"Burnout entsteht nicht durch Arbeitsüberlastung"

Mag. Stefan Geyerhofer, Leiter der Studie "From Burn Out to Job Engagement in different organizations" über die zentralen Einflussfaktoren von Burnout und den engen Zusammenhang zwischen Burnout und Job Engagement.

Was verstehen Sie unter Burnout?

Eines der Grundprobleme von Burnout liegt darin, wie mit dem Phänomen umgegangen wird: Wenn ein Mitarbeiter ausgebrannt ist, dann ist der typische Rat: "Nimm einmal Urlaub!" Und wenn man mit dem Stress nicht mehr zurecht kommt, heißt es von Firmenseite oft: "Wir zahlen Ihnen ein Stressmanagement-Seminar." All das sind individuum-fokussierte Lösungsversuche, die zwar in aller Regel gut gemeint sind, aber die Idee, Burnout habe vor allem mit dem Individuum zu tun - der/die hält das halt nicht aus, irgendwas stimmt mit dieser Person nicht - diese "Erkenntnis" ist heute nicht mehr aufrecht zu erhalten, weder in der Praxis noch in der Wissenschaft.

Wir wissen heute durch die Arbeiten von Christina Maslach und Michael Leiter, dass die wesentlichen Bedingungen für das Entstehen und Aufrechterhalten von Burnout nicht innerhalb der Person liegen, sondern in den Arbeitsbedingungen. Wir können sie nicht nur benennen, wir wissen auch, welche das sind. Wir können es messen und wir können es Firmen rückmelden. Ich mache jetzt seit 4 Jahren an der Webster University das "Webster University Burnout Research Project", wo wir mittlerweile die 16. Firma evaluiert haben. Die Frage ist: Was können und wollen wir als Unternehmen verändern, um Bedingungen zu schaffen, die es unseren Mitarbeitern ermöglichen, das Job-Engagement längerfristig aufrecht zu erhalten?

Wieso sind Burnout und Job Engagement zwei Seiten einer Medaille?

Es gibt ja nicht nur ausgebrannt oder nicht ausgebrannt, sondern es gibt ein mehr oder weniger auf einem Kontinuum zwischen Burnout und Job Engagement. Wenn ich Firmen frage, "interessiert euch das Thema Burnout und das Verhindern von Burnout", dann ist das Interesse nicht sehr hoch. Wenn ich frage, "haben Sie Interesse zu schauen, wie sie das Job Engagement ihrer Mitarbeiter möglichst lange erhalten können?" dann ist die Antwort: No na! Das interessiert jede Organisation. Dass das dasselbe ist, dass, wenn man das eine macht, man gleichzeitig das andere macht, ist etwas, das den Teilnehmern erst mit der Zeit deutlich wird. In Österreich ist es traurigerweise meist so, dass zuerst etwas passieren muss, bevor Unternehmen sich des Themas annehmen. Oft braucht es erst den Selbstmord eines Mitarbeiters, der Unternehmen aufrüttelt und sie fragen lässt: Hoppala, was ist da los, wie steht es um die Arbeitsbedingungen?

6 Bereiche des Arbeitsumfeldes als wichtige Einflussfaktoren für Burnout

Der Bruch des lange Zeit gültigen "psychologischen" Arbeitskontraktes durch die Unternehmen - Du gibst mir Deine Arbeitskraft, ich gebe Dir einen sicheren Arbeitsplatz und Lohn - führte bei vielen Arbeitnehmern zu einer wachsenden Unsicherheit, dem Gefühl, nicht mehr langfristig planen zu können und zu einer weit geringeren Loyalität und Bindung gegenüber dem Unternehmen, oder nicht?

Ja, die Kehrseite der "flexiblen Arbeitsverhältnisse" ist, dass sich heute immer weniger Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen identifizieren. Vor 20 Jahren haben noch viele Leute aus Überzeugung gesagt: "Das ist meine Firma". Wenn Sie heute sagen: "Ich will, dass Sie sich mit dieser Firma identifizieren" sagen die Leute "Wozu? Das ist ein Job. Ich weiß nicht, wie lange ich den habe. Was soll ich mich da identifizieren."

Da beginnt auch auf Seite der Unternehmen langsam ein Umdenken, weil sie merken, dass es nicht nur gescheit ist, wenn sich die Leute nicht mehr mit der Firma identifizieren. Denn Kultur lässt sich nur in einer längerfristigen Zusammenarbeit aufbauen. Kultur hat viel mit Beziehung zu tun. Das ist etwas, das wächst. Da reift dann mitunter die Erkenntnis: Hoppala, wie können wir von Menschen erwarten, dass sie die Kultur unserer Firma mitgestalten, wenn sie vorn vornherein Angst haben müssen, dass sie nicht länger als 1-2 Jahre da sind? Diese Entwicklung schlägt sich übrigens deutlich im Faktor 6, den "Werten" nieder. Es gibt heute viel mehr Wertekonflikte, etwa wenn Menschen in Firmen sitzen müssen, weil sie keine andere Möglichkeit sehen und dort Kompromisse in ihren Wertvorstellungen eingehen, die längerfristig fürchterlich sind. Ein schönes Beispiel ist der Sozialbereich: Da sitzen in aller Regel Menschen mit hohem sozialen Engagement, aber was sie dort konkret tun müssen, hat mit diesem sozialen Anliegen teilweise überhaupt nichts mehr zu tun.

Wenn ich nun bei solch einer Untersuchung einen bestimmten Status feststelle, was mache ich dann als Unternehmen damit?

Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels erläutern: In einer Firma konnten wir ein hohes Maß an Burnout und gravierende Wertekonflikte rückmelden. Eine genauere Analyse brachte widersprüchliche Zielvorgaben zum Vorschein, die als Quelle für Unzufriedenheit aber auch für Burnout bekannt sind. Es kommt in Unternehmen gar nicht so selten vor, dass die Zielerreichung der einen Abteilung, des einen Teams, die Zielerreichung der anderen Abteilung, des anderen Teams verunmöglicht. Dass daraus enorme Konflikte entstehen, ist vorprogrammiert. Die Auswirkungen auf die Mitarbeiter sind katastrophal, denn die können bei diesem Spiel nicht gewinnen. Diese Ergebnisse lassen sich von Unternehmen zwar nicht kurzfristig beheben, aber schon mittelfristig führt eine Neudefinition zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit, der Gemeinschaft und des Job Engagements der MitarbeiterInnen.

Und diese Zielkonflikte sind den Firmen nicht bewusst?

Das passiert relativ einfach, wenn etwa Teilbereiche größerer Firmen Ziele aus dem Ausland vorgeschrieben bekommen. Da scheinen sich die Vorgesetzten im Ausland nicht immer besonders gut zu informieren bzw. sie bekommen nicht mitgeteilt, dass das nicht zusammen passt und dann sind die Österreichableger der Konzerne schnell mit widersprüchlichen Zielvorgaben konfrontiert. Und selbst wenn dann einer sagt: "Hey Leute, das passt nicht zusammen", dann kommt meistens der Satz zurück "Das interessiert uns nicht, das habt ihr zu erreichen". Dann schaut es mittelfristig um das Job Engagement der Leute sehr schlecht aus.

Wobei sich die Dinge heute nicht nur strukturell schneller verändern, sondern auch personell. Heute gibt es immer jüngere Geschäftsführer, oft schon mit 35 Jahren. Wie sind die in den wenigen Jahren in die Geschäftsführung gekommen? Die waren in jeder der vorherigen Führungspositionen höchstens ein paar Jahre, das hat Auswirkungen! Wie soll ich mich als Mitarbeiter mit so einem Vorgesetzten identifizieren, wenn der nur dasitzt um uns zu benutzen und auszuquetschen, damit wir die Zahlen bringen, damit er morgen auf den nächsten Posten weiterhupfen kann? Im Vergleich zu früher, wo man die Menschen in ihrer Laufbahn noch mitverfolgen konnte, wo man Menschen jahrelang gesehen hat und sie dabei beobachten konnte, wie sie sich langsam hinaufgearbeitet haben, sieht man die Leute heute vielleicht zwei Jahre und dann ist der nächste dran. Ich bin nicht allzu optimistisch, dass man das ändern wird, aber zumindest wissen wir heute, welche Arbeitsbedingungen man schaffen kann, wenn man das Job Engagement der Mitarbeiter erhöhen will. Und dieses Jobhopping wirkt da mit Sicherheit nicht sehr positiv.

Diese Phänomene sind ja keine Einzelfälle, sondern sie häufen sich: Jobhopping, widersprüchliche Ziele, Arbeitsplatzunsicherheit. Wenn man das als Manager sieht, welche Möglichkeiten hat man, gegenzusteuern?

Meine Hoffnung ist zum einen schon, dass das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen wird. Natürlich spielt die Wirtschaftslage eine große Rolle. Wenn die Wirtschaft am Boden ist und es tendenziell billiger ist, Leute auszutauschen, ist es natürlich schwieriger. Gleichzeitig kommen die Firmen eben drauf, dass Kundenzufriedenheit eben nur über Mitarbeiterzufriedenheit zu erreichen ist. Das ist zwar schon ein Satz aus den 50er-Jahren, aber trotzdem oft vergessen worden. Ziele und Zahlen sind nicht alles. Aha. Die Leute kommen auch deswegen vermehrt drauf, weil sie rechnen. Burnout kostet Geld und zwar haufenweise. Es sind nicht nur die Fehlzeiten und Krankenstände und die Fluktuation, es kostet auch bei den Leuten, die am Arbeitsplatz anwesend sind und ausgebrannt sind und unfreundlich sind zu den Kunden. Das kostet sehr viel Geld. Wenn jemand in einem Privatspital ausgebrannte Ärzte und Schwestern hat, kostet das Unsummen, denn in dieses Spital geht niemand mehr. Da beginnen Firmen zu realisieren, dass das schlicht und einfach ihre Konkurrenzfähigkeit vermindert. Das gibt ihnen die Motivation, wieder mehr auf diese Personalthemen zu schauen. Je besser die Wirtschaftslage und je größer der Fachkräftemangel wieder wird, desto aktueller wird das Thema wieder für die Firmen.

Noch einmal kurz zum Zusammenhang von Job Engagement und Burnout

Burnout entsteht häufig durch ein sehr hohes Engagement zu Beginn. Dann erfüllen sich die Erwartungen nicht und es folgt die große Enttäuschung. Wenn man hingegen dieses Engagement zu Beginn gar nicht so aufbringt, sondern eher die Einstellung hat "Ich weiß nicht, wie lange ich da bin, warum soll ich mich so ins Zeug legen? Lieber nicht zu sehr engagieren und identifizieren", dann ist auch die Gefahr des Burnout nicht so hoch. Niedrigere Erwartungshaltung reduziert die Gefahr großer Enttäuschung und damit die Gefahr von Burnout. Wenn ich bei etwas, das mir nicht wichtig ist, keine Anerkennung bekomme, berührt mich das nicht besonders.

Insofern kann man Untersuchungen, die auf geringer werdende Arbeitsmotivation verweisen, auch so interpretieren: Die Zahlen zeigen, dass sich die Menschen psychisch an die neuen Bedingungen anpassen, u.a. durch eine größere und schnellere Distanzierung von den Jobs. "It´s a job" wird zu einer typischen Einstellung. Das mag nicht so gut sein für die Unternehmen, aber es vielleicht besser für die Gesundheit der Person.

Das Gespräch führte Mag. Peter Wagner, Leaders Circle

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Mag. Stefan Geyerhofer Prof. für Psychologie, Webster University