Arbeit ja - Arbeitsplatz nein

Mitarbeiter, so der Wunsch der Unternehmen, sollen flexibler, selbständiger und mobiler werden, am besten eben "Arbeitskraft-Unternehmer", die ihre Kompetenzen eigenverantwortlich up to date halten. Sollte der Wunsch in Erfüllung gehen, könnte das den Unternehmen noch gehörige Probleme bereiten.

„Erinnern Sie sich, wie viel sich in den letzten Jahren an den Inhalten Ihrer Tätigkeit, den Arbeitsweisen und Technologien gewandelt hat. Es gibt schon lange keine statischen Arbeitsplätze mehr, sondern nur noch Arbeit, die perfekt und schnell erledigt werden soll. Wer diese Arbeit wo, wie und wann erledigt, kann sich im wahrsten Sinn des Wortes von heute auf morgen ändern. Behalten Sie daher Ihre Beschäftigungsfähigkeit im Auge, denken Sie darüber nach, was Sie dafür an Qualifikationen und Kompetenzen benötigen werden und ergreifen Sie die Initiative... Wir werden alles tun, um Sie dabei zu unterstützen, aber die Verantwortung liegt bei Ihnen.“

Mit diesen Worten endete eine interne Publikation der Deutschen Bank AG, in der sie ihren Mitarbeitern Ende der 90er-Jahre im Zuge einschneidender Strukturmaßnahmen ihr "Mosaik für Beschäftigung" vorstellte. Als eine der ersten Firmen nahm sich die Deutsche Bank damit des Themas "Employability" (Beschäftigungsfähigkeit) an, dessen Botschaft man folgendermaßen formulieren könnte: Kein Unternehmen kann heute mehr einen sicheren Arbeitsplatz garantieren. Wir können Ihnen jedoch versprechen, Sie bei der Entwicklung Ihrer Kompetenzen so zu unterstützen, dass Sie –sollte Ihr Arbeitsplatz verloren gehen – jederzeit „employable“ sind, Ihre Kompetenzen also entweder im gleichen Unternehmen bei einer anderen Aufgabe oder in einem anderen Unternehmen nachgefragt werden.

Not macht erfinderisch

Employability ist ein neues Konzept, geboren aus schierer Not. Der Not, als Unternehmen dringend neue attraktive Alternativen zur lange hochgehaltenen Arbeitsplatzsicherheit finden zu müssen, will man nicht den letzten Rest an Glaubwürdigkeit und Goodwill auf Seite der Mitarbeiter verspielen. Nachdem Entlassungen bis in die 80er-Jahre höchstens als letztes Mittel angesehen wurden, um tief in die roten Zahlen geratene Unternehmen vor dem endgültigen Aus zu retten, mutierte Mitarbeiterabbau inzwischen quasi zur „Standardmethode“ im Zuge ständiger Reorganisationen.

Damit aber begannen die Firmen erstmals systematisch, einen jahrzehnte lang gültigen „psychologischen Vertrag“ zu brechen. Einen Vertrag zwischen Unternehmen und Mitarbeiter, der sinngemäß gelautet hatte: „Stell Du als MitarbeiterIn Deine Arbeitskraft, Zeit und Loyalität zur Verfügung, wir bieten Dir dafür gute Bezahlung, Karrierechancen und einen sicheren Arbeitsplatz“. Dieses Versprechen gilt nicht mehr. Das wissen die Firmen und erst recht wissen das ihre Mitarbeiter. Und die Firmen spüren – mit jeder neuen Restrukturierung deutlicher - dass ihre Mitarbeiter ihnen diesen „Wortbruch“ übel nehmen. Sie fühlen sich im Stich gelassen, sind frustriert, wütend, enttäuscht und – falls noch im Unternehmen - immer weniger bereit, sich weiterhin voll zu engagieren. Wozu auch, wenn man bald der nächste sein könnte, der Knall auf Fall auf die Strasse gesetzt wird. Trotz guter Leistung, trotz vollen Einsatzes. In der Tat sind die Grundideen des Employability-Konzepts hier eine mögliche Antwort, der erste Schritt zu einem „new social contract“ mit viel Zukunftspotenzial.

Was sind die Grundideen von Employability

Einer der Vorreiter des Employability-Gedankens im deutschsprachigen Raum ist der Verein „Wege zur Selbst-GmbH“, 1999 gegründet von Heinz Fischer, Bereichsvorstand Personal bei der Deutschen Bank,  Thomas Sattelberger, damals Hauptabteilungsleiter Personalentwicklung und heute Bereichsvorstand Produkt und Service bei der Lufthansa sowie Werner Thum, damals Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer. Mittlerweile zählt die Initiative über 200 Mitglieder, vorwiegend Personalchefs, die sich in mehreren Netzwerktreffen pro Jahr damit beschäftigen, wie das System Arbeit reformiert werden und das Gedankengut der Employability in den Unternehmen verankert werden kann.

Entsprechend der Interpretation des Begriffs GmbH als „Gesellschaft mit beiderseitiger Haftung“ bzw. „Gemeinschaft mit beispielhafter Haltung“ ist die Zielrichtung eine zweifache: Zum einen geht es um die Förderung einer Grundeinstellung bei den Mitarbeitern, sich als „Unternehmer der eigenen Existenz“ zu verstehen und mehr als früher die Gestaltung der eigenen beruflichen Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen. Genauso aber auch geht es um die Verantwortung der Unternehmen, den Mitarbeitern dazu die nötigen Handlungs- und Gestaltungsspielräume sowie die entsprechenden fachlichen, methodischen und persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.

So schön das auch klingt, der Weg zum „neuen Vertrag“ ist steinig und voller Fallen. Vor allem einmal setzt er eine Haltung gegenseitigen Respekts und Vertrauens voraus, eine Haltung also, die angesichts dessen, wie es derzeit in vielen Unternehmen zugeht, allenfalls mit der Lupe auszumachen ist. (Ausnahmen bestätigen die Regel). Zum zweiten erfordert es einen offenen und ehrlichen Dialog des Top-Managements mit den Mitarbeitern über die bereits begonnenen radikalen Veränderungen in der Arbeitswelt, was stets verbunden ist mit dem Zerstören von Illusionen und Ent-Täuschungen und dem Aushalten der damit verbundenen Gefühle.

Drittens erfordert es eine kritische Durchleuchtung der eigenen Organisation in Hinblick auf die Frage, inwieweit die eigenen Strukturen und System überhaupt in der Lage sind, die nötigen Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten für unternehmerisch denkende und handelnde Mitarbeiter zu bieten. Und viertens ist es eine gewaltige Herausforderung für das vorherrschende Steuerungs- und Führungsverständnis der Führungskräfte. Die Idee, sie dafür zu begeistern, für Aufgaben und Rahmenbedingungen zu sorgen, damit aus einem eher abhängigen, untergeordneten Mitarbeiter ein möglichst selbständiger, eigensinniger, gleichwertiger, flexibler, mobiler, hoch kompetenter Vertragspartner wird, ist gelinde gesagt, gewagt. All diesen Bedenken zum Trotz gibt es aber zwei gewichtige Gründe, warum die Grundideen von Employability dennoch geeignet sind, Unternehmen heutiger Prägung gehörig durcheinander zu wirbeln.

Das Ende des Arbeitsplatzes

Der eine Grund ist eine Entwicklung, die man so charakterisieren könnte: Firmen bauen Arbeitsplätze nicht (nur) deswegen ab, weil sie die Mitarbeiter nicht mehr brauchen, sondern zunehmend deswegen, weil das Organisationskonstrukt „Arbeitsplatz“ nicht mehr gebraucht wird. (vgl. Artikel „Arbeitsplatz – ein Auslaufmodell?“ Seite ..) Das Konzept „Arbeitsplatz“ verdankt sich überhaupt erst einer im Zuge der Industrialisierung und Massenproduktion entstandenen Organisationsform, in der es nützlich und hilfreich war, Arbeit in kleine, klar abgegrenzte Portionen zu zerlegen, aufzuteilen, einzelnen Stellen zuzuordnen und darauf einen Mitarbeiter zu setzen. Auf dass dieser dann diese klar bestimmte Tätigkeit mit klar definierten Verantwortung bestmöglichst erledige. Je vielfältiger und wechselnder die Aufgaben aber werden, desto hinderlicher - weil starr und unflexibel - wird das Organisationsprinzip Arbeitsplatz. Gefragt sind Leute, die tun, was getan werden muss, statt auf ihrem Arbeitsplatz zu sitzen und zu verkünden „das gehört nicht zu meinem Aufgabenbereich“. Die mit Employability transportierten Ideen – sich auf die eigenen Stärken zu besinnen, in den Aufbau vielfältig einsetzbarer Querschnittskompetenzen zu konzentrieren und nach unterschiedlichen Anwendungsfeldern Ausschau zu halten - bieten sich bei diesem gedanklichen shift geradezu an.

Der zweite Grund für den prognostizierten Bedeutungszuwachs von Employability-Ansätzen liegt in der Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials. Die Situation, in der sich viele Unternehmen befinden, ist paradox: Zum einen werden Arbeitsplätze abgebaut, zum anderen sind Firmen auf der verzweifelten Suche nach bestimmten Fach- und Führungskräften. Die Schere, die immer weiter aufgeht, ist: diejenigen Kompetenzen, die viele Mitarbeiter derzeit haben, brauchen die Firmen nicht (mehr), und die, die sie brauchen, finden sie nicht. Stichwort: war for talent. Wesentlich verschärft, aber vom Großteil  der Unternehmen nach wie vor beharrlich ignoriert, wird dieser Engpass von einem einschneidenden demographischen Wandel. Was bislang nichts an der Strategie der Unternehmen geändert hat, die (immer weniger) Jungen (immer heftiger) zum umwerben, das Potenzial der älteren Arbeitnehmer grosso modo durch Frühpensionierungen abzuwerten und das Potenzial weiblicher Fach- und Führungskräfte durch stumpfsinnige Leistungsmaßstäbe ("Ohne 70-Stunden-Woche können sie hier nichts werden") und Machogehabe in den Chefetagen zu torpedieren.

Autor: Mag. Peter Wagner, Leaders Circle, 06.2002

...zurück zum Seitenanfang

Teilen: