Ständiges Gedankenrasen

Alfred Zechner, Führungskraft bei einem großen österreichischen Forstbetrieb, über seinen Weg aus dem Burnout und die wieder gewonnene Freude an der Arbeit trotz gelegentlicher Rückfälle.

Was genau ist Ihre Funktion?

Ich bin seit 33 Jahren im Unternehmen und leite seit 2004 einen Forstbetrieb mit 5.000 Hektar. Direkt zugeordnet habe ich drei ständige Waldarbeiter, einen Assistenten sowie einen zweiten Assistenten zu ca. 30 Prozent. Zusätzlich arbeite ich bei Katastrophenfällen wie derzeit mit mehreren selbständigen Unternehmen, wodurch ich für 30-50 weitere Leute, die bei mir im Wald arbeiten, Verantwortung trage.

Wie sind Sie ins Burnout gerutscht?

2002 gab es in unserem Revier einen großen Windwurf, den mein Vorgänger zu ca. 50 Prozent aufgearbeitet hat. 2004 wurde ich dann als neuer Leiter bestellt. Ein Forstrevier von unserer Größe schlägert im Jahr normaler Weise ca. 15.000 Festmeter Holz. Im Jahr meines Einstieg haben wir stattdessen 25.000 Festmeter verarbeitet, 2005 waren es sogar 52.000 Festmeter, das 3,5 fache der Normalkapazität. Im Jahr 2006 dann 41.000 Festmeter und 2007 40.000 Festmeter. Also von der Arbeitsmenge immer das 2,5 bis 3,5-fache der üblichen Menge. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Windwürfe wie Kyrill und zusätzlich einen Befall durch den Borkenkäfer. Diese Windwürfe machen die Arbeit, die man während des Jahres macht, oft innerhalb weniger Minuten wieder zunichte.

Was mich aber am meisten ins Burnout getrieben hat, war nicht die Menge an sich, sondern die besonderen Witterungsverhältnisse der letzten Jahre. Ende 2005 und 2006 hatten wir im Revier teilweise über einen Meter Schnee, wodurch die Leute bei der Arbeit bis zum Bauch im Schnee stehen, was nicht nur unangenehm, sondern auch sehr gefährlich ist. Damit hat man als Verantwortlicher großen Druck, dass da ja nichts passiert. Letztes Jahr im Winter gab es dann eine gegenteilige Situation. Kein Schnee. In einem normalen Jahr ist das kein großes Problem, ich musste aber durch Windfall und Borkenkäfer auch im Winter viel Holz schlägern, konnte es aber nicht vermarkten. Denn die Betriebsstruktur der Bundesforste so ist, dass es vom Tal hinauf Bauernwege gibt, asphaltierte Güterwege, während der Bundesforstwald erst ab ca. 1200 Meter Höhe beginnt. Und diese Wege sind bei so einer Witterung alle gesperrt, weil die Holzlastwagen viel zu schwer sind, um diese Güterwege im Winter zu befahren. D.h. wir haben oben gearbeitet, um den Käferbefall und den Windwurf in den Griff zu bekommen, das Holz dann aber nicht ins Tal bekommen. Das erzeugt hohen Druck, weil die Kunden aufs Holz warten. Damit hatte ich immer mehr schlaflose Nächte, wo ständig die Gedanken gekreist sind.

In welchen Symptomen hat sich das niedergeschlagen?

Schlaflose Nächte, ständige Erschöpfung, Magenbeschwerden, plötzliches starkes Schwitzen, Rückzug und Vernachlässigung der Freunde und meiner Hobbys, eine allgemeine Lustlosigkeit, weil mir einfach überhaupt nichts mehr Spaß gemacht hat. Für vieles war ich einfach zu müde.

Waren Sie nicht einfach überarbeitet?

Nein, ich habe über drei Jahre meine Arbeitszeiten in den PC geschrieben. Das war es nicht, ich hatte gar nicht so viele Überstunden. Ich habe mir auch kurze Auszeiten genommen, aber ich konnte dieses Gedankenrasen nicht mehr abstellen. Ich war Tag für Tag Troubleshooter, denn mit der höheren Menge steigen auch die Komplexität und die Zahl der Probleme. Je höher die Menge ist, desto mehr LKWs haben Sie beispielsweise auch im Wald, die sich schon einmal gegenseitig behindern. Wenn dann auch noch etwas kaputt geht, müssen sie den erst mal aus dem Wald bekommen und Ersatz organisieren. Es mehren sich die Konflikte mit den Jagdpächtern, die sich wegen dem Lärm aufregen, wenn wir so viel im Wald arbeiten und es steigen die Konflikte mit den Bauern, die Holz abnehmen. Denn wenn mehr Holz anfällt, bekommen sie auch mehr zugeteilt, was sie aber derzeit nicht wollen, weil der Holzpreis gerade am Boden ist. Irgendwann kann man dann einfach nicht mehr abschalten. Durch diese Kombination von Schlafstörungen, Gedankenrasen und gleichzeitiger Erschöpfung ist man mit der Zeit so gerädert, dass man zu nichts mehr Lust hat. Man kommt aus diesem Strudel nicht mehr raus.

Denkt man, dass man den falschen Job hat, dass es nur eine Frage der Organisation ist ....

Den Gedanken, dass es der falsche Job ist, hatte ich nicht. Der erste Gedanke war, dass ich es besser organisieren muss. Nur bringt das nichts, wenn im Lauf des Tages hundert Mal das Telefon läutet, es ständig zu Unterbrechungen und Feuerwehreinsätzen kommt und ich das, was ich mir vorgenommen habe, wieder nicht erledigen kann. Verstärkt wurde das rückblickend durch meinen Arbeitstil. Ich wollte neu hereinkommende Dinge immer möglichst sofort erledigen, statt genau auszuwählen, was sofort zu erledigen ist und was noch ein, zwei Tage warten kann. Mit Freunden darüber zu reden, war nicht so meines. Wenn ich als Förster sage, ich bin im Burnout, lachen mich die aus und meinen: "Bist du jetzt komplett deppert? Du kannst doch den ganzen Tag mit der Büchse und dem Hund im Wald spazieren gehen, die Bäume wachsen doch eh von selber." Das ist zumindest das Bild, das viele von dem Beruf eines Försters haben, also kann man mit keinem ernsthaft über das Thema reden.

Wie haben Sie es geschafft, sich aus diesem Strudel herauszuziehen?

Mein Chef hat mich Anfang 2007 gefragt, welche Weiterbildung ich in dem Jahr machen möchte und ich habe dann gesagt, dass ich eigentlich überhaupt keine Weiterbildung machen möchte, sondern nach einer Möglichkeit suche, mich selber irgend wieder in den Griff zu bekommen. Vor diesem Gespräch hatte ich mich mit meiner Tochter zusammen gesetzt, die im Sozialbereich tätig ist und sie gefragt, was sie mir vorschlagen würde. Sie hat mir damals geraten, ein Coaching zu machen und mit diesem Vorschlag bin ich dann zu meinem Chef gegangen. Über die Bildungsbeauftragte des Unternehmens haben wir dann jemanden gefunden. Mein Chef hat mich dann gefragt, ob ich etwas dagegen hätte, wenn noch zwei Kollegen und er selbst auch teilnehmen würden und da ich nichts dagegen hatte, haben wir dann eine Kleingruppe gemacht. Zusätzlich war ich noch im Einzelcoaching. Das hat mir dann die Augen geöffnet und so bin ich langsam wieder aus dem Strudel rausgekommen.

Was war das Erhellende?

Das Erste war, dass mir vorgeführt wurde, was Burnout eigentlich ist und das Erschreckende war die Erkenntnis, dass ich da schon weiter drinnen gesteckt bin als ich geahnt hatte. Man kennt zwar den Begriff Burnout, liest auch immer wieder etwas in der Zeitung, vieles kommt einem bekannt vor, aber man legt es trotzdem nicht auf sich selbst um. "Ich doch nicht". Das hat sich an dem Tag geändert in "Doch. Ich! Und Wie!" Im Einzelcoaching haben wir dann eine Familienaufstellung gemacht, wo mir bewusst wurde, warum ich so bin wie ich bin. Woher das kommt, warum ich so reagiere und arbeite, warum ich diesen Druck verspüre. Das waren zwei Antreiber, "mach es allen recht" und "beeil dich". Mein Anspruch, immer alles sofort zu erledigen. Logisch betrachtet ist es einleuchtend: Es bei einer Naturkatastrophe im Wald allen recht machen zu wollen, und was noch schlimmer ist, alles ganz schnell und möglichst perfekt erledigen zu wollen, das kann nicht funktionieren.

D.h. eine Tendenz, an sich selbst nicht erfüllbare Maßstäbe anzulegen und damit ständig das Gefühl zu haben, immer drunter zu bleiben, was den Druck erhöht, sich noch mehr anzustrengen, usw. So bleibt man selbst auf der Strecke.

Genau. Heute gelingt es mir bereits etwas besser, mich abzugrenzen. Z.B. habe ich am ersten Arbeitstag nach dem Urlaub mehrmals zu Anrufern gemeint. "Ich bin erst aus dem Urlaub zurück, ich muss mir erst einen Überblick verschaffen, wir treffen uns am Mittwoch oder Donnerstag." Und ich habe kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich das sage. Die Erkenntnis ist wichtig, aber das alleine reicht nicht. Dann braucht es den Willen und den Mut, sich zu ändern, d.h. auch, bestimmte Dinge nicht mehr zu tun. Z.B. nicht bei jedem Anruf sofort zu reagieren. Ich lasse mich heute weniger rausbringen als früher, setze klarere Prioritäten und plane Pufferzeiten mit ein.

Ein Problem bei Burnout ist ja, dass man oft schon so erschöpft ist, dass man dann zwar möglicher Weise sieht, was man anders machen könnte, aber auch dazu keine Energie mehr hat.

Absolut. Ich war dann vergangenes Jahr einmal drei Wochen auf Kur, zusammen mit meiner Frau, und das war mit Sicherheit die erholsamste Zeit seit vielen Jahren. Wir haben es beide sehr, sehr genossen. Allerdings kam ich an einem Sonntag heim und zwei Tage später ist im Wald ein Feuer ausgebrochen. Da hatte ich dann mehrere Tage rund 1000 Feuerwehrleute im Wald, damit war der Kureffekt innerhalb von zwei Tagen wieder restlos verbraucht.

Fredmund Malik hat einmal bei einem Seminar gesagt: Motivieren kann eigentlich nur die Aufgabe, nicht der Chef, nicht die Mitarbeiter, nicht die Frau, nur die Aufgabe. Und ich habe mit der Zeit wirklich wieder Kraft aus meiner Aufgabe geschöpft, die mir ja an sich unheimlich gefällt. Ich habe wieder begonnen, Freude daran zu empfinden, indem ich gelernt habe, meinen Blickwinkel zu ändern. Ich bin z.B. in den Wald gegangen, dorthin, wo durch den Borkenkäfer große Flächen vernichtet worden waren und habe plötzlich gesehen, dass da am Boden Millionen neuer Baumwurzeln waren. So gesehen hat der Borkenkäfer Platz geschaffen für die jungen Bäume. Als ich das gesehen habe, ist der Druck plötzlich weg. Ich mache meinen Job heute wieder mit Hingabe, aber wenn ich nicht arbeite, denke ich auch nicht mehr ständig daran.

Also einerseits des Bewusstmachen des eigenen Zustands, ein Erkennen eigener Muster....

Ja, zuerst die Erkenntnis, "ich bin davon betroffen", dann die Aufstellung, wo ich wirklich in Tränen aufgelöst und völlig platt war, dass die Herkunftsfamilie derart stark in die Arbeit hineinspielt. Das war wie ein Dammbruch.

Was waren nun konkret die ersten Schritte?

Nach dem Seminar bin ich einmal in den Wald gefahren, habe mir einen ruhigen Platz gesucht und mir einmal einen Plan aufgestellt, wie ein ideales Monat aussehen sollte. Das habe ich nach wenigen Minuten sein lassen und beschlossen, mich einmal ein Monat lang nur mit mir zu beschäftigen, indem ich mir immer wieder bewusst mache, wie es mir in dieser und jener Situation jetzt gerade geht: Wie geht es mir, wenn jemand anruft, etwas sofort haben will und ich sage nein? Am Anfang ist es mir damit sehr schlecht gegangen, ich habe ständig ein schlechtes Gewissen gehabt. Das waren viele kleine Schritte.

Ein Trainieren der Selbstwahrnehmung: Wie geht es mir gerade, habe ich Hunger, Durst, bin ich entspannt, wütend, ärgerlich, erschöpft, verspüre ich Angst, etc.

Ja, genau. Ich hatte mir mein Leben lang ständig nur gesagt: Mir geht es gut. Ich habe eine schöne Arbeit, eine tolle Familie, es geht mir gut. Aber wie kannst du etwas tun, wenn du nicht einmal weißt, was mit dir los ist?

Wie haben Sie die Müdigkeit wegbekommen?

Ich mache seit 11 Jahren Chi Gong. Vor einem Jahr hätte ich beinahe aufgehört, weil ich einfach zu müde dafür war. Nach dem Seminar habe ich beschlossen, doch nicht abzuspringen. Stattdessen habe ich mir im Wald einige Plätze gesucht, wo ich mir heute, wenn ich im Wald bin, 15-20 Minuten Zeit nehme, um eine einfache Übung zu machen und den Ort zu genießen, um zur Ruhe zu kommen.

Am Arbeitsruck hat sich ja nichts geändert. Wie schafft man es, nicht sofort wieder in alte Muster hineinzurutschen?

Ich hatte das Glück, dass ich mir Unterstützung in Form eines Assistenten holen konnte. Den habe ich seit letztem Jahr eingeschult und aufgebaut. Heute kann ich an ihn Dinge delegieren, die ich früher alle selbst machen musste, das ist für mich schon eine große Erleichterung. Da braucht es die bewusste Entscheidung zu sagen, diese und jene Arbeit mache nicht mehr ich, die kann auch jemand anderes machen.

Dazu braucht es aber eine Organisation, wo man einen Assistenten holen kann. In Unternehmen, die ständig Köpfe zählen und über die Kosten jammern, bringt man das vielleicht nicht durch.

Mag sein, aber zuerst einmal erfordert es einen Mut, zu sagen – "ich kann nicht mehr" - und für sich selbst eine Grenze zu akzeptieren. Bei der regelmäßigen Mitarbeiterbefragung in unserem Unternehmen gibt es z.B. eine Frage: "Sind Sie bereit, noch mehr Einsatz für den Betrieb zu bringen?" Da habe ich diesmal Nein hingeschrieben. Wenn es nur zehn Revierleiter gibt und einer schreibt Nein hin, ist das Ergebnis in diesem Punkt gleich einmal schlechter als bei den meisten anderen Forstbetrieben. Daher wurde der Wert in unserer Forstleiterrunde diskutiert. Ich habe dort offen gelegt, dass ich das war und dass ich das hingeschrieben habe, weil es schlicht die Wahrheit ist, weil ich am Plafond angelangt bin und nicht mehr mehr arbeiten kann. Aus dem und dem Grund.

Wie geht es Ihnen heute im Vergleich zu vor einem Jahr?

Wenn total entspannt 0 Prozent wäre, und total angespannt 100 Prozent, dann bin ich inzwischen bei ca. 30 Prozent. Ich habe noch meine Rückfälle, wo ich mich hineintheatern lasse und ein bis zwei Tage brauche, um wieder rauszukommen, aber ich kenne wenigstens die Werkzeuge dazu und ich weiß, warum es so ist. Es hat sich auch bei meinen Mitarbeitern etwas verändert, weil ich jetzt auch bei ihnen darauf schaue. Wenn mein Vorarbeiter am Jahresende 290 Überstunden hat, dann bremse ich ihn heute. "Lass dies und das sein, genieße das Wochenende, nimm dich zurück, wir sind auf einem guten Weg." Das ist ja ein Problem, das nicht nur mich betrifft. Umso wichtiger ist es, das Thema direkt anzusprechen.

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Alfred Zechner, Führungskraft in einem großen Forstbetrieb