"Als wären alle Schleusen gleichzeitig geöffnet worden"

Als Dr. Andrea Holz-Dahrenstaedt die Leitung der Kinder- und Jugendanwaltschaft in Salzburg übernahm, machten drohende Budgetkürzungen und mehrere Karenzierungen bzw. Personalveränderungen die Idee einer ruhigen Einarbeitungszeit obsolet.

Frau Dr. Holz-Dahrenstaedt, waren sie bereits in der Kinder- und Jugendanwaltschaft (in Folge kurz kija) tätig, bevor Sie im Jahr 2003 ihre Leitung übernahmen oder kamen Sie von außen?

Ich war bereits seit ihrer Gründung im Jahr 1993 mit dabei. Ich hatte mich auch damals schon als Leiterin beworben und war bei diesem Hearing dann Zweit- oder Drittgereihte geworden. Da ich aber unbedingt dort arbeiten wollte, habe ich gleich den neu bestellten Leiter angerufen, ihm gratuliert und ihm gesagt, dass ich an einer Mitarbeit interessiert wäre. Da das von seiner Seite durchaus erwünscht war, waren wir uns sofort einig. Die Leitungsposition nicht bekommen zu haben, war für mich überhaupt kein Problem, weil ich damals als Alleinerzieherin sowieso ein wenig Sorge hatte, wie ich das alles unter einen Hut bringe.

Was hatten Sie beruflich vor Ihrer Zeit in der kija gemacht?

Ich habe in Salzburg Jus studiert und nach meinem Studium verschiedene Berufsfelder ausprobiert, um meiner Vorstellung näher zu kommen, Recht und Gerechtigkeit zu verbinden.
Nach dem Gerichtsjahr war ich in einer großen Wirtschaftskanzlei Konzipientin und danach in verschiedenen beratenden Tätigkeiten wie der Mietrechtsberatung oder dem Verein für psychisch Kranke. Dann habe ich bei Amnesty International (AI) als Flüchtlingsreferentin eine erste berufliche Heimat gefunden, weil es dort einerseits um Gerechtigkeit und andererseits um eine Querschnittsmaterie ging, wodurch ich auf vielen verschiedenen Feldern arbeiten konnte. Das Juristische war dabei ein wichtiges Handwerkszeug, aber eben nicht das einzige. Ich konnte dort etwas bewegen und bewirken, mit Politikern sprechen, ein wenig aktionistisch sein, Öffentlichkeitsarbeit machen und mich mit einem vielfältigen Arbeitsgebiet auseinandersetzen.

Als ich dann mitbekommen habe, dass es eine Kinder- und Jugendanwaltschaft geben soll, wusste ich sofort, dass ich da hin will. Die Tätigkeit ist ähnlich gelagert wie bei AI, nur umfangreicher, da sie das breite Lebensspektrum von Kindern und Jugendlichen umfasst. Auch hier ist es wichtig, das Gesetz zu kennen, um damit auch zu wissen, wo man Wege und Spielräume findet, um etwas zu erkämpfen. Da wollte ich hin und das hat dann auch geklappt.

Was ist die genaue Hauptaufgabe der Kija?

Es gibt einen gesetzlichen Auftrag, was insofern wichtig ist, weil wir dadurch kein Verein sind, der von jährlichen Subventionskämpfen abhängig ist. Zwar müssen wir jährliche Budgetverhandlungen führen, aber es gibt eine gesetzliche Grundlage in der Jugendwohlfahrtsordnung, nach der wir die Rechte und Interessen von Kindern und Jugendlichen zu vertreten haben. Dies lässt sich in zwei große Bereiche gliedern: Zum einen die Beratung im Einzelfall bei Konflikten, Problemen und Anliegen aller Art von Kindern und Jugendlichen. D.h. wir beraten, informieren und vermitteln bei Meinungsverschiedenheiten, sei es in der Schule, mit den Eltern oder mit Behörden. Das ist die Ombudsstelle.

Wir agieren aber nicht als Rechtsanwälte und machen keine Psychotherapie, weil das resourcenmäßig gar nicht ginge und uns zudem die Kapazität für das zweite wesentliche Standbein, die Interessensvertretung, wegnehmen würde. In diesem Bereich geht es darum, gesellschaftspolitische Verbesserungen der Lebens- und Rahmenbedingungen von Kindern und Jugendlichen zu erreichen. Das beginnt bei der gesetzlichen Ebene und reicht bis zu ganz praktischen Dingen wie beispielsweise beim Thema Missbrauch, wo wir uns für eine schonende Einvernahme von Kindern und Jugendlichen, die Opfer sind, bei Gericht und für die entsprechenden baulichen Voraussetzungen, wie die einer Schallschutztüre, einsetzten. Oder eine Fortbildung für Exekutive und Gericht anbieten oder für eine Vernetzung unter den verschiedenen Berufsgruppen sorgen, oder….

Sie versuchen also, in der Öffentlichkeit und der Politik Themen zu platzieren?

Ja, Themen zu platzieren, auf Mängel und Defizite hinzuweisen, dann aber auch in geeigneten Kooperationsformen konkret daran zu arbeiten, dass es Verbesserungen gibt. Etwa indem wir Pilotprojekte anregen und initiieren. und dann versuchen, dass die Neuerung standardisiert wird und in ein Regelwerk übergeht.
Das Hauptmerkmal  der Kija ist die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit, es gibt eine Kija in jedem Bundesland. Wir sind Landesbedienstete, aber außerhalb der Verwaltung, um die Unabhängigkeit zu gewährleisten und um ohne Maulkorb unangenehme Themen aufgreifen zu können.

Bevor Sie dann die Leitung der Kija übernommen haben, hatten Sie da schon Führungserfahrung?

Jein. Einerseits war ich schon als Stellvertreterin mit vielen Aufgaben betraut und in leitender Funktion in vielen Arbeitskreisen und Gremien tätig. Bei AI war ich, wenn man so will, betraut mit der Führung einer ehrenamtlichen Gruppe und als einzige Juristin alleine verantwortlich für den fachlich/inhaltlichen Bereich. Aber eine offizielle Leitungs- und Managementfunktion hatte ich bis dahin noch nicht inne gehabt

Wie kam es eigentlich zum Leitungswechsel?

Die Leitungsstelle ist befristet und wird alle fünf Jahre neu ausgeschrieben. D.h. man muss sich immer wieder bewerben. Der bisherige Leiter wollte sich kein drittes Mal bewerben, sondern wieder aus der Leitungsfunktion ausscheiden und strebte eine andere Position im Landesdienst an. Daher wurde die Stelle neu ausgeschrieben. Es gab ca. 50 Bewerbungen, von denen 10 zum Hearing eingeladen wurden. Dieses Hearing fand dann an einem extrem heißen Julitag vor ca. 30 Personen statt. Die große Zahl erklärt sich dadurch, dass in einem speziellen Beirat die verschiedensten Institutionen vertreten sind. Das Auswahlverfahren ist ebenfalls gesetzlich geregelt.

Was hat sich durch die Übernahme der Leitungsverantwortung für Sie geändert?

Es kamen damals mehrere Dinge zusammen. Ich übernahm die Leitung und gleichzeitig kam es durch Karenzen zu personellen Wechseln. Der größte Verlust war, dass die Sekretärin in Karenz gegangen ist und damit zu Beginn ein großes Vakuum geschaffen hat. Ich war also die neue Leiterin, hatte aber keine Sekretärin mehr, die „den Laden am Laufen gehalten hat“ und zudem in der ersten Zeit niemanden zum Delegieren. Dafür aber jede Menge außerplanmäßige Aufgaben, zusätzlich zu den neuen Leitungsaufgaben. Die langgedienten Mitarbeiter haben schon ungeduldig auf Aufbruch und Veränderung gedrängt, während ich zuerst neue Mitarbeiter finden und sie ins Team eingliedern musste und durch den Verlust der Sekretärin am Beginn viel ausgleichen und Aufgaben von ihr mit übernehmen musste.

Wie haben Sie das gelöst? Umgehend eine neue Sekretärin gesucht?

Das ist nicht so leicht im Landesdienst. Wir konnten nicht wie in der Privatwirtschaft die Stelle ausschreiben und selbst jemanden einstellen, sondern da wird von der zuständigen Stelle in der Landesregierung geschaut, wer aus der Karenz zurückkommt und diese Person dann zugeteilt. Es geht primär darum, wer ist frei und nicht, wer passt von den Qualifikationen genau für diese Stelle. Noch dazu gab es von der Budgetseite her die Anforderung, die Stunden zu reduzieren, also den Druck, 10 Prozent Personalkosten zu sparen, wodurch wir intern umschichten mussten. Im Endeffekt wurden wir dann mehr Personen, die aber zum Teil mit einem geringeren Stundenausmaß als zuvor beschäftigt sind, zudem mit unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen: zwei davon mit freiem Dienstvertrag, die anderen sieben als Landesbedienstete. Die eine Herausforderung war also organisatorischer Natur, die andere, dass jeder im Team einen guten Platz findet.

Wie ging es Ihnen mit dieser Vielzahl an gleichzeitigen Anforderungen?

Da hat mir das Führungswechselcoaching geholfen, indem es mir immer wieder kleine Auszeiten verschafft hat, um darüber zu reflektieren und mir die einzelnen Schritte zu überlegen. In den ersten drei Monaten gab es von den verschiedensten Seiten die verschiedensten Wünsche und Erwartungen, intern wie extern. Dazu kam die Alltagsarbeit mit 100 Mails täglich. Die zentrale Frage war: Wie bekomme ich das alles auf die Reihe? Da war die Auszeit beim Coaching sehr hilfreich, um den Überblick und einen kühlen Kopf zu bewahren.

Wie sind Sie zum Coaching gekommen?

Durch eine Freundin, die auch in eine Führungsposition gekommen ist und ein Führungscoaching bei der Firma Komunariko gemacht hat. Diese Freundinnengespräche, das „Kitchen Consulting“, war sehr hilfreich. Da war für mich klar, das möchte ich auch. Gerade weil am Anfang so ein Schwall auf mich zugekommen ist, als hätten sich alle Schleusen gleichzeitig geöffnet und als würde mir in einem fort die Tür eingerannt, war das Coaching enorm hilfreich, um die Bereiche zu ordnen, Prioritäten zu setzen und einen Weg durch die Anfangszeit zu finden. Bildlich gesprochen hatte ich damals zeitweise das Gefühl: In dem Augenblick, in dem ich in der Früh den Computer einschalte, türmt sich vor mir ein Berg Arbeit auf und wenn ich ihn um Mitternacht abgearbeitet habe, habe noch nichts von dem erledigt, was ich mir für den Tag eigentlich vorgenommen habe.

D.h. es gab beim Antritt der Stelle Budgetvorgaben, unterschiedlichste Erwartungen zahlreicher Stellen und Institutionen, einen Wechsel bei der Hälfte der Mitarbeiter und damit die drängende Frage, womit fängt man an? Wie entscheidet man wirklich, womit man beginnt, und was man aufschiebt?

Natürlich hatte ich ein Konzept und eine Vorstellung und eine Vision, wie die Kinder- und Jugendanwaltschaft ausschauen und wohin sie sich entwickeln und wo sie ihre Schwerpunkte setzen soll. Ich war dann in diesem Führungscoaching gezwungen, mich trotz der fast erdrückenden Alltagsarbeit damit auseinander zu setzen, wie ich diese Vision formuliere und wie ich das kommunizieren will, dazu Strategien festzulegen und in wichtige und weniger wichtige Bereiche zu trennen. Und ich musste mir überlegen, wie man das schaffen kann. Klar war, dass wir unsere Kräfte konzentrieren müssen, weil wir ein kleines Team mit begrenzten Ressourcen sind. Daher habe ich mich entschieden, einen Jahresschwerpunkt zu setzen und dann auch die anderen kijas überzeugt, dass das gut wäre, wenn wir einen gemeinsamen Schwerpunkt hätten.

Der erste Schwerpunkt war dann "Hilfe für Kinder getrennter Eltern". Dieses Schwerpunktthema haben wir dann in die verschiedenen "Produkte" unterteilt: Information, Einzelfallhilfe und Interessensvertretung und dann jedes dieser Produkte genauer definiert. Das war der Schwerpunkt im Jahr 2004. Nachdem wir gesehen haben, dass ein Jahr zu kurz war, um alles zum Abschluss zu bringen, haben wir ihn noch bis zum Sommer verlängert. Ab Herbst gibt es dann einen neuen Schwerpunkt. Durch diese Konzentration auf ein Thema gab es einen großen Schub. Dann, kurz nach dem Start, kam der Fall Christian, der durch alle Medien ging. Dadurch haben sich dann zahlreiche Türen geöffnet, um viele der Änderungen zu erreichen, die wir schon lange gefordert hatten.

Wie lange dauerte das Führungscoaching?

Die ersten hundert Tage waren Anfang Dezember 2003 vorbei. Diese Zeit habe ich auch kommuniziert und dem Team gesagt, das ich die ersten drei Monate keine großartigen Veränderungen mache werde, weil es mir zuerst darum geht, die neue Mitarbeiter zu integrieren und die Neuorientierung vorzubereiten. Das Motto war: "Bitte macht vorerst weiter wie gehabt."

Ich habe einen Startworkshop gemacht, wo es eine erste Orientierung gab und dann einen 100 Tages Workshop, wo es um den Jahresschwerpunkt für 2004 ging. Bis dahin hatte ich bereits über 30 Gespräche mit Außenstehenden geführt, was sehr zeitintensiv war, aber sehr sinnvoll. Dabei war es mir wichtig zu erfragen, wie die kija von außen gesehen wird und zu schauen, mit wem wir uns wie vernetzen können. Denn nachdem wir so klein sind, müssen wir unsere Schlagkraft erhöhen, indem wir uns Verbündete suchen. Das war zwar wahnsinnig zeitintensiv, aber dadurch wurden bereits wichtige Weichen gestellt.

Einige Gesprächspartner haben gesagt: "Eigentlich habe ich in den ganzen 10 Jahren mit der kija nichts zu tun gehabt. Ich weiß gar nicht genau, was Sie so machen." Die haben das Gespräch und diese Öffnung nach außen  sehr geschätzt, von den Schulbehörden bis zu den Politikern und Vertretern wichtiger Institutionen.

Wenn Sie auf die ersten Monate zurückblicken, und einer Freundin, die jetzt in einer ähnlichen Situation ist und eine Führungsposition übernimmt, einen Rat geben müssten, worauf sollte sie besonders aufpassen?

Dass sie sich am Beginn nicht unter zu hohen Druck setzt bzw. setzen lässt und sich die drei Monate wirklich als Einarbeitungsphase nimmt. Selbst wenn man aus der Institution kommt, ist es etwas ganz anderes, ob man für einen Teilbereich verantwortlich ist, oder plötzlich die Gesamtverantwortung hat und die Organisation nach außen repräsentiert. Es kommen Budgetverhandlungen, Personalentscheidungen, Interview- und Projektanfragen, Öffentlichkeitsarbeit etc. Das sind alles Dinge, in die man sich einarbeiten muss.

Bevor man größere Veränderungen durchführt, sollte man sich Zeit nehmen für eine gründliche Vorbereitung und die geplanten Veränderungen dann auch ausführlich kommunizieren und begründen. Nach den ersten drei Monaten hatte ich dann wieder ein funktionsfähiges Team, wo alle wussten, wie die Dinge funktionieren. Sobald wieder alles reibungslos lief, konnte ich mich dann auf andere Dinge konzentrieren. Das zweite Jahr ist dann schon viel leichter.

Wie oft gab es dieses Coaching?

Alle paar Wochen ein halber Tag. Dazwischen gab es Aufgaben. Z.B. habe ich einmal eine Liste zusammengestellt über die relevanten Umwelten der Kinder- und Jugendanwaltschaft, um für mich zu klären, mit wem ich aller Kontakt aufnehmen und Gespräche führen muss, um deren Blick auf die Kija zu erfragen. Weitere Aufgaben waren die Vorbereitung des Startworkshops und des 100-Tage Workshops.

In jedem Unternehmen gibt es Mitarbeiter, die auf Veränderung drängen und Mitarbeiter, die wollen, dass alles so bleibt wie es ist. Man kann es also nie allen recht machen.

Ja, die unterschiedlichen Erwartungen habe ich genau gespürt. Ich habe mit allen MitarbeiterInnnen ein ausführliches Gespräch geführt über ihre bisherige Erfahrungen, ihre Aufgabenbereiche, ihre Erwartungen, was aus ihrer Sicht bisher gut funktioniert hat und was weniger gut. Im Startworkshop habe ich das dann zusammengefasst rückgemeldet. Mein Eindruck war, dass sich in Bezug auf meine Vision - dass die kija eine Einrichtung sein sollte, die man auch öffentlich wahrnimmt, die vielleicht nicht überall beliebt ist, ein bisschen unbequem ist, aber Problembereiche aufzeigt und nach Lösungen sucht, also eine echte Interessensvertretung für Kinder und Jugendliche sein soll - alle einig waren.

D.h. es gab ein Bild, das alle angesprochen hat.

Ja, da waren alle einig. Das konnten die neu Hinzugekommen auch mittragen und durch diesen gemeinsamen Nenner hat dann auch jeder einen guten Platz und seine Aufgaben gefunden. Zudem haben wir den "Luxus" aber gleichzeitig notwendigen Standard, einmal im Monat eine Supervision zu haben, die wir auch für Teamentwicklung, strategische Fragen oder Fallarbeit  nutzen konnten.

Ganz vorne zu stehen, im Rampenlicht, macht das Spaß oder ist das anstrengend?

Ganz neu war es nicht, weil ich schon in meiner Stellvertreterfunktion oft die Themen platziert habe, Kontakte hatte und Interviews gegeben habe. Neu war es in dieser Vehemenz. Natürlich war das mit einer gewissen Nervosität verbunden, aber es hat auch Spaß gemacht. Es ist eine positive Nervosität, wenn man merkt, dass Themen rüberkommen und es dadurch Veränderungen gibt.

Wie empfanden Sie den Rollenwechsel vom Teammitglied zur Führungskraft?

Diese berühmte Einsamkeit habe ich schon auch empfunden. In dem Augenblick, in dem man nicht Teammitglied ist, verändert sich einfach was. Da hat sich auch bei mir etwas verändert. Wir sind ein gutes Team und haben ein gutes Arbeitsklima, ich bin nicht die strenge Chefin, aber trotzdem gab es eine Veränderung, einen gewissen Abstand. Was mir sicher gut getan hat, waren die Gespräche mit Außenstehenden, weil ich dadurch auch viel positives Feedback bekommen habe. Da wurde mir sehr viel Wohlwollen entgegengebracht.

Ich habe dann mit meiner Freundin die Initiative ergriffen und eine Intervisionsgruppe gegründet, wo sich sechs Frauen in Führungspositionen einmal im Monat treffen. Ich finde es enorm hilfreich, auf der gleichen Ebene über Themen und Probleme und spezifische Fragestellungen zu reden und zu reflektieren. Dieser Austausch - wie handhaben andere bestimmte Dinge, wie lösen sie bestimmte Probleme - ist sehr bereichernd.

Was sind die häufigsten und brennendsten Fragen?

Fragen wie, wie grenzt man sich ab, wie delegiert man bestimmte Dinge, wenn man als einzige 40 Stunden arbeitet und alle anderen Teilzeit und ohnehin am Limit sind? Aber auch: Wie geht man strategisch vor, um etwas bei Stellen zu erreichen, von denen man abhängig ist, z.B. der Politik? Wie bindet man diese Stellen mit ein?

Wie würden Sie sich als Führungskraft beschreiben? Was würden Ihre Mitarbeiter erzählen?

Natürlich führe ich auch regelmäßige Mitarbeitergespräche, insofern glaube ich nicht, dass viel Überraschendes käme. Sie würden wahrscheinlich sagen, dass man sich auf mich verlassen kann, dass ich den Mitarbeitern den Rücken stärke, dass ich mich bemühe gerecht zu sein, dass entscheidungsfreudig bin, aber das Team mit einbinde, wo es notwendig ist. Manche wünschen sich vielleicht eine "strengere" Chefin, andere denken, dass ich zu viel wissen will und sie zuwenig Freiraum haben, zu wenig delegiere. Meine Selbsteinschätzung ist, dass ich dazu neige eher zuviel als zu wenig zu tun und dadurch Gefahr laufe, mich und andere zu überfordern. Die "reine" Administration ist nicht meine Stärke. Am liebsten ist mir, wenn der "Laden" läuft, jede/r mit gleichem Engagement und hoher Qualität seinen/ihren Bereich erledigt. Ich bin nicht gerne in der Rolle der Hausaufgaben-kontrollierenden-Lehrerin. Ich erwarte ein hohes Maß an Selbstverantwortung, wobei ich die Letztverantwortung für mich in Anspruch nehme.

Wie zufrieden sind Sie im Rückblick?

Teils sehr zufrieden, teils weniger zufrieden. Letzteres bezieht sich auf die Tatsache, dass ich mit mannigfachen Problembereichen von Kindern und Jugendlichen konfrontiert bin, bei denen enge Budgets und knappe personelle Ressourcen effektive Hilfe häufig verhindern oder zumindest erschweren, wodurch die Gruppe der "benachteiligten" Jugendlichen immer größer wird.

Eine wesentliche Motivation und somit hohe Zufriedenheit ist, zu bemerken, was man alles bewirken und bewegen kann. Wenn ich zurückblicke, was wir uns im ersten Jahr alles vorgenommen haben, was im 100-Tage-Workshop alles an Strategien und Maßnahmen am Papier stand - das ist im Wesentlichen bis zum Sommer abgehakt, und zwar nachhaltig. Es gibt z.B. ab Herbst einen Kinderbeistand für Kinder bei Gericht. Da ist nicht nur eine nette Meldung in der Zeitung gestanden, sondern in diesem Bereich ist wirklich was passiert. Das ist sehr motivierend.

Frau Dr. Holz-Dahrenstaedt, herzlichen Dank für das Gespräch.

06.2005

...zurück zum Seitenanfang

Teilen:

Dr. Andrea Holz-Dahrenstaedt, Leiterin der Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg