Studie: Creative Work

Eine neue Studie des Zukunftsinstituts setzt sich auf profunde Art mit der Arbeitswelt von morgen auseinander. Zentrale Erkenntnis aufgrund der vorliegenden Zahlen: Die neuen Arbeitsformen sind bereits heute für weit mehr Menschen Realität als vielfach angenommen Tendenz stark steigend.

"Unsere Gesellschaft ist eine Arbeitsgesellschaft – Arbeit prägt uns, wenn wir sie haben, und sie prägt unser Selbstbild, wenn wir sie verloren haben und arbeitslos sind. Wenn die Arbeit sich grundlegend wandelt, dann ist unsere Gesellschaft in den Grundfesten erschüttert und gefordert. Und genau das erleben wir gerade. Wir befinden uns im tiefgreifendsten Wandel der Arbeit seit der industriellen Revolution. Unser Bild von Arbeit ist noch stark von der industriellen Arbeitskultur geprägt – und die nimmt weiter ab.

Doch vor unseren Augen entsteht, so die zentrale Aussage der neue Studie des deutschen Zukunftsinstituts, eine neue Arbeitskultur: "Creative Work". Eine Arbeitskultur, die von Selbstverantwortung, Wandel und Kreativität geprägt ist. Dabei meint Kreativität mehr als nur künstlerische Schöpferkraft. "Kreatives Denken und Handeln ist die Fähigkeit, ständig neue Zusammenhänge herzustellen, unterschiedlichste Perspektiven zu integrieren und Bestehendes immer wieder zu hinterfragen – auch sich selbst und den eigenen Lebens- und Arbeitsplan." In der 150 Seiten umfassenden Studie untersuchen die beiden Autorinnen, Kirsten Brühl und Imke Eicher, die Ursachen und Chancen, die mit dieser Transformation einhergehen. Nachfolgend einige der zentralen Aussagen für Sie zusammengefasst:

Jobverlust kann heute jeden treffen

Am Beginn der Studie steht die Analyse der sich schon heute deutlich abzeichnenden Veränderungen am Arbeitsmarkt. Zum einen die zunehmende "Normalität" von Jobverlusten im eigenen unmittelbaren Umfeld, die heute Top-Manager und hochqualifizierte Experten ebenso treffen können wie einfache Arbeiter und Angestellte, und zum anderen die Erfahrung, dass eine neue Anstellung nur mehr eine und noch dazu eine immer schwerer zu findende Möglichkeit ist, berufstätig zu sein. Immer deutlicher beginnt sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass "die gute alte Zeit" der Vollbeschäftigung endgültig Vergangenheit ist und die mit der industriellen Revolution aufgekommene Vorstellung eines lebenslangen Arbeitsplatzes im Schwinden begriffen ist. Doch die Veränderungen reichen bereits weit über das in den 80er-Jahren aufgekommene Bild "mehrmaliger Firmenwechsel statt einer lebenslangen Anstellung" hinaus. Phasen der Anstellung wechseln bereits heute für immer mehr Menschen zunehmend ab mit Phasen der Arbeitslosigkeit, der Selbständigkeit oder der Kombination von Teilzeitarbeit und freiberuflicher Tätigkeit. Und immer mehr Menschen wird bewusst, das ursprünglich als Überbrückung angelegte Lösungen zum Dauerzustand und Normalfall werden. Typisches Kennzeichen dieser Umbruchsphase sind massive Ängste und Verlustgefühle, die mit dem zunehmenden Wegfall dieser sicherheitsspendenden Vollzeitarbeitsplätze einhergehen, da Arbeit eben nicht nur Geld bringt, sondern in unserer heutigen Arbeitsgesellschaft auch einen wesentlichen Teil "Lebenssinn" stiftet. Die Umwälzung der Arbeitslandschaft hat längst auch die Mittelschicht erfasst. Die alte Regel, wonach jeder, der gut qualifiziert ist, sich keine Sorgen zu machen braucht, stimmt nicht mehr. Selbstständigkeit, freiberufliche Projektarbeit, temporäre Erwerbslosigkeit – oder mehrere Jobs gleichzeitig - die lebenslange Vollzeitstelle existiert für eine wachsende Zahl von Menschen nicht mehr. Das ist keine wirklich neue Entwicklung, doch für diejenigen, die damit persönlich und unfreiwillig konfrontiert sind, ist das trotzdem oft eine verwirrende Erfahrung.

"Irreguläre" Arbeitsverhältnisse werden zum Normalfall

Noch ist die viel beschworene Kultur der Ich-AGs und Selbst-Entrepreneure kein quantitativ durchschlagendes Phänomen. Der Anteil der Selbstständigen an allen Erwerbstätigen lag 2004 in Deutschland bei nur 12 Prozent. Zum Vergleich: Der OECD Durchschnitt belief sich auf 17 Prozent, in Korea zählte man 34 Prozent Selbstständige. Doch ein Trend zur Selbständigkeit ist deutlich sichtbar. Gleiches gilt für andere "irreguläre" Arbeitsverhältnisse, das heißt für Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigte. Die Zahl der Vollzeit-Angestellten dagegen fällt in den letzten Jahren deutlich ab.

Die lange gehegte Assoziation "Arbeit gleich Sicherheit" wird sich weiter auflösen. Auf mittlere Sicht entstehen dabei neue Beschäftigungsformen, ebenso wie eine neue Kultur der Selbstständigkeit. Allerdings braucht das Zeit. "Entrepreneurship" lässt sich nicht verordnen und setzt sich erst langsam als gesellschaftliche Alternative zu der im Industriezeitalter gepflegten Kultur der Abhängigkeit durch. Das zeigt auch die in Deutschland derzeit heftig geführte Diskussion um das so genannte "Prekariat". Damit sind diejenigen gemeint, die mit temporären Jobs, Teilzeitstellen oder Selbstständigkeit ihr Geld verdienen und dabei kaum über die Runden kommen. Doch prekäre Arbeit ist nur vor dem Hintergrund einer Vorstellung von lebensfinanzierender Vollzeitbeschäftigung "prekär". Ohne die Idee von Vollzeitstellen im Kopf ist sie schlicht – normal. Nachwachsende Generationen zum Beispiel werden schon ganz neu und anders sozialisiert – siehe die "Generation Praktikum". Sie wissen, dass für sie kein "Lebensjob" mehr bereit steht und dass sie sich ihre Arbeitsbiografie immer wieder neu und vor allem eigenständig zusammenbauen müssen. Unterstützung in der Phase des Übergangs zur "neuen Arbeit" brauchen jedoch die Arbeitnehmer, die unversehens von der alten in die neue Arbeits-Welt geraten und vor der Herausforderung eines persönlichen Paradigmenwechsels stehen. Und auch bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für die "neue Arbeit" sind Wirtschaft und Gesellschaft gefordert, damit die Schere zwischen gut bezahlten Vollzeit-Jobs und relativ ungesicherten Arbeitsverhältnissen nicht zu weit auseinander geht.

"Creative Work" ist kein Randphänomen mehr

Hier geht es nicht nur darum, dass wir andere Produkte oder Dienstleistungen herstellen werden, sondern auch darum, dass wir anders arbeiten werden, auch in "traditionellen" Branchen. Das, was wir als "normal" empfinden, ändert sich – ebenso wie unsere inneren Glaubenssätze und Realitätsbeschreibungen. Während bei den Wissensarbeitern noch gilt: „Wer eine gute Ausbildung hat, dem kann nichts passieren“, wird bei Creative Work die ständige Anpassung und Optimierung der eigenen Identität zum Muss. "Erfinde Dich selbst!", lautet ein zentraler Glaubenssatz im Zeitalter der Kreativen. Und: "Alles ist möglich." Für einen klassischen Industrie- oder Wissensarbeiter ist das, so die Autorinnen, eine immense Heraus- und meist auch Überforderung. Denn statt routinierter Befehlsausführung oder ständiger Wissensmaximierung steht auf einmal die eigene Persönlichkeit, das eigene, immer wieder zu verändernde "Ich" im Mittelpunkt. Das verlangt Selbstvertrauen und einen gekonnten Umgang mit Unsicherheit.

Zu den Creative Industries zählen Bücher, Filme, Zeitungen und Zeitschriften, Kunst, audiovisuelle Medien, Architektur, TV und Radio, aber auch Werbung, Design, Software und Gaming. Eine Industrie von bereits beachtlichen Ausmaßen: Im Jahre 2004 erzielten die deutschen Unternehmen der Creative Industries eine Bruttowertschöpfung von 58 Milliarden Euro. Wachstumstreiber waren dabei die Design-Wirtschaft mit einem Umsatzplus von 6,5 Prozent sowie die Software- und Gaming-Industrie mit einem Zuwachs von 11,5 Prozent. Damit liegt der Kreativsektor bereits knapp hinter der Automobilindustrie mit 64 Milliarden Euro und dem Kreditgewerbe mit 70 Milliarden Euro. Zur Avantgarde der Kreativarbeiter gehören z. B.: erfolgreiche Autoren, Publizisten, Schauspieler, Regisseure, Maler, Architekten, Fotografen, Moderatoren, Couturiers, Kabarettisten, Comic-Zeichner, Musiker, DJs, Starköche, Werber, PR-Leute, Berater, kreative Anwälte, Wissenschaftler mit Medienwirkung und kreative Unternehmer.

Der Lebensstil des kreativen Kerns ist Vorbild für das immer größer werdende Heer der Kreativarbeiter, dazu gehören Texter, Web-Designer, Content Manager, Game-Programmierer, IT-Freaks, Life Coaches, Therapeuten, Grafiker, Designer, Modemacher, Image-Berater, Kommunikationsspezialisten, Wellnesstrainer, Gesundheitsberater, Models, Modeberater, kreative Gastronomen, Landschaftsgestalter, selbst kreative Friseure und Bäcker, Architekten und Journalisten. Der kreative Kern macht aktuell ca. 6 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland aus (Destatis und Zukunftsinstitut).

In Deutschland betrug der Anteil der Kreativindustrien an der Gesamtwirtschaft 2004 nur vergleichsweise niedrige 2,7 Prozent, während der Anteil in Großbritannien bereits bei rund 8% lag, doch der Bereich wächst unaufhörlich. So sind in der Bankenstadt Zürich bereits 37.000 Menschen im Kreativsektor beschäftigt. Ihr Beitrag zum Bruttosozialprodukt des Kantons Zürich beträgt 8,3 Milliarden Schweizer Franken, das sind immerhin 8,3 Prozent. Zum Vergleich: 47.000 Menschen arbeiten in Zürich bei Banken oder 16.500 im Maschinenbau.

Uniquability statt Employability

In der Kultur der "Creative Work", postulieren Brühl und Eicher, wird aus der "Not der Unsicherheit" eine Tugend. Die neue Logik lautet: Wenn Loyalität keine harte Währung mehr ist und auch die "richtige" Ausbildung oder das Prädikatsexamen nicht vor einem Schicksal als Dauerpraktikant schützen, dann kann ich ja gleich machen, was mir Spaß macht. Die Biografie ist keine gut geplante Folge von logisch aufeinander abgestimmten "Karriereschritten" mehr, sondern eher eine Abenteuerreise, mit Unwägbarkeiten, Umwegen, Abstiegen, Gefahren und Erfolgen. Als Kompass auf dieser Reise dienen das eigene Talent, Neugierde und Leidenschaft für eine Sache.

Kreativarbeiter müssen häufig jedoch häufig hohe Einkommensschwankungen in Kauf nehmen. Wir finden sie sowohl unter den Spitzenverdienern als auch im so genannten Prekariat, bei den Geringverdienenden. Bei den Kreativen liegt der Anteil der Selbständigen mit 20 % doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Erwerbstätigen. Und in diesem Segment wird durchaus gut verdient. Das Einkommen bei den Selbstständigen ist im Schnitt eineinhalbmal so hoch wie das Durchschnittseinkommen. Von den 27.000 Brutto-Einkommensmillionären in Deutschland finden wir 76 % unter den Selbstständigen. Eine kleine Avantgarde der Kreativarbeiter kann sich also zu den Spitzenverdienern zählen. Doch die Schere geht auch hier deutlich auseinander. Immerhin 50 % der Selbstständigen müssen sich mit einer Entlohnung unterhalb des Durchschnittseinkommens begnügen.

"Erfinde dich selbst" bedeutet für Kreativarbeiter, einen Beruf aus ihren Talenten zu machen. In dieser Beziehung arbeiten sie wie Ingenieure, die ohne Bauanleitung aus ihrem individuellen "Talente-Kit" eine maßgeschneiderte Rolle entwickeln. "Erschaffe dich selbst" ist eine grundlegende Fähigkeit, die Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen immer wieder in die Lage versetzt, sich beruflich und privat neu zu positionieren. Die Multioptionsgesellschaft hat damit unsere Biografien erreicht. Die Wahl- und Gestaltungsfreiheit fragmentiert unsere Lebensläufe und nimmt ihnen über weite Strecken die Planbarkeit, die wichtiger Bestandteil des traditionellen Arbeitsmodells war. Arbeit in der Creative Economy ist vor allem auch eine Bewusstseinsund Einstellungsfrage. Der Wandel hin zu einer selbstverantwortlichen Creative Work-Kultur erfordert deshalb von vielen Menschen, mit gut gepflegten Denkmustern und Erfolgsstrategien zu brechen.

Wer sich in den vergangenen Jahren einen Rat für die eigene Karriereplanung holen wollte, hatte gute Chancen, mit der „Employability-Strategie“ vertraut zu werden. Sie lautete: Orientiere dich konstant am Markt, verstehe, welche Fähigkeiten, Methoden und Tools gerade gebraucht werden, und richte die eigene Weiterbildung daran aus, dann bleibst du beschäftigungsfähig. Die Praxis sieht anders aus, auch mit einem perfekten Portfolio an Erfahrungen und Kompetenzen gelingt vielen nicht mehr die Weiterführung einer einst erfolgreich begonnenen Karriere – weil sie beispielsweise durch das "Jugendraster" fallen.

Ein Paradigmenwechsel steht an. Statt den Markt zu beobachten und sich das Wissen und die Qualifikationen anzueignen, die in Zukunft vermutlich gebraucht werden, steht für die Arbeitenden der Zukunft die Frage "Wer bin ich?" im Mittelpunkt. Eine Orientierung von innen heraus ersetzt die gewohnte Außenorientierung. Jeder Einzelne wird sich in Zukunft grundlegende Fragen wie "Wer bin ich?", "Was gibt mir Energie?", "Mit wem will ich arbeiten?", "Was ist meine Botschaft" und "Wie will ich leben?" beantworten müssen – und dürfen. An die Stelle der "Employability" tritt die "Uniquability". Herausragende kreative Köpfe haben diese Strategie seit jeher intuitiv der markt- und anpassungsorientierten Haltung vorgezogen.

Die Zukunft kommt nicht über Nacht. Auch wenn sich Creative Work in den nächsten Jahrzehnten zu einem Mainstream-Phänomen entwickelt, werden wir nicht alle von heute auf morgen hochkreativ, eigenständig und selbstbestimmt arbeiten. Was also passiert mit denjenigen, die noch keine Creative Worker sind? Müssen sie ein Leben abseits des schillernden und spannenden Kreativ-Lebens führen und ein passives, kümmerliches Dasein in schlecht bezahlten, inhaltsleeren, und vom Untergang bedrohten Low-Jobs fristen? Ganz bestimmt nicht. Creative Work ist für jeden möglich. Nur wird nicht jeder sein Leben damit finanzieren können. Creative Work heißt arbeiten mit mehr Herz und Leidenschaft – und beinhaltet gleichzeitig für viele eine Zukunft jenseits jeglicher Sicherheiten. Projektarbeit, temporäre Jobs, manchmal eine kurze Festanstellung und gänzlich freie Zeiten ohne Bezahlung werden sich in Zukunft ebenso abwechseln wie die Inhalte unserer Arbeit. Die erste, größte und vor allem für jeden notwendige kreative Leistung besteht deshalb darin, sich immer wieder neu einen persönlichen Arbeits-Mix zusammenzustellen, der ausreichend Geld bringt und gleichzeitig die eigenen Bedürfnisse nach einem erfüllten Leben befriedigt. Die neue Situation konfrontiert uns mit innerer und äußerer Unsicherheit. Doch, um noch einmal bei dem Bild der Cafeteria zu bleiben, am Tisch sitzen zu bleiben, nutzt nichts. Wer darauf wartet, bedient zu werden, geht, abgesehen von einer sozialen Minimal-Sicherung, leer aus.

Der Lebensunternehmer

Wichtig, so die Autorinnen, ist es, eine neue Haltung von Selbstverantwortung, Selbstständigkeit und Eigeninitiative zu erlernen. Dazu gehört ihrer Meinung nach auch ein offener Diskurs über Schwierigkeiten und Befürchtungen auf dem Weg zur Eigenständigkeit, statt nur redundant ein Muss zur Selbstverantwortung zu proklamieren. Wichtig dafür ist, Themen wie Arbeitslosigkeit, Unsicherheit oder Existenzangst zu enttabuisieren und nicht länger als individuellen Makel anzusehen. Nur wenn auf Dauer gesehen gesellschaftlicher Status auch ohne Vollzeitjob oder ganz ohne Job möglich wird, ergeben sich für die, die keine "Creative Worker" der ersten Riege ist, neue Wahl- und Lebensmöglichkeiten jenseits der Scham und des Rückzugs. Immerhin greifen die Medien das Thema inzwischen auf. Auf Spiegel online erzählen Menschen, die mit merkwürdigen Jobs und Arbeitszeiten leben, von ihrem Alltag. Im TV dokumentieren erste Reportagen, mit welchen Problemen Langzeitarbeitslose bei ihrem Wiedereinstieg zu kämpfen haben, und selbst in beliebten Soaps bleibt, die Arbeitslosigkeit und die Angst um den Job nicht ausgespart.

Fazit: Eine spannend zu lesende profunde Analyse der Arbeitswelt, die Entwicklungen herausschält und weiterentwickelt, die bereits heute erkennbar sind. Auch wenn diese keineswegs immer angenehm sind, zumal sie mit höherer Unsicherheit und höheren Anforderungen an die einzelne Person einhergehen – sich damit (auch als Unternehmen) rechtzeitig auseinander zu setzen, macht Sinn.

Die gesamte Studie kostet 170,- Euro und ist zu beziehen unter www.zukunftsinstitut.de

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