Ethik: Wie soll ich handeln?

Dr. Michael Litschka, wissenschaftlicher Leiter des Kompetenzentrums für Humanvermögen, über die unterschiedlichen Ebenen der Ethik und die Frage, wie Unternehmen speziell durch ihre Anreizsysteme ethisches Handeln fördern oder behindern.

Was genau meint Ethik?

Ethik ist die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit Fragen der Moral beschäftigt. Sie war bei Aristoteles neben Ökonomik und Politik eine der drei Teildisziplinen der praktischen Philosophie und hat heutzutage drei Ausprägungen: Deskriptive Ethik beschreibt das moralische Verhalten und die moralischen Entscheidungen der Menschen. Normative Ethik gibt vor, wie sich Personen in bestimmten Situationen verhalten sollen. Metaethik analysiert ethische Sätze auf deren Logik und Stringenz. Die Grundfrage der Ethik lautet einfach gesagt: „Wie soll ich handeln“?

Was bedeutet Ethik im Rahmen unternehmerischen Handelns??

Sinnvollerweise unterscheidet man drei Ebenen - Individualebene, Unternehmensebene, gesellschaftliche Ebene - da verschiedene Probleme auf verschiedenen Ebenen zu analysieren sind. Es nützt z.B. nichts, wenn moralisch integre Personen, die individualethisch alles richtig machen, in Organisationen arbeiten, die von ihnen unmoralische Aktionen geradezu fordern. Ebenso gibt der Staat durch Gesetze, Steuersysteme etc. eine Rahmenordnung vor, die das Verhalten der Unternehmen und der Individuen tangiert. Es sollten also für ethisches Verhalten alle Ebenen zusammenspielen: meine persönliche Überzeugung und Moral - das sog. "Ethos" -, ein ethisch aufgebautes Unternehmen und eine Gesellschaftsordnung, die von deren Mitgliedern als fair, effizient und nachhaltig wahrgenommen wird und die richtigen Anreize setzt.

Was kann man sich unter Unternehmensethik konkret vorstellen?

Unternehmen sind durch das Phänomen kollektiver Entscheidungen und Marktmacht sowie als zentraler Ort wirtschaftlicher Interaktion auch und zuallererst "moralische Personen". Sie können also für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden und müssen diese in der Öffentlichkeit legitimieren. Das zeigen ja auch die neuesten Unternehmensskandale, die in der Öffentlichkeit für Empörung sorgen. Unternehmensethik - in Amerika spricht man von "Business Ethics" - zeigt jene Strukturen und Unternehmenskulturen auf, die ethisches Handeln erleichtern und nicht verhindern. Beispielsweise: Transparenz, flachere Hierarchien, interne und externe Kommunikation etc. Ebenso zeigt Unternehmensethik als CSR (oder Corporate Governance oder Corporate Citizenship) auf, für welche gesellschaftlichen Anliegen (Umwelt, Soziales, Nachhaltigkeit) und welche Anspruchsgruppen Verantwortung übernommen werden soll. Gewinnmaximierung kommt in diesem Sinn immer erst nach der Legitimierung der Geschäftstätigkeit vor allen Stakeholdern.

Wie unterscheiden Sie Ethik und Moral?

Moral sind die vorhandenen Wertvorstellungen in einer Gesellschaft. Ethik ist die wissenschaftliche Reflexion über diese.

Gibt es so etwas wie Führungsethik und was macht diese aus?

Führungsethik als Teil der Individualethik weist auf die besondere Verantwortung der Führungskräfte hin, die sie Kraft ihrer Position, Macht, Prestige u.ä. haben. Sie beinhaltet vor allem Fragen der Mitarbeiterführung, der Behandlung weiterer Stakeholder, der Kommunikation und natürlich der Unternehmenskultur, die sie ja sehr stark mitbestimmen.

Wann wird das Thema Ethik in Unternehmen für Führungskräfte schlagend?

Immer wenn es sogenannte Dilemma-Situationen zwischen Effizienz und Gerechtigkeit, zwischen Profitmaximierung und Stakeholderinteressen etc. gibt. Ebenso wenn das Anreizsystem des Unternehmens - etwa nur einen kurzfristigen Managervertrag zu geben - fragwürdiges Verhalten der Führungskraft - etwa nur auf den kommenden Quartalsgewinn und den Shareholder-Value zu schauen - geradezu herausfordert. Konkrete Beispiele sind: Korruption, Steuerhinterziehung, Umweltverschmutzung, Mitarbeiterfreisetzungen bei gutem Geschäftsgang, Marketing/Produktsicherheit, Transparenz der Unternehmensstrategie für Stakeholder...

Worauf kommt es dann unter ethischen Gesichtspunkten an?

Niemand weiß nur aufgrund seiner Erziehung, worauf es in der komplexen Frage der Ethik ankommt. Daher muss dies in der Ausbildung - gerade an Wirtschaftshochschulen - ein zentrales Thema sein. Leider wird dies in Österreich im Gegensatz zu den meisten internationalen Universitäten fast komplett vernachlässigt. Die Führungskraft muss also ethisches Reflektieren lernen, Dilemmata abwägen können und nicht zuletzt auch die Mitarbeiter zu ethischem Handeln motivieren. Keiner sollte Angst haben müssen, ethische Missstände anzuprangern oder Nachteile durch ethisches Verhalten erleiden müssen. Die Führungskraft ist auch für die richtige Unternehmenskultur verantwortlich, die sie als Vorbild mitprägt. Nur eine offene, kommunikativ ausgerichtete und transparente Kultur motiviert die Mitarbeiter zu ethischem Handeln.

Beschäftigen sich Führungskräfte überhaupt damit, bzw. warum sollten sie?

Laut unseren Umfragen beschäftigen sie sich schon damit, haben aber kaum die Mittel dafür, sprich die Instrumente der Reflexion, die Methoden der Philosophie. Manager sind auch selten schlechte Menschen, bewegen sich aber in einem wie gesagt oft problematischen Anreizsystem. Sie sollten sich aber verstärkt damit beschäftigen, weil die Gesellschaft und die Medien unethisches Verhalten aufdecken und anprangern und der langfristige Schaden vor allem bei der Reputation für das Unternehmen gewaltig sein kann. Das mangelnde Vertrauen, das die Bürger speziell Großunternehmen zur Zeit entgegenbringen, mindert unser sogenanntes „Sozialkapital“, das ein wichtiger Wettbewerbsfaktor eines Landes sein kann. Dies wieder aufzubauen und Unternehmen als pluralistische Wertschöpfungsveranstaltungen zu sehen, nicht als Gewinnmaximierungsmonster, liegt im Interesse der Manager, Mitarbeiter und Bevölkerung insgesamt.

Reicht es, wenn sich die einzelnen Führungskräfte damit beschäftigen oder was braucht es dazu auf Ebene der Unternehmensethik?

Es reicht nicht, es braucht wie bereits angesprochen auch organisationale Maßnahmen. Beispiele hierfür sind: Ethik-Kodex, Ethics-Office, Ethik-Hotline, Branchenvereinbarungen, richtige Mitarbeiterauswahl, langfristige Managerverträge ohne Aktienoptionen. Prämien sollen für andere Zielsetzungen vergeben werden, u.ä.

Welche Fragen haben Führungskräfte, wenn es um Ethik geht?

Sie fragen vor allem: Wie kann ich ethisch handeln, wenn der Wettbewerb mir doch etwas anderes vorschreibt? Dies ist das Sachzwangdenken vieler Manager und auch Politiker, wie es z.B. Peter Ulrich, der Schweizer Wirtschaftsethiker, kritisiert. Außerdem fragen sie, was sie über ihr persönliches Ethos, das natürlich immer hervorragend sei, hinaus noch im Betrieb tun sollen.

Welche Rolle spielen die Systeme im Unternehmen? Zielsysteme? Anreizsysteme?

Eine große Rolle. Ein System kann schlecht überwunden werden, wenn es unethisch konstruiert ist. Zielsetzungen und Geschäftstätigkeit müssen im vorhinein geklärt und legitimiert werden, nicht während des Unternehmensalltags. Die Werte des Unternehmens müssen offengelegt und ein Diskurs darüber abgehalten werden. Dies ist eine Forderung der sogenannten "Diskursethik" als wichtigem Teil der Wirtschaftsethik.

Wie unterscheiden sich solche Systeme, je nachdem, ob von der Eigentümerseite her eine Kapitalmarktlogik wirkt (börsenotierte Unternehmen) oder ob es ein Eigentümergeführtes Unternehmen ist?

Doch ziemlich. Unserer Erfahrung nach haben KMUs und Eigentümerzentrierte Unternehmen zwar wenig Zeit und Geld für Ethik-Programme, haben aber durch ihre Geschichte meist eine klare Vorstellung von ethischem (Führungs-) Verhalten. Dies ist in anonymen Großgesellschaften anders. Dort kämpft oft jeder für sich oder für die Aktionäre. Dafür sind dort mehr Ressourcen vorhanden, um das Problem anzugehen, und tatsächlich beschäftigen sich immer mehr Großunternehmen professionell mittels Ethics-Officer, Kodex, CSR-Beauftragten etc. mit dem Thema.

Ist Ethik derzeit nur mal wieder in Mode oder warum wird es in letzter Zeit verstärkt diskutiert?

Es gibt eine Reihe von Anlassfällen  wie die Schmiergeldskandale bei Siemens, der Skandal bei VW oder die Entscheidung von Nokia, aus Rendite-Gesichtspunkten das Werk in Deutschland zu schließen. Dazu die wachsende Kluft zwischen Managergehältern und Angestelltengehältern, durch die die Frage der Gerechtigkeit thematisiert wird. Da alles transparenter wird, steigen auch die Medien verstärkt darauf ein und machen Druck. Sobald eine Gesellschaft die durch den Markt mitgeprägte Ordnung als unfair empfindet, wird sie mit Angst, Unsicherheit, Demotivation u.ä. reagieren. Das hat schon der wichtigste politische Philosoph des 20. Jhdt., John Rawls, deutlich gemacht. Daher wird das Thema kaum von der Tagesordnung verschwinden. Ethik und Markt müssen wieder unter einen Hut gebracht werden, Ansätze dazu gibt es viele (Rawls, Ulrich, Sen sind nur drei Autoren, die dies zeigen). Aber auch internationale Initiativen, wie der Global Compact der UN, die CSR Richtlinien der EU, neue Governance Vorschläge aus den USA weisen alle auf ein nachhaltiges Thema hin!

Weitere Infos: Buch zum Thema: Karmasin, M./Litschka, M. (2008): "Wirtschaftsethik - Theorien, Strategien, Trends", LIT-Verlag, Berlin/Wien.

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Dr. Michael Litschka, wissenschaftlicher Leiter des Kompetenzzentrums für Humanvermögen