine letzten finanziellen Reserven ins Unternehmen gesteckt und irgendwie ging es sich dann gerade noch aus. Ich habe mir damals geschworen, mich nie wieder so abhängig zu machen von den Wiederverkäufern - weil wir keine eigenen Geschäfte hatten - und von einem so großen Kunden. Ich wußte ja bereits, wie gut man fährt, wenn man eine eigene Marke aufgebaut hat – ich hatte einen gewissen Einblick bei Hermes bekommen –und wollte daher sobald es geht, eine eigene Marke aufbauen. Bereits 1992 haben wir dann am Flughafen Wien mit dem ersten eigenen Geschäft begonnen, genau genommen mit dem zweiten, denn wir hatten seit 1981 ein Geschäft in der Gumpendorferstrasse, das wir dann umgebaut haben. 1997 folgte das erste Stadtgeschäft und ab dann kamen immer mehr Geschäfte dazu. Das war vom kaufmännischen Prinzip her sicher die richtige Entscheidung. 10 Jahre später im Jahr 2007 hatten wir bereits über 40 Geschäfte weltweit und heute sind es bereits über 80 Geschäfte.

Ist damit nicht ein großer Kapitalbedarf verbunden und ein großes Risiko?

Kapitalbedarf ja, aber ein viel geringeres Risiko als man gemeinhin glaubt. Eigene Geschäfte sind ein viel geringeres Risiko als die totale Abhängigkeit von den Wiederverkäufern. Ein Beispiel: In der Krise Ende 2008, 2009 hatten wir in Rußland schon 14 Geschäfte.  Alle, die mit russischen Importeuren gearbeitet haben, z.B. bekannte Uhrenmarken, haben einen sofortigen Stopp bekommen. Die konnten von heute auf morgen nichts mehr verkaufen und haben dadurch große Probleme bekommen. Wir hingegen hatten überhaupt kein Problem, denn auch in der Krisenzeit haben die Leute weiterhin eingekauft. Mit eigenen Geschäften ist man also viel krisensicherer, denn im Retail-Geschäft sind die Schwankungen wesentlich geringer als im Wholsesale-Geschäft. Dort kann man von heute auf morgen brutal erwischt werden. Inzwischen haben wir uns vom Wholesale-Geschäft bereits weitestgehend zurückgezogen. Übrigens ein international zu beobachtender Trend bei Marken, da waren wir in der Entwicklung vorne mit dabei.

D.h. der Schock bei den Umsatzeinbrüchen Anfang der 90er-Jahre war der Anlass, die Strategie zu überdenken?

Ja, dieser Strategieschwenk war sicher richtig, denn wir machen heute ca. 80-85 Prozent des Umsatzes in den eigenen Geschäften. Und wir konnten die verschiedenen Schritte des Übergangs so gestalten, dass wir trotzdem im Umsatz gewachsen sind und heute mehr Umsatz haben als je zuvor. Inzwischen haben wir ca. 500 Mitarbeiter weltweit.

Als Sie mit eigenen Geschäften begonnen haben, hat das gleich funktioniert?

Ich habe am Beginn viel Lehrgeld bezahlt. Die erste Idee war, in Deutschland, wo wir en gros relativ stark waren, einige Flagship-Stores aufzumachen. Da haben wir durch die falsche Auswahl von Standorten und durch die Überschätzung unserer Möglichkeiten eine Menge Geld verloren. Die besten Standorte haben wir uns am Anfang natürlich nicht leisten können. Man muss klarerweise auch in Werbung und PR investieren, auch da haben wir Lehrgeld gezahlt. Heute wissen wir natürlich bereits viel besser Bescheid, wie wir es anpacken, wenn wir neu in einen Markt gehen. Das Lehrgeld a Beginn bezahlt man dafür, wie man die richtigen Standorte sucht, die richtige Personalpolitik macht sowie die richtige Werbung und die richtigen PR-Aktivitäten. Wir haben aber immer zumindest noch so viel verdient, dass wir die Verluste, so ärgerlich sie waren, verschmerzen und wegstecken konnten.

1997 kam dann ein kräftiger Schub, als wir mit Hermes in einem Jahr viel Geld verdient haben, als sie unbedingt Uhren machen wollten, wodurch die Aufträge enorm angestiegen sind. Das war verführerisch, aber da wir dadurch wieder in eine große Abhängigkeit gerutscht wären, habe ich dann beschlossen und dem Kunden auch offen gesagt, dass ich diese Aufträge in Zukunft nicht mehr übernehmen würde. Das dabei verdiente Geld haben wir in zwölf neue Geschäfte gesteckt und damit einen großen Sprung gemacht. Wir sind relativ zeitgleich nach London, Paris, Mailand und Deutschland gegangen. Auch da haben wir noch bei ca. der Hälfte dieser Geschäfte einen schlechten Griff gemacht und nichts verdient, aber bereits viel schneller gelernt. Meine Frau, die bis heuer im Unternehmen mitgearbeitet hat, hat in den letzten Jahren aufgrund des Wachstums immer größere Ängste bekommen. "Jetzt macht er schon wieder ein Geschäft auf", "Jetzt geht ihr schon wieder in ein neues Land". Sie denkt: größer zu werden, bedeutet mehr Risiko. Doch das Gegenteil ist wahr, da Sie von einzelnen Märkten weniger abhängig werden.

Wie haben Sie die einzelnen Märkte konkret aufgebaut? Sind Sie immer selbst hingefahren?

Heute haben wir mehrere Manager, die das machen. Ich selbst fahre heute in der Regel nicht mehr in die neuen Märkte, das kann ich nicht mehr machen, aber ich bin in meinem Leben sehr viel gereist. In Rußland war ich schon zu Zeiten des Kommunismus unterwegs, erstmals 1975, dann noch einmal in den 80er-Jahren. In China war ich aber z.B. noch nie, obwohl wir dort schon mit Geschäften vertreten sind. Im Jahr 1990, nach dem Fall des eisernen Vorhangs, habe ich begonnen, mich ernsthaft mit Rußland als Markt zu beschäftigen. Wir sind dort über die Duty-Free-Shops gestartet, die ich in der Art erstmals in Irland aufgebaut hatte. In den Umbruchjahren haben wir uns aus Rußland wieder zurückgezogen. Im Jahr 2000, nachdem Putin an der Macht gekommen war und wir viele verschiedene Angebote bekommen haben, unsere Produkte für uns zu vertreiben, habe ich beschlossen, es selbst noch einmal zu probieren. Zuerst haben wir lange kein passendes Geschäft gefunden, aber durch hartnäckiges Aufbauen eines Netzwerkes von Wien aus ist es mir dann plötzlich gelungen, ein erstes Geschäft zu eröffnen. Das war dann sehr schnell erfolgreich und danach war es schon viel leichter, ein zweites aufzumachen. Heute haben wir bereits 20 Geschäfte und machen in Rußland aktuell ca. 30 Prozent unseres Umsatzes. Je mehr Geschäfte wir haben, desto stabiler werden wir, weil sich damit die Risken aufteilen. Gleichzeitig gilt aber auch: Je größer ein einzelner Markt wird, umso wichtiger wird es, dass wir auch in andere Länder gehen und neue Märkte wie China, Amerika und weitere Länder erschließen, um das Risiko wieder weiter zu streuen. Den mittleren Osten als Markt habe ich Mitte der 90er-Jahre auch selbst aufgebaut, das hat mir einfach einen Spaß gemacht. Zuerst waren wir über einen Wiederverkäufer vertreten, Anfang 2000 haben wir dann mit eigenen Geschäften begonnen. Heute haben wir drei in Dubai. Vor der Krise hatten wir dort das weltweit beste Geschäft, heute ist es an fünfter Stelle, aber immer noch sehr gut.

Dieser Schritt von einem lokalen Mittelbetrieb hin zu einer international tätigen eigenen Marke gelingt ja beileibe nicht jedem. Worauf kommt es da an?

Für mich steht unternehmerisches Wagnis an erster Stelle. Rußland war sicher ein enormes Wagnis und in China oder jetzt in New York Fuß zu fassen ist natürlich ebenfalls ein Wagnis, aber eben ein kalkuliertes. Ohne dieses Wagnis kann man es nicht schaffen. Dazu kommt, dass das meiste von dem, was wir verdienen, ins Unternehmen zurückfließt. Die Expansion der vergangenen 10 Jahre war aus meiner Sicht die logische Fortentwicklung des Unternehmens, um in dem Strom mitschwimmen zu können. Was sicher auch eine Rolle spielt: Die vielen Reisen, die ich früher unternommen habe, kommen mir heute zugute. Wenn du einmal in einem Land warst, hast du ein anderes Gespür dafür. Dann kannst du auch andere Leute hinschicken, kennst dich aber trotzdem ausreichend aus, um aus der Ferne die Situation beurteilen und gute Entscheidungen treffen zu können.

Meine Devise ist, sich als Unternehmen mit der Entwicklung der Welt mitzuentwickeln. Wenn man das nicht tut, geht es sofort bergab. In Moskau z.B. haben wir neun Geschäfte, das verstehen die meisten Leute nicht. Die fragen: Warum muss man dort neun Geschäfte haben? Ganz einfach: Im Großraum Moskau wohnen ca. 16 Millionen Leute. Moskau samt Umland ist so groß wie halb Österreich. Da ist sozusagen ein Geschäft in St. Pölten und eines in Eisenstadt, weil das so eine riesige Fläche ist. Die Stadt entwickelt sich enorm weiter, immer wieder entstehen neue, tolle Einkaufstempel, in denen die großen Marken vertreten sind. Wenn wir da nicht mit dabei sind, geht die Bedeutung unserer Marke langsam wieder runter. Also schauen wir, dass wir mit der Entwicklung der Welt Schritt halten.

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Dr. Friedrich Wille, Inhaber und Geschäftsführer von Frey-Wille