Kein Wandel ohne Gefühle

Der Wunsch, Turbulenzen zu vermeiden und die emotionalen Regungen des Systems möglichst niedrig zu halten – also Veränderungsprozesse quasi emotional keimfrei zu planen und zu realisieren - führt gerade zum Gegenteil des angestrebten Ergebnisses. Das Steuerungsteam fungiert dabei als Probebühne.

Allen Sachlichkeitsfanatikern im Management zum Trotz: Jede inhaltliche Entscheidung erfordert gleichzeitig eine emotionale Verarbeitungsleistung, sonst kann sie nicht wirklich getragen werden. Werden die bei jeder Veränderung zwangsläufig auftretenden starken Gefühle zugelassen und ernst genommen, erhöht sich der Realitätsgehalt der Lösungskonzepte und die Wahrscheinlichkeit ihrer erfolgreichen Umsetzung beträchtlich. Die emotionalen Reaktionen des Systems auf anstehende Veränderungen sind zumindest in groben Zügen durchaus absehbar und von einer recht klaren Abfolge von Emotionen begleitet:

  • Angst vor Trennung,
  • Trauer - mit den vier Stufen:
    - Erstarrung,
    - Verlangen nach dem Verlorenen,
    - Desorganisation und Verzweiflung,
    - Reorganisation,
  • Wut und
  • Hoffnung.

Man kann sich darauf vorbereiten und einen Umgang damit finden.

Was gibt in unsicheren Zeiten Sicherheit?

Fakt ist: Emotionen sind der Motor von Veränderungen. Sie sind immer vorhanden. Werden sie nicht gesehen oder weggeschoben, ändert das nichts an ihrem Vorhandensein, sie kehren auf anderen Wegen wieder und verschaffen sich ihr Recht. Entscheidend ist also, wie Organisationen bzw. die Veränderungsmanager in den Organisationen damit umgehen.

Das Um und Auf komplexer Veränderungsprojekte ist ein stabiles Steuerungsteam, um die Unsicherheit der Prozesse und des Wandels aufzufangen. Es gibt keine Expertensicherheit bei diesen Prozessen, um so wichtiger ist daher, daß es eine Art Prozess-Sicherheit gibt. Wenn sich alles in Turbulenzen befindet, hilft eine hohe Stabilität im Prozess enorm weiter.

Was ist nun die Aufgabe solch eines Steuerungsteams? Einerseits das Gesamtbild im Auge zu behalten und eine Steuerung des Prozesses als "work-in-progress" zu betreiben, d.h. immer wieder die Diagnose zu erneuern. Um das zu leisten, braucht dieses Team ein großes Investment in Richtung Team-Building, da damit zu rechnen ist, dass die angesprochenen Widersprüche als Konflikte in diesem Team sichtbar und untereinander ausgetragen werden. Klar ist, dass das Top-Management und ganz wichtige Schlüsselfiguren in diesem Team vertreten sein müssen.

Eine weitere wichtige Funktion dieses Teams besteht darin, der Verdrängungsarbeit in Organisationen - dem Beiseiteschieben der Gefühle - entgegenzuwirken, indem man sich in diesem Kreis als eine Art Probebühne versteht und an den Fragen arbeitet: Was glauben wir, was löst das Projekt bei den Mitarbeitern aus? Haben wir in unserem Leben selbst schon einmal ähnliche Veränderungen erlebt? Wie ging es uns da? Was haben wir da gemacht? Was hat uns geholfen? Was war schwierig für uns? Die Folge solcher Fragen ist oft sehr viel Nachdenklichkeit, auch Stille und eine deutliche Stimmungsveränderung in der Gruppe, was wiederum beträchtlich zur Stärkung des Teams beitragen kann. Ist in diesem Kreis der Vorhang einmal gehoben, werden diese Fragen und die dabei auftauchenden Gefühle auch auf den unteren Ebenen ansprechbar und somit enttabuisiert.

Abschied nehmen ermöglichen

Auch Großveranstaltungen können als Probebühne fungieren. So beschloss ein Unternehmen, das bereits relativ weit in dem Prozess fortgeschritten war, eine Art "Tag der offenen Tür" für verschiedene Gruppen zu veranstalten, die dem Unternehmen wichtig waren. Ein Tag der offenen Tür also für die Familien der Mitarbeiter, einer für Kunden, Wertschöpfungspartner, Lieferanten, Journalisten und Öffentlichkeit. Vorbereitet wurde dieser Tag von den Mitarbeitern. Die erste Hälfte des Tages handelte von dem alten Unternehmen, die zweite Hälfte vom neuen Unternehmen. Entsprechend hieß der erste Halbtag "Wer sind wir gewesen?", die zweite Hälfte "Wer werden wir sein?" Am Vormittag wurde das Alte, Bisherige, Vergangene noch einmal angeschaut, anerkannt, gewürdigt und damit für alle deutlich, was in diesem Unternehmen geschafft und geleistet, aber auch, was nicht geschafft wurde.

Auch diejenigen, die „Verlierer“ waren, die zum Teil ihren Job, zum Teil interessante Stellen verloren hatten, wurden auf diese Art gewürdigt. Das deutliche Signal war: "Künftig wird es nicht mehr so sein, wie es einmal war, das ist vorbei, aber diese Vergangenheit ist sehr wichtig gewesen." Der Effekt war eine unglaubliche Entlastung und ein kollektives Bemühen, das Alte abzuschließen und dem Neuen, das dann am Nachmittag präsentiert wurde, einen Schubser zu geben. Die Leute in diesem Unternehmen sprechen heute noch von diesem Tag.

Eine biologische Sicht von Wachstumsprozessen und –beschränkungen

Viele Manager verhalten sich wie Gärtner, die auf ihre Pflanzen einreden: "Wachse! Streng Dich an! Du schaffst es!" statt sich um das Wechselspiel von verstärkenden, förderlichen und hemmenden Wachstumsfaktoren zu kümmern. Die fundamentale Schwäche der Strategien, die Innovatoren durchzusetzen versuchen, besteht zumeist darin, dass sie sich nur auf die Innovation konzentrieren, also auf das, was sie anstreben, anstatt sich auch damit auseinanderzusetzen, wie die Kultur, die Strukturen und Normen auf ihre Bestrebungen reagieren werden. Doch Fortschritte sind nur dann von Dauer, wenn die Innovatoren lernen zu verstehen, warum sich das System zur Wehr setzt und wie ihre eigenen Einstellungen und Wahrnehmungen (sowie weitere Kräfte) zu dieser Gegenreaktion beitragen.

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