Karriere ohne Aufstieg

Wie können Unternehmen angesichts des ständigen Wandels ihren Mitarbeitern noch ausreichend Orientierung und Sicherheit bieten, zumal sich in den vergangenen Jahren die Aufstiegschancen durch den Abbau von Hierarchieebenen sukzessive vermindert haben? Eine mögliche Antwort bietet die Fachkarriere.

Den radikalen Wandel, dem das Karriereverständnis heutzutage unterworfen ist, hat Kurt Guwak, oberster Personaler der ABB Österreich (heute Personalchef der Elin EBG), selbst erlebt. “Ich bin vor zwölf Jahren vom damaligen Leiter der Personalentwicklung angesprochen worden. Der ist gerade dem vorherigen Personalleiter nachgefolgt und hat nun seinerseits einen Personalentwickler gesucht. Wir haben uns also getroffen und ich weiß noch sehr gut, dass eines seiner Argumente war,  “schauen Sie, es ist für Sie von der Perspektive her ja wirklich interessant, ich bin elf Jahre älter als Sie und wenn ich in Pension gehe, haben Sie noch schöne zehn bis zwölf Jahre als Personalleiter vor sich.”

Zwei Jahre später war natürlich alles anders. Und zehn Jahre später hat sich die Situation nicht einmal, sondern viermal verändert und zwar völlig. Der Betreffende ist längst nicht mehr beim Unternehmen, die Funktionen sind heute ganz andere als damals, es sind mittlerweile die verschiedensten Firmen entstanden und teilweise schon wieder aufgelöst worden. Nur, dieser Zugang, das aus dieser Warte zu sehen, war damals völlig logisch und aus der Tradition, aus der auch dieses Unternehmen gekommen ist,  absolut passend. Das zeigt vielleicht, was es da mittlerweile an Brüchen gibt.”

Karriere ohne Kontinuität

Diese Brüche nehmen für jeden wahrnehmbar zu und damit wächst auch die Irritation und Orientierungslosigkeit vieler Mitarbeiter. Wenn ständig alles anders wird, was ist dann noch von Dauer? Woran soll man sich noch orientieren? Und was soll eigentlich noch das Gerede von Wachstum oder Entwicklung, wenn es alle zwei Jahre in eine andere Richtung geht?
Kurt Guwak: “Ich glaube, dass die allermeisten Menschen ein Bedürfnis nach Struktur, nach Orientierung haben. Ein Bedürfnis nach Wachstum, nach Entwicklung und das muss irgendwo sichtbar und ablesbar sein. Daraus resultiert meiner Meinung nach das Bedürfnis, so etwas wie Karriere zu haben. Man möchte sehen, dass etwas weiter geht. Man möchte wissen, wo man steht und man möchte in zwei oder fünf Jahren sagen können,  das ist besser, da habe ich was daraus gemacht.”

Die Hierarchie bot da über lange Zeit eine klare Struktur, an der man sich orientieren konnte, nur kann sie das heute immer weniger leisten. Woran sonst soll man also dann dieses persönliche Fortschreiten ablesen? Die Idee, die die ABB Mitte der 90er-Jahre aufgriff und weiterverfolgte, war die eigentlich naheliegende Beobachtung, dass Karrieren ja auch abgesehen von der hierarchischen Entwicklung passieren. Denn wenn etwa ein junger Techniker bei der Firma beginnt - und eine zentrale Kernkompetenz ist bei der ABB z.B. Projektmanagement - dann entwickelt dieser Mitarbeiter sich natürlich mit den Jahren weiter. Vom Projektmitarbeiter zum Leiter kleiner Projekte, bis er, wenn er gut ist und genügend Erfahrung hat, an immer schwierigere und größere Projekte herangehen kann.

Auf diesem Weg passieren vielfältige Veränderungen: er verdient wesentlich mehr, hat andere Entscheidungsfreiräume,  umfangreichere Verantwortungsbereiche, ein anderes Gewicht im Unternehmen. Nur, bisher wurde Karriere eben einzig mit Aufstieg in der Hierarchie gleichgesetzt. Gelingt es, diese Gleichsetzung aufzuweichen und die Aufmerksamkeit auf die ja bereits stattfindende Entwicklung zu legen, so eröffnet sich plötzlich die Möglichkeit, durch die Aufwertung dieses Entwicklungspfades als “Fachkarriere” eine attraktive Alternative anzubieten.

Auslöser Attraktivitätsverlust

Auslöser, um diese Fachkarriere auch mit der notwendigen Ernsthaftigkeit einzuführen und zu etablieren, war bei der ABB das Ergebnis der alle zwei Jahre durchgeführten Mitarbeiterbefragung.  Hier zeigte sich 1994 eine deutliche Verschlechterung der Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, abzulesen an Aussagen wie: “Es wird alles schneller, chaotischer, unübersichtlicher, profitorientierter, unmenschlicher.” Der ständige Wandel hatte die Mitarbeiter ein Stück weit überfordert und da ein Zurück zur klassischen Hierarchie als Lösung ausschied, galt es, neue Ansätze zu finden.

Namen haben Signalcharakter

Brigitta Horak, Personalverantwortliche für mehrere Geschäftsbereiche der ABB, beschreibt den dann einsetzenden Prozess:  “In einem ersten Schritt haben wir uns im Personalmanagement hingesetzt, die wesentlichen Funktionen, die es im Unternehmen gibt, definiert, das sind insgesamt 15 - z.B. Projektleiter, Vertriebstechniker, Sekretärin, Sachbearbeiter Rechnungswesen, etc. - und für diese dann meist drei- bis vierstufige Entwicklungsschritte benannt. Neu benannt,  aber nicht wirklich neu kreiert, dann diese Entwicklung war ja schon längst vorhanden.”

Nachdem jede Stufe mit einem  attraktiven Namen versehen war (z.B. Planungsassistent, Planungstechniker, Planungsmanager, Senior Planungsmanager), wurde dazu grob definiert: was sind die Inhalte dieser Tätigkeit, welche Voraussetzungen müssen gegeben sein: welche Ausbildung, wie viel Praxisjahre usw., so dass man als Führungskraft und als Betroffener sofort erkennen  kann: wo stehe ich, was sollte ich da können und tun und was braucht es, um in die nächste Kategorie zu kommen?

Die beabsichtigte Aufwertung dieser Tätigkeiten durch wertschätzende Namen erwies sich als wichtiges Signal an die Mitarbeiter. Die neu definierten Karrierepfade wurden dann den Führungskräften präsentiert und anschließend mit Instrumenten wie der Stellenbeschreibung und dem Mitarbeitergespräch verkoppelt, um die neue Fachkarriere auch tatsächlich zum Leben zu erwecken.

Dass der Fachkarriere bei ABB wirklich Wert zuerkannt wird, erwies sich bereits in den  zuletzt durchgeführten Mitarbeiterbefragungen. Die Identifikation mit dem Unternehmen hat sich 1994 kontinuierlich erhöht.  Tatsächlich sind die positiven Effekte bei der Etablierung von Fachkarrieren vielfältiger Natur. Insofern stellt sich vor allem eine Frage: Warum wird diese Möglichkeit bislang von so wenigen Unternehmen genutzt?

Die Vorteile einer Fachkarriere

.....für die Mitarbeiter

     

  • eine neue Perspektive und ein roter Faden in turbulenten Zeiten
  • eine durch die neuen Labels zwar vielleicht nur symbolische, aber dennoch als wichtig empfundene Aufwertung der Expertenarbeit
  • eine klarere Selbsteinschätzung und klarere Kriterien für den Vergleich mit anderen
  • eine durch den Perspektivenwechsel im Unternehmen forcierte Gleichstellung von Experten- und Führungstätigkeit

 

....für die Führungskräfte

     

  • eine Argumentationshilfe bei Personalmarketing und Recruiting
  • eine Unterstützung bei der Stellen- und Personalplanung
  • eine Argumentationshilfe bei Gehaltsforderungen
  • Unterstützung bei der Personalentwicklung

 

.... für das Unternehmen

     

  • wieder deutlich ansteigende Werte bei der Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen
  • weniger Druck auf die Hierarchie, indem gute Fachkräfte, um Karriere zu machen, nicht mehr unbedingt in Führungspositionen wechseln müssen
  • weniger Ängste und damit Blockaden angesichts ständigen Wandels.

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