Arbeitsplatz - ein Auslaufmodell?

Auch wenn wir Arbeitsplätze für etwas völlig selbstverständliches halten, das Konzept Arbeitsplatz ist gerade einmal rund 200 Jahre alt. Und es spricht einiges dafür, dass es nicht mehr viel älter werden wird.

Das Konzept des Arbeitsplatzes entstand Anfang des 19. Jahrhunderts in den sich industrialisierenden Staaten zur Aufteilung der Arbeit, die in den expandierenden Fabriken und Verwaltungen anfiel. Bevor es Arbeitsplätze gab, arbeiteten Menschen genauso hart, aber sie arbeiteten in verschiedenen Arbeitsbereichen, an zahlreichen Orten und nach einem Zeitplan, der von der Sonne, dem Wetter und den Anforderungen des Tages bestimmt war. Ein fester Arbeitsplatz war damals eine überraschende Idee, für viele eine unerfreuliche, sozial gefährliche, unmenschliche Art zu arbeiten. Heute sind wir, so formuliert es William Bridges, Autor von "Ich & Co" in aller Deutlichkeit, nicht besser auf die massiven, auf uns zukommenden Veränderungen in der Arbeitswelt vorbereitet als die Dorfbewohner des 18. Jahrhunderts auf die Arbeit in den Fabriken im 19. Jahrhundert.

Konstrukt „fester Arbeitsplatz“

Das Wesen des Arbeitsplatzes ist eng verbunden mit der Idee der Massenproduktion und der industriellen Fertigung. Die zu leistende Arbeit wird mittels Organigramm auf Arbeitsstellen aufgeteilt. In den Stellenbeschreibungen werden die Tätigkeiten, die diesem Platz geordnet sind, ebenso festgelegt wie die Verantwortlichkeiten, die damit verbunden sind. Hier steht, worum man sich auf dieser Stelle zu kümmern hat und worum nicht. Erst diese Organisationsform bringt Aussagen hervor wie "Das ist nicht meine Aufgabe, meine Zuständigkeit, meine Verantwortung".

Je weniger aber die gerade anfallende Arbeit dem künstlichen Konstrukt konkreter Arbeitsplätze zuordenbar ist – je schneller und öfter sich "das, was getan werden muss", ändert - desto mehr kommen Unternehmen mit dieser Form der Arbeitsorganisation ins Schleudern. Dann wird die anfallende Arbeit nicht mehr erledigt, sondern aufgrund "unklarer Zuständigkeiten" nur noch "verschoben". Denn wie jeder Manager weiß: Arbeitsplatzbeschreibungen lassen sich von Fall zu Fall anpassen, aber nicht jede Woche ändern! Mit anderen Worten: Wenn Aufgaben immer vielfältiger, immer weniger klar abgrenzbar werden, macht auch das relativ starre und statische Konzept Arbeitsplatz immer weniger Sinn.

Von jobs zum job und wieder zurück

Arbeitsplätze sind also ein historisch gewachsenes Konzept. Und nichts zeigt das deutlicher als die geänderte Bedeutung des Begriffs selbst, ist sie doch immer auch Abbild der Veränderungen im sozialen und psychologischen Umfeld. Nehmen wir den Begriff "job". Das Wort job ist schon alt und reicht zurück bis ins Jahr 1400. Aber bis 1800 bedeutete job etwas anderes als heute. Job stand damals für "eine kleine, kompakte Portion irgendeiner Substanz, ein Stück, ein Klumpen, ein Mund voll". Dann erweiterte es seine Bedeutung auf "ein großes Stück". Von dort war es nur noch ein kleiner Schritt, job als Bezeichnung für "jede Aufgabe, die ein Stück Arbeit darstellt" zu benutzen. Lange Zeit galt die Bezeichnung job immer für eine bestimmte Aufgabe oder ein bestimmtes Unterfangen, niemals aber für eine Position in einem Unternehmen. Jobben stand für "gelegentlich arbeiten", sowie für "eine Aufgabe erledigen" und meinte schon damals – und heute zunehmend wieder! -  einen "zeitlich befristeten Arbeitseinsatz". Im frühen 19. Jahrhundert "hatten" die Menschen keine jobs, sie "machten" jobs. Jobs, die sich im Lauf des Tages ständig änderten. In der vorindustriellen Welt waren mit jobs Tätigkeiten gemeint, nicht Positionen.

Mit der Industriellen Revolution veränderte sich dann die Bedeutung erneut, von gelegentlichen, unterschiedlichen Tätigkeiten zu einer fixen, wiederkehrenden Aufgabe, einem festen, örtlich gebundenen Arbeitsplatz. "Es galt aber mehr zu bewältigen", schreibt der Wirtschafthistoriker Sidney Pollard, "als den Wechsel zur fixen Beschäftigung und den neuen Arbeitsrythmus. eine völlig neue Kultur musste angenommen und eine alte verändert oder abgelegt werden." Die Parallelen zu heute sind frappant. Immer mehr Menschen sind, ob als Angestellte oder Selbständige wieder dabei, jobs zu erledigen, statt Jobs zu haben. Und die Veränderungen in unserer Kultur und in Bereichen wie dem im Sozial- oder Rechtssystem können wir höchstens vage erahnen.

Was genau heißt das nun? Verschwinden die klassischen Arbeitsplätze wirklich oder ist das nur die typisch übertriebene Schwarzmalerei einiger Buchautoren? Tatsächlich gibt es – von vielen unbemerkt – seit Mitte der 90er Jahre eine qualitativ völlig neue Entwicklung. Zum ersten Mal in der Nachkriegszeit verschwinden Arbeitsplätze unwiderruflich. Während bis dahin die in einer Rezension (temporär) abgebauten Arbeitsplätze im nachfolgenden Aufschwung wieder neu geschaffen wurden, in aller Regel sogar mehr als zuvor, verschwinden seit den 90er-Jahren mit jeder Rezension rund vier Fünftel der abgebauten Arbeitsplätze dauerhaft von der Bildfläche. Arbeitsplätze werden nicht mehr vorübergehend gestrichen, sondern für immer. Der amerikanische Wirtschaftskritier Jeremy Rifkin spricht denn auch von einem "Aufschwung ohne Arbeitsplatz". Der Punkt ist: Es ist nicht so, dass die Arbeit verschwindet, sie wird nur nicht mehr in Form klassischer Arbeitsplätze organisiert.

Was statt dessen?

Das Verschwinden des fixen Arbeitsplatzes, so William Bridges, heisse aber noch lange nicht, dass künftig jeder als Selbständiger oder Zeitarbeiter tätig sein werde, auch wenn deren Zahl ständig zunehmen wird. viele werden weiterhin als Vollzeitangestellte tätig sein, aber eben unter Bedingungen, die so fließende Grenzen haben und so eigenartig sind, dass man das ganze nicht mehr Arbeitsplatz nennen kann. Im Vormarsch ist die Arbeit in immer wieder wechselnden Teams, immer wieder wechselnden Rollen an immer wieder neuen bzw. veränderten Aufgaben. Was zunehmend fehlt, sind die Grenzen fest umrissener Arbeitsplätze. Organisationen verwandeln sich zunehmend von Strukturen fester Arbeitsplätze in ein Feld von Arbeit, das getan werden muss.

Autor: Mag. Peter Wagner, Leaders Circle, 07.2002

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