Cultural Awareness

Erfolgsfaktoren in der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern.

Wer eine internationale Aufgabe übernimmt, hat eine ganze Reihe von Herausforderungen zu bewältigen, und das am besten rasch: sich mit den Gegebenheiten des fremden Landes vertraut machen, neue Beziehungen knüpfen und vertiefen, und gleichzeitig umsichtig und effektiv mit jenen Unterschieden zum bisher Vertrauten umgehen, die man noch zu wenig kennt, um sie bereits beschreiben zu können.

Die ersten Begegnungen lösen häufig eine positive Überraschung aus. Mein Partner entspricht überhaupt keinem gängigen Klischee! Er ist zu jung, um Kommunist gewesen zu sein, und er hat einen MBA! Sie trägt keinen Schleier, und sie hört U2! Wieder und wieder machen Geschäftsreisende die Erfahrung, dass sie sich mit Partnern aus Bukarest oder Dubai spontan besser verstehen als mit einigen Mitgliedern ihrer Herkunftsfamilien. Dass die so begeistert begonnenen Geschäftsbeziehungen oft schnell an Charme verlieren, hat dann auch tatsächlich oft weniger mit diesen Partnern selbst zu tun als mit deren Umfeld. Um ihrerseits effektiv zu sein, müssen sie die dortigen Spielregeln kennen, in den Netzwerken präsent sein, Rhythmen und Rituale respektieren.

Unterschiedliche Märkte

Auch erfahrene Praktiker unterschätzen häufig, wie unterschiedlich nationale Märkte funktionieren können. Die Wertzuschreibung eines Produkts oder einer Dienstleistung (wie wertvoll? in oder out?) ist selten in zwei Märkten dieselbe; darüber hinaus ändert sie sich mit der Zeit, und zwar häufig in verschiedene Richtungen. Die Marktmacht zwischen Lieferanten, Produzenten und Distributoren ist meist von Land zu Land ganz unterschiedlich gelagert; dieselbe Firma hat damit oft in einem Land ganz andere Möglichkeiten als schon im Nachbarland. Unterschiede in der Infrastruktur (Transport, Telekommunikation etc.) sollten offensichtlich sein, noch mehr die Verschiedenheiten nationaler Richtlinien und Gesetze. Es ist daher immer wieder verblüffend zu sehen, mit wie viel ehrlicher Empörung Manager auf Unterschiede zwischen "lokalen" und "internationalen" Gepflogenheiten und Gesetzen reagieren (wobei sie mit "international" die Gesetze des eigenen Landes oder sonst die der USA oder Großbritanniens meinen).

Verschiedene Firmen- und Branchenkulturen

Ein ganz eigenes Kapitel ist die Koexistenz verschiedener Firmenkulturen (gerne auch innerhalb desselben Konzerns). In einem Land ist ein Unternehmen vielleicht aus dem Staatsmonopol hervorgegangen, im Nachbarland hat es ein Start-Up ins Leben gerufen, ein Land weiter einen Familienbetrieb akquiriert. Was dort ein Erfolgsrezept ist, führt bei der Schwesterfirma ins Abseits. Ebenso wichtig (gerade für den Wettbewerb) kann die Branchenkultur sein: in einem Land hoch kompetitiv, woanders eine große Familie, in der man sich so wenig wie möglich gegenseitig vergrämen möchte.

Wo immer also jemand von interkultuellen Missverständnissen spricht, lohnt zunächst der Blick auf die bisher beschriebenen Dimensionen. Kulturunterschiede dienen nämlich gerne als Vorwand, um andere Differenzen nicht ausräumen zu müssen: Wir sind enttäuscht über das Kommunikationsverhalten unseres neuen Vertriebschefs - da er aber Deutscher ist, konnten wir eigentlich nicht mehr erwarten und müssen es ihm daher auch nicht rückmelden.

Interkulturelle Merkmale

Was nun interkulturelle Unterschiede selbst angeht, ist eine Einführung in nationale oder regionale Besonderheiten, Sitten und Gebräuche immer nützlich – so weit wir die Möglichkeit dazu haben. In vielen Unternehmen wird heute von Mitarbeitern erwartet, mit Partnern aus verschiedensten Ländern gleichzeitig zu arbeiten. Dabei hilft eine entwickelte kulturelle Selbstkenntnis (cultural self-awareness) und ein rasches Verstehen einiger grundlegender Kulturmerkmale, die hinter jenen Regeln liegen, die uns unsere internationalen Benimmbücher lehren. Im Folgenden ein paar kurze Einblicke in einige der wichtigsten dieser Merkmale:

High Context / Low Context

Was zählt in einer Verhandlung? Das messbare Ergebnis oder die aufgebaute Beziehung? Low-context Individuen gehen in eine Verhandlung, um zu einem vorab definierten Ergebnis zu gelangen; high-context Individuen sehen sie eher als den "Beginn einer wunderbaren Freundschaft", in die man gerne gerade zu Beginn auch ein paar Prozentpunkte Verhandlungsergebnis investieren kann. High-Contexter investieren aber auch gerne viel Zeit, können ihre Partner mit familiären Einladungen in Bedrängnis bringen und gehen jedenfalls davon aus, dass sich der Partner für die ganze Person interessiert, denn langfristig will man sein Leben unter verlässlichen (Geschäfts-)freunden verbringen.

Universalismus / Partikularismus

Haben Sie in der Schule jemals von Ihrem Nachbarn abgeschrieben? Und wie hat dieser darauf reagiert? In jeder Gesellschaft gibt es einige "Kavaliersdelikte", in universalistischen Gesellschaften geht man allerdings davon aus, das Regeln und Gesetze "universell" gelten und daher auch dann eingehalten werden, wenn dies offensichtlich in der Situation selbst wenig Sinn macht, wie z.B. das 55-Meilen-Tempolimit in der Nevadawüste in den (universalistischen) USA. Partikularisten empfinden Regeln und Gesetze eher als Leitplanken, deren Anwendung man in jeder Situation erneut prüfen sollte – also auch z.B. ein Commitment, das man letzte Woche eingegangen ist, dessen Einhalten aber viel aufwändiger wäre als damals vorauszusehen war.

Hohe / niedrige Machtdistanz

Interessanterweise gilt der deutsche Sprachraum als "low power distance", was die meisten Deutschen und Österreicher/innen gründlich überrascht. Im Vergleich mit Schwester- oder Tochterunternehmen zeigt sich aber deutlich, dass deutschsprachige Führungskräfte oft vergleichsweise geduldig und selbstverständlich das Für und Wider ihrer Entscheidungen mit Mitarbeitern ausdiskutieren und weniger auf Statussymbole Wert legen als Andere.

Individualismus / Kollektivismus

Wie weit sollte man es sich leisten, aus einer Gruppe herauszutreten? Kulturen, die darauf weniger Wert legen, treten meistens "schützend" vor das Gruppenmitglied, wenn dies nötig erscheint. So ist es Führungskräften in Asien verwehrt zu wissen, wer in ihrer Abteilung bestimmte Fehler begangen hat; die Abteilung selbst macht es sich zur Aufgabe, dass sie nicht nochmals geschehen. Dieses Kulturmerkmal spielt bei der Motivation von Mitarbeitern eine entscheidende Rolle (Belohnen wir die Leistungsträger oder das ganze Team?) und beeinflusst auch den Verlauf von Verhandlungen (Wer wird wie in Entscheidungen einbezogen?).

Hohe / niedrige Unsicherheitsvermeidung

Die Zukunft ist nicht kontrollierbar – wer darunter leidet, versucht es trotzdem. Präzise Planung soll dafür sorgen, die Überraschungen zu reduzieren, die die Zukunft bereit hält. Wenn es dennoch zu Überraschungen kommt, sprechen Unsicherheitsvermeider von "Planungsfehlern", was andere Partner eher belustigt. Dieses Kulturmerkmal ist besonders wichtig in internationalen Projekten: deutschsprachige Partner wollen oft das gesamte Projekt zu Beginn exakt planen und erwarten dann, dass es wie eine Maschine von selbst bis zum Ende durchläuft; andere setzen auf weniger Planung zu Beginn und mehr Kommunikation danach.

Über die Unterschiede reden

Was macht es schwierig, alle die erwähnten Unterschiede und Missverständnisse abzuklären? Auch wenn es politisch nicht korrekt klingt: die Zusammenarbeit internationaler Partner findet nur selten auf "gleicher Augenhöhe" statt. Auch bei gutem persönlichen Einverständnis macht es einen Unterschied, wo die Konzernzentrale steht, ob jemand aus dem Nord/Westen der Welt oder eher aus dem Süd/Osten kommt, wessen Ergebnisse besser sind und welche Märkte für die Firma interessanter. Zudem haben auch viele Kulturmerkmale unterschiedliche Gewichte: Universalisten ("Regeln gelten immer und überall") können mit dem Brustton der Überzeugung sprechen, Partikularisten ("ich befolge die Regeln nur dann, wenn sie auch Sinn machen") sollten ihr Weltbild nur bei sehr passenden Gelegenheiten preisgeben.

Häufig haben beide Partner etwas davon, nicht über alle Unterschiede zu reden, die sie wahrnehmen. Dieselbe Information ("bei uns in Russland läuft das ganz anders") kann in guten Zeiten eine Machtquelle des lokalen Management sein, in schlechten Zeiten hören sie die Partner eher als Ausrede für mangelnde Performance. Wer also zu oft auf die Besonderheiten seiner lokalen Einheit hinweist, riskiert, im Ernstfall als Provinzler, Bremser oder Low Performer hingestellt zu werden.

Grenzübergänge finden

Die Grenzen, die zwischen internationalen Partnern liegen können, sind also manchmal real und auch dauerhaft. Daher geht es weniger darum, Grenzen zu "überwinden" als vielmehr respektvoll nach "Übergängen" zu suchen.

Regelmäßig beschreiben Menschen, die international tätig sind, den Aufbau vielfältiger persönlicher Beziehungen als ihren wichtigsten Erfolgsfaktor. Sie können damit in High-Context Regionen ihre Partner um Dinge bitten, die sie sonst nicht durchsetzen könnten, und sie erhalten damit Informationen, die ihnen niemand geben müsste, die aber für ihren Erfolg entscheidend sind. Manche dieser Informationen sind Warnsignale, die ihnen wohlmeinende Partner geben, bevor sie in eine der oben beschriebenen Fallen laufen.

Fast ebenso wichtig ist der Umgang mit Frustration. Von international tätigen Mitarbeitern wird üblicherweise verlangt, dass sie mit mehr als nur dem normalen Engagement ihre Projekte treiben – gleichzeitig müssen sie gelassen auf die typischen Verspätungen, die Hindernisse der letzten Minute und die "Unzuverlässigkeit" ihrer partikularistischen Partner reagieren. Gehen Sie in Ihrem persönlichen Plan B von 1,5 bis 2mal so viel Zeit aus wie vereinbart! Wer in Regionen oder Firmen mit niedriger Unsicherheitsvermeidung das Klischee vom verbissenen Deutschen (oder Deutschsprachigen) bedient, kann sehr schnell Antipathie auf sich ziehen.

Zudem hilft eine regelmäßige Kommunikation mit den wichtigsten Partnern im Ausland. Deutschsprachigen gelingt das oft nur, wenn sie auch das planen und penibel in ihre Kalender eintragen. Wichtig ist, dass man außerhalb des deutschen Sprachraums wichtige Partner regelmäßig auch ohne besonderen Anlass kontaktiert. Persönliche Informationen aus dem dabei geführten Small Talk sind dabei ebenso wichtig wie geschäftliche Themen - also sollten sie, wenn die Merkfähigkeit dazu nicht ausreicht, ebenfalls notiert werden!

Ratsam ist es auch, vor wichtigen Meetings zum Hörer zu greifen. Vorabsprachen gelten fast nur im deutschen Sprachraum (und auch hier nur gelegentlich) als unfein, woanders ist es oft naiv, keine führen zu wollen. Dabei kann man sich auch erkundigen, wessen Position wie bedeutend ist, wie man mit den Hierarchen umgeht, was man sich im Meeting leisten sollte und was nicht – das kann besonders in Regionen oder Unternehmen mit hoher Machtdistanz und/oder hoher kollektivistischer Orientierung entscheidend sein!

Internationales Arbeiten ist oft stressig, von unerwarteten Verzögerungen und von vielen Überraschungen gekennzeichnet; es kann auch kurzfristig riskanter sein als ein überschaubarerer Job in einem vertrauten Markt. Wer dies allerdings in Kauf nimmt, wird mit einem Arbeitsumfeld belohnt, das meist auch noch nach Jahren spannend und abwechslungsreich bleibt. Was kostet die Welt? Wer die oben beschriebene Haltung mitbringt und kontinuierlich an sich arbeitet, bekommt zumindest einen guten Rabatt!

Autor: Mag. Stefan Doblhofer, MBA, 06.2006

Teilen:

Mag. Stefan Doblhofer MBA