Gläserne Familienunternehmen?

Welche Auswirkungen haben die Entwicklungen der Finanzmärkte auf das Verhalten von Top-Managern in börsennotierten Unternehmen sowie auf Eigentümer/Manager in Familienbetrieben? Fest steht, die Auswirkungen sind weit massiver, als viele Manager wahrhaben wollen. Die Gründe dafür legte Dr. Rudolf Wimmer im Rahmen des ÖGGO-Kongresses eindrucksvoll dar. Ein kleiner Ausschnitt:

„Kein Unternehmen, bis auf ganz wenige besonders gut mit Eigenkapital finanzierte, kann seine Unternehmensentwicklung vorantreiben ohne auf irgendeine Form von Fremdfinanzierung zurückzugreifen. Deswegen sind Unternehmen besonders abhängig von jenen Sektoren, die dieses Kapital zur Verfügung stellen.

Ich unterscheide hier zwei grundsätzliche Finanzierungsquellen, die in Unternehmen jeweils andere Dynamiken bewirken. Einerseits die Finanzierung über die Börse und andererseits den klassischen Firmenkredit, der von Banken zur Verfügung gestellt wird. Die Veränderungen in den diesen Sektoren, dem Kapitalmarkt und dem Markt für Unternehmensfinanzierungen, für Fremdkapital, haben enorme Auswirkungen auf die daran gekoppelten Unternehmen .

Unternehmen als fungible Ware

Zuerst ein paar Worte den börsennotierten Unternehmen. Die Kernthese ist hier, dass diese Verselbständigung des Kapitalmarktes, seine Entfesselung, dazu geführt hat, dass Unternehmen selber zu einer höchst fungiblen Ware geworden sind. D.h. der Handel mit Unternehmen ist selbst ein hochprofitables Geschäft geworden. Insofern muss jedes börsennotiertes Unternehmen damit rechnen, dass es überraschenden Übernahmeprozessen ausgesetzt ist. Das hat ungeheure Auswirkungen für die Steuerung von Unternehmen, die heute noch gar nicht abschätzbar sind.

Wir beobachten schon heute, dass die Aufmerksamkeit des Top-Managements in diesen Unternehmen in einem bisher nie gesehenen Ausmaß auf die Frage ausgerichtet wird: „wie können wir den Kapitalmarkt beeinflussen“. Damit einher geht die Frage, haben diese Manager noch ausreichend Obsorge, was die längerfristige Unternehmensentwicklung selber betrifft? Für mich ist immer wieder erstaunlich, dass gestandene Top-Manager sich von jungen Analysten sagen lassen, was sie in Zukunft für eine Unternehmenspolitik machen sollen. Hier haben sich die Abhängigkeitsverhältnisse in einer für mich oft schwer nachvollziehbaren Weise geändert.

Eine weitere Auswirkung, dass diese Unternehmen intern natürlich in hohem Ausmaß auf diese, auf den Kapitalmarkt gerichteten Beobachtungsdimensionen ausgerichtet werden. Man versucht das Unternehmen sozusagen für den Kapitalmarkt gläsern zu machen, damit die Analysten beurteilen können, ist es eine gute Investition oder nicht. Diese Umbauphase in Hinblick auf die Erwartungen des Kapitalmarktes dient aus meiner Sicht nicht immer den längerfristigen Überlebensnotwendigkeiten des Unternehmens, sondern sie orientiert sich an den kurzfristigen, oft wechselnden Beurteilungskriterien, die Analysten an den Tag legen.

Hier wird sehr genau zu beobachten sein, ob das Top-Management es schafft,  zwischen den kapitalmarktorientierten Anforderungen einerseits und den längerfristigen Überlebensanforderungen des Unternehmens andererseits zu unterscheiden. Meine These ist, dass, wenn diese Unterscheidung nicht offensiv getroffen wird, jene Unternehmen, die sich einseitig  an den Kapitalmarktkriterien orientieren, längerfristig keine gute Prognose haben.

Fremdkapital in Familienunternehmen

Bei den eigentümergesteuerten, über Fremdkredite finanzierten Unternehmen, tut sich eine ähnliche Entwicklung auf, die von vielen noch gar nicht erkannt wird, diskutiert unter dem Schlagwort Basel II und den hier definierten neuen Spielregeln für das Risikomanagement von Banken. Dabei geht es im wesentlichen darum, dass die Banken bei der Vergabe ihrer Unternehmenskredite künftig gezwungen werden, jeden einzelnen Unternehmenskredit in Bezug auf seine Risikolastigkeit individuell zu beurteilen und aufgrund dieses Bonitätsprüfungsergebnisses und des Risikos, das dabei herauskommt, die eigene Eigenkapitaldecke maßzuschneidern. Was bedeutet, dass sich die Kreditkosten in Zukunft am eingegangenen Risiko der Bank orientieren werden und nicht ausschließlich an dem, was an Markt an Kreditzinsen üblich ist.

Das bedeutet einerseits, und das ist vielen Unternehmen noch überhaupt nicht klar, dass viele Bank bereits jetzt damit beginnen, ihre Kreditvergabepolitik den neuen Spielregeln, welche im Jahr 2005 verbindlich in Kraft treten, anzupassen. Das aber heißt, dass sich die Kreditkosten für Firmen, die nicht so gut dastehen, deutlich erhöhen werden, man rechnet zwischen 30 bis 40%.

Das wohl noch Entscheidendere ist, dass sich durch die Unterziehung der Unternehmen unter diesen Ratingprozess in vielen familiengesteuerten Unternehmen ein radikaler Kulturwandel abzeichnet. Viele haben ihr bisheriges Selbstverständnis ja gerade daraus bezogen, dass sie sich nicht in die Karten haben schauen lassen. Diese Ära geht wahrscheinlich dramatisch zu Ende. Dieser Ratingprozess wird gar nicht so vergangenheitsorientiert ablaufen, wo man schaut, wie viele Sicherheiten kann jemand anbieten, sondern die Bonitätseinschätzung wird sich auf die zukünftige Ertragskraft des Unternehmens ausrichten.

Man wird genau schauen, in welcher Branche ist ein Unternehmen tätig - in einer Zukunftsbranche oder ein Krisenbranche - wie ist das Unternehmen in der Branche positioniert, wie ist seine strategische Ausrichtung, wie wird das Unternehmen geführt, wie schaut die Nachfolgeregelung aus, ist hier Vorsorge getroffen? Das alles sind Kernthemen der Identität von Familienunternehmen, die davon nachhaltig berührt werden. (01.2002)

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Prof. Dr. Rudolf Wimmer,