Heute Mitarbeiter, morgen Chef des Chefs

Ernst Müllner, Vice President der NXP Semiconductors und General Manager der Business Unit Sound Solutions über das "Durchbeißen" in den ersten Berufsjahren, das Überholen ehemaliger Vorgesetzter, Mehrfachfunktionen und den Abschied von Work-Life-Balance.

Wie verlief Ihr Berufseinstieg?

Eigentlich wollte ich nach meiner Ausbildung, HTL Elektrotechnik, mit fünf Schulkollegen nach Südafrika gehen, um dort bei einer Firma im Bereich Kraftwerksbau zu arbeiten. In der Zeit zwischen Bundesheer und Abreisetermin lag ein halbes Jahr und für diese Zeit habe ich einen Job angenommen, der sich zufällig ergeben hat. Zu der Zeit arbeitete meine Schwester bei Philips und eines Tages erzählte sie, dass es Kopfprämien gibt, wenn man Mitarbeiter, speziell im technischen Bereich, vermittelt. Die Prämie betrug ca. einen Monatslohn, also viel Geld. Also haben wir uns alle fünf bei Philips beworben und meine Schwester hat eine dicke Prämie eingestreift. Während wir schon bei Philips gearbeitet und daran zunehmend Gefallen gefunden haben, haben sich unsere Auslandpläne dann aufgrund privater Probleme einiger Kollegen langsam in Luft aufgelöst.

Der Einstiegsjob war eine Art Traineeprogramm?

Ja, einige von uns sind als Trainees eingestiegen, die anderen waren fix Abteilungen zugeordnet. Ich war deswegen Trainee, weil ich auf die Frage des Personalchefs, welche besonderen Interessen ich hätte, geantwortet habe -  annehmend, dass ich sowieso nur ein halbes Jahr hier sein würde: "Ich habe keine Präferenzen, ich mache alles". Vor dem Gespräch hatten wir mehrere Tests absolviert, aufgrund dessen mir anscheinend eine sehr universelle Einsatzfähigkeit zugebilligt wurde und er hat dann gemeint, das Profil eigne sich optimal für ein zweijähriges Rotationsprogramm, mit dem Ziel, alle sechs Monate in einen anderen Bereich zu wechseln. Die erste Station war für mich eben die Produktion. Rückblickend gesehen bin ich überzeugt, dass dieser Beginn in der Produktion für mich ein ganz wichtiger, wenn nicht der wichtigste Meilenstein überhaupt in meiner persönlichen beruflichen Entwicklung war.

Warum?

Weil ich dort das Geschäft von der Pike auf kennen gelernt habe. Die wenigsten Manager machen selbst Erfahrungen am shop floor, auf der unterstmöglichen Ebene. Diese Erfahrungen habe ich machen können bzw. erleiden müssen, mit all den zugehörigen Problemen. Seien es das Spannungsfeld Mitarbeiter-Vorgesetzter, oder die Bedürfnisse dieser Leute, die oft sehr anders sind als die Bedürfnisse des mittleren Managements oder der Supportbereiche. Die Aufgabenstellung in der Produktion war auch deswegen sehr spannend, weil man dort die Möglichkeit hatte, viele Dinge zu beeinflussen. Zudem bekam man dort jeden Tag sein unmittelbares Feedback und sein Erfolgserlebnis.

Was war Ihre erste Aufgabe?

Mein erster konkreter Arbeitsplatz war, Tonbandgeräte zu reparieren. Ich saß am Ende der Produktionslinie mit ca. 50 Mitarbeitern. Ganz am Ende der Linie gab es eine Endkontrolle, wo eine Dame in einer schalldichten Kabine alle Funktionen durchgeprüft und eine Fehlerliste erstellt hat, oft bis 5-6 Fehler, und ich durfte das Ding dann reparieren. Meine Einweisung bestand darin, dass man mich zu meinem Arbeitsplatz geführt und gesagt hat: "Herr Müllner, das ist Ihr Arbeitsplatz, da sind Ihre Werkzeuge, in dieser Mappe finden Sie alle Unterlagen und Schaltpläne, und nun wünschen wir Ihnen viel Erfolg." Das war´s. Ich hatte keine Ahnung von irgend etwas. Ich kannte weder die Menschen links und rechts von mir – und habe mir in den ersten fünf Minuten überlegt, ob ich gleich wieder gehen soll. Wäre nicht die Prämie für meine Schwester gewesen, wäre ich gegangen. Selbst zu erfahren, was es heißt, einen neuen Mitarbeiter einzusetzen, ohne Betreuung, ohne Anlernen - ich konnte nicht einmal die Schaltpläne lesen - war eine erste wichtige Erfahrung.

Was macht man in so einem Fall?

Man sitzt verzweifelt dort und beobachtet den Berg an Geräten, die repariert werden sollen und der immer größer wird. Dann kommt irgendwann die erste Kollegin und meint: "Ich weiß, du bist neu, aber willst du nicht endlich schauen, dass da was weitergeht?" Worauf ich ihr erklärt habe, dass ich so neu bin, dass ich gar nicht weiß, was ich machen soll, zumal ich mich überhaupt nicht auskenne. Irgendwann kam endlich jemand daher, hat sich meiner angenommen und versucht, in den ersten Tagen, max. 2 Wochen, Hilfestellungen zu geben und mir einige prinzipielle Dinge zu erklären, sozusagen die Minimalvariante. Der Rest war Durchbeißen. Wenn es Dinge gab, die ich nicht reparieren konnte, habe ich die Geräte einfach stehen lassen und gesagt: "Lieber Meister", – pro Band gab es einen Meister – "tut mir leid, das kann ich nicht." Dann hat man von irgendwo einen Spezialisten geholt. Nach 2-3 Monaten war ich so weit, dass ich 95 % der Probleme selbst lösen konnte, aber der Einstieg war brutal.

Was lernt man am Anfang über das Thema Mitarbeiter – Vorgesetzter?

Unmittelbar gar nichts, außer der Erkenntnis, dass, sollte man irgendwann im Leben selbst in eine Führungsposition kommen, man die Dinge anders machen würde. Insofern gewinnt man viele Erkenntnisse. Ich habe dann offensichtlich meinen Job doch so gut gemacht, dass man mir nach einem halben Jahr – als auch schon klar war, dass Südafrika nichts wird - eine erste Führungsposition angeboten hat, obwohl das vom Plan her nicht vorgesehen war, da ich eigentlich als Trainee in einen anderen Bereich wechseln sollte. Aber man hat dringend jemanden für ein neues Produkt benötigt und dabei auf mich zurück gegriffen. Ich saß die sechs Monate zwar nur am Band, aber durch die Art, wie ich meinen Job erfüllt habe und wie ich mit meinem Vorgesetzten und anderen Bereichen wie der Qualitätskontrolle kommuniziert habe, hat man offensichtlich den Eindruck gehabt: "Er ist anders als die meisten anderen."

Was heißt anders?

Ich habe meinen Job immer sehr ernst genommen. Für mich war immer wichtig, dass ich meine Arbeit nicht nur irgendwie erledige, sondern so gut wie nur irgend möglich. Ich war sehr diszipliniert und darunter habe ich auch gelitten, denn es gab auch andere, denen das völlig egal war, ob der Berg angewachsen ist. Also habe ich leistungsmäßig wahrscheinlich mehr gemacht als der Durchschnitt, wobei mir das zu dem Zeitpunkt gar nicht bewusst war.

Die Tatsache, dass ich dann mit 21 Jahren als Führungskraft eingesetzt wurde, war das nächste katastrophale Abenteuer, denn man hat mich in einen neuen Bereich gesteckt und dann hieß es nur: "Es geht um ein völlig neues Produkt, dessen Produktion in wenigen Wochen anlaufen soll. Der dafür vorgesehene Meister ist durch Krankheit ausgefallen, aber du bist ein kluger Bursche, die Ausbildung passt und du hast gezeigt, dass du mit schwierigen Situationen umgehen kannst, also übernimm die Führung der Gruppe." Am Beginn ging es um den Aufbau von Prototypenmustern mit einer kleiner Gruppe von 7-8 Personen, den ich koordinieren musste. Einige Wochen später ging das Ganze dann in Serie und plötzlich hatte ich 50 Mitarbeiter und eine ganze Produktionslinie.

Meine primäre Verantwortung war, dafür Sorge zu tragen, dass jeden Tag die geplante Menge rauskommt und die Qualität passt. Das klingt vielleicht einfach, war aber unheimlich schwierig, weil man jeden Tag in der Früh zuerst einmal schaut, wie viele Personen heute fehlen, da bei 50 Mitarbeitern immer jemand fehlt. Wenn aber fünf Leute fehlen, dann hat man fünf Löcher in der Kette. Diese Löcher musst du aber schließen, also habe ich begonnen, einige Personen als Springer einzusetzen. Springer muss man aber erst anlernen, bzw. Sorge tragen, dass sie angelernt werden. Und wenn man dann das Pech hat, dass auch von den Springern welche fehlen, muss man sich selbst ans Band setzen. Also jede Menge zu organisieren und jeden Tag eine Vielzahl unbekannter Faktoren: Mal ist das Material ausgegangen, mal war in der Stückliste ein Fehler, wodurch zuwenig Material bereitgestellt wurde usw. ich war Mädchen für alles. Diese Zeit war für mich wieder eine sehr wichtige Phase, weil ich dadurch schon früh ein breites Segment der Fertigung mitbekommen habe. Von der Führungsrolle her war es aber wahrscheinlich meine schwierigste Zeit.

Denkt man da überhaupt über Führung nach?

Nein, nicht bewusst. Vieles passiert intuitiv. Zu der Zeit gab es auch noch keine Schulungsprogramme, so wie das heute üblich ist. Die Schwierigkeit war, dass es in diesem Produktionsprozess auch sehr viele Damen gab und wie geht man als 20-Jähriger mit Damen unterschiedlichster Alterstufen um, die fast alle älter waren als ich. Da saßen 50-55 jährige Frauen, die gewohnt waren, dass der Meister zumindest ihr Alter hatte. Da musste ich meinen eigenen Mitarbeitern zumindest in den ersten Monaten jeden Tag zeigen und beweisen, dass ich ein würdiger Chef bin. Denn natürlich haben viele gedacht und auch gesagt: "Was will den dieser grüne Tutter, der soll unser Chef sein? Der ist ja noch grün hinter den Ohren."

In der Zeit habe ich literweise Kamillentropfen getrunken, um meine emotionellen Probleme, die sich dann auch körperlich gezeigt haben, ein bisschen unter Kontrolle zu bringen. Denn ich stand vor zwei Herausforderungen gleichzeitig: Einerseits gab es den täglichen Kampf ums Gelingen der Verantwortung und das Erfüllen der Zielvorgaben. Auf der anderen Seite musste es mir gelingen, diese Gruppe von Personen mit den unterschiedlichsten Interessen zu führen und das Akzeptanzproblem zu lösen.

Und wie macht man das?

Ich habe versucht, möglichst viel vorzuleben und zu zeigen, dass mir jeder einzelne Mitarbeiter und seine Arbeit wichtig ist. Eine meiner persönlichen Zielsetzungen war, jeden Arbeitsplatz auch selbst zu beherrschen. Also habe ich mich hingesetzt und das geübt. Nicht in demselben Leistungstakt wie die Mitarbeiter, denn dazu braucht man Wochen, aber ich wollte ohne Unterlagen die Arbeitsschritte beherrschen. Das war etwas, das man mir nicht empfohlen oder aufgetragen hat, das habe ich intuitiv aus einem Eigenbedürfnis heraus gemacht. Einerseits hieß es dann: "Schau dir den an, der ist sich nicht zu fein, das selbst zu machen." Andererseits habe ich dadurch auch besser verstanden, was die Schwierigkeiten der jeweiligen Arbeitsplätze waren. Dadurch konnte ich mit den Arbeitern auch ganz anders umgehen, weil ich ihre Welt und ihre Probleme verstanden habe. Das empfanden die Personen auch als Wertschätzung: "Den interessiert, was wir da machen. Der begibt sich auf unsere Ebene." Das hat mir sehr viel Sympathie eingebracht.

Der Rest war, zu akzeptieren, dass eine 55-jährige Dame eben ein Problem mit mir haben kann, weil ich, wie sie gesagt haben, ein junger Tutter war. Man darf dann nicht den Fehler machen, den Chef raushängen zu lassen. Das habe ich vermieden. So konnte ich in relativ kurzer Zeit einige Sympathisanten gewinnen und von da an hat es sich entwickelt. Dann kam etwas Wichtiges dazu. Ich hatte einen Vorgesetzten, der mir erkennbar in der Organisation viel Unterstützung gegeben hat und das haben die Mitarbeiter gewusst. Insofern war vielleicht eine gewisse Vorsicht gegeben, aber ich habe mir die Akzeptanz schwer erarbeiten müssen. Als diese Phase abgeschlossen war, waren die nächsten Schritte schon um einiges leichter.

Wo hat sich der Druck körperlich niedergeschlagen?

Im Magen und als Schlafstörungen. Ich habe dreimal am Tag Kamillentropfen genommen, um die permanenten Magenschmerzen zu lindern. Nach einem halben bis einem Jahr habe ich langsam gelernt, auch mit Druck zu leben. Wenn man als Junger plötzlich Verantwortung für andere hat und wenn die Ergebnisse nicht kommen, wenn es Diskussionen und peinliche Fragen gibt und jemand sehr pflichtbewusst ist, dann nimmt einen das mit.

Wenn man am Anfang Fehler macht oder Ergebnisse nicht bringt, grübelt man dann nicht ständig, wie man das verbessern kann? Bezieht man die Mitarbeiter mit ein, oder macht man das aus Unsicherheit eher nicht?

Überlegen, Grübeln, Planen? Absolut. Ich habe versucht, möglichst viel vorauszudenken. Für mich war z.B. immer eine absolute Regel: Wenn ein Problem im Produktionsablauf passiert, muss ich für jede Person eine alternative Tätigkeit vorbereitet haben. Das schlimmste für jeden Produzenten ist ja, dass irgendwo eine Komponente fehlt und dann innerhalb kürzester Zeit das komplette Band steht. Dann starren 50 Menschen in die Luft, während die Kosten weiter laufen. Das war das damals übliche Verhalten, was dazu geführt hat, dass man dann am Ende der Woche ein dickes Minus geschrieben und ausführlich erklärt hat, warum dem so war. Das war aber nicht meine Philosophie, also habe ich versucht, zu jedem Arbeitsplatz eine vorbereitete Füllarbeit zu haben, die man im Fall es Falles sofort aktivieren konnte. Dadurch habe ich einen Großteil der sonst unproduktiven Stunden zu produktiven Stunden gemacht. Diese Flexibilität haben wir dann auch in der Bezahlung ein bisschen honoriert. Es gab eine Zulage von, ich glaube, 10% auf den Grundlohn, weil es doch eine gewisse Erschwernis war.

Wie lange hat diese erste Führungsfunktion gedauert?

Ich würde schätzen 1-1,5 Jahre. Dann bin ich zur nächsthöheren Stufe berufen worden und als Gruppenleiter eingesetzt, wo ich bereits einige Bänder und Bandmeister unter mir hatte. Ich hatte die ersten Jahre immer das gleiche Handicap: Ich war immer der Jüngste, den es dort je gegeben hat. In der Meisterfunktion, in der Gruppenleiterfunktion und das ging so weiter bis hin zum jüngsten Direktor, den Philips Österreich je hatte. Ich hatte einige sehr delikate Erlebnisse, weil ich mehrmals meine eigenen Chefs überholt habe. Zweimal haben ich meine unmittelbaren Chef direkt überholt, d.h. da bin ich gleich zwei Stufen gestiegen: In dem einen Jahr hat mein Chef mit mir das Mitarbeitergespräch geführt und ein Jahr später habe ich es mit ihm geführt, ein völliger Rollentausch. Beide Situationen waren allerdings absolut problemlos, primär deswegen, weil beide ehemaligen Chefs gesagt haben: "An sich ist eine schwierige Situation für jeden von uns, aber letztendlich habe ich immer schon gewusst, dass du es weit bringen wirst und ich bin stolz, dass ich da über eine bestimmte Zeit mithelfen konnte." Die haben mich menschlich und fachlich akzeptiert und dadurch war das problemlos.

Was waren die ersten Handlungen als neuer Gruppenleiter?

Einzelgespräche mit den Meistern, Interesse zeigen und gut zuhören. Wenn die Chemie nicht stimmt, können Sie sich noch so bemühen, dann wird es nicht funktionieren. Ich habe am Beginn immer viel Zeit investiert, um Personen und Situationen zu verstehen, warum und weswegen Dinge so sind, wie sie sind. Was man nie machen soll, auch wenn es nicht immer leicht fällt, ist, dass man als Neuer den Leuten gleich einmal aufzeigt, was alles nicht gut läuft. Das wäre der schlechteste Beginn.
Man muss halt wirklich interessiert sein, also nicht nur fragen, wie es ihm geht und kaum beginnt er mit der Antwort, ist mein Blick schon wieder woanders. Dann denkt er beim nächsten Mal: Vergiss ihn! Also muss man sich dafür auch die Zeit nehmen und das ist die größte Schwierigkeit jeder Führungsfunktion. Wenn ich heute in Wien durch die Fabrik gehe - wir haben hier in Summe 400 Personen - dann dauert das mind. 1-1,5 Stunden. Wenn man mit jemandem ein Gespräch beginnt, kann man nicht nach zwei Minuten wieder abbrechen. Denn der Mitarbeiter ist stolz auf jede Minute, die du mit ihm im Gespräch verbringst. Eine weitere Schwierigkeit ist: Wenn man mit einem Mitarbeiter zehn Minuten redet und mit dem anderen nur fünf, kann das auch wieder ein Problem werden, weil die aufgewandte Zeit oft als Maß an Wertschätzung interpretiert wird. Auf solche Dinge muss man als Führungskraft einfach achten.

Was ebenfalls wichtig ist: Ich habe mich immer der Probleme angenommen. Es gibt nichts lähmenderes als Vorgesetzte, die zwar Interesse zeigen, dann aber mit den Problemen nichts machen. Wenn man einmal mit diesem Image behaftet bist, ist man als Führungskraft abgemeldet. Damit meine ich nicht, sich selbst zum Problemlöser zu erklären, das wäre der größte Fehler, den man machen kann. Ich meine damit, wenn ein Mitarbeiter von einem Problem erzählt, das ihn berührt, dann muss ich zuerst herausfinden, ob der Mitarbeiter selbst zur Problemlösung einen wichtigen Beitrag leisten kann und wenn ich der Meinung bin, dann führe ich ihm Gespräch über einige Fragen dort hin und spreche ihm Mut zu. Wenn ich sehe, dass er selbst das Problem nicht lösen kann, dann nehme ich das Problem, danke für die Information und überlege mir, an wen ich die Angelegenheit delegiere und was mein Beitrag sein kann, damit das zu einem positiven Abschluss kommt. Ganz selten sind Dinge dabei, wo man sich selbst für die Problemlösung und deren Umsetzung verantwortlich machen muss.

Fühlen sich dann die direkten Vorgesetzten nicht übergangen?

Ja, mein Gott, ein bisschen Spannung kann es schon geben. Die Motivation für den direkten Vorgesetzten ist dann, dem Mitarbeiter beim nächsten Mal selbst ein bisschen besser zuzuhören. Natürlich hat es kein Vorgesetzter gerne, wenn ein Mitarbeiter mir direkt von Problemen erzählt. Aber das hat auch ganz wesentlich die Kultur in meinem Unternehmen geformt. Denn dadurch weiß die Führungsmannschaft auch, dass ich ein Problem damit habe, wenn Probleme allzu lange unerledigt bleiben.

Warum wurden Sie Gruppenleiter?

Meine Vorgesetzten haben mir eine natürliche Befähigung zum Führen zugebilligt und gesehen, dass ich in meinen Interessen sehr breit war und immer über den Tellerrand hinausgeblickt habe. Ich habe schon als Bandmeister mit der Entwicklungsabteilung gesprochen, den Einkauf gequält, wenn irgendetwas nicht ok war, und die Planung gequält, wenn Stücklisten nicht gestimmt haben. Ich habe schon als junger Mensch sehr unternehmerisch gedacht und agiert und das war neben der Führungskompetenz sicher eine weitere Stärke. Ich bin Generalist, kein Spezialist. Ich war drei bis vier Jahre als Gruppenleiter tätig, war für unterschiedliche Produkte verantwortlich und dann kamen schrittweise zusätzliche Verantwortungen wie Logistik, Einkauf, Qualität. 13 Jahre nach meinem Einstieg hatte ich dann ein komplettes Setup zusammen und übernahm die Leitung einer Fabrik.

Zuerst Mitarbeiter, dann Bandleiter, Gruppenleiter...

Unterschiedliche Gruppenleiterfunktionen in unterschiedlichen Product Divisions, wodurch ich, obwohl immer im selben Land am selben Standort tätig, doch sehr unterschiedliche Geschäftskulturen mitbekommen habe, verbunden mit einer starken Verbindung nach Fernost aufgrund der Lieferantenverbindungen. Auch als Fabrikdirektor war es wieder so: Meine Kollegen waren alle über Fünfzig und ich knapp über Dreißig. Aber auch da gab es sehr positive Reaktionen. Ich war bekannt dafür: "Egal was man ihm gibt, der löst jedes Problem." Ich wurde also immer dort eingesetzt, wo es gerade große Schwierigkeiten gab. Das war ja auch der Grund, warum ich dann 1990 zu Philips Sound Solutions gekommen bin.

Eigentlich sollte ich hier die Schließung des Werks abwickeln. Das war der einzige Standort in Wien, den ich zu der Zeit noch nicht kannte. Ich habe mir drei Monate ausgebeten, um den Bereich kennen zu lernen, die Situation zu analysieren und vielleicht Alternativen zu finden. Damals wurden hier Lautsprecher für tragbare Geräte wie Radiorekorder, Kassettenrekorder und tragbare Fernseher produziert. Wir haben dann ein Konzept vorgelegt, das Gefallen gefunden hat, worauf die ursprüngliche Entscheidung revidiert wurde, aber es war klar, dass ich das dann auch selbst umsetzen muss. Am Anfang habe ich zwei Jobs parallel gemacht, die Leitung der Magnetic Media Fabrik und hier die Sanierung des Speaker-Desasters.

Blieb da Zeit für Familie?

Wenig. Ich habe einen Sohn mit jetzt 27 Jahren, bin geschieden, wobei die Scheidung relativ früh war, da war mein Sohn zwei Jahre alt. Ein Mitgrund war sicher mein starkes berufliches Engagement und das Vernachlässigen der privaten Pflichten, was man als Junger gar nicht so versteht, weil man so von der Verantwortung getrieben ist, gar nicht so von Karrierezielen. Ich habe aber bis heute ein exzellente Beziehung zu meiner Ex-Frau und mein Sohn ist bis heute mein absoluter Lebensmittelpunkt, wir hatten immer eine intensive Wochenendbeziehung. Daher habe ich in der Folge auch mehrere Auslandsangebote abgelehnt.

Zuerst war ich zwei bis drei Jahre in der Doppelrolle mit Videoproduktion und Sound Solutions tätig, dann bekam ich neben der Leitung der Sound Solutions eine internationale Rolle in einer übergeordneten Business Unit. D.h. ich war weltweit für eine Reihe von Fabriken verantwortlich: Malaysien, Indien, Belgien, Ungarn, China. Allerdings nicht operativ, sondern strategisch. In der Praxis hieß das: Ich war ca. 50% hier für mein eigenes Business tätig, und 50% international. Ich saß oft im Flugzeug, musste Budgets machen, darauf achten, dass gewisse Standards eingehalten werden, Synergiemöglichkeiten erkennen und Allokationsfragen klären: Wo produziert man was? Das war sehr interessant, weil mir diese internationale Arbeit die Möglichkeit gegeben hat, mein Wissen und meinen Aktionsradius zu erweitern. Es ist ja ein riesen Unterschied, ob man mit Malaien arbeitet, mit Indern oder mit Chinesen.

Dann kam eine organisatorische Änderung, weil sich der Konzern entschieden hat, die gesamten Speaker-Aktivitäten aufzusplitten und einen Teil zu verkaufen. Durch den Wegfall der internationalen Rolle konnte ich mich für einige Monate voll auf Sound Solutions konzentrieren, aber es hat nicht lange gedauert, dann hat man mich 1996 gebeten, wieder das Videowerk mit damals ca. 1000 Mitarbeitern mit zu übernehmen. Das habe ich etwa vier Jahre lang gemacht, aber nachdem die Sound Solution in der Zeit enorm gewachsen ist, war irgendwann klar, wenn ich so weiter mache, leidet die Performance an beiden Standorten. Also habe ich das selbst in die Hand genommen, das sehr offen gespielt und mich dann für eine Sache entschieden.

Seit 2000 bin ich also nur für den Bereich Sound Solutions zuständig. Wobei "nur" relativ ist, weil wir inzwischen auch eine Produktion in Peking aufgebaut haben. Wir haben es so angelegt, dass wir Technologien und Produkte, die schon einen gewissen Reifegrad haben, nach China geben. Dazu mussten wir Anlagen in Wien abbauen und nach China bringen, wodurch wir in Österreich Arbeitsplätze verloren haben. Von ursprünglich 700 Mitarbeitern sind wir auf zuerst auf 350 zurückgegangen und liegen jetzt seit 2004 stabil bei 400 Mitarbeitern. Das war schmerzvoll, aber es ging kein Weg daran vorbei. In China haben wir jetzt ungefähr 500 Mitarbeiter. Die Philosophie ist, dass wir ungefähr 2/3 der Menge in China realisieren wollen und 1/3 in Wien. Bei 500 Mio. Komponenten heißt das in etwa 300 bis 350 Mio. in Peking und 150 Mio. in Wien. Das ist noch immer ein schönes Volumen, wobei wir allein heuer in Wien wieder 40 Mio. Euro in den Standort investieren.

Wie wichtig waren die früheren Erfahrungen durch die internationale Tätigkeit für die Expansion nach China?

Es war insofern wichtig, weil meine Bereitschaft, als Business Manager nach China zu gehen und dort eine Fabrik aufzubauen, geringer gewesen wäre. Ich glaube, die Hürde wäre so groß gewesen, dass ich mich wahrscheinlich nicht drüber getraut hätte. Vielleicht hätten es dann andere gemacht.

Was bedeutet eigentlich NXP?

Der neue Firmenname: Next Experience. Philips besitzt inzwischen nur mehr 20% unserer Aktien. Mit 1. Okt. 2006 wurden 80 % von einem Private Equity Konsortium übernommen. Philips wollte sich von der Sparte Semiconductor trennen, da der Konzern mehr in Richtung Medical und Lifestyle geht und sukzessive sein Portfolio bereinigt hat. Semiconductor ist sehr kapitalintensiv und umfasst im Prinzip alles, was mit Chips zu tun hat. Als Speaker Company sind wir da im Prinzip zwar nicht richtig positioniert, weil wir mit Silizium nicht viel zu tun haben. Wir sind u.a. deswegen dort, weil wir uns die Kunden und Märkte teilen.

Wie steht es mit Work-Life-Balance?

Es hat sich auf einem sehr hohen Niveau der Arbeit eingependelt und da kommt man auch nicht mehr runter, weil die Summe der Aufgabenstellungen nicht weniger wird und die Komplexität jeden Tag ein wenig zunimmt. Ich bin jetzt neben meiner Rolle als General Manager des Geschäftsbereichs Sound Solutions auch verantwortlich für NXP Austria. Dazu gehört noch Gratkorn, unser Entwicklungszentrum für RFID Technologien mit derzeit 250 Mitarbeitern. Die Rolle als Country Manager existiert nicht nur am Papier, da ich dafür zu sorgen habe, dass alles, was Konzernfragen betrifft, im betreffenden Land koordiniert und umgesetzt wird. Ich hab ein Grundprinzip: Ich versuche, fünf Tage sehr intensiv zu arbeiten und das Wochenende freizuhalten. Das gelingt mir eigentlich sehr gut und ich glaube, das ist auch die einzige Chance, um ein Minimum an sozialen Netzen aufrecht zu erhalten.

Sie arbeiten ja mit Ihrer Lebensgefährtin eng zusammen, wie funktioniert das?

Sehr problemlos, weil ich nicht erklären brauche, warum und weswegen ich so viel arbeite. Sie verplant mich zu einem großen Teil, bekommt das also mit und hat Verständnis dafür. Wir haben eine perfekte Vertrauensbasis, ich muss nichts erklären und mich nicht verteidigen, warum ich schon wieder so viele Stunden im Büro verbracht habe oder auf diese oder jene Dienstreise gehe. Ich hatte 20 Jahre lang die Hoffnung, dass es irgendwann weniger wird, diese Hoffnung habe ich inzwischen aufgegeben. Ich beginne im Regelfall um 7.30 und arbeite dann mindestens 12 Stunden, durchschnittlich bis 20.00 Uhr und danach gibt es oft noch Abendtermine. Wenn man das dann noch mitzählt, dann kommt man auf 75 bis 80 Wochenstunden, noch ohne Einrechnung der Dienstreisen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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Ernst Müllner, General Manager der NXP Sound Solutions