"Positionen sind nicht planbar"

Dr. Hartmut Ehrlich, Vice President Global Research and Development bei Baxter BioScience, über Lebenspläne und Lebensrealitäten als Global Leader.

Herr Dr. Ehrlich, Sie waren bereits in den verschiedensten Ländern tätig. Wo war der Ausgangspunkt?

Mein erster Schritt ins Ausland, im Jahr 1985 direkt nach dem in Deutschland (Giessen) abgeschlossenen Medizinstudium war ein Research Fellowship, das anfänglich für zwei Jahre geplant war. Mein Doktorvater hat mir diese Position, die von Eli Lilly finanziert  wurde, vermittelt. Standort war Indianapolis, der Hauptsitz von Eli Lilly, wobei meine Stelle sowohl der Indiana University School of Medicine als auch den Lilly Research Laboratories zugeordnet war. Mein dortiger Chef war in beiden Organisationen verankert, ein Wissenschaftler, der mit meinem Doktorvater in Giessen zusammengearbeitet hatte.

Ich wollte in den USA die wesentlichen Methoden der Molekularbiologie und den dortigen Hochschulbetrieb im Bereich Medizin besser kennen und verstehen lernen. Meine Frau und ich sind dann schliesslich zweieinhalb Jahre in Indianapolis geblieben. Durch diesen Aufenthalt haben sich so viele Kontakte und Perspektiven ergeben, dass wir schlussendlich nicht mehr nach Giessen zurückgegangen sind. Das Angebot, nach Amsterdam zu gehen, um dort zu leben und zu arbeiten, erschien ganz einfach interessanter.

Ihr Doktorvater hatte Sie nach Amerika geschickt, in der Hoffnung, dass Sie dann bei ihm arbeiten würden, oder? War er nicht enttäuscht?

Ja, zu dem Zeitpunkt war er sehr enttäuscht. Er war aber nie nachtragend und hat mir, nachdem er ein Max-Planck-Institut für Blutgerinnung und Transfusionsmedizin an der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim aufgebaut hat, dann wiederum dort eine Stelle angeboten: So sind  wir dann nach 3 Jahren Amsterdam zunächst einmal nach Deutschland zurückgekehrt.

Als Sie in die USA gingen, wie alt waren Sie da?

Ich war 27. Meine Frau ist medizinisch technische Assistentin und hat mich damals begleitet. Ich bekam ein so genanntes Exchange-Visum (J1), d.h. ich durfte arbeiten, sie bekam ein J2 Visum und durfte zunächst nicht arbeiten. Dies ist wieder ein Beispiel dafür, dass sich die Dinge oft anders entwickeln als sie anfänglich erscheinen und deshalb auch nicht so planbar sind. Jeder „Experte“ hatte uns damals gesagt, dass sich meine Frau in Amerika um einen Job bemühen solle: Die Arbeitserlaubnis würde sie dann schon bekommen. Als wir dann in den USA waren, hat uns der Dean of International Affairs der Indiana University allerdings erklärt, dass sie zuerst eine Arbeitserlaubnis braucht, um überhaupt einen Job suchen zu können. Also haben wir bei den lokalen Behörden in Indiana um eine Arbeitserlaubnis nachgefragt, und diese hat sie dann in der Tat  problemlos bekommen. Innerhalb eines Tages fand sie dann eine Stelle in einem Forschungslabor der Universitätsklinik.  

Und es war immer klar, dass Ihre Frau mit wollte?

Für uns war von Anfang an klar, dass wir nur zusammen in die USA gehen würden. Zu dem Zeitpunkt waren wir noch zu zweit. Als wir dann in Amsterdam waren, kam unser erster Sohn auf die Welt. Das war 1989. Dann haben sich ziemlich rasch hintereinander einige Ortswechsel ergeben. Als unser Sohn Christopher ein Jahr alt war, sind wir zurück nach Deutschland, das Max Planck Institut war in Bad Nauheim. Da blieben wir allerdings nur ein Jahr. Christopher war 2 Jahre alt. als wir nach Nürnberg gezogen sind, wo ich ein Angebot (klinische Forschung) der Firma Sandoz, heute Novartis, angenommen hatte. Da waren wir dann zweieinhalb Jahre, bevor mich das Unternehmen fragte, ob ich Interesse hätte, nach Basel zu zu wechseln. Basel war dann der vierte Wohnort (im dritten Land) für unseren fünfjährigen Sohn. Im Anschluß daran kam das Angebot von Baxter, wodurch wir im April 1995 nach München übersiedelten. Zugleich wurde allerdingsh klar: Wenn es für die Kinder mit der Schule losgeht, werden diese häufigen Wechsel problematisch. Aber – und das ist meiner Meinung nach das Entscheidende - die Dinge sind nicht planbar, gerade im Zusammenhang mit internationalen Firmen.

Ich war gerade mal drei Jahre bei Baxter in München, als 1998 die Frage kam, ob ich für das Unternehmen nach Wien gehen würde. Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits zu viert, nachdem unser zweiter Sohn Tobias im Jahr 1997 das Licht der Welt erblickt hat. Wir sind dann 1999 nach Wien übersiedelt. Damals schien es so, als wäre es nur eine Übergangslösung für ein Jahr, um dann in die Konzernzentrale in den USA zu  wechseln. Also war die ganze Familie im Jahr 2000 in den USA, um  Schulen und Häuser anzuschauen. Doch dann traf Baxter die Entscheidung, Wien als Forschungszentrum intensiver auszubauen. Also blieben wir zunächst für weitere drei Jahre in Wien. 2004 stellte sich erneut die Frage eines Wechsels in die USA: Also schauten wir uns wiederum gemeinsam Häuser und Schulen in der Gegend von Westlake Village (Grossraum Los Angeles) an. Dann jedoch wurde entschieden, Wien als weltweites Zentrum der Forschung von Baxter BioScience zu etablieren, womit auch klar war, dass wir weiterhin in Wien bleiben würden.

Wie gesagt, davon war zu dem Zeitpunkt, als wir nach Österreich gekommen sind, überhaupt keine Rede. Ich kann nicht sagen, dass es unbedingt unser Wunsch war, wieder in die USA zu gehen, es war aber sicher die Offenheit da, das zu tun. Aber es war eben auch genauso die Offenheit da, in Wien zu bleiben. Für Führungskräfte in internationalen Konzernen sind diese Dinge selten so planbar, wie manche sich das vielleicht unter dem Gesichtspunkt einer allumfassenden Lebensplanung wünschen würden. Was also unbedingt zu einer solchen Rolle gehört, ist Mobilität und eine Offenheit für das Neue und für Veränderungen.

Wollten Sie immer schon im Ausland arbeiten und leben, war das ein erklärtes Ziel? Oder denkt man eher, das macht sich gut im Lebenslauf, wenn ich in den USA war?

Ich denke, dass beides zutrifft. Ich habe meine Entscheidungen wohl immer mit dem Gedanken getroffen, Dinge zu tun, die interessant sind und mich sowohl als Persönlichkeit wachsen lassen als auch als Mitarbeiter attraktiv machen. Schon beim Weg in die USA ging es darum, mir dort Fähigkeiten anzueignen, die mir im weiteren Verlauf meines beruflichen Werdegangs helfen würden. Ich konnte dort neue Methoden erlernen, die zu dem Zeitpunkt praktisch nirgendwo in Deutschland etabliert waren. Dazu kam eine Offenheit neuen Situationen gegenüber, auch um zu sehen, wie ich mich in dieser neuen Umgebung zurecht finde. Praktisch bei Null anzufangen, in einer komplett neuen Umgebung, in der man fast niemanden kennt, ist durchaus eine positive Erfahrung.  Es ist sicher nicht immer leicht, aber eine wichtige Erfahrung, sich in einem völlig neuen Umfeld zurechtfinden zu müssen – und man lernt eine gewisse Art von Demut. Man muss ohne Vorurteile an die Menschen herangehen, mit denen man es in der fremden Ungebung zu tun hat: Menschen, deren Lebensumstände und Gewohnheiten man nicht kennt. Dazu braucht es Offenheit, Neugierde und Interesse an dem Gegenüber.

Wenn man dann hier zwei Jahre lebt, dort zwei Jahre, dann wieder weiterzieht – wird man da nicht zum Nomaden, mit der Schwierigkeit, Freundschaften zu pflegen und zu erhalten?

Da würde ich Ihnen massiv wiedersprechen. Die wirklich wichtigen Freundschaften, egal ob in den USA, in Holland, in Deutschland oder in der Schweiz, sind erhalten geblieben. Man sieht sich nicht täglich, sondern vielleicht einmal im Jahr und telefoniert ab und zu, aber die Beziehung bleibt erhalten.

Sitzen Sie viel im Flugzeug?

Ja, und das gehört zu diesem Job: Wir haben eine relativ große Forschungsgruppe in Westlake Village bei Los Angeles, von wo aus wir die ganzen klinischen Studien in den USA steuern. Joy Amundson, die Präsidentin von Baxter BioScience und damit meine Chefin, sitzt in der Konzernzentrale in Deerfield bei Chicago. Dann gibt es internationale Kongresse und die Notwendigkeit, die mit uns zusammenarbeitenden Wissenschaftler und Ärzte aus aller Welt zu treffen. Aus all dem ergibt sich eine erhebliche Reisetätigkeit, die bei mir über 50% meiner Zeit ausmacht. Das Reisen bietet mir die Möglichkeit, immer wieder mit neuen Menschen zusammenzutreffen, und mit neuen Gedanken konfrontiert zu werden. Das ist der Stimulus, der mich antreibt.

In Konzernen ist bei Karrierewegen oft schon die Erwartung miteingebaut, mobil zu sein. Was passiert, wenn man dann ein Angebot ablehnt?

Wie gesagt, für mich war die Motivation für den Schritt ins Ausland eher ein generelles Aneignen von zusätzlichen Qualifikationen und ein Wachsen der Persönlichkeit im internationalen Umfeld: Dies qualifiziert mich nicht notwendigerweise nur innerhalb des Unternehmens, sondern es qualifiziert mich grundsätzlich als Mitarbeiter, egal in welchem Umfeld und in welchem Unternehmen. Auf der anderen Seite sind international tätige Unternehmen natürlich auf Mitarbeiter angewiesen, die eine gewisse Mobilität mitbringen, und das ist bei der Besetzung von Führungspositionen häufig eine Grundvoraussetzung. 

Kann man angesichts der heutigen Dynamik überhaupt noch seine Karriere "planen"?

Planung ist durchaus sinnvoll, wird aber häufig von der Realität eingeholt. Als ich bei Sandoz in Nürnberg angefangen habe, hat mein dortiger Chef relativ rasch erkannt, dass mein Interesse darin liegt, international arbeiten zu können. Er hat mir dann die Perspektive einer möglichen Position in in der Konzernzentrale in Basel vorgestellt, die ein halbes Jahr später hätte frei werden sollen. Drei Monate später gab es diese Position im Konzern überhaupt nicht mehr. Das ist das typische Problem, wenn Karriereplanungen auf ganz bestimmte Positionen abzielen. Es wird laufend neu organisiert und Strukturen und Positionen verändern sich ständig, selbst wenn ein Unternehmen vorbildlich plant - wenn es eine Umstrukturierung gibt, fallen die Würfel neu. Auch wenn ich mich wiederhole: In diesem Umfeld ist Flexibilität sehr wichtig.

Wenn jemand gerne in Deutschland oder Österreich lebt und nicht in die große weite Welt hinaus will, ist das heute schon per se ein Karrierenachteil?

Das kommt auf das Unternehmen an, und auf die  Funktion dieser Person im Unternehmen. Auch bei einem internationalen Unternehmen wie Baxter gibt es viele Führungspositionen, die mit Mitarbeitern besetzt werden können, die nie im Ausland gearbeitet haben. Allerdings ist die Offenheit im Umgang mit anderen Ländern und Kulturen immer eine Grundvoraussetzung bei der Stellenbesetzung. Und häufig kommt dann irgendwann die Frage, ob eine Position im Ausland vorstellbar wäre. Für mich war immer die Maxime, dass ich bei diesem Schritt dann mehr gewinne als verliere.

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Dr. Harmut Ehrlich, Vice President, Baxter BioScience