Ohne Messen kein Erfolg?

60 bis 70 Prozent aller Veränderungsprojekte bleiben, so die Schätzungen, weit hinter den Erwartungen zurück. Höchstens 20-30 Prozent aller Change-Vorhaben werden gezielt evaluiert. Gibt es da irgendeinen Zusammenhang?

Messen, Evaluieren - das klingt auf den ersten Blick nicht besonders einladend. Bei vielen Menschen lösen diese Begriffe ungute Erinnerungen aus. Daher lauten die häufigsten Assoziationen, so die Erfahrung von Dr. Ulrike Froschauer vom Soziologieinstitut der Universität Wien:Kontrolle, Beurteilung, Suche nach Schuldigen.

Wohl auch deswegen, weil der Begriff Evaluation völlig verschiedene Bedeutungsinhalte hat:

     

  • Evaluation des Ergebnisses
  • Evaluation des Prozesses, der zum Ergebnis führt
  • Evaluation im Sinn eines bewus-sten und gezielten Reflexionsprozesses, mit dem Ziel, Erfahrungen auszuwerten, um zu lernen
  • Evaluation als Basis von Be- und Verurteilung: Wer ist schuld?!

Ergebnisevaluation

Jeder Manager kennt das Problem: Wie soll man ohne Messgrössen das Ausmaß der Fortschritte bzw. Zielerreichung feststellen und steuern? Klingt logisch. Also lautet das klassische Managementcredo: Ist-Zustand bestimmen, Soll-Zustand definieren, Maßnahmen planen, umsetzen und am Schluss Resultat und Soll-Zustand vergleichen. Ist doch easy. Bis auf zwei kleine Probleme. Erstens sind klar definierte Ziele keine Selbstverständlichkeit und zweitens kann die Suche nach den passenden Indikatoren für ihr Erreichen / Nicht-Erreichen durchaus Kopfzerbrechen bereiten.

Wenn etwa ein Geschäftsführer davon spricht, dass er mehrere Ziele erreichen möchte - eine deutliche Verringerung der Reklamationen,  eine spärbare Entlastung vom operativen Geschäft, um sich strategischen Fragen zuwenden zu können und eine bessere Kommunikation mit mehr Informationsaustausch im Unternehmen - dann holt jeder Berater schon gedanklich aus, um ihm gnadenlos seine Lieblingsfrage ins Gesicht zu schleudern: ”Woran genau werden Sie denn bei diesen Zielen jeweils merken, ob sie erreicht wurden?”

Da die meisten Manager ganz umgängliche Menschen sind, versuchen sie dann auch, darauf zu antworten. Da sich Berater aber mit der ersten Antwort selten zufrieden geben und auf eine weitere Operationalisierung drängen, wächst auch die Gefahr, den potenziellen Auftraggeber langsam aber sicher zu verärgern. ”Ich hab Ihnen doch klar gesagt, was ich will!” Dann doch lieber ein vager Auftrag als gar keiner.  Wird zu Beginn eine Diagnose/Analyse durchgeführt, bleibt zumindest die Hoffnung, die notwendige Präzisierung etwas später nachholen zu können. Sicher ist auch das nicht. Mit anderen Worten: In der Praxis sind viele Veränderungsziele keineswegs so klar und eindeutig formuliert wie sie es sein sollten. Egal, ob in kleinen oder großen Unternehmen. Je unklarer aber die Kriterien für die Zielerreichung bleiben, desto beliebiger ist auch die Erfolgsmessung.

Nicht gerade einfacher wird das Ganze, wenn Themen wie Führungskultur, Empowerment, Informationsfluss oder Zusammenarbeit mit auf die Zielliste gesetzt werden. Hier wird die Frage nach den passenden Indikatoren erst recht bisant. Woran messen Sie beispielsweise die Veränderung Ihrer Führungskultur: Anhand von Tempo und Konsequenz, mit der ein Manager auf Zielabweichungen reagiert, anhand der Fluktuation in seinem Bereich, anhand der Zahl an High-Potenzials, die aus seinem Bereich kommt? Oder anhand von Mitarbeiterbefragungen oder 360° Feedback?

Die Extremposition, dass weiche Faktoren überhaupt nicht gemessen werden können, ist sicher genauso falsch wie das Versprechen, diese Faktoren in glasklare Zahlen übersetzen und präzise bestimmen zu können. Es gibt mittlerweile genügend Beispiele (auch in dieser Ausgabe), die zeigen, wie Evaluation passieren kann. Allerdings, je mehr man sich mit möglichen Kriterien beschäftigt, desto klarer wird, dass das Messen nur ein Aspekt von Evaluation ist, und wahrscheinlich gar nicht der Wichtigste.

Evaluation des Prozesses

Evaluation, so die These vor allem der systemischen Berater, ist weit mehr als das quasi objektive Feststellen von IST und SOLL. Sie ist eine - massive - Intervention. Soll heissen: allein die Ankündigung des Vorstands, dass ein Change-Vorhaben zu bestimmten Zeitpunkten in einer bestimmten Form evaluiert wird, hat beträchtliche Auswirkungen auf das Projekt. Und zwar je nach Art und Intention der Evaluation höchst unterschiedliche. Gezielt in den Veränderungsprozess eingebaute Reflexionsphasen etwa, in denen z.B. besprochen wird - was ist bisher gut gelaufen, was ist weniger gut gelaufen, woran lag das, was können wir daraus für die nächsten Schritte lernen? - wirken auf den Veränderungsprozess zurück und beeinflussen den weiteren Verlauf beträchtlich.

Evaluation lenkt - aber wohin?

Ob Einzel- oder Gruppeninterview, reflecting team, Focusgruppe oder sounding board, solche Designelemente in Change-Projekten  sind nicht einfach neutrale, objektive Erhebungen, die mit dem Geschehen nichts zu tun haben, sondern oft genau jene ”Kommunikationsräume”, in denen sich der Erfolg oder Misserfolg des Projektes mit entscheidet. Zum einen dadurch, dass die hier gewonnenen Informationen in gebündelter Form als Input an die Entscheider zurückgespielt werden, die dann auf Basis dieser Infos besser steuern können. Vor allem aber durch die Signale, die dadurch an die Beteiligten gesandt werden. Z.B.: Eure Meinung ist wichtig, wir nehmen die Bedenken ernst, ihr könnt hier mitgestalten, Lernen ist erlaubt und erwünscht.

Gerade diese wichtige Funktion von Evaluation, ihre Rolle als Veränderungswerkzeug und Steuerungsinstrument, wird heute sowohl von Managern als auch Beratern noch viel zu wenig gesehen und genützt.

Zahlen und Kennziffern, meint Mag. Alexander Doujak, Mitautor des Buches ”Harte Schnitte, neues Wachstum” steuern Verhalten. ”Sie wirken wie Magneten, die Energie und Aufmerksamkeit bündeln, ausrichten und konzentrieren.” Auf welche Kennzahlen  geschaut wird, hängt aber ab von der jeweiligen Unternehmenslogik.

Die Unternehmenslogik bestimmt die Ziele

Je nachdem, wie in Ihrem Unternehmen die Frage - wann ist unser Unternehmen erfolgreich? - beantwortet wird, werden auch unterschiedliche Ziele ins Visier genommen.

     

  • Hat sich der Vorstand dem Shareholder-Value-Konzept verschrieben, wird er stark auf den Kapitalwert des Unternehmens focussieren und daher eher an finanziellen Zielen orientierte Veränderungen ins Kalkül ziehen.
  • Folgt ein Unternehmen dem EFQM-Modell, rücken neben den Ergebnissen auch die Entwicklungspotenziale in den Mittelpunkt, was eher evolutionäre Veränderungen nahelegt.
  • Die Balanced Scorecard wiederum kombiniert die Kundenperspektive (Außen) mit der Perspektive der Geschäftsprozesse (Innen) und die Dimension der Finanzen (kurzfristig) mit der Dimension von Lernen und Entwicklung (langfristig), was Veränderungsprojekte im Spannungsverhältnis zwischen Rationalisierung und Innovation in den Blick bringt.

 

Jedes Modell bietet bestimmte Beobachtungsraster an und schließt damit andere aus. Damit steuern diese Modelle nicht nur das Tagesgeschäft, sondern auch Entscheidungen über Veränderungen und deren Ziele.

Vorhandene Kriterien erleichtern das Leben

An diesen Konzepten, darauf weist Mag. Horst Rieger, Personalleiter der ÖQS hin, läßt sich gut anknüpfen: ”Wenn irgendmöglich sollte man auf vorhadene Daten und Kennziffern zurückgreifen und nichts neu erfinden. Denn jede neue Kennzahl bedeutet Zusatzarbeit und Risiko. Sie müssen die Daten erfassen, auf Plausibilität prüfen und erst Akzeptanz dafür schaffen. Es gibt noch kein Vertrauen der Mitarbeiter in die Zahlen und gerade das ist entscheidend. Die Gefahr ist, dass  darüber gestritten wir, ob die Zahlen oder Messgrößen überhaupt stimmen.”

Unterschiedliche Auswertungen für unterschiedliche Zielgruppen

Ebenso entscheidend ist ein zielgruppenspezifischer Zugang. Top-Manager benötigen andere Steuergrößen und damit Informationen als ein Projektleiter oder die von der Veränderung betroffenen Mitarbeiter.

So wurden in einem großen Reorganisationsprojekt eines Softwarehauses, das sich vom Softwareanbieter hin zum Solution Provider neu positionieren wollte,  im Startworkshop mit dem obersten Management die Ziele der angepeilten Transformation anhand der Balanced Scorecard definiert, priorisiert und für jeden der vier Dimensionen der BSC Kennzahlen und Indikatoren für die Erfolgsmessung erarbeitet. Z.B. lauteten zwei wichtige Leitfragen im Bereich Kundenperspektive: Was werden wir in dieser Dimension auf jeden Fall erreichen bzw. verändern? Und was werden wir dieser Dimension auf jeden Fall weiter erhalten?

Je stärker Manager im operativen Geschäft steckten, desto wichtiger wurden Fragen wie: wie tickt die Organisation derzeit, wie weit sind wir mit der Veränderung, wie gut steigen die Mitarbeiter darauf ein? Hier war das Anliegen, die beabsichtigten und unbeabsichtigten Dynamiken des  Veränderungsprozesses mit zu bekommen. Dafür eignen sich Instrumente wie qualitative Interviews, Workshops mit Resonanzgruppen, oder kurze Fragebögen zu bestimmten Meilensteinen, deren Ergebnisse dann in Changeteam und Steuerungskreis zurückgespielt werden.

Gerade für die Mitarbeiter haben diese Formen der Prozessevaluation eine besondere Wichtigkeit. Sie fühlen sich in einer Phase der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit gehört und ernst genommen, bekommen Informationen und Gestaltungsmöglichkeiten - und entwickeln nicht selten erst dadurch das commitment, um das Projekt zu einem Erfolg zu machen. Der erforderliche  Kommunikationsaufwand zahlt sich zwar aus, muss aber von Anfang an mit eingeplant werden.

Was spricht dagegen?

Bleibt die Frage: Warum werden Changeprojekte nicht häufiger evaluiert? Dazu kann man trefflich spekulieren:

Art und Ausmaß des Einsatzes von Evaluationsmethoden hängt mindestens genauso von der Grundhaltung und Methodenkompetenz des Beraters ab wie vom Willen des Auftraggebers.

Evaluationsergebnisse können auch als Keule bei internen Machtspielchen benutzt werden: Je messbarer, desto angreifbarer. Der Vorstand oder Kollege fragt, woran lag es, und wissen will er: Haben Sie das verbockt? Soll ja schon vorgekommen sein. (02.2003)

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