"Das muss zu schaffen sein, das geht schon"

Renditegetriebenes Unternehmen, druckvoller Geschäftsführer, zahlreiche kurzfristige Zusatzaufträge und mitten drinnen eine leistungsorientierte Managerin, die mit Willen und eiserner Disziplin jede Aufgabe meistert – bis sie unter der Last zusammenbricht.. Ein beeindruckender Erfahrungsbericht.

In welcher Funktion waren Sie vor Ihrem Burnout tätig und was haben Sie vor diesem Job getan?

Vor meiner jetzigen Firma habe ich in einem anderen Unternehmen die Personalleitung und das Controlling gemacht. Dann war ich in Karenz. Danach bin ich in ein neues Unternehmen eingestiegen, in einer Fachfunktion mit relativ vielen kurzfristigen Projektaufträgen. Gleichzeitig mit einem neuen Geschäftsführer, der aus einer anderen Landesorganisation ins Unternehmen kam und im Ruf stand, großen Druck zu machen. Es gab dann tatsächlich von Beginn weg ständig neue Projekte mit einem extremen Zeitdruck, die nur zu schaffen waren, wenn wir die Wochenenden und Feiertage durchgearbeitet haben. Jedes Mal hieß es, "wenn das Projekt vorbei ist, wird es besser", was aber nie der Fall war, weil dann schon das nächste Projekt kam. Neben dieser Arbeit habe ich an einigen internationalen Projekten des Konzerns teilgenommen und Zusatzausbildungen gemacht, um die Themen inhaltlich gut abdecken zu können. Bereits in der Zeit habe ich sicher zu wenig geschlafen.

Nach einem Jahr kam dann das Angebot, wieder ins Management einzusteigen. Der Kollege, der vorher die Aufgabe wahrgenommen hatte, nahm seine Assistentin mit und so musste ich die Funktion über Monate alleine bewältigen. Im Klartext bedeutete das, mit einem All-Inclusive-Vertrag einen Job zu machen, den vorher zwei Leute gemacht hatten, von denen jeder im Monat ca. 100 Überstunden gehabt hatte. Noch dazu waren relativ viele Projekte meines Vorgängers noch nicht abgeschlossen. Als bin zu meinem Chef gegangen bin und eine Assistenz gefordert habe, hieß es, "in Kürze kommt eine eine Unterstützung". Die kam aber nicht, weil sie von ihrem Job nicht weggekommen ist, überdies schwanger war und kurz darauf sowieso in Karenz ging.

Also eine enorme Arbeitsbelastung.

Ja. Ich habe irgendwann selbst ein Recruiting gestartet, durfte dann aber die einen Kandidaten nicht nehmen, weil sie "zu unerfahren waren" und die anderen nicht, weil sie "zu teuer" waren. Nachdem wir uns schlußendlich auf eine Kandidatin geeinigt hatten, fand sie mein Chef plötzlich doch nicht akzeptabel. Also hab ich ihm gesagt, wenn ich die nicht bekomme, schmeisse ich hin. Denn das war die einzige Kandidatin, bei der ich von Anfang an Unterstützung erwarten konnte, also habe ich sie schließlich durchgesetzt. Die nächsten Monate haben wir versucht, den Job, den ich bisher allein gemacht habe, etwas aufzuteilen und sie gleichzeitig einzuschulen. Nach dem Sommer kam wieder ein kurzfristiges Recruitingprojekt. Nachdem ich es mit viel Mühe rechtzeitig abgeschlossen hatte, haben wir einen Tag vor Antritt der neuen Leute erfahren, dass wir sie nun doch nicht brauchen, mit dem Zusatz, "aber das haben wir eh schon länger gewusst."

Das klingt nach chaotischer Organisation und  nervtötendem Managementstil.

Ja, wobei das Anstrengendste gar nicht so sehr die Arbeitsbelastung war, sondern das Klima. Ich musste mir ständig alles erkämpfen. Bei meinem Start hatte ich weder einen Schreibtisch noch ein Telefon, ich saß in einem Büro ohne die Möglichkeit zum Abdunkeln, obwohl ich gegen das Licht arbeiten musste und als ich das endlich organisiert hatte, musste ich das Büro wechseln. Und im Vergleich zu meinen männlichen Kollegen habe ich um 25 Prozent weniger verdient, trotz gleicher Ausbildung und gleicher Erfahrung.

Nach dem Sommer habe ich dann eine Gesichtsnervlähmung bekommen. In der Zeit davor hatte ich schon häufiges Kopfweh, was ich aber auf die Klimaanlage zurückgeführt hatte. Ich habe immer schlechter geschlafen und mein Nachtkästchen war voll geklebt mit Post-it-Zetteln, auf denen ich notiert habe, was ich alles zu erledigen habe.

Wie ging das mit den Kindern?

Das war weniger belastend, weil ich mich mit meinem Mann auf einen Rollentausch geeinigt hatte. Dass sie mir sehr abgegangen sind, ist mir erst klargeworden, als ich dann länger Zuhause war. Aber in der Zeit, in der ich so viel gearbeitet habe, hat das – zumindest an der Oberfläche – relativ gut geklappt. Allerdings klappt so ein Rollentausch nie völlig und ohne Spannungen. D.h. nach der Firma habe dann zu Hause weitergearbeitet. Um irgend etwas für mich zu machen, war ich dann viel zu müde.

Gab es bei der Vorgängerfirma auch schon gesundheitliche Probleme, oder hat das mit der neuen Firma angefangen?

Es hängt sicher auch mit meiner Persönlichkeit zusammen. Ich kann mich nur schwer abgrenzen, bin extrem ehrgeizig und habe das Gefühl, ich muss mir Anerkennung durch Leistung verdienen. Wenn ich jetzt zurückdenke, habe ich sogar schon in der Schulzeit Phasen gehabt, wo ich extrem ausgelaugt war. Ich habe immer schon zu jeder Herausforderung ja gesagt.

Man braucht nur etwas als Herausforderung bezeichnen und schon laufen Sie?

Ja. Als die gesundheitlichen Probleme im Herbst angefangen haben, gab es das Angebot, eine weitere Funktion zu übernehmen, die eine Stufe höher gewesen wäre. Obwohl ich total fertig war, habe ich sogar noch meine Bewerbung geschrieben, allerdings nicht mehr abgeschickt. Davor hat mich der Zusammenbruch bewahrt.

Was genau waren die Symptome vor dem Zusammenbruch?

Schlafstörungen, die Hand in Hand gingen mit einer totalen Erschöpfung, durch die ich zu nichts mehr fähig war und keine Entscheidungen mehr treffen wollte. Ich bin beispielsweise am Buffet gestanden und konnte mich nicht entscheiden, was ich essen soll. Meistens habe ich überhaupt aufs Essen vergessen. Draussen hat die Sonne gelacht, aber ich hatte keine Lust hinauszugehen. Das Telefon hat geläutet, aber ich war zu fertig um abzuheben. Man kann sich nicht mehr vorstellen, wie man den neuen Tag bewältigen soll. Außerdem wurde ich sehr aggressiv. Bei den kleinsten Kleinigkeiten im Job bin ich explodiert. Die Persönlichkeit ändert sich total. Wenn jemand so extrem strukturiert ist wie ich und das plötzlich nicht mehr funktioniert, wenn man sich etwa plötzlich nichts mehr merkt, dann beginnt man zu verzweifeln. Ich habe z.B. einen Kollegen am Gang getroffen, etwas mit ihm vereinbart und als ich wieder in meinem Zimmer, konnte ich mich nicht mehr erinnern, mit wem ich eben geredet hatte, auch nicht worüber. Ich wusste nur mehr, dass mir irgendwer irgendwas am Gang gesagt hatte.

Diese "Aussetzer" hat keiner gemerkt?

Nein. Ich habe versucht, es durch Mehrarbeit zu kaschieren, was am Anfang noch funktioniert hat. Aber dann ist es innerhalb kurzer Zeit rasant bergab gegangen. Da wir im Herbst Budgetphase haben, bin ich nach der Gesichtsnervlähmung, die ich so wie die Kopfschmerzen der Klimaanlage zugeschrieben habe, nach zwei Wochen wieder im Büro gekommen. Die Deadline fürs Budget war zwei Wochen später, also habe ich versucht, das noch zu schaffen. Ich war natürlich auch wieder am Wochenende im Büro, habe aber für Excel-Tabellen, die ich früher schnell einmal neben dem Telefonieren erstellt habe, plötzlich ewig gebraucht und sie dann statt abzuspeichern auch noch versehentlich gelöscht. Ich konnte meine handschriftlichen Notizen nicht mehr lesen, weil ich mich nicht mehr erinnern konnte, was ich damit gemeint hatte. Bis zur Deadline Mitte der folgenden Woche war ich keinen Schritt weitergekommen und im Endeffekt hatte ich das Budget Freitag Abend immer noch nicht fertig. Als an dem Tag eine Kollegin ins Zimmer gekommen ist und gesagt hat: "Wir sollten noch..." habe ich nur das Wort "noch" gehört und bin in Tränen ausgebrochen. Mein einziger Gedanke war: "Was soll ich denn noch machen, ich kann doch jetzt schon nicht mehr". Dann habe ich meinen Arzt angerufen und für Samstag einen Termin vereinbart, in der Hoffnung, "dass er mich irgendwie hinkriegt". Am Montag bin ich um 02.00 Uhr Früh aufgestanden und in die Firma gefahren, um die Planung fertig zu machen, habe aber nichts weitergebracht und wieder versehentlich Teile gelöscht. Als ich dann Dienstag in der Früh mit dem Auto in die Firma gefahren bin, habe ich zwei Kreuzungen davor plötzlich nicht einmal mehr die körperliche Kraft gehabt, die Kupplung durchtreten. Ich konnte schlicht und einfach nicht mehr von der Kreuzung wegfahren. Also stand ich dort minutenlang mit der Warnblinkanlage und habe schließlich in der Firma angerufen, dass ich krank bin und nicht komme. Dadurch ging es mir zumindest so viel besser, dass ich nach Hause fahren konnte. Das war ein Zustand, wo ich körperlich nicht einmal mehr die Kraft hatte, eine Kaffeetasse zu halten.

Hat der Arzt den Zustand dann als Burnout diagnostiziert?

Im Endeffekt hat es eine Ärztin, die meine Trauzeugin ist,dann ausgesprochen. In der Literatur wird es als eine Art Abwärtsspirale beschrieben, mit mehreren Phasen. Es fangt meistens an mit Depersonalisierung. Du kannst nicht mehr abschalten, kannst keine Ruhe geben, hast Schlafstörungen, wirst aggressiv. Und wenn du ganz unten bist, geht das bis zu Depression und Selbstmordgedanken.

Ich war sicher extrem drauf. Es war für mich völlig ungewohnt, dass ich mit meinem Willen nichts mehr erreiche. Eine Zeit lang konnte ich es ganz gut kompensieren. Als ich am Anfang beim Arzt war, hat er mich gefragt, was ich brauche, weil ich mir nichts habe ansehen lassen. Ich konnte mit viel Disziplin und Willen lange vieles übertauchen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem gar nichts mehr ging. Das einzige, was man an dem Punkt dann noch tun kann, ist, dass man entspannt, zur Ruhe kommt, "im Hier und Jetzt ist", ein Spruch, den ich am Anfang extrem gehasst habe. Am Beginn habe ich immer gesagt: "Das nützt mir alles nichts, ich muss wissen, wann es wieder geht, wann ich wieder arbeiten kann." Aber mit diesem Druck wird es nur noch schlimmer.

Ist es nicht genau dieser Anspruch an einen selbst, der einen ins Burnout hineintreibt? Denn wenn man entspannen und abschalten könnte, wenn man Grenzen setzen und akzeptieren könnte und sich nicht dauernd selbst überfordern würde, hätte man das Problem zumindest in dieser Schärfe nicht, oder?

Burnout hat sicher zwei Seiten: die persönliche Seite mit den eigenen Veranlagungen und Neigungen, z.B. einem extremen Ehrgeiz, einer großen Hingabe und Aufopferung, und auf der anderen Seite ein bestimmtes Arbeitsumfeld, mit hohem Druck und Leistungsanreizen, auf die solche Persönlichkeiten reagieren. Ich denke, bei mir hat das Betriebsklima sicher das seine dazu beigetragen, sonst gäbe es im Unternehmen zwischenzeitlich nicht mehrere andere Burnout-Fälle.

Aber eigentlich ist es ja kein Wunder, dass das in Unternehmen oft nicht erkannt ist: Einerseits ist jede Firma dankbar für Leute, die vollen Einsatz zeigen und sich Mehrarbeit aufbürden lassen, andererseits ist es doch gerade Kennzeichen von Leuten, die burnoutgefährdet sind, dass sie sich möglichst lange nichts anmerken lassen. Dazu kommt, dass kaum ein Manager freiwillig sagt, "ich schaffe es nicht mehr", aus Angst, dann punziert zu sein, "der packt das nicht". Also kennt man dann in der Firma bei einem Zusammenklappen oft nur die medizinische Seite wie: Der X hat Probleme mit dem Herz, der Y hat Magenbeschwerden, etc.

Ja, offiziell ist bei uns auch keiner wegen Burnout im Krankenstand. Die offizielle Version über meine Person kenne ich gar nicht, aber bei anderen ist die Rede von aktuter Gastritis, Herzrhythmusstörungen, Herzinfakt und einigem anderen. Alle diese Leute sind in gehobenen Management-Positionen, alle haben extrem viele Überstunden und sind Personen, die sehr ehrgeizig und leistungsorientiert sind und ihren Job sehr ernst nehmen. Erwünscht sind bei uns junge dynamische, leistungsorientierte Leute, ohne dass aber ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, weil man das System so weit als möglich ausreizen will. Also nimmt man z.B. in kürzester Zeit eine große Zahl neuer Leute auf, ohne die passenden Ressourcen wie Arbeitsplatz, PC oder die nötige Infrastruktur im Backoffice zur Verfügung zu stellen. Dort entsteht gerade das nächste Krisengebiet. Wenn man auf solche Probleme hinweist, heißt es: Das muss gehen! Und solange die Leute weitermachen und es dabei belassen, von Zeit zu Zeit mal kurz aufzumucken, denken sich die Leute oben: Siehst du, es geht je eh!

Das müsste doch jemandem auffallen.

Bis es zum Vorschein kommt, dauert es. Man schaut den Umsatz und das EBIT an, aber wie das Human Capital beieinander ist, wird ja nirgends erfasst. Man sieht es höchstens an den Krankentagen. Und da gehen einige Personen in der Gesamtheit leicht unter und wenn es doch einen Ausschlag gibt, heißt es lapidar: Das war die Grippewelle.

Persönlich kommt man mit der Zeit in einen Kreislauf hinein, wo man nur mehr versucht, die äußeren Anforderungen zu erfüllen. Man schaut noch weniger auf sich selbst als bisher und verdrängt die Warnsignale. Ich habe in der Zeit z.B. begonnen, extrem viel Kaffee und energy drinks zu konsumieren. Ich habe Sehstörungen bekommen und das mit dem Gedanken, ok, ich brauche halt eine Brille, abgetan. Ich habe zeitweise extrem geschwitzt, was für mich total untypisch ist. Ich war sehr infektanfällig, hatte dauernd Verkühlungen und habe auch dafür immer irgendwelche Erklärungen an der Hand gehabt.

Wie waren dann die ersten Tage im Krankenstand? Endlich ausschlafen...?

Nein, eher der Versuch, einmal irgendwie zur Ruhe zu kommen. Schlafen konnte ich wenig. Ich habe Akupunktur, Medidation und Coaching versucht, um überhaupt wieder hinzuschauen und zu spüren, wie es mir geht. Habe ich Hunger oder nicht, bin ich müde oder nicht, ist mir zum Heulen oder geht es mir gut?

Am Anfang sicher mit dem Gedanken, ich muss wieder bald ins Büro, oder?

In den ersten Tagen war das Handy nie abgeschaltet. Ich habe immer wieder die E-Mails gecheckt und versucht, Dinge, die mir eingefallen sind, zu delegieren und weiterzugeben. Bis mir endlich gedämmert ist, dass es nicht mehr geht und ich Ruhe geben muss, hat es fast ein Monat gedauert. Das war ungefähr zu der Zeit, als ich dann auf Kur gefahren bin. Selbst dort habe ich die ersten zwei Wochen noch ständig darüber nachgedacht, was ich tun könnte, z.B. welches der tollen Sportangebote ich nützen könnte. Erst als ich in der dritten Woche mit einer schweren Grippe im Bett gelegen bin, habe ich mir eingestanden, dass ich einfach keine Reserven mehr habe und es seine Zeit dauern wird, bis ich wieder auf die Beine komme. Eine Erkenntnis, die gerade Menschen, die so gestrickt sind wie ich, extrem schwer fällt. Der Schritt bis zur Einsicht, dass einem alles zu viel ist, der dauert. Von 80 Leuten waren bei der Kur ca. 10 Burnoutfälle. Leute, denen man auf den ersten Blick nichts anmerken würde. Bei vielen kommt dann noch ein Alkoholproblem dazu. Manche fangen zum Trinken an, um endlich abschalten und schlafen zu können.

Wie lief die Kur ab?

Eingereicht war sie für drei Wochen, bewilligt für sechs Wochen und im Endeffekt wurden es acht Wochen. Dadurch konnte ich mich wirklich ausruhen und mich hinlegen, wann ich wollte, was zuhause nicht geht, da man da durch die Kinder ein Stück weit fremdbestimmt ist. Wichtig war, einfach einmal eine Auszeit zu haben, um wieder zu mir zu kommen.

Wie haben Sie es geschafft, wieder zu sich zu kommen?

Mein Zugang ist, dass ich verstehen will, was da abläuft. Daher habe ich viel darüber gelesen, und versucht, auf der persönlichen Seite aufzuarbeiten, wie es von mir aus dazu kommt. Warum ich so einen Leistungsdruck brauche, warum ich so agiere ich es tue. Bei der Kur gab es eine psychotherapeutische Begleitung und Gruppengespräche. Außerdem habe ich relativ viel mit den anderen Burnoutpatienten geredet, war viel an der frischen Luft und habe wieder angefangen, regelmäßig zu essen. Ich habe wieder einen Lebensrhythmus bekommen. Ich habe Entspannungstechniken gelernt und mir bewusst Zeit für mich selbst genommen, z.B. um in aller Ruhe ein Buch zu lesen.

Was haben Sie über sich herausgefunden?

Es hängt sicher auch mit meiner Lebensgeschichte zusammen. Ich habe einen älteren Bruder und mein Vater hat am Anfang sicher ein Problem gehabt, dass dann ein Mädchen kam. Er hat immer gemeint, "du bist ja nur ein Mädchen", worauf ich ihm beweisen wollte, dass ich eh alles kann, was ein Bub kann. Von meinem Großvater habe ich auch fast keine Anerkennung bekommen. Während er in meinem Bruder eine Art Sohnersatz gesehen hat, war ich für ihn wie Luft. Wenn mein Bruder in der Schule einen Einser bekommen hat, hat er fünf Schilling bekommen, ich hingegen nichts. Da hieß es höchstens: "Das war eh selbstverständlich." Mein Bruder hat bei der Matura ein Auto bekommen, als ich nach der Matura nach Haus gekommen bin, wurde ich gefragt, wann ich zum Arbeiten anfange. Mein Vater hat gemerkt, dass ich extrem ehrgeizig werde und alles schaffe, wenn er mich pflanzt. Damit hat er versucht, mich anzuspornen und zu fördern, nur hat er mich zeitweise total überfordert bzw. ich habe mir dann selbst den Druck damit gemacht. Es ist sicher kein Zufall, dass ich als Jugendliche auch magersüchtig war. Dazu kommt ein gesellschaftlicher Faktor: Als Frau mit Kindern, das zeigen alle Statistiken, verdient man in Österreich rund 25% weniger als ein Mann in derselben Position. Schon aus dem Grund steht man als Frau immer unter dem Druck, zu zeigen, dass man mindest so gut ist wie ein Mann, wenn nicht besser.

Was bedeutet es für Sie, sich abzugrenzen?

Zu sagen, wenn etwas nicht mehr geht. Ich hatte immer das Gefühl: "Das muss alles zu schaffen sein, das muss ich alles können, das wird sich schon ausgehen." Ich habe mir auch immer viel zu lange Listen geschrieben, mir zu viel vorgenommen und Dinge mechanisch abgehakt, statt sie zu genießen. Das hat wieder viel mit der Persönlichkeit zu tun. Meine Überzeugung war immer: Wenn ich etwas mache, mache ich es ganz oder gar nicht. Dadurch traue ich mich dann auch nicht, nein zu sagen.

Wann ging es eigentlich erstmals wieder aufwärts?

Bis ich wirklich das Gefühl hatte, dass die Kur etwas bringt, war ich bereits die fünfte Woche auf Kur. Nach Abschluss der Kur hatte ich zwar wieder ein bisschen Kraft, aber dann hatte ich vor Weihnachten die Kinder gleich drei Tage allein und das ging nur, indem ich mir untertags noch Unterstützung geholt habe, weil ich zu Mittag eine Stunde gebraucht habe, um mich hinzulegen. Den ganzen Tag in einem Stück hätte ich noch nicht durchgehalten. Das Gefühl, wieder etwas Kraft und Elan zu haben, hatte ich erstmals wieder im Jänner. Auch jetzt bin noch immer nicht voll belastbar. Schon kleine Dinge stressen mich sehr. Jetzt, wo der Wiedereinstieg, wenn auch in anderer Position, wieder näher rückt und ich merke, dass ich zu Mittag noch eine Ruhepause brauche und die Dinge nicht so schnell weiterbringe wie ich es gewohnt war, frage ich mich, ob ich das schaffe, zumal mir einige schon gesagt haben, dass es theoretisch noch zu früh ist. Ich hab von Natur aus immer im Hinterkopf, "ich zeige euch, dass es geht". Gleichzeitig weiß ich, dass das Risiko sehr groß ist. Wenn man eine Batterie total entlädt und dann nur teilweise wieder auflädt, wird sie nicht mehr die volle Leistung bringen. Das ist, was ich fürchte.

Wie trotzt man der Gefahr, wieder in den alten Rhythmus zu rutschen?

Ich habe jetzt zwar wieder Lust etwas zu tun, fühle mich aber noch nicht richtig fit. Job, Haus, Kinder, plus Sachen, die mir Spaß machen, traue ich mir im Moment noch nicht zu. Wenn ich jetzt nicht in anderer Funktion wieder einsteigen könnte, hätte mir der Arzt geraten, frühestens in drei Monaten wieder arbeiten zu gehen. Die Chance, dass man zurückfällt, ist sehr, sehr groß, weil man gerade unter Stress schnell wieder in alte Verhaltensmuster fällt. Bei Veränderungsprozessen heißt es immer, es dauert ungefähr ein Jahr, bis es wieder halbwegs rund lauft, bis man eine neue Lebenseinstellung oder Lebensgestaltung wirklich anwendet.

Mut macht mir z.B. die kürzlich gemachte Erfahrung, dass ich beim Gespräch über den neuen Job einige Veränderungen vorgeschlagen habe, über die mein neuer Chef zuerst zwar erstaunt war, denen er aber dann problemlos zugestimmt hat. Bisher habe ich oft wenig gefordert, lange gewartet, und wenn ich dann etwas gefordert habe, war ich sehr brüsk, weil es mir dann schon gereicht hat. Diesmal habe ich meine Vorstellungen gleich zu Beginn deponiert und ruhig argumentiert und war dann überrascht, wie einfach es war, sich darauf zu einigen.

Wo stehen Sie heute, verglichen mit dem früheren Energieniveau?

Wenn ich das frühere Energieniveau mit 100 annehme, stehe ich jetzt bei 70-75 Prozent. Wobei die Energie, die ich früher an den Tag gelegt habe, sicher weit überdurchschnittlich war. Vielleicht ist meine Energie jetzt einfach normal.

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